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Ars Electronica 1998
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Festival 1979-2007
 

 

Ground Truth


'Robin Bargar Robin Bargar / 'Insook Choi Insook Choi

Die globalen Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit bestätigen die Überlegenheit des ”American Way of Life”. Der Golfkrieg und der Zerfall der Sowjetunion, die hervorragende Situation des amerikanischen Aktienmarktes sowie die führende Rolle der USA als Friedensstifter im Nahen Osten und auf dem Balkan sind Beispiele, die das klar belegen – ganz zu schweigen von der brüderlich gewährten finanziellen Unterstützung, die kürzlich den abgewerteten Währungen Asiens zuteil wurde. Es ist kein Zufall, daß der wirtschaftliche Wohlstand im Land mit der Gewährung finanzieller Unterstützung für die weniger glücklichen im Ausland einhergeht. Amerika ist die Heimat der Technologie- und Industriehirten der Herde des freien Markts. Die globale Präsenz von Internet- und Satellitenkommunikationssystemen ermöglicht es geographisch verstreuten und entfernt gelegenen Kulturen, sich der umfangreichen Familie Amerikas anzuschließen.

Die für dieses ”Good Will Web” Verantwortlichen erkennen, daß dieses weiterhin für alle Mitglieder frei zugänglich und sicher sein muß. Die amerikanische Formel für finanzielle und politische Sicherheit stützt sich auf langfristige Investitionen, d.h. in der Gegenwart werden Instrumente entwickelt und implementiert, die in der Zukunft ihren Schöpfern lange Jahre hindurch Profit bringen werden. Es ist nur zu verständlich, daß die weniger wohlhabenden Kulturen Allianzen mit jenen Systemen eingehen, die ihnen helfen, wieder auf eigenen Füßen zu stehen. Heute läßt sich, was die Investitionen anlangt, eine deutliche Parallele zwischen den Anliegen des privaten Sektors im Zusammenhang mit seiner ”globalen Hirtenfunktion” und einem optimistischen Wertpapiermarkt einerseits und den gestiegenen Ausgaben des Kongresses für militärische Informationssysteme andererseits feststellen. Regierungsstellen, die in der Vergangenheit vor Verteidigungsausgaben zurückschreckten, passen sich der neuen Tendenz, Steuergelder in das Verteidigungsbudget fließen zu lassen, an. Die ARPA (Advanced Research Projects Agency), die finanzielle Mittel für die Entwicklung von CAVE™ und anderen Computerschnittstellen zur Verfügung gestellt hat, wurde kürzlich mit dem Segen des Kongresses zur DARPA erhoben, wobei das ”D” für ”Defense” , d.h. Verteidigung, steht. Das NCSA (National Center for Supercomputing Applications), Amerikas führende Institution für wissenschaftliche Hochleistungsrechneranwendungen und Internet 2, hat kürzlich im Auftrag des Verteidigungsministeriums ein Büro für Projekte des DoDMod (Department of Defense Modernisation) eingerichtet. Darüber hinaus haben akademische Bildungseinrichtungen (MIT, UC Berkeley, Universität von Michigan, Universität von Illinois u. a.) in letzter Zeit mit Lockheed-Martin, Rockwell International und anderen Rüstungsfirmen Forschungskonsortien gegründet. Diese Konsortien werden im Rahmen des ”Federated Laboratories”-Programms des Army Research Laboratory (ARL, Forschungslabor der US-Army) unterstützt.

Seit dem Golfkrieg arbeitet das Militär an einer neuen, modernen Identität, die jene Rolle ersetzen soll, die es in Vietnam verloren hat. Die Streitkräfte der Vereinigten Staaten sind die logischen globalen Beschützer der Technodemokratie des 21. Jahrhunderts. Diese Wiedergeburt wird durch eine Finanzierungsstrategie ermöglicht, in deren Rahmen öffentliche Gelder aus dem traditionellen militärischen Hard- und Softwarebereich abgezogen und in sogenannte Dual-Use-Technologien, die sich zum ”dualen Gebrauch” eignen, investiert werden. Sie sind modular, leichtgewichtig und verteilt, wobei die geistigen Eigentumsrechte nicht von der militärischen Forschung und Entwicklung usurpiert werden. Die Doktrin des dualen Gebrauchs stellt sicher, daß die militärische Technologie gleichzeitig auch den Bedürfnissen der zivilen Industrie gerecht wird. Amerikanischen Konsumenten werden infolge der zum eigenen Schutze getätigten Investitionen des Privatsektors von Technologien profitieren, die ursprünglich für militärische Anwendungen entwickelt wurden. Diese Technologien werden letztendlich in Form von Haushaltsgeräten oder anderen attraktiven Waren auf den Markt kommen. Auf diese Weise bewahrt der Kongreß ein Investitionsgleichgewicht zwischen der militärischen und der zivilen Wirtschaft. ”Dual Use” ist damit ein eindrucksvolles Beispiel für eine taktische Fusion von Markt und Schlachtfeld.

