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Ars Electronica 1998
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Festival 1979-2007
 

 

Norn Attacks und Marine Doom


'Birgit Richard Birgit Richard

“Modelling reality to get reality”

Toby Simpson (1)
Dieser Beitrag unternimmt den Versuch, zwei Formen des Todes in virtuellen Welten nachzugehen. Angesichts der Möglichkeit, künstliches Leben im Rechner zu erschaffen, stellt sich die Frage, ob ein Phänomen wie der Tod in einer unendlich und ewig erscheinenden binären Welt überhaupt eine Rolle spielt und wie sich diese Todesphänomene zu den realen verhalten. Es gilt zwei Formen immateriellen Todes zu unterscheiden: den artifiziellen Tod als programmierten Parameter und den selbst-emergenten Tod nach biologischem Vorbild.
On the Net, there is no art of this kind (yet): it has had no time to develop a notion of the Other, the vanishing point of which would be Death. The model for Net Culture is life … (2)
Nicht nur das Internet, sondern auch die anderen digitalen Medien präsentieren sich als ewigwährende Phänomene, die kein Ende kennen. Die Apologeten der neuen Medienwelten errichten zu gerne den Mythos von der permanenten Abrufbarkeit all dessen, was erst einmal in digitaler Form erfaßt ist. Dabei besteht die Gefahr, daß Informationen, die erst wenige Jahre alt sind, aufgrund des schnellen Wechsels der Systeme unlesbar werden. Die Utopie der digitalen Unsterblichkeit des Menschen, als “Mind […] uploaded into the Net”, wie es John Perry Barlow formuliert, sieht sich “lebensbedrohlichen” Gefahren wie Systemabstürzen oder Upgrades ausgeliefert. Der Tod verbirgt sich in den Programmstrukturen.

Die künstlichen Welten und ihre Bewohner verlangen die Konstruktion eines virtuellen Todes. Die Implementierung von Vergänglichkeit wird, sofern sie sich nicht selbst-emergent entwickelt, aufgrund potentiell unendlicher Metamorphosen und metastasenartiger Wucherungen in andere Zustände und Bilder zwingend notwendig.

Das Konstruktionsprinzip für Formen des virtuellen Todes repräsentiert die sehr reglementierten artifiziellen Welten von Computerspielen und -simulationen: Sie basieren auf dem von Lacan aufgestellten Theorem des doppelten Todes, wie Zizek (3) nachgewiesen hat. Das virtuelle Leben übersteht mehrere Tode bis zum absoluten Tod, dem Ende des Spiels. Dieser kann durch zusätzlich erspielte Leben aufgeschoben werden. Der in Videospielen auftretende künstliche Tod ist charakterisiert durch Mehrstufigkeit und multiple Todesformen.

Außerdem können die Spieler die Toten, die ganz im Sinne des deSade’schen Phantasmas einen sublimen Körper besitzen, immer wieder unversehrt auferstehen lassen: “You’ll be able to resurrect the digital dead and kill them again”. (4) Diese Wiederauferstehung des Fleisches zeigt keine Spuren der Mißhandlung aus dem “wahren” Leben, wie beim Motiv des untoten Zombies im Film. (5) Diese Figur kehrt so lange mit lädiertem Körper als Verweis auf das an ihm begangene Unrecht wieder, bis die Schuld der Lebenden abgetragen ist und der Tote seine Ruhe findet. Der künstliche Tod dagegen stellt jedesmal eine Tabula rasa her, und es kann alles wieder von vorne anfangen.
KÜNSTLICHE WELTEN UND IHRE LEBENDIGEN BEWOHNER
“Das Begeisternde am Rechnen ist nicht, daß es sich die Welt zurechtbastelt (das kann das Schreiben auch), sondern daß es fähig ist, aus sich selbst sinnlich wahrnehmbare Welten zu projizieren.” (6)

Künstliches Leben entsteht auf der Basis von Naturgesetzen. Es ergeben sich zwei Richtungen der Gestaltung künstlichen Lebens: die Simulation von natürlichen Lebensformen, die den selbst-emergenten Tod nach sich zieht, und die fiktionale Gestaltung artifizieller Welten, die über festgelegte Parameter einen künstlich implementierten Tod nach sich zieht.

