Sabotage und die neue Weltordnung
' RTMARK
RTMARK
RTMARK (http://rtmark.com/) wurde gegründet, um das weltweite unkontrollierte Wachstum der Macht der Großkonzerne zu bekämpfen – ein Phänomen, das bereits Abraham Lincoln – in einem Brief vom 21.11.1864 an Oberst William F. Elkins – mit größer Besorgnis für die USA vorausgesehen hatte. Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, konzentriert sich RTMARK darauf, die Unzufriedenheit der Mitarbeiter von Großkonzernen auf der ganzen Welt auszunutzen.
Das Herzstück des RTMARK-Systems ist eine Datenbank im World Wide Web, die Sabotage- und Subversionsprojekte sowie die für deren Durchführung ausgesetzte Belohnung auflistet. Über RTMARK können Sponsoren anonym mit den Projekten spekulieren, während RTMARK für sie die Haftung übernimmt und somit für die Investoren denselben Zweck erfüllt wie ein Unternehmen für seine Besitzer.
RTMARK übt keine Zensur aus; auf unserer Site sind alle Projekte angegeben, welche das von RTMARK vorgegebene Mindestmaß an Subversion erfüllen, ohne eine Bedrohung für Leib und Leben darzustellen. So kann sich jeder, der ein Projekt finanzieren oder einreichen will, genau über die Richtung von RTMARK informieren.
Knapp vor Weihnachten 1993 veröffentlichte eine gegen Kriegsspielzeug protestierende Gruppe von US-Kriegsveteranen einen Projektvorschlag und die dazugehörige Belohnung auf dem damaligen elektronischen Schwarzen Brett, oder BBS, von RTMARK. Die speziell zur Durchführung dieses Projekts gegründete “Barbie Liberation Organization” vertauschte daraufhin die Sprechstimmen von ca. 300 GI Joe- und Barbiepuppen und forderte über RTMARK die Belohnung von den Kriegsveteranen ein.
Vor Weihnachten 1996 realisierte ein Programmierer ein Projekt, bei dem homoerotische Inhalte in ein Macho-Videospiel eingearbeitet wurden; in der neuen Version, von der 80.000 Stück ausgeliefert wurden, waren stürmische Kußszenen zwischen Knaben zu sehen. Dem Programmierer wurden über RTMARK die US$ 5.000,- ausbezahlt, die ein New Yorker Geschäftsinhaber als Belohnung ausgesetzt hatte.
Ein Jahr später bat eine kleine Plattenfirma RTMARK um Mithilfe für die Finanzierung eines Albums mit unautorisierten, neu gesampelten Musikaufnahmen des Künstlers Beck. Über die neue WWW-Site konnte RTMARK rasch einen Geldgeber für Produktion und Vertrieb des Albums finden. Es wird derzeit in der dritten Auflage ausgeliefert.
Presseberichte über andere erfolgreiche RTMARK-Projekte sind auf der RTMARK Site zu finden.
Durch diese Aktionen bleibt RTMARK branchenführend in der Finanzierung von mitarbeitergestützter Sabotage und anderen Aktivitäten, deren Mechanismen und Ziele in herkömmlichen Bewertungsmodellen nicht berücksichtigt werden. So wie sich das RTMARK-System entwickelt, steht zu erwarten, daß wir für viele kulturelle Produktionen, die derzeit auf der schwarzen Liste stehen, zu einer Finanzierungsquelle werden können, wodurch sich die Lebensqualität für uns alle verbessern wird.Ich sehe in naher Zukunft eine Krise auf uns zukommen, die mich sehr beunruhigt und um die Sicherheit meines Landes bangen läßt. Als eine Folge des Krieges haben die Großunternehmen die Herrschaft übernommen, und eine Ära der Korruption auf höchster Ebene wird die Folge sein. Um ihre Vorherrschaft zu verlängern, werden die Reichen unseres Landes so lange die Vorurteile der Menschen schüren, bis aller Reichtum in einigen wenigen Händen konzentriert und die Republik zerstört ist. Ich verspüre in diesem Augenblick größere Besorgnis um die Sicherheit meines Landes als je zuvor, sogar mitten im Kriege. Gebe Gott, daß meine Befürchtungen sich als unbegründet herausstellen mögen.
Abraham Lincoln
DER KAMPF GEGEN DIE TERRORISTEN
“Haben Sie eigentlich je einen Terroristen gesehen?”
Brazil Wired, Februar 1998: Aktivistische Cyberterroristen bringen das ganze System zum Absturz. Aber nur fast: Ein John Wayne-Typ im Pentagon rettet uns.
Das ist also das ultimative Schockerlebnis der Zukunft: eine kalte, gesichtslose Entität zwingt die ganze Welt in die Knie – zerstörerisch, aber ziellos, absolut unmenschlich, tritt sie einzig als Logo, Slogan, Impuls und als vage Propaganda in Erscheinung.
Mit anderen Worten: die Macht der Großkonzerne.
Im Cyberkult (1) der Techno-Konzerne, für den Wired eine Heilige Schrift darstellt, gilt das Dogma, daß es keine Mittelpunkte gibt, keine Sicherheiten, nur endlosen Fluß.