Stellen Sie sich vor, man würde dieses Szenario auch auf die Finanzierung von künstlerischen Projekten ausdehnen. Im Mai 1998 hat die DARPA eine Ausschreibung für die Entwicklung eines Kommandopostens der Zukunft (CPOF, Command Post of the Future) veröffentlicht. Diese Ankündigung der DARPA, kurz DARPA CPOF BAA genannt, beschreibt die Vision eines erweiterten Cyberbefehlshabers auf VR-Grundlage mit sensorischen Funktionen und der Fähigkeit, die momentane Situationen am Kriegsschauplatz zu erkennen und darauf zu reagieren. Diese Fähigkeit wird als Visualisierung des Kriegsschauplatzes (Battlefield Visualization) bezeichnet. Um eine nahtlose BV zu gewährleisten, werden mit Hilfe von kognitiven Technologien Sensoren, Transmitter und Methoden zur Informationsdarstellung (z. B. in Form von Computergraphik und computergenerierter akustischer Information) entwickelt. Unter kognitiven Technologien versteht man solche, die den Schritt von der ”Soft Intelligence” zur ”Wet Intelligence” ermöglichen, von der künstlichen zur biologischen Informationsverarbeitung. Wenn die DARPA ihre Zielgruppen im Bereich Forschung und Entwicklung erreicht, werden die Lieferanten der Inhalte und sogar Künstler ihre Chance erkennen, der Geschichte ihren eigenen kreativen Stempel aufzudrücken, während sie gleichzeitig ihrem Land dienen. Die Ausschreibung der DARPA berücksichtigt auch den Bereich der künstlerischen Möglichkeiten. Auf Seite fünf heißt es, man müsse ”allgemeine Darstellungsgrundsätze von den Grundsätzen der menschlichen Wahrnehmung und der Erfahrung in den Bereichen der darstellenden Kunst, der Werbung, der Nachrichtensendungen, des Geschichtenerzählens und der Unterhaltung ableiten”. Für einen dualen Gebrauch könnten auch Kinematographie, Animation, Computerspiele und standortgebundene Unterhaltungseinrichtungen in Frage kommen. Visionäre Künstler könnten verstärkt auf das Prinzip des dualen Gebrauchs zurückgreifen, um den Finanzierungsbedingungen der Kulturfinanzierungsinstitution NEA (National Endowment of the Arts) zu genügen. Diese Finanzierungsbedingungen wurden vom Kongreß vorgeschrieben und erst unlängst vom Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten bestätigt. Die fragliche Moral der Finanzierung von Kunst durch Steuergelder hat sich in bestimmten Wahlkreisen der USA als wunder Punkt erwiesen. Die Moral der öffentlichen Finanzierung von Militärprojekten und die grundlegende moralische Berechtigung von Forschungsprojekten im Verteidigungsbereich sind hingegen unumstritten.

Eine künstlerische Perspektive ist wichtig, wenn wir die komplexen Darstellungsprobleme lösen möchten. Wenn enorme Mengen von Daten klar und deutlich präsentiert werden sollen, ist darstellerische Kompetenz ein Muß. Künstlerische Methoden könnten sich – mit finanzieller Unterstützung aus dem Militärbudget – als schlagkräftiger Faktor zur Erhaltung der Informationsdominanz durch Wissensmanagement erweisen. Bei zeitkritischen Manövern und in der Ausbildung könnte die Palette der Darstellungsmethoden auch Live-Präsentationen umfassen, die die Koordination von Anlagen und Gerätschaften demonstrieren. Eine solche Präsentation eines Ausbildners, wie ein hypothetischer, virtuoser Befehlshaber in der Praxis vorgeht, könnte im wahrsten Sinne des Wortes als ”Kriegs-Schau-Platz” bezeichnet werden.