Larry Yaegers Polyworld (7) ist ein ökologischer Simulator, dessen Kreaturen von Yaeger je nach Verhalten bzw. Bewegungsform als “Derwisch” oder “Randrenner” bezeichnet werden. In diesem künstlichen Kosmos entsprechen die einfachen Physiologien der Wesen simplen stereometrischen Formen. Ein visueller Unterschied besteht nur in den Farben und darin, ob es sich um ein vollständiges, lebendiges oder um ein fragmentarisches, ein zu Nahrung zerfallenes totes Wesen handelt. Bestimmte Verhaltensweisen der Polyworld-Wesen und Phänomene wie ein virtueller Tod sind in der Maschinenevolution entstanden, ohne vorher programmiert worden zu sein. Die Kreaturen sterben aus biologischer Notwendigkeit, weil die Nahrungsressourcen nicht reichen, weil sie von Gegnern im Kampf um Nahrung verdrängt werden oder weil sie im Kampf um Territorien über den Rand der scheibenförmigen Welt stürzen.

Eine andere virtuelle Welt ist Tom Rays Tierra-Modell. Diese Welt wird von einer harmlosen Viren-Art in Form von länglichen Strichen in unterschiedlichen Farben bevölkert. Sie bilden sich aufgrund genetischer Algorithmen und durchlaufen eine evolutionäre Entwicklung. Hier wird vom Programmierer eine Instanz eingesetzt, die tötet: Wenn Kopierfehler zu Mutationen führen, kommt es zum künstlichen Tod. Der “Schnitter” oder “Reaper”, dargestellt durch einen Totenkopf, eliminiert alte, fehlerbehaftete Programme.

In den Installationen A-Volve und Interactive Plant Growing von Laurent Mignonneau und Christa Sommerer wird der Tod als notwendige Tabula rasa eingesetzt. Es ist der Nullpunkt, das Stillstellen von interaktiven Lebensprozessen, an dem der Anfangszustand wiederhergestellt werden kann.

Auch Myron Krügers Critter -Installation beherbergt ein künstliches Wesen, das dem über Chromakey-Technik eingestanzten Betrachter auf einer Projektionsfläche folgt. (8) In dieser Welt sind Tod und Zerstörung eigentlich nicht als Parameter vorgesehen. Das Verhalten männlicher, junger Benutzer, deren vordringliches Bedürfnis es war, das freundliche künstliche Wesen zu zerstören, zwang Myron Krüger dazu, neue Optionen einzuprogrammieren: Man kann Critter zerquetschen, er zerplatzt, um im nächsten Moment wiederaufzuerstehen. (9) Critter wird auch zu einem todlosen, sublimen Wesen.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus den biologischen Simulatoren werden am konsequentesten im kommerziellen Bereich der Videospiele ausgereizt. Sie sind komplexer und konkreter als biologische Simulatoren, indem sie zeigen, welche ästhetischen Formen möglich sind und wie schnell die künstlichen Formen zu ökonomisch verwertbaren Bezugs“subjekten” werden.

Das Spiel Creatures (1996 von Stephen Grand von der Firma CyberLife entwickelt) erlaubt die Aufzucht von Einzelwesen und Generationen bis zu einer ganzen Population von pelzigen Tierchen, den “Norns”. Sie besitzen eine digitale DNA und durchlaufen im Grunde alle menschlichen Entwicklungsstadien. Eine eigene Biographie mit Baby-, Kindes- und Jugendalter, während dem sie erzogen werden müssen, und mit Erwachsenenalter entwickelt sich. Sie vermehren sich geschlechtlich, sie altern und sterben. Die SpielerInnen verbringen für einen komplett durchgespielten Lebenslauf ungefähr 18 Stunden mit einem ihrer Norns, bis dieses an Altersschwäche stirbt. Um der verstorbenen Norns würdig zu gedenken, gibt es ein Begräbnisset – das Icon ist ein Grabstein mit der Inschrift “RIP” – und Begräbnisplätze im Internet.

