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GRANULAR & SYNTHESIS




Diese schriftliche Information ist ein Versuch, weiter in Herz und Bewußtsein künftiger Generationen herumzueditieren. Die mitgeteilte Information wird persönlicher und reflexiver Natur sein. Meine Beziehung zu Kurt Hentschläger und Ulf Langheinrich und GRANULAR SYNTHESIS ist eine sehr enge geworden. Ihr Satz ”Wir haben ein ernstes Problem” damals, 1994, als sie eine Woche vor der Premiere von MODELL 5 einen Festplattencrash hatten, hätte keine größere Untertreibung sein können, denn seither haben wir alle drei persönliche Katastrophen erlebt, und jedesmal mitten in der Produktion.

Sie beschreiben ihre Arbeit in einer formalen Sprache. Es läuft ein Scherz unter uns: ”Granular & Synthesis”, ein Duo mit Kurt an der Gitarre und Ulf an den Bongos! Beide haben eine Geringschätzung für akustische Musik und die ”expressiven Künste”. Sie sind besessen von ganz spezifischer Technologie, mit der sie eine Arbeit produzieren und aufführen. Daß sie zum Beispiel für ihre neue Projektionsperformance POL auf 30Kw–40Hz Subbässe bestehen, hat nichts mit Formalismus oder Machotum zu tun; es ist einfach notwendig, weil sie wissen, was diese Tontechnik kann. Es geht ihnen bei dieser Leistung nicht nur um die Lautstärke, sondern darum, daß bestimmte Töne, Tonlagen und -verschiebungen physiologische Auswirkungen auf den Körper haben und tiefenpsychologische Resonanzen nach sich ziehen. Obwohl die Arbeiten von GRANULAR SYNTHESIS harte, laute, technische Kunstwerke sind, gehören sie von der Wirkung her zu den ”humansten” zeitgenössischen Werken.

Ihre formale Detailversessenheit, ihre Arbeit mit Einzelbildern oder mit langen Audio- und Videosequenzen im Rahmen von Einzelbildern ist ein pointierter Prozeß, der maximale Wirkungen zeitigt. Das Publikum wird einem schweren Angriff von Reizen ausgesetzt: Bombardiert von Licht-, Video- und Audioprojektionen, versagen die Versuche, die Arbeit zu intellektualisieren oder zu verstehen, ob der schieren physischen Gewalt, die das Publikum zugleich abstößt und verführt. Fasziniert, überwältigt und unter dieser Überdosis leidend, stellt sich schließlich jener Geisteszustand ein, der es einem gestattet, in die Arbeit einzutauchen. Die Rationalisierungs- und Verständnisversuche geben sich geschlagen. Man läßt sein Bewußtsein los, man ergibt sich. Verstörend, furchterregend, verführerisch, erotisch.

Als ich auf dem AVE-Festival in Arnhem, Niederlande, zum ersten Mal mit einer Arbeit von GRANULAR SYNTHESIS (MODELL 3) konfrontiert war, erinnerte mich das an eine meiner frühesten Fernseherfahrungen. Ich sah den Wizard of Oz in der Fleming-Fassung von 1939 und fürchtete mich vor dem Zauberer am Ende der gelben Pflasterstraße. Die von Judy Garland gespielte Dorothy erkennt am Ende der Geschichte, daß der Zauberer in Wirklichkeit die Projektion eines unsicheren, gewöhnlichen Mannes ist. Ich weiß heute, daß es eine Live-Videoprojektion war. Das führt uns vielleicht zurück auf den tiefsten Grund, weshalb wir überhaupt Kunst machen. MODELL 5 und das japanische Gesicht von Akemi Takeya habe ich – ebenfalls in einem Science-fiction-Kontext – immer mit einem der für mich stärksten Filmmomente assoziiert: jenem in Blade Runner, als nachts das Raumschiff über den Köpfen schwebt, mit einer scheinbar darin eingebetteten Projektionswerbefläche, auf der das Gesicht einer Japanerin zu sehen ist.

Künstler machen Ideen vorstellbar, Begriffliches manifest und Fiktionales real. Künstler können gut simulieren, woran Wissenschaftler arbeiten; sie erfinden wahre oder falsche Geschichten, und machen die Dinge damit real. Stelarcs Performance Body I Ping hat mich immer an Verkleidungen und die Fetischisierung des Körpers erinnert, aber Stelarc hat uns ein frühes Beispiel eines real funktionierenden Cyborg gegeben. GRANULAR SYNTHESIS haben eine Reihe virtueller Wesen real werden lassen. In dem Versuch, vom Bild des Kopfes wegzukommen, griffen sie in WE WANT GOD NOW, XTENDED THRILL und AREAL A auf den Torso zurück. Doch die Anziehungskraft des Gesichts scheint zu groß, und so arbeiten sie nun erneut damit, diesmal mit jenem von Diamanda Galas. Daß das Gesicht neu bearbeitet wird und möglichst viele Spuren seiner ursprünglichen Ausdrucksqualitäten daraus entfernt werden, versteht sich von selbst. NOISEGATE-M6 hieß ursprünglich Deep Sea. Die Wirkung, die damit erzielt werden sollte, war die eines Aquariums oder Zoos. Virtuelle Lebewesen, eingesperrt hinter Glas oder hinter einem Bildschirm. Das Bedürfnis, expressive und existentielle Charaktere zu schaffen, ist auch früher schon aufgetaucht, und in der Tat hat das verlangsamte und verschwommene ”Brüllen” in MODELL 5 die Wirkung eines animierten Francis-Bacon-Gemäldes. Das ist für mich das Paradox.