SPRACHLICHE KOMPETENZ UND TECHNOLOGIE
Wenn wir über Technologie sprechen, konzentrieren wir uns oft auf Werkzeuge und Methoden. Über diese läßt es sich nämlich aufgrund der konventionellen Art und Weise, Bezüge herzustellen, leichter sprechen, indem man sich auf die benennbaren Objekte und gut definierten Methodologien bezieht. Eine grundlegende Auseinandersetzung mit der Technologie erfordert jedoch die Formulierung von Fragen, die Annahme von Fallbeispielen und die Definition von Problemen, die unter Umständen nicht in den Rahmen der bestehenden Paradigmen passen. Dieser Aspekt der Technologie kann letztere zu einem offenen Diskurs in einem weiter gefaßten Kontext werden lassen, in dem wissenschaftliche und technische Praktiken hinterfragt werden können. Die Technologie umfaßt die Erfindungen ”sprachlich inkompetenter” Praktiker ebenso wie Theorien. Die Erfinder des Kompasses beispielsweise waren ”sprachlich inkompetent”, was im Zusammenhang mit der praktischen Anwendung des Kompasses als Werkzeug bedeutet, daß sie keine Wissenschaftler waren. Der Ausdruck ”sprachlich inkompetent” bezieht sich also auf Menschen. Es sei jedoch festgehalten, daß sich dieser Begriff auch auf jede praktische Anwendung bezieht, für die noch keine deskriptive Sprache vorhanden ist. Wenn die praktische Anwendung unbeschreibbar ist, sind wir in bezug auf die Notwendigkeit von Problemlösungen ”sprachlich inkompetent”. Wenn wir in bezug auf solche Probleme ”sprachlich inkompetent” sind, sprechen wir von unzureichend definierten Problemen. Die Umwandlung von unzureichend definierten Problemen in gut definierte Probleme ist der Beginn einer Beschäftigung mit Technologie und erfordert die Einbringung unserer sprachlichen Praxis.
DIE INSTALLATION
Ground Truth ist eine halbautomatisierte Installation und eine Echtzeit-Performance in einer verteilten virtuellen Realität. Die Installation demonstriert die Anwendung visueller und akustischer Darstellung in einer multimodalen Entscheidungsfindungsumgebung. Die Umgebung ist eine dynamische Multi-Agenten-Simulation. Mehrere Workstations bieten visuelle, akustische und taktile Schnittstellen. Bewegungssensoren erlauben es dem Beobachter, Zustandsänderungen in Systemkomponenten zu bewirken. Es können auf Gestik basierende interaktive Abfragen durchgeführt werden. Zustandsänderungen werden automatisch von einer Region auf die andere übertragen. Die Visualisierung und Sonifizierung gegenwärtiger Zustände numerischer Simulationen bestimmt, was angezeigt wird.

Ground Truth simuliert die Unveränderlichkeit der Wirtschaft als Kampf. Im Ground Truth-Simulator führt die Wirtschaft Krieg gegen die Unsicherheit. Die Information muß reduziert werden, um Gewinn zu erwirtschaften. Marktanteile müssen reduziert werden, um die Quellen der Rohinformation aufzufrischen. Die Teilnehmer können sich auf eine der beiden Seiten stellen und für Wohlstand oder Unsicherheit stimmen. Die Kernsimulation besteht aus wissenschaftlicher und militärischer Software, die eine wirtschaftliche Simulation betreiben, auf die Beobachter von einer verteilten Anordnung von Workstations aus Einfluß nehmen. Jede Workstation fungiert dabei als taktisches Operationszentrum (TOC, Tactical Operations Center) in dem die Teilnehmer mit militärischen Simulationen und numerischen Unsicherheitsmodellen experimentieren. Die Schlachten werden unter Anwendung von militärischer Gewalt, Finanzierungsinstrumten und Medien-Webcasts in einer wirtschaftlichen Arena geschlagen. An den TOCs können die Teilnehmer militärische Vorgangsweisen auswählen, finanzielle Investitionen tätigen, Multimedia-Editing und Webcasts durchführen und sich mit der Unsicherheit im Rahmen eines auf physischen Aspekten basierenden Ressourcenversorgungsmodells auseinandersetzen.