Die Entwicklungsstufen der künstlichen Wesen können medial mittels virtuellem Fotoapparat festgehalten und in ein virtuelles Familienalbum eingeklebt werden. Außerdem ist dieses virtuelle Leben speicherbar, ins Internet importierbar und damit in unterschiedlichsten Kontexten einsetzbar. Creatures ist ein Spiel, d. h. die künstliche Welt kann eine Pause einlegen, wenn der Rechner ausgeschaltet ist.

Die zweite Version des Spiels Creatures, die im Herbst 1998 auf den Markt kam, bietet neben einer besseren Grafik und einem benutzerfreundlicheren Interface ein größeres Terrain von Albia, der virtuellen Umgebung der Norns, und außerdem mehr Objekte und Maschinen. Schon existierende Wesen sind in die neue Welt übertragbar, die neuen Norns haben neue Genotypen. Einzelne Körperteile wie der Schwanz werden beweglich, und die Mimik der Norns ist vielfältiger. Sie erhalten Organe (z. B. eine Lunge), damit bei krankheitsbedingtem Sterben die Todesursache besser beurteilt werden kann. Ohne Körper und Organe kann der medizinisch-analytische Blick keine Ursachen erkennen. (10) Ein immaterieller Körper ist eigentlich eine Oberfläche. Es kann im Grunde keine Einblicke in sein Inneres geben. Genau diese werden jetzt künstlich konstruiert.
FRIEDHOF DER KUSCHELTIERE: DIE NORNS ALS KAMPFFLIEGER
Creatures beherbergt Wesen mit “emergent behaviour”, die im Gegensatz zu primitiven permanenten Formen wie den Tamagotchi einen differenzierten Charakter entwickeln können. Schon die erste Version des Spiels präsentiert eine lernfähige Spezies, die für jede Aufgabe trainierbar ist.

Creatures ist so flexibel programmiert, daß die Architektur ausbaufähig ist und immer wieder Systeme eingefügt oder ausgetauscht werden können, ohne daß das ganze Programm umgeschrieben werden müßte. Das haben sich vor allem die SpielerInnen zunutze gemacht: Sie haben die Norns genetisch verändert und Gegenstände oder neue Maschinen hinzugefügt.

Es gibt “cheats” (Tricks), die genau beschreiben, wie eine künstliche Unsterblichkeit über die Veränderung dreier Gene (#001 decay rate at birth, #170 age, #173 death receptor) herbeizuführen ist.

Durch den genetischen Code können die Programmierer die widerstandsfähigsten Norns züchten. Die ersten Generationen enthielten auch mißgebildete Kreaturen oder starben an Krankheiten wie Schüttelfrost. Mit der ersten marktfähigen Version sind Mißbildungen per Programm ausgeschlossen. Die unangenehmen Nebenwirkungen einer biologischen Simulation in Spielform werden als nicht marktfähig unterbunden. Der Tod durch Altersschwäche, falsche Nahrungswahl (Giftpilze) oder biologische Feinde (Grendels) ist erlaubt, nicht aber ein Tod aufgrund genetischer Mutationen oder aggressiver Handlungen innerhalb derselben Spezies. Auch die Benutzer können psychische Gewalt ausüben, indem sie die Norns vernachlässigen. Fehlende Interaktion oder Erziehung lassen die Norns verkümmern und sterben.

Die Norns benutzen Maschinen, um sich fortzubewegen (U-Boote, Fahrstühle) oder zu lernen (Computer). Ihre Technikversessenheit ist Zeichen für eine entwicklungsfähige artifizielle Spezies, die selbstverständlich analoge und digitale Maschinen benutzt, ohne sie jedoch zu steuern.

Nun werden die “putzigen” Protagonisten im Auftrag des britischen Ministery of Defense (Bedford, Forschungsinstitut Dera) zu Piloten des Eurofighter ausgebildet. Ziel dieser Vision: “to put human intelligence inside computers by the year 2020.” Mit den Norns wird das Konzept der UAV (unmanned armed vehicles) erprobt. Der Begriff “unbemannt” ist nicht gleichbedeutend mit “unbelebt”, nur sind es in diesem Fall keine menschlichen Lebewesen, die den Eurofighter steuern.

