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Fernleihe – Ferntausch


'Hans Kropshofer Hans Kropshofer / 'Karl Heinz Maier Karl Heinz Maier

Im Rahmen von Fern, dem Forum für experimentelle Raum- und Ressourcennutzung, machen wir seit 1. Juli 1998 unsere Arbeitsbibliothek mit mehr als 2000 Büchern, Zeitschriften, Katalogen und Videos einer interessierten Öffentlichkeit kostenlos zugänglich. Gemeinsam mit dem ebenfalls eingerichteten Tauschpool wird sie als Versandbücherei verwaltet. Gesamtverzeichnisse der Leih- und Tauschexponate können bei uns als gedruckte Kataloge angefordert bzw. über Internet, mit der Möglichkeit zu Direktbestellungen und -angeboten, abgefragt werden.

Leihe und Tausch – Ein Interdiskurs
A

Die enorme Geschwindigkeit, mit der potentielle Orte als solche der Kunst erkannt und als Nischen besetzt werden, die in der Folge zur Arena des Konkurrierens, Produzierens und Konsumierens beschleunigen, ist heute Teil des Überlebenskampfes des Kunstbetriebs.

Die gesellschaftlichen Bedeutungen von Kunst werden verstärkt in die Kreationen der Selbstverwirklichungsangebote einer spätkapitalistischen Freizeitindustrie absorbiert und aufgelöst und Künstlerinnen und Künstler als Kulturschmiermittel verbraucht.

Und dort, wo Kunst institutionell zuhause ist, erarbeiten im Gegenzug Vermittlungsbetriebe in einem konstruierten und politisch benutzten ”öffentlichen Interesse” Legitimationsstrategien des eigenen Bestehens. Kunst wird als Erzählung gehandelt und einem Publikum übersetzt, das nicht als Kulturproduzent angesprochen, sondern als Konsument bedient wird.

Vor diesem Hintergrund stellen wir Begriffsbilder wie Künstler, Austausch, Öffentlichkeit, Werk, Form und Informiertheit der eigenen künstlerischen Handlungs- und Produktionsmechanismen und ihre gesellschaftliche Relevanz innerhalb selbstgeschaffener Autonomien auf die Probe.

Mit der gezielt vorgenommenen Veröffentlichung und Verteilung unserer Arbeitsbibliothek setzen wir auf die Aktivierung der eigenen Ressourcen – den materiellen und ideellen Kapitalien bei der Erarbeitung unserer Kunstproduktion. Diese Ressourcen bilden neben ihren Gebrauchswerten reale, subjektive Bedürfnisse und Interessen innerhalb ihrer Sammlung ab, die wir, wie im Falle der Bibliothek, als einzelne Bücher mittels Leihe und Tausch zur Verfügung stellen. Die Künste selbst werden zu Zentren des Begehrens.

Mit diesem Begehren beteiligen wir uns an Meinungsbildungsprozessen über Kunst auch jenseits der dafür vorgesehenen Orte und Handlungsräume: Die Suche nach der Fern-Öffentlichkeit erfolgt über bereits bestehende gesellschaftliche Informations- und Warenverteilungssysteme, vom Internet übers Gemeindeblatt, vom Supermarkt über den Nahversorger, von der Schule zum Kunstbetrieb, von der gedruckten Annonce zum gesprochenen Vortrag.

Entscheidend dafür, ob Fernleihe und Ferntausch neben ökonomisch motivierten Bedürfniskonstruktionen und Wissenskonzentrationen (wie etwa dem explodierenden E-commerce im Netz) als eigener Handlungsraum bestehen bleibt, wird neben unseren Arbeitsstrategien letztlich auch das Selbstverständnis aller Beteiligten, auch das der finanziellen Förderer, im Hinblick auf gesellschaftliche Formbildungsprozesse sein.

B

Die reale Öffentlichkeit des Marktplatzes verschwindet. Der Austausch der Menschen findet in abstrakten Netzwerken statt. Es gibt Nutzer an den Enden und Ausnutzer an den Knoten. Die Entwicklung des virtuellen Raumes geht mit einer Geschwindigkeit vonstatten, der gegenüber die Gesellschaft kapituliert. Neue soziale Formen können nicht nachwachsen, sie werden im Gestrüpp des Cyberspace erstickt.

Wir alle sind auf vielfältige Arten vernetzt, die wir nicht begreifen, die wir nicht beeinflussen können und die uns informatorisch entmündigen. Das Netz als Kampfplatz im ökonomischen Krieg: Es geht darum, die Nutzer an das Netz anzudocken, sie anzuzapfen; es geht um ihre Ausbeutung. Das kulturelle Potential des virtuellen Raumes, der Raum und Zeit transzendiert, verkümmert.

Wir implodieren nicht im neuen onotologischen Modus der Cyberexistenz, wir hängen als Biomaschinen informatorisch an den gebührenpflichtigen Enden des Netzes.

Der Kampf entspinnt sich um die Wege der Kommunikation. Entbrannt sind bereits die Starwars zwischen den mächtigen Knoten des Informations- und Kommunikationsmonopols. Dagegen steht die Strategie organisierter Anarchie: Die kommunikative Vernetzung im öffentlich virtuellen Raum, die eine Balance zwischen Distanz und Nähe im neuen Modus des Virtuellen sichert.

Der Akt des Tausches ist ursprünglich anonyme Intimität. Ego und Alter treten sich real/intim gegenüber, um über den Mechanismus abstrakter Werte im Tauschakt in Beziehung zu treten. Der universelle und abstrakte Warencharakter ermöglicht Tausch at-a-distance. Die Akteure verschwinden unter den Bahnen der Zirkulation. Neue Netzformen der unmittelbaren Transaktion von sozialen/intimen/ besetzten Objekten, nicht hierarchisch zwischen Ego und Alter aufgespannt, ermöglichen eine Gegenstrategie. Diese Netze können wachsen, sich verdichten, ausdehen, in der Zirkulation beschleunigen und dabei neue Verbindungen und Strukturen, virtuelle Gemeinschaften und Gruppen schaffen.

Der Zugang zur Bibliothek und zur Datenbank ermöglicht den Nutzern nicht-kommerzielle Formen der Transaktion. Sie treten mit unbekannten Dritten in Kontakt, die für sie nicht als reale Personen, aber als konkrete Vorstellung Kontur gewinnen. Inhalte und Bestände hängen ab von den Entscheidungen aller, die an dem Projekt beteiligt sind. Das Ergebnis ist unvorhersehbar.