Die verschiedenen in Ground Truth enthaltenen Modelle sind in drei Schichten angeordnet. Jede Schicht stellt ein System dar, mit dem sich die Befehlshaber auseinandersetzen, um einen Kampfeinsatz zu organisieren. Die unterste Schicht ist die Bodenschicht des Schlachtfelds bzw. des Marktplatzes. Die oberste Schicht besteht aus den Wolkenstädten und Fabriken und dient der Erneuerung und Lagerung von Ressourcen. Dazwischen liegt die Schicht der Unsicherheit, die sich in einem Zustand turbulenter Strömung befindet und die Bodenebene verdecken und Ressourcen umleiten kann, die zwischen den Wolkenstädten und der Bodenschicht übermittelt werden. Die Schichten interagieren durch einen Austausch von 3D-Spielsteinen, die für Informationsquanten stehen. Das Informationsatom wird durch einen Tetraeder dargestellt. Eine geometrische Verbindung von Quanten ergibt drei Klassen von Informationswährung: Spielsteine für mediale, militärische und wirtschaftliche Ressourcen. Rigide Körper- und Partikeldynamik simuliert Masse, Geschwindigkeit und Beschleunigung von Informationsquanten. Die Währungseinheiten unterliegen der Schwerkraft ebenso wie der simulierten Strömung. Sie kollidieren mit anderen Währungseinheiten und mit Grenzflächen. Avatare liefern für jede TOC-Workstation, von denen aus die Spieler die Informationen in die jeweils gewünschten Lagerstätten verschieben können, eine Immersionsansicht. Die Währungseinheiten werden dann zur Finanzierung von militärischen Operationen verwendet oder zur Stärkung der zivilen Wirtschaft in eine Wolkenstadt investiert. Die Währungseinheiten regnen aus den Städten im Verlauf eines Ressourcen-Zyklus, der die Besteuerung als Niederschlag darstellt, auf die Bodenschicht. Die militärischen Operationen werden unter Verwendung des sogenannten FOX, eines automatisierten Strategieplaners, durchgeführt, der genetische Algorithmen verwendet, um das jeweils optimale Truppenmanöver zu identifizieren. Das Medien-TOC bringt die Ressourcen in Form von Publicity zurück in die Städte, wobei das Ausmaß der Publicity von der ”Nachrichtentauglichkeit” der Auseinandersetzungen auf dem Schlachtfeld abhängt.
INFORMATION UND UNSICHERHEIT
Im militärischen Bereich ist ”Ground Truth” der Fachausdruck für den schwer zu erreichenden Zustand vollständiger Information. Es handelt sich dabei um das absolute Wissen über den momentanen Stand des Kriegsgeschehens. Ground Truth ist unerreichbar, entscheidet jedoch, welche der Parteien ihre Zielsetzungen in einem bewaffneten Konflikt am besten erreicht. Im Krieg treffen die Streitkräfte in Abständen aufeinander, während sie unmittelbar und fortlaufend gegen die Unsicherheit kämpfen. In den Bell Labs demonstrierte Claude Shannon 1949, daß Information das statistische Maß der Unsicherheit in einem Kommunikationskanal ist. Jede Kommunikation bedeutet ein bestimmtes Verhältnis zwischen Signal und Rauschen. Bedeutung muß kodiert werden, um nicht aufgrund dieses Verhältnisses zersetzt zu werden. Die Zersetzung einer relevanten Botschaft in Rauschen ist aufgrund der Entropie der Übertragung völlig natürlich. Es gibt verschiedene Arten von Rauschen, von denen einige erkennbar sind und andere uns als Inhalt maskiert begegnen. Unsicherheit tritt dann auf, wenn in einer Kommunikation Rauschen nicht von der eigentlichen Bedeutung unterschieden werden kann. In dem hohen Ausmaß, in dem Kommunikation für die Durchführung einer militärischen Operation erforderlich ist, spielt daher auch die Unsicherheit für den Ausgang eine Rolle. Unsere Kinder werden Prognosen zufolge im Cyberspace Krieg führen. Wenn es um Information, Rauschen und Entropie geht, wird jedoch bereits heute Krieg im Cyberspace geführt. Die globale Arena wird in einem binär kodierten alphanumerischen Medium abgesteckt, verteidigt und erobert, ganz gleich, ob es sich bei den Kombatanten um Soldaten, Börsenmakler, Nachrichtennetze oder Politiker handelt. Das digitale Medium wird als beinahe physisches Substrat für die Entscheidungsfindung betrachtet. Im Auf und Ab des binären Flusses tragen jene Kräfte den Sieg davon, die es schaffen, der Unsicherheit Herr zu werden.