Diese kommerzielle Anwendung wurde deswegen gewählt, weil hier die erste lernfähige künstliche Gattung beheimatet ist. Nur die “geborenen” Flieger werden weitergezüchtet, die Gene der abgestürzten werden eliminiert. Die Norns erreichen erst in der 400. Generation die Fähigkeit, sich in der Luft zu behaupten. Der Tod der virtuellen Testpiloten bedeutet nichts. Sie sind immaterielle Opfer für den Fortschritt des Militärs. Das künstliche Leben hat (noch) keine eigenen Bedürfnisse, es will lediglich den Kampf überleben. Hunger und Durst werden ihm abtrainiert. Außerdem ist es belastungsfähig und hält jede Beschleunigung ohne Schaden aus, da es keinen Körper besitzt und sein Cyberlife-Gehirn nur für diese Aufgabe ausgebildet ist.

Dagegen wachsen die Norns den BenutzerInnen des Spiels aufgrund ihrer Repräsentation sehr ans Herz. Die emotionale Bindung verstärkt sich durch die lange Spielzeit und äußert sich in Phänomenen wie der Benennung, der bildlichen Fixierung unterschiedlicher Entwicklungszustände der Einzelwesen und der Bestattung. Hier findet eine Verkehrung der visuellen Repräsentation in Form einer Transformation von harten, evolutionären Fakten statt. Für das Spiel wird die Repräsentation so konstruiert, daß sie emotional anspricht. Die Norns sind die bildliche Verkörperung von Liebenswürdigkeit. Sie bewegen sich tapsig und gelehrig in ihrer Umwelt Albia. Norns sind das Gegenbild zu den häßlichen, ungebildeten Grendels (was sich mittels eines Eingriffs in das Programm etwas revidieren läßt), ihren Feinden, einer aggressiven Spezies, die draußen lebt. Der binäre Code ist geduldig und kann jede visuelle Form annehmen. Die Schöpfer des künstlichen Lebens benutzen diese Repräsentation auch für die Killer-Norns, die vielleicht einmal in der Lage sein werden, reales Leben auszulöschen.

Toby Simpsons Satz “Modelling reality to get reality” erhält so eine neue Dimension: Die modellierte virtuelle Realität wird zu einer Realität des Todes und der Zerstörung. Künstliches Leben sitzt zum ersten Mal am Abzug tödlicher Waffen. Diese mörderische “Smartness” des künstlichen Lebens, das als reines Flugwesen sein Dasein in einem unbemannten Flugkörper fristet, stellt eine Verselbständigung der kriegerischen Formen des Tötens dar. Denn die Piloten-Norns sind innerhalb ihres eigenen “Biotops” lernfähig und entwickeln Fähigkeiten, die außerhalb der programmierten Strukturen liegen, was bei einer künstlicher Lebensform mit genetischem Code nicht verwunderlich ist. Die Norns halten die Eurofighter auf eine derart eigenwillige Art und Weise in der Luft, die sich die Programmierer anhand einer Softwareanalyse schon jetzt nicht mehr erklären können.

Der Begriff “Friendly Fire” bekommt eine neue heimtückische Bedeutung, wenn die dem Kindchenschema entsprechenden Norns – eigentlich ja nur eine beliebige Visualisierung der digitalen Prozesse – reale Flugkörper bedienen und in der Lage sind, reales Leben auszulöschen. Der Tod wird nicht mehr als ein garstiges Gerippe vorgestellt, sondern als “niedliches” Plüschwesen. Für einen potentiellen Feind sind sie natürlich unsichtbar, für ihn ist es ein ferngesteuerter Marschflugkörper ohne jede Lebensform, da er diese nicht wahrnehmen kann.

Die Flieger-Norns sind ein weiterer Schritt in Richtung Verwirklichung des uralten militärischen Traums, den fehlerhaften, vergänglichen menschlichen Soldaten durch eine künstliche Spezies zu ersetzen. Sie sind ein perfektes Puzzleteil in Konstruktionen wie dem 21thCenturyLandwarrior (21CLW), dem Pitman der achtziger Jahre, den Roboterwaffen und der Idee einer Augmented reality (Mark Weiser) und von Kampfentscheidungen auf künstlichen Schlachtfeldern.
STERBEN IN VIRTUELLEN WELTEN: MARINE DOOM
Bis Ende der achtziger Jahre galten die militärischen Simulatoren – das amerikanische SIMNET und Applikationen wie Flugsimulatoren – als Ursprung des kommerziellen Videospiels. Der Krieg verlagert sich hier in eine von der Realität abgetrennte virtuelle Zwischenwelt, in der virtuelle Tode vorproduziert werden. Der symbolische Tod des Kriegsgegners tritt hierbei vor dem biologischen Tod ein, weil er zuerst auf den Monitoren der Einsatzzentralen in der virtuellen Welt determiniert wird.

