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Ars Electronica 1998
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Festival 1979-2007
 

 

Vorwort


'Gerfried Stocker Gerfried Stocker / 'Christine Schöpf Christine Schöpf

Seit Jahrzehnten geht die Rede von einer technologischen Revolution, und im Grunde dürfte auch niemand mehr den radikalen Einbruch der digitalen Informationstechnologie in den Alltag leugnen. Trotzdem würde die Frage, ob die Zeit den Eindruck einer Revolution erwecke, wohl mehrheitlich verneint werden. Zu diskret verbergen sich viele der Auswirkungen hinter der marketingmotivierten Euphorie der Verkaufsstrategen der IT-Industrie.

Doch nicht von ungefähr dominiert Gewalt das Bild, unter dem diese besondere Form eines tiefgreifenden historischen Wandels verallgemeinert wird: Im Zuge einer “Revolution in militärischen Angelegenheiten” (RMA) mutiert Krieg – seit je Inbegriff von Gewalt und Vernichtung – in der Vorstellung der Protagonisten und Propagandisten eines “Information Warfare” zur diskreten Aktion im Cyberspace und in der Infosphäre. Aber in den Szenarien solcher “formlosen” und “unblutigen” Informationskriege wird sogar das technisch kompetente Individuum als potentieller Cyberpartisane zur Staatsbedrohung stilisiert.

Dieses Projekt läßt die gesellschaftlichen Implikationen der digitalen Revolution unmittelbar greifbar werden. Denn was anderes könnte in der Menschheitsgeschichte, die die Geschichte ihrer Kriege ist, realer als der Krieg sein, was anderes die Realität und kulturelle Dominanz des immateriellen Raumes so hervorstreichen als seine Eignung als das bessere Schlachtfeld?

Auf dem Feld der Aktivitäten um Aneignung, Kontrolle und Unterwerfung ist der militärisch geplante InfoWar jedoch nur ein Aspekt. Die Technolgien der digitalen Revolution wurden entwickelt im Interesse und aus der Logik des Krieges – Technologien der Gleichzeitigkeit und Kohärenz, die unsere zivile Gesellschaft nun in einen Zustand der permanenten Mobilmachung versetzen. Ausgetragen wird ein Kampf um Märkte, Ressourcen und Einflußsphären, wobei es um die Vorherrschaft in wirtschaftlichen Konzentrationsprozessen geht, und in dem nicht mehr Staatsgrenzen und Rechtssysteme die Fronten bilden, sondern technische Standards; ein Kampf, in dem die Macht des Wissens als gewinnbringendes Monopol seiner Verteilung und Vermittlung bewirtschaftet wird. Die geografischen Grenzen des Industriezeitalters verlieren zunehmend ihren Stellenwert in der Weltpolitik und weichen vertikalen Fronten entlang sozialer Schichten. Auf politischer wie ökonomischer Ebene treten neue Spieler im Ringen um Hegemonie auf den Plan, neue Gegner, die mit dem Terrain der Informationstechnologie viel besser vertraut sind als die hierarchisch organisierten Kräfte in ihrer Tradition, im Dienst der Staatssicherheit Wissen zentralisieren und reglementieren zu wollen.

Eine Entwicklung zeichnet sich ab, deren soziales, ökonomisches und politisches Veränderungspotential die zivile Gesellschaft massiver denn je betrifft. Auch die Kunst – konfrontiert mit der in die Realität der Mobilmachung versetzten informatischen Dimension unserer Kultur – sieht sich einer großen Herausforderung gegenüber. Sie scheint als selbstreferentielles System endgültig obsolet und zunehmend konkret in gesellschaftliche Zusammenhänge verstrickt zu werden. Daß sich die Ars Electronica als Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft des Themas InfoWar annimmt, ist daher naheliegend.

Mit dieser Publikation wird nicht nur ein Abriß der “Revolution in militärischen Angelegenheiten” vorgelegt, sondern durch unterschiedliche Perspektiven darauf eben jenes Umfeld der Informationsgesellschaft beleuchtet, dessen konstitutive Dinge den Krieg zum Vater haben. Vor allem aber lassen die Texte erkennen, wie die Informationsrevolution die Natur der Konflikte ändert.

Das vorliegende Buch – eine um neun Beiträge erweiterte Anthologie der Vorträge beim Symposium der Ars Electronica 98, INFOWAR – information.macht.krieg –, gibt einen Einblick in das Spektrum neuer Konfliktsituationen und -potentiale, Feindbilder und Bedrohungsszenarien. Es bietet eine Erläuterung der Begriffe und Theorien von Cyber- zu NetWar, von der Kriegswertsteigerung durch Infotech zu PsyOps und Propaganda, vom Krieg des Geistes bis hin zum Volksinformationskrieg. Darüber hinaus finden sich aktuelle Beispiele und Ansätze neuer Formen des elektronischen zivilen Widerstands sowie Überlegungen zu einer im Entstehen begriffenen Network-Culture.

Für die Zusammenstellung der Beiträge war nicht zuletzt das Anliegen entscheidend, die globale Dimension dieser Entwicklung durch Experten aus verschiedenen Kulturen und Nationen – Europa, USA, China, Rußland, Nepal – aber auch durch Protagonisten des zivilen Bereichs – Hacker, Cypherpunks – und Vertreter der Kunst- und Wissenschaftsszene widerzuspiegeln.

Linz, im Juli 1998
Die Herausgeber