Um das Problem der Unsicherheit zu lösen, sind Militärwissenschaftler und Techniker gegenwärtig dabei, Systeme zu entwickeln, um sich in einem unendlichen Bogen an die ”Ground Truth” anzunähern. Der Kampf gegen die Unsicherheit folgt einem Pfad, der einer Kurve ähnelt, die sich ihrer Asymptote immer weiter nähert, diese jedoch nie schneidet. Während sich die zur Verfügung stehende Technologie entlang dieser Kurve fortentwickelt, geht gleichzeitig eine Veränderung des Schlachtfelds vonstatten. Die Maschinen, die entwickelt werden, um die ”Ground Truth” sensorisch wahrzunehmen, zu evaluieren und darüber Auskunft zu geben, werden selbst zu einem Ersatzschlachtfeld. Die Maschinen ersetzen allmählich jene Bedingungen, zu deren Messung sie eigentlich entwickelt wurden. Der physische Kriegszustand wird zu einer Bühne für den Informationskrieg. Komprimierungsalgorithmen und Suchmaschinen reduzieren Geographie, Streitkräfte und Ereignisse auf eine reine Form asynchroner Botschaft, die aus Verweisen auf frühere Botschaften besteht. Das neue Schlachtfeld bedient sich einer temporären Mechanik für die Artikulation mittels einer Kette von Verweisen ohne Ende, dem Zeithorizont für ein sich wiederholendes Kriegsspektakel.
MEDIUM UND INHALT
Wenn wir uns gegen die Beschreibung des Künstlers als eines ”Lieferanten von Inhalten” verwahren möchten, wenn wir einen gewissen Inhalt präsent wissen möchten, dann müssen wir jene Bedingung schaffen, aufgrund derer eine Begründung des Inhalts möglich ist.

Der Ausdruck ”Medium” hat in Zusammenhang mit der Technologie spezifische Implikationen. Als Beispiel sei der Fall der Massenmedien genannt, in dem der Ausdruck bereits eine gewisse Transparenz ebenso voraussetzt wie die Prämisse, die Massenmedien würden ohne eigene Intervention ihrerseits lediglich eine Vermittlerrolle übernehmen. Durch die Beobachtung der von den Massenmedien angewandten Praktiken haben wir herausgefunden, daß derartige Prämissen nicht länger verwendet werden können, um jedes Medium als objektives Darstellungswerkzeug für unsere Welt zu fördern. Außerdem möchten wir nochmals darauf eingehen, ob jedes Medium überhaupt ein objektives Werkzeug für künstlerischen Ausdruck darstellen kann. Kann eine kreative Idee unabhängig von dem Medium, das sie vorhersagt, existieren? Man könnte behaupten, was der Künstler verwendet, um ein Kunstwerk zu schaffen, sei völlig irrelevant, solange er oder sie das jeweilige Ergebnis erzielt. Diese Aussage ist möglicherweise mit jener Beschreibung kompatibel, derzufolge der Künstler ein Lieferant von Inhalten ist und dabei oftmals eine industrielle Nachfrage deckt. Die Rolle des Künstlers wird auf die Rolle eines Demonstrators reduziert, der die Nützlichkeit bestimmter Werkzeuge und Software für kommerzielle Zwecke unter Beweis stellt. Der konzeptuelle Hintergrund derartiger Aussagen ist für die Praktiker und Künstler in einer Computerumgebung jedoch irrelevant, insbesondere wenn man an die Maschinen denkt, die über die Spezifikation ihres inneren Zustands, ihrer Inputs und ihres Produktsets nichts als garantiert hinnehmen. Die Spezifikationen der Maschinen sind für das jeweilige kreative Problem einzigartig. Im dominierenden Multimediabereich besteht ein ähnliches Problem bezüglich der Präsentation von Kunstwerken unter Verwendung gewisser Werkzeuge, die als objektive Mittel zur Erzielung einer bestimmten Wirkung zum Einsatz gelangen. Wir fragen uns, in welchem Ausmaß die Werkzeuge das Endergebnis prägen, wenn wir sehen, wie bestimmte verpackte Produkte unsere Kunststudenten veranlassen, eifrig Daten und Muster zu sammeln. Es geht nicht darum, die Möglichkeit des Gebrauchs vielfältiger Werkzeuge auszuschalten. Was wir untersuchen und in unseren Diskurs einbeziehen müssen, sind die Möglichkeiten, mit und aus den Werkzeugen und Bedingungen, die uns umgeben, Kunst zu schaffen.