Neben diesen elitären Strategie-Simulatoren für das Training von Offizieren werden jetzt Simulationen für das Training der Fußtruppen eingesetzt, und zwar abgewandelte Versionen von käuflichen Action-Spielen wie Doom II. Die militärische Version Marine Doom ist ohne Beschränkung downloadbar. Einzige Voraussetzung für die Spielbarkeit ist die Installation des kommerziellen Produktes Doom 1.9. Dieser Rückgriff auf kommerzielle Produkte erfolgt aus Kostengründen, denn die realen Trainingslager (combat towns) sind ausgelastet und weitere nicht bezahlbar. Das Marine Corps Modelling Simulation Management Office in Quantico, Virginia, führt eine systematische Evaluation von handelsüblichen Computerspielen und Visualisierungs-Software z. B. zum Generieren realistischer Szenarien durch. Neben IDs Doom 1.9, das als Marine Doom den militärischen Erfordernissen angepaßt wird, testet die Navy JetFighter III, einen Flugsimulator. Im Spiel stehen zwei Flugzeugvarianten und reale Szenarien wie China, Korea, Japan, Rußland, Alaska, Kuba, Argentinien, Chile und die Türkei zur Verfügung. 90 Missionen sind abrufbar, Tageszeiten können ebenso wie Dunst, Rauch und Feuer eingestellt werden. Die M1A2 Abrahams Panzersimulation gilt als geeignet, ebenso wie Flight Unlimited II, ein Flugsimulator für akrobatische Flugoperationen, und Comanche Maximum Overkill, eine Helikoptersimulation.

Bei der 3D-Animationssoftware wird u. a. 3D Studio Max getestet. In der Evaluation werden vor allem die Zerstörungseffekte für animierte Objekte hervorgehoben: “ … effects include spawning on death and collision, trailing sparks, fluid bubble motion.” (http://www.tec.army.mil/TD/tvd/ survey/3D_Studio_MAX.html). Der MetaVirtual Reality Scene Generator erlaubt die Konstruktion von Spielen für Multi-Player-Netzwerke mit “event based texture animations for explosions, dynamic weather” auf einem Terrain, das dem Fort Benning Mout entspricht und eine Ausdehnung von 24 x 24 km besitzt (http://www.tec.army.mil/TD/tvd/ survey/MetaVRSG.html). Die Kategorie der Action-Spiele, die nicht von ungefähr “Deathmatches” genannt werden und über einen Multiplayer-Modus verfügen, eignet sich besonders für die taktische Simulation von Kampfhandlungen. Der Zusammenschluß der einst isolierten Spieler in selbstgewählten Kampfgruppen und Verbänden (z. B. den Quake Clans) ist mit der Möglichkeit des Multiplayer-Modus von allein entstanden. Der Modus eines globalen, telepräsenten vernetzten Spielens miteinander und nicht unbedingt gegeneinander wird vom Militär übernommen.

Daher bieten sich Action-Spiele wie Doom für die Ausbildung von Social Skills an. In künstlichen Szenarien soll lebensrettender Teamgeist trainiert werden, damit dieser sich nicht erst in den nicht mehr revidierbaren Kampf-Realitäten und unter existentiellem Druck herausbilden muß, argumentieren die militärischen Entwickler.

Die militärischen Teams spielen nur in ihrem kontrollierbaren Intranet, das nicht von der Öffentlichkeit einsehbar ist. Dies ist aber unerheblich, da die strukturellen und visuellen Modifikationen des Militärs eher kosmetischer Art sind. Realistische Bunker, stacheldrahtgesicherte Terrains und Schützengräben sind eingefügt worden. Anstelle von Monstern unterschiedlicher Kategorien, d. h. mit unterschiedlicher Kampfkraft, treten die Trainierenden nun feindlichen und eigenen Truppen in Uniformen gegenüber. Ihr Grundmodell stellt eine eingescannte “G.I. Joe”-Puppe mit unterschiedlichen Uniformen dar. Das Waffenspektrum ist auf drei real existierende Waffen (M16A1 Gewehr, M-249 Maschinengewehr, M-67 Granatwerfer) beschränkt, deren Betätigung auf ballistischen Gesetzen basiert.

