www.aec.at  
Ars Electronica 1998
Festival-Website 1998
Back to:
Festival 1979-2007
 

 

Paul Smith - Artists Rifles


'Alister Hayman Alister Hayman / 'Paul Smith Paul Smith

DAS REGIMENT
1860 bildete Edward Sterling, ein Kunststudent an der Carey's School of Art, ein aus Malern, Bildhauern, Musikern, Architekten und Schauspielern bestehendes ”Künstlercorps”. Dieses Regiment wurde treffend ”Artists Rifles” (Künstlerschützen) getauft. Unter den berühmten ”Künstlern” befanden sich u. a. John Millais, Lord Leighton, Holman Hunt und William Morris. In den folgenden Jahren traten noch viele andere namhafte Künstler ein, unter anderem Wilfred Owen und Brandon Thomas.

1914–1918 dienten in dem Regiment insgesamt 15.022 Mann, wovon 2.003 fielen. Einige davon waren Freiwillige, die direkt vom Royal College of Art und von der Royal Academy gekommen waren.

1939 wurde das Regiment aufgelöst, nur um sich 1941 als ”21st Special Air Service Brigade” mit der Unterbezeichnung ”Künstler” neu zu formieren. Das Regiment führt bis heute das ursprüngliche Corpswappen, das aus zwei Köpfen besteht: Mars, dem Gott des Krieges, und Minerva, der Göttin der Weisheit.
SCHÜTZEN
Paul verbrachte seine Sekundarschuljahre in Warminster, einer Garnisonsstadt mit ständiger Militäraktivität. 1983 trat sein ältester Bruder in die Armee ein und war hauptverantwortlich dafür, daß sich Paul entschied, ebenfalls einzutreten. Er verpflichtete sich im Alter von 16 Jahren und war nach seiner Grundausbildung in Deutschland stationiert, wo er bis 1990 blieb. Nach zwei Jahren als Pionier erhielt Paul den Job des Regimentsfotografen, als der er hauptsächlich Öffentlichkeitsarbeit machte. Beide Brüder Pauls haben aktiv in der Armee gedient und wurden mit Auszeichungen geehrt. Keith war im Golfkrieg bei den Fronttruppen und verließ 1992 desillusioniert die Armee. Der ältere Bruder Steven beendete seinen Armeedienst 1990, ist aber bis heute vom Militär begeistert.
KÜNSTLER
Nach Ende des Armeedienstes besuchte Paul einen Kurs der Arts Foundation und machte schließlich sein Diplom in Bildender Kunst an der Universität Coventry. Im ersten Jahr seiner Ausbildung unternahm er ein selbstinitiiertes Forschungsprojekt über die zeitgenössische Kunst und Kultur der Aborigines in Australien. Ein integraler Bestandteil des Projekts war das Leben im Busch bei einer Aborigine-Gemeinde.

Nach Abschluß seines zweiten Studienjahrs in Coventry erhielt Paul das Halina/Fuji-Stipendium und verbrachte ein Jahr als Photographer-in-Residence beim Duke of Edinburgh Award. Einen beträchtlichen Teil dieser Zeit brachte Paul damit zu, Ihre königlichen Hoheiten Prinz Philip und Prinz Edward auf ihren Reisen rund um die Welt zu begleiten und die Aktivitäten des Award zu dokumentieren.

1995 machte Paul seinen Abschluß mit Fotografie als Hauptfach und bekam danach einen Studienplatz in Fotografie am Royal College of Art. Die Serie Artists Rifles entstand in dieser Periode. In der Sommerausstellung 1997 des Royal College of Art wurde sie erstmals zur Gänze gezeigt. Charles Saatchi erwarb die gesamte Serie und sammelt seither Pauls Arbeiten.
DIE SERIE
Pauls Arbeiten wirken seltsam vertraut. Mit ihrer scheinbar konventionellen Nacherzählung einer Kriegsphantasie und des heldenhaften Soldaten treffen sie einen ganz unerwartet.

Die Wiederholung abgenutzter Archetypen wird zu einer Folie, vor der die Wahrheit dokumentarischer Kriegsbilder, die Fotografie als historisches Dokument und überhaupt Kriegsdarstellungen in Frage gestellt werden. Die Inspiration dafür holt er sich aus seiner praktischen Militärerfahrung und – als scheinbarem Kontrapunkt dazu – aus fiktionalen Darstellungen in Comics, Filmen und Gemälden. Das Ausloten des Raums zwischen Reportage und Fiktion ist Pauls große Stärke.

Alle seine Mitwirkenden weisen eine eigenartige Affinität auf. Wie bei Klonen geht ihre Identität in ihrer Truppe auf. Man wird mit dem unsterblichen Soldaten konfrontiert, der den Helden, den Aggressor, den Schurken und den Sieger spielt. Bei diesem Rollenspiel nimmt Paul die Neutralität einer allegorischen Figur ein, die dem militärischen Ideal huldigt, dem einzelnen, der keine Fragen stellt und bereit ist, alles zu opfern.

In ihrer spielerischen Verwendung von oft vertrauten Bildern hinterfragen Pauls Arbeiten den Wert des ”Echten” zwischen dem, was wirklich und was nur genau ist.

Umgekehrt erhält mit der zunehmenden Verwischung des Verhältnisses zwischen der leibhaftigen Wirklichkeit des Krieges und dessen Abbildung das fiktive Porträt eine neue Bedeutung. In diesen Bildern herrscht keine Hierarchie; Erfahrung und Fiktion haben denselben Stellenwert.

Ausgehend von Skizzen wird ein Schauplatz und ein Hintergrund ausgesucht. Nach einer Probe der Aufnahme – der Einrichtung der Kamerawinkel und Festlegung der Continuity – bedient ein Assistent die Kamera. Bei den komplexeren Bildern wird ein Körperdouble eingesetzt, wodurch eine stärkere Interaktion zwischen den Charakteren zustandekommt. Die Bilder werden von den 35-mm-Negativen eingescannt und mit Photoshop bearbeitet. Mit Hilfe von Masken, Ebenen und dem Stempelwerkzeugen wird ein ”fotorealistisches” Bild erzeugt und wieder auf Film belichtet, von dem dann händisch Abzüge erstellt werden.
BEI SPIELEN FOLGT AUF DEN TOD DIE REINKARNATION
Mit dem Abdanken einer autorisierten Form der Ereignisse erscheint das Persönliche und Eigentümliche auf der Bildfläche, angereichert mit kleinen Einzelheiten und immer wieder umgeformt durch den kreativen Prozeß des Erinnerns. Dabei handelt es sich nicht um ein fait accompli, sondern um ein Kontinuum oder um eine Dialektik zwischen verschiedenen persönlichen Geschichten, die sowohl ausgefochten als auch eingebildet sein können.