Werkzeuge hinterlassen in Kunstwerken ihre eigenen Spuren, was nicht unbedingt unerwünscht sein muß. Es bedeutet lediglich, daß das künstlerische Potential der Werkzeuge selbst in die Kompositionskriterien miteinbezogen werden muß, und dies ist wünschenswert. Auf diese Weise unterscheiden wir zwischen der ”Schaffung eines Kunstwerks für ein bestimmtes Medium” und der ”Schaffung eines Mediums” selbst. Im ersten Fall bedient sich der Künstler für die Präsentation eines gut definierten Mediums, während sich im zweiten Fall das Kunstwerk explizit mit der Konstruktion seines Präsentationsmediums auseinandersetzt. Der Ausdruck ”Medium” läßt sich vielfältig anwenden und reicht in seinen Bedeutungen von den Substanzen, die unsere Hauptsinne ansprechen, bis hin zu Instrumenten, Genre und Tonalität. Ich habe jedoch nicht die Absicht, die verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten dieses Ausdrucks an dieser Stelle zu kategorisieren. Die Diskussion geht von den folgenden beiden Aussagen aus: 1. Ein Medium benötigt das Handeln eines Beobachters, damit seine Präsenz wahrgenommen wird.
2. Lassen wir dieses Handeln eine Performance sein.