Die Marinespieler sind in Einheiten von je vier Personen zusammengefaßt, die auch in der Realität eine militärische Kleinsteinheit bilden. Sie “spielen” an ihren PCs in einem Raum mit Lautsprechern, die Geräusche des Kampfgetümmels imitieren sollen und die Befehle ihres Kommandanten übermitteln. Dieser hat als Beobachter eine Übersichtskarte und kann den Vorgang jederzeit stoppen. Jeder Spieler hat seinen eigenen Blickwinkel auf die Kampfsituation. Er erhält per E-mail einen Einsatzauftrag und eine Beschreibung, die ihm sagt, wer Freund und wer Feind ist. Es können spezielle Missionen eingeübt werden, z. B. die Befreiung einer Botschaft, wofür die jeweiligen Originalgrundrisse von Botschaften zur Verfügung stehen. (http://www.tec.army.mil/TD/tvd/survey/ Marine_Doom.html)
The object of Doom is to maim, to kill, to rout, to ravage. You succeed by obliteration, and the greatest concentration of violence yields the best result. In other words, the high octane violence that draws young and old alike to many computer games is exactly what professional warriors should be wary of. (11)
Der ursprüngliche Sinn des Spiels – das planlose Töten von allem, was sich bewegt und keine menschliche Form besitzt – macht für die militärische Anwendungen keinen Sinn. Marine Doom trainiert eher das Gegenteil: die Identifizierung von Freund und Feind, nicht das stumpfsinnige Ballern. Die Vermeidung von Friendly Fire ist eine der Trainingsaufgaben.

Der kommerziellen Version wird kampftypischer Realismus zugeführt. Im normalen Doom kann der Spieler seine Munition aufstocken, indem er sie von verstreuten Plätzen aufsammelt. Bei Marine Doom gibt es nur ein Lager für die Munition, und zum Durchladen der Waffen steht den Übenden im Spiel genauso viel Zeit zur Verfügung wie im realen Kampf. Besonderheiten der binären Spiele, wie die Wiederherstellung der durch Monster angeschlagenen Gesundheit durch “Medizinpacks”, werden in der Marine Doom-Version außer Kraft gesetzt. Der Spieler ist nur einmal verwundbar, beim zweiten Mal verliert er sein Leben. Genauso wenig kann er seine Verletzung durch zusätzliche Punkte revidieren oder den Prozentsatz der Gesundheit wieder hochsetzen.

Der sublime Körper des ursprünglichen Videospiels ist aufgehoben. Die Endlichkeit des künstlichen Lebens als simuliertes reales Leben muß den prozeßhaften virtuellen Welten einprogrammiert werden. Bei Marine Doom existiert kein Reset-Knopf, der den getöteten Soldaten wieder in den laufenden Kriegsschauplatz einblenden könnte.

Die Entwicklung der Interdependenz von Spiel und Krieg verläuft in zwei Stufen: Zuerst wird ein abstrahiertes Modell einzelner Kampfhandlungen auf den Spielebereich übertragen. Im zweiten Schritt wird das hier repräsentierte Modell von künstlichem Krieg zum Maßstab für reale Kampfhandlungen.
TOD UND UNSTERBLICHKEIT DES KÜNSTLICHEN LEBENS
Künstliches und natürliches Leben nähern sich an: Das Klonen von Säugetieren und die Sucht nach der perfekten Kopie führen zur Entwicklung von Leben auf der primitiven Stufe der identischen zellularen Reproduktion. (12) Künstliches Leben befindet sich im Moment auf der gleichen Stufe primitiver Reproduktion. Aber von diesem Ausgangspunkt aus kündigen sich evolutionäre Sprünge, Formen der geschlechtlichen Differenzierung und des Todes der künstlichen Spezies an. So scheinen die künstlichen Welten etwas neu zu entwickeln bzw. zu rekonstruieren, was in der Realität in Zukunft verlorengehen könnte.