Diese in Käfige gesperrten Charaktere und ihre digital entblößten Bilder, irgendwie der Fetisch des Pixels und das erstarrte elektronische Bild der menschlichen Gestalt, sind Sinnbilder für das Zeitalter, in dem wir aufgewachsen sind, die siebziger und achtziger Jahre. Unsere Fähigkeit, Technologien zu entwickeln, die immer feinere Einzelheiten in Raum und Zeit zu erkennen vermögen, kann nur heißen, daß auch das Unterscheidungsvermögen der Menschen immer feiner wird. Die Dekonstruktions- und Zerlegungsprozesse im Verlauf der Video- und Medienkunstgeschichte sind unübersehbar. Die digitale Videotechnik hat dies mit der Dekonstruktion des Einzelbildes in die einzelnen Bildelemente, die Pixel, noch weiter getrieben. In der Arbeit von GRANULAR SYNTHESIS geht es um die Rekonstruktion.

Für die Entwicklung ihrer Arbeiten durch audiovisuelles Live-Sampling haben sie die gängige Software hinter sich gelassen und sich ihre eigene austüfteln müssen.

Es gab und gibt auf dem Markt noch immer nichts, was unseren Anforderungen genügt. 1996 setzten wir uns hin und begannen eine audiovisuelle Maschine zu entwerfen, die unsere Arbeitserfahrung mit nichtlinearen Videoschnittsystemen und Audiosampling miteinander verschmelzen sollte. Das Ziel war, mit Hilfe einer solchen Maschine einzelbildweise und in Echzeit auf Video- und synchronisierte Audiodaten zugreifen zu können. Das Steuerprotokoll mußte definitiv ein MIDI-Protokoll sein, da das Instrument leicht in den Rest unserer Installation einzubauen sein sollte. Außerdem mußten wir verschiedene (Audio-Video)-Samples in den Arbeitsspeicher laden, zwischen ihnen hin- und herschalten und sie dynamisch wieder auslesen können. Darüber hinaus sollte die Software auf PC laufen, da wir für jede Bild/Tonprojektion einen eigenen Rechner benötigen. Die Softwareentwicklung war sehr aufregend und dank unseres ausgezeichneten Softwareentwicklers und Programmierers, Dirk Langheinrich, macht das Programm auch genau das, was wir wollten: VARP 9 (so heißt das Baby) läuft absolut stabil … ein Gefühl, das wir das letzte Mal beim ATARI hatten. Bevor wir aber unser Ziel erreichten (Ende 1997) schlugen Dirk und wir uns mit etwa 100 Betaversionen, ”faszinierenden” Hardware-Software-Inkompatibilitäten und dergleichen herum. Wunderbarerweise enthält die Software selbst (natürlich) so viel von unserem ästhetischen Wissen, daß ein großer Teil der Komposition der letzten Arbeiten schon in die Software eingebettet ist. Das Befriedigendste dabei war, die ästhetischen Möglichkeiten zu entdecken, von denen wir wußten und träumten, die aber mit händischer Montage einfach unerreichbar blieben. Solche Dinge wie das Einfügen von Flickerframes in einer adaptierbaren Frequenz zwischen anderen Einzelbildern oder die Modulation eines Bildsamples (Bildserie) durch ein anderes oder (superaufregend) visuelles Schweben – die zeitliche Spiegelung von Bewegungsabläufen innerhalb einer Bildserie. – GRANULAR SYNTHESIS
Sie sind in ihrem Umgang mit Zeit und Daten äußerst detailversessen. Das Interesse an der Dekonstruktion von Narrationen und Echtzeitbewegungen hat viel mit der Tradition von Scratch-Videos und Cut-up-Filmen gemeinsam. Der Unterschied ist allerdings, daß sich der Found-Footage-Film das verwendete Material aneignet, es neu verarbeitet und neu strukturiert, während GRANULAR SYNTHESIS große Anstrengungen unternehmen, die eigenen Bilder zu fixieren, indem sie unter ganz strengen Bedingungen arbeiten und etwa Maschinen (oder Sitzmodule) konstruieren, in denen sie ihre Personen festhalten. In dem vor kurzem aufgenommenen Rohmaterial von Diamanda Galas erscheint sie – unbearbeitet – als aufgespießter Schmetterling, der seinen letzten dissonanten Gesang aushaucht: ein vieltöniges gutturales Rauschen.