Die Schaffung eines Kunstwerks umfaßt die Konstruktion eines Mediums in Form einer Sphäre, die Untersysteme und Handlungsstrukturen in sich faßt, nach denen sich das Verhalten des Systems richtet. Was verstehen wir aber unter Inhalt, wenn wir diese aufgabenorientierte Definition des Kunstschaffens gelten lassen? Wenn wir Inhalt wie beispielsweise Audiodateien oder Bilder eingeben und dann wieder abrufen, bedeutet dies nicht mehr und nicht weniger, als daß wir uns der Datenspeicher- und Samplingtechnologie bedienen. Wenn wir über dynamische Modelle als Untersysteme und komplexe Interaktion sprechen, denken wir bei Inhalt nicht an das, was eingegeben oder geliefert wird. Inhalt ist nicht das, was wir in ein Kunstwerk einbringen, sondern wir bereiten vielmehr das System und die Struktur auf die Art und Weise vor, auf die der Inhalt durch Möglichkeiten, das Systemverhalten darzustellen, eingebracht wird. Das Systemverhalten selbst ist jedoch wiederum nicht das inhaltsorientierte Ziel an sich. Es ist das Produkt komplexer Interaktionen, an denen interne Strukturen jenes komplexen Systems, innerhalb dessen sich die Interaktion vollzieht, beteiligt sind.
ZEITKRITISCHE PERFORMANCE
Die physikalische Relativität versichert uns, es müsse einen Zeitsprung zwischen dem ”jetzt” an einem Ort und dessen Wiedergabe anderswo geben. Dieses Intervall kann die Signalübermittlung nicht überspringen. Eine militärische Operation erstreckt sich über eine Abfolge derartiger Intervalle. Die Intuition des Befehlshabers überwindet dieses zeitliche Problem, indem sie zukünftige Ereignisse vorhersieht, so als würde das Erwartete noch vor seinem tatsächlichen Eintreten herbeigeführt. Im Falle von physischer Übertragung entsteht eine Informationsüberlastung aus der zeitlichen Differenz zwischen der ”Ground Truth” und der Darstellung der Information. Dies liegt an der Variablen n. Wenn ein Befehlshaber an n Orten zugleich sein könnte, wobei n > 1, wären Interpretation und Entscheidungen zeitgerecht möglich. Ist jedoch n = 1, so handelt der Befehlshaber in Echtzeit. Der militärischen Doktrin zufolge kann ein Befehlshaber eine n-malige Ausführung durch einen rekursiven Ansatz, d.h. in Form einer Prioritätsinformationsabfrage (PIR, Prioritized Information Request) ersetzen. Eine PIR ist eine rekursive Abfrage. Sie stellt eine umfangreiche Frage, diese wiederum stellt kleinere Fragen usw. bis ans Ende der Befehlskette. Schließlich berichten die kleinsten Antworten größeren Antworten, die ihrerseits umfangreichere Teilantworten abgeben usw. Sobald genug Antworten rückübermittelt worden sind, wird schließlich auf der obersten Ebene eine Entscheidung getroffen. Es steht jedoch während einer Kampfhandlung nur selten genug Zeit zur Verfügung, um das Ende dieses rekursiven Prozesses abzuwarten. Die Entscheidungen werden deshalb auf der Basis unvollständigen Wissens getroffen. Anstelle von Wissen muß sich der befehlshabende Offizier auf die Darstellung von Informationen verlassen. Darunter kann man sich eine Darstellung der Zeit als Wissen vorstellen. Dieses Wissen ist jedoch implizit, da es sich dabei um eine Darstellung der Unsicherheit handelt. Der Unterschied zwischen der verfügbaren Information und dem für eine Entscheidung erforderlichen Wissen ist die unbekannte Größe der Darstellung. In der Installation Ground Truth wird die Unsicherheit dargestellt. Diese Unsicherheit ist die Asymptote der Forschungskurve. Die militärische Bezeichnung für die Unsicherheitskurve lautet ”Situationsbewußtsein”.
POLITISCHE IDEALE UND IHRE ANWENDUNG
Im Laufe der Geschichte sind immer wieder Künstler aufgestanden, um einen Krieg zu unterstützen. Man denke nur an jene, die im spanischen Bürgerkrieg zu den Waffen gegriffen haben, um gegen Franco zu kämpfen. Darüber hinaus gibt es auch schon seit langem Künstler-Aktivisten, die sich gegen den obengenannten ”militärisch-industriellen Komplex” stellen. Die Akklimatisation von Künstlern an militärische Praktiken erinnert mich an eine Anekdote, die ein Professor in einem Dokumentarfilmkurs erzählt hat. Die Klasse hatte sich gerade The Battle of Anzio von Frank Capra (dem Regisseur von It’s a WonderfulLife und anderen Filmen) angesehen. Anzio gehörte zu der während des zweiten Weltkriegs vom Verteidigungsministerium produzierten Kinonachrichtenserie ”Why We Fight”, für die verschiedene Hollywood-Regisseure als Beitrag zur Kriegsanstrengung einzelne Folgen produzierten. Texte und Filmmaterial wurden vom Verteidigungsministerium zur Verfügung gestellt. Der Anekdote zufolge waren die Funktionäre mit einer zeitlichen Verschiebung zwischen dem Sprechtext und dem Stummfilmmaterial in Capras Beitrag unzufrieden. Die zeitliche Plazierung des Sprechtextes würde die Schwierigkeiten der Soldaten über Gebühr hervorheben, was für zukünftige Soldaten wenig aufmunternd gewesen wäre. Darauf angesprochen, hat Capra angeblich geantwortet: ”Sie haben doch wohl nicht erwartet, ich würde für den Krieg 'Werbung' machen?”

Die Forschung in diesem Bereich wird vom Forschungslabor der US-Army (Army Research Laboratory) und dem Nachrichten- und Sicherheitskommando der US-Army (Army Intelligence and Security Command) über ein Konsortium gefördert, das sich mit der Entwicklung fortschrittlicher und interaktiver Displays befaßt (Advanced and Interactive Displays Consortium). Das Konsortium wird vom US Army Research Laboratory im Rahmen des Kooperationsvertrags DAAL01-96-2-0003 des Federated-Laboratory-Programms finanziert. Die im vorliegenden Beitrag dargelegten Ansichten und Schlußfolgerungen sind jene der Autoren und stellen nicht die ausdrückliche oder implizite offizielle Politik des Army Research Laboratory oder der Regierung der Vereinigten Staaten dar.
ÜBERLEBENSFÄHIGKEIT

Wir leben in einer Gesellschaft, in der Adaption gemäß der allgemein anerkannten Definition stattfindet.