Der Tod als notwendige Instanz wird als künstlicher Tod als “Reaper”-Funktion eingeführt, als emergenter Tod entwickelt er sich evolutionär. Artificial Life wird damit eine Art digitaler Zoo, in dem die Dinge bewahrt werden, die im Real Life vernichtet worden sind. Es dient der Rekonstruktion der Evolution, der Entstehung von Leben und von Verhalten und der Rekonstruktion unterschiedlicher Formen des Todes und der Unsterblichkeit. Tod, Gewalt, Vergänglichkeit und Ewigkeit existieren als Projektion in diesen virtuellen Welten.

Auch in virtuellen Welten beginnen die Spieler, an der Notwendigkeit des biologischen Todes zu rütteln und die Strukturen des Spiels umzubauen. Bei Creatures statten sie ihre Wesen mit dem sogenannten Highlander Gene aus, damit diese unsterblich werden, obwohl die künstliche Welt dann an Überbevölkerung leidet. Die Untoten sind visuell nicht zu unterscheiden. Auch die untoten Norns behalten ihr freundliches Aussehen. Sie repräsentieren die erste Spezies von Vampiren, die einfach weiterlebt, ohne einer symbolischen Strafe der Gemeinschaft zum Opfer gefallen zu sein und deshalb immer wiederkehren müssen. Damit zeigt sich, daß die virtuellen Welten nicht nur Formen und Rituale des Todes konservieren, sondern auch etwas hervorbringen, das in der Realität (noch) nicht möglich ist, nämlich die körperliche Unsterblichkeit.

Das künstliche Leben entdeckt auf der einen Seite den Tod als wichtige Kategorie des Lebens wieder und bedroht auf der anderen Seite aber gerade dieses menschliche Leben mit aggressiven Aktionen und dem gewaltsamen Tod in den militärischen Applikationen. Artificial Life macht den Sprung zur Rekonstruktion menschlicher Gewalttätigkeit, von der evolutionären Aggression, die dem Überleben dient, zur überlegt aggressiven maschinenverstärkten Aktion. Es hat mit den Pilotennorns seine Unschuld verloren.

Die binären Spiele sind an sich neutral; sie besitzen offene Strukturen, die grundsätzlich durch die Benutzer veränderbar sind. Das ermöglicht ihre militärische Umschreibung. Creatures und Marine Doom zeigen, daß der Prozeß der Simulation in der Form von Realitäts-Modellen zweiseitig wird. Die im Spiel verdichteten Modelle werden nun in das reale Leben zurückprojiziert und beeinflussen reale Organisationsformen.

Trotzdem unterscheiden sich die Spieleversionen in wesentlichen Punkten. Bei Marine Doom wird die zügellose, wilde Gewalt, die für das Überleben notwendig ist, in eine “zivilisierte”, geordnete Gewalt überführt. Durch die vorgenommenen Modifikationen wird Marine Doom zur simulierten Realität, während die kommerzielle Version mit ihren sublimen Körpern und der Möglichkeit des mehrstufigen Todes Spiel bleibt.

Außerdem hat gerade das ekstatische, hirnlose “Ballern” mit unterschiedlichen martialischen Waffen mit der Realität des Krieges und eines militärischen Angriffs nichts zu tun. Das Videospiel kennt nur im Multi-Player-Modus die Gefahr des Friendly Fire.

Die Marines haben kein Geld mehr für die Entwicklung eigener Software, die einen ähnlichen Qualitäts- bzw. Realitätsstandard in der grafischen Umsetzung wie die kommerziellen Produkte besäße. Damit geht die Verkehrung der ursprünglichen Interdependenz von militärischem Komplex und Unterhaltungselektronik zur Vorbildfunktion der unterhaltungselektronischen Entwicklungen einher. Mit dem Einkauf der spielerischen Strategien aus den Händen der globalen Kulturindustrie verliert der militärische Komplex seine hegemoniale Stellung im Bereich von Elektronik und Software. Das von Kittler (13) analysierte Verhältnis der Vormachtstellung des Militär im Bereich technisch-medialer Entwicklung kehrt sich in diesem Fall um. Die durch die Staatsmacht legitimierte kriegerische Gewalt hat ihren Ursprung nun in kommerziellen Produkten, in Spielen. Das Pentagon ist gezwungen, auf der Basis vorgegebener Programmstrukturen, die nur Variationen zulassen und die auch den zivilen Spielern zur Verfügung stehen, bestimmte militärische Fähigkeiten zu trainieren.

Mit der künstlichen Welt als avantgardistischer Erscheinung, in der die Kulturindustrie dem militärischen Komplex die Programmstrukturen vorschreibt und diesem nur noch die oberflächliche visuelle Variation erlaubt, bekommt die Unterhaltung tödlichen Charakter.
Future adversaries may use their last breaths to curse the commercial game software industry. (14)


(1)
David Jenkins im Interview mit Toby Simpson, May 22, 1998, Vol.2 Issue 20. In: Gamasutra (http://www.gamasutra.com.features/game_design/19980522/simpson-toby_02.htm)
http://www.creatures.mindscape.com/press/alife_pr.html zurück

(2)
Zielinski, Siegfried: CTheory 1995zurück

(3)
Zizek, Slavoj: Liebe Dein Symptom wie dich selbst. Berlin 1991zurück

(4)
Slouka, Mark: War of the worlds. London 1996zurück

(5)
Richard, Birgit: Todesbilder. Kunst, Subkultur, Medien. München 1995zurück

(6)
Flusser, Vilem: Der Stand der Dinge. (Hg. Fabian Wurm), Göttingen 1993zurück

(7)
Yaeger, Larry: “Polyworld: Wirkliches Leben in einem künstlichen Kontext?"; 122–128. In: Karl Gerber, Peter Weibel (Hg.): Ars Electronica 93. Genetische Kunst – Künstliches Leben. Linz 1993zurück

(8)
Rheingold, Howard: Virtuelle Welten. Reisen im Cyberspace. Reinbek 1992zurück

(9)
Aussage nach einem Interview, das die Autorin mit Myron Krueger auf der Multimediale 4 1995 in Karlsruhe geführt hat.zurück

(10)
Foucault, Michel: Die Geburt der Klinik. Müchen 1973zurück

(11)
Col. Paul Hanover zitiert nach Anne Gearan associated press 1996: Marine Doom as Training Exercise (http://www.tri-cityherald.com/COMPUTE/comp10.html)zurück

(12)
Beaudrillard, Jean: “Das Original und sein Double”. In: Die Zeit. Nr. 12, 14. März 1997, 67zurück

(13)
Kittler, Friedrich: Film, Grammophon, Typewriter. Berlin 1986zurück

(14)
Ackermann, Robert K.: Signal Magazine 1996 (http://www.us.net/signal/Archive/July96/ commercial-july)zurück

WEITERFÜHRENDE LITERATUR

Richard, Birgit: “Robot Wars. Robotergestaltungen und -phantasmen zwischen artificial intelligence und artificial life”. In: Kunstforum International. Mai–Juli 1995, Heft 130, 190–211
Richard, Birgit: “Motion Control. Ein elektronischer Bildersturm?”. In: Bolz, Norbert; Meier, Cordula; Richard, Birgit u. a. (Hg.): Riskante Bilder. München 1996
Spiegel. Heft 23/1998, 192–195
Wired 5.04, April 1997, 114–119
Zu den untoten Norns
http://www.delta.tierranet.com/albia/undead.htm
Norn-Adoption
http://www.mannaz.mcmail.com/norn/breeders/cave.htm
http://www.tekres.com/creatures/corner/herbs.htm
http://www.cageswooddrive.demon.co/uk/tips.html
Marine Doom
http://138.156.15.33/doom/doom.html (download: http://138.156.15.33/xfers/marine1.zip)
http://www.tec.army.mil/TD/tvd/survey/ghindex.html
http://www.tec.army.mil/TD/tvd/survey/Marine_Doom.html
http://www.pcworld.com/software_lib/data/articles/games/3297.html
http://www.directoryusasom/directory_usa/military/marine.html
http://www.chinfo.navy.mil/navpalib/policy/fromsea/pos97/pos-pg06.html
http://www.gamerx.com
http://web.pcgamer.com/games7maps-doom.html