(Lorenz, 1965)
”Adaptation” ist jener Prozeß, der den Organismus so formt, daß dieser auf eine Art und Weise in seine Umgebung paßt, die ein Überleben erlaubt.

Da die Computertechnologie heute weit genug fortgeschritten ist, um verschiedene auf komplexen Phänomenen basierende Simulationen zu aktualisieren, rücken die auf biologischen Erklärungen oder Gegebenheiten der ”realen Welt” basierenden logischen Prozesse in den Mittelpunkt der Diskussion. In der Folge finden wir Metaphern wie ”Umwelteignung”, ”Mutationen”, ”Meme”, ”Adaptation” und ”Überleben” grenzüberschreitend in den verschiedensten Disziplinen. Wir wollen nicht vergessen, daß Metaphern oft als erklärende Bezeichnungen verwendet werden. Der Gebrauch von Metaphern, die in hohem Grade erklärender Fähigkeiten bedürfen, werden oft irrtümlich als Vorgabe der nachfolgenden Gedanken aufgefaßt. Die Produktion von Kunst unterscheidet sich von der Produktion von Erklärungen, worauf ich jedoch in diesem Rahmen nicht detailliert eingehen kann. Als Komponist kann ich das nachfolgende Zitat jedoch nur unterstreichen. Ross Ashby erklärte, ohne damit unbedingt dem obigen Zitat zu widersprechen, sondern eher eine Alternative dazu bietend, in den frühen sechziger Jahren unseres Jahrhunderts:
”… es gibt nicht eine einzige geistige Fähigkeit, die man dem Menschen zuschreibt und die im absoluten Sinne gut wäre. Falls eine besondere Fähigkeit im allgemeinen gut ist, so ist dies nur der Fall, weil es unserer irdischen Umgebung so sehr an Vielfalt fehlt, daß ihre normale Form diese Fähigkeit zu einer im allgemeinen guten macht.”
Wie absurd es auch anmuten mag, dieses Zitat scheint – zumindest auf den ersten Blick – unsere herkömmliche Auffassung von der Natur als einer im einzelnen unvorhersagbaren und ihrem Charakter nach unkontrollierbaren zu widersprechen. Achten Sie bitte darauf, daß die Beteuerung, Anpassungsfähigkeit sei ”gut”, oft die Untersuchung jener Bedingungen in den Schatten rücken läßt, unter denen eine gewisse Anpassungsfähigkeit ”gut” ist. Außerdem verschleiert die Wertassoziation die Tatsache, daß ein generativer Prozeß mit der Festlegung von Beschränkungen beginnt. Die Festlegung von Beschränkungen gewinnt Freiheit und generative Kraft. Eine künstlerische Aufführung schafft unter Umständen Metaphern, begründet sich jedoch nicht auf erklärungsbasierten Metaphern. Bei der Schaffung eines Mediums wird die Erzeugung von Schaubeispielen den Erklärungen vorgezogen, um die Bedingungen des Erklärenden zu untersuchen, unter denen die Aufführung entsteht. Das Kriterium für die Schaffung eines Mediums besteht darin, solche Bedingungen zu schaffen, daß die Ausübung bestimmter menschlicher Fähigkeiten erleichtert wird. Anderenfalls würden die bestimmten Beobachtungsfähigkeiten vielleicht nicht zugänglich sein. Bei der Schaffung dieser Bedingung sollten wir uns heute mehr um die Ausführbarkeit als um die Überlebensfähigkeit sorgen. Die Kunst eines Träumers erfordert mehr als die zum Überleben erforderliche Anpassungsfähigkeit. Man wird sich möglicherweise weigern müssen, unter bestimmten Umständen zu überleben, um eine Alternative zu schaffen. ”Überlebe!,” riet jener, der überlebte. Er könnte der Alptraum des Träumers sein.