Aber der Kult hat natürlich auch ein paar Grundsätze:Die Macht liegt nicht mehr bei der Regierung. Der menschliche Körper ist nicht mehr die Krone der Schöpfung. Die neue Macht liegt bei den Konzernen und ist virtuell. Die Computertechnologie wird eines Tages das menschliche Gehirn ersetzen. Widerstand gegen die neue Macht gefährdet uns alle. Es ist dumm und kurzsichtig, das zu leugnen. Dieser “Paradigmenwechsel” – als solchen bezeichnen ihn die selbsternannten “Digeraten”– hat zwei Ebenen: die kapitalistisch-pragmatische, die in Wired zu finden ist, und die rein theoretisch-abstrakte, die Marvin Minsky, Hans Moravec und Konsorten verkünden.
Diese beiden mystischen Hälften, die sich gegenseitig ergänzen und voneinander abhängig sind, definieren eine zwiegespaltene Instant-Religion. Voller apokalyptischer Vorhersagen, dient die extremere Hälfte dazu, die weltlichen Behauptungen der anderen zu kontextualisieren und aufregender zu machen. Letztere, ein eher zugängliches, und doch privilegiertes Allerheiligstes, wie es Wired und andere auf Unternehmerseite stehende Literatur laufend skizziert, ist Katechismus in Aktion: Sie ermöglicht den Anhängern des Kults, meist Vertretern der Managerklasse, sich als Teil einer Jahrtausendidee zu fühlen, und – vielleicht die Raison d'être des ganzen Konstrukts – erklärt deren unternehmerische Amoralität zu etwas Erhabenem, verleiht ihr höhere Weihen.
Wie bei jeder Religion – oder tausendjährigen Weltanschauung, wie etwa jener anderen, gleichermaßen schizophrenen, von deren Geschichte sich auch hier in Linz Zeugnisse finden (2) – ist jede implizierte oder reale Opposition zugleich notwendig und verhaßt, essentiell und doch undenkbar.
Da es ganz aus der Mode gekommen ist, jemanden zum Sündenbock zu machen, und da eine reale Opposition völlig fehlt, wird für den Cyberkult ein Feind erfunden. Im Gegensatz zu den Juden scheint der “Cyberterrorismus” keine Komponente in der realen Welt zu haben (ganz wie es sich für eine virtuelle Religion gehört). Dennoch erfüllt er seinen Zweck als Schatten und Feind der Macht der Großkonzerne und ersetzt auch das hartnäckigste unbewußte Unbehagen gegenüber dieser neuen Ordnung durch etwas, das zwar ganz gleich aussieht, jedoch das genaue Gegenteil davon ist – etwas, dem man sich nie stellen muß (außer man ist Harrison Ford, die aktualisierte Version von John Wayne). Der “Cyberterrorismus” paßt auch ganz ausgezeichnet zu dem “Terrorismus", der auf den Fernsehbildschirmen als Kulturfeind Nummer eins an die Stelle der kommunistischen Herrschaft getreten ist.DER KAMPF GEGEN DEN TERROR Unabhängig von ihrer Form – Techno-Utopismus, Techno-Heidentum etc. – ist die allgemeine Verherrlichung der Macht der Großkonzerne bestenfalls irrig und schwachsinnig, wenn man bedenkt, was über das Verhalten solcher Großunternehmen bekannt ist. In fünfzig Jahren mag uns das so vorkommen, wie uns heute der Aufstieg von Fernsehen, Auto und Atombombe vorkommt – oder es mag sich wie gewisse mitreißende Massenereignisse tief in unser Bewußtsein eingegraben haben.
Die unvermeidliche Dämonisierung am Ende des Hype könnte (durchaus) – so verrückt sie auch scheint – eine echte Herausforderung für das Konzept der konstruktiven Sabotage in sich bergen, sofern “wir” – alle, die sich nicht in den Cyberkult der Techno-Konzerne einkaufen und das System bekämpfen, das jener verehrt – überhaupt Erfolg haben.
Wirklich beängstigend an diesem Phantasiefeind des Cyberkults ist allerdings die Tatsache, daß er auf das völlige Fehlen eines tatsächlichen Feindes verweist. Da die Macht der Großkonzerne in der Tat weltweit auf dem Vormarsch ist, wie die “Digeraten” versichern, ist dieser Mangel an realer Opposition erschreckend.
Um in dieser Situation Abhilfe zu schaffen, wurde 1991 RTMARK gegründet. Unsere erste Aufgabe war es, die besonderen Bedingungen zu untersuchen, auf die sich dieser mangelnde Widerstand zurückführen ließ. Die Geschichte von RTMARK kann als die Evolution unserer Gedanken zu diesem Thema angesehen werden.
In unserer Auseinandersetzung mit der Problematik des Widerstands gegen die Macht der Großkonzerne wurde uns sofort klar, daß diese Form von Macht sich sehr wesentlich von der Macht der Regierung unterscheidet, die ja auf eine lange und vielfältige Tradition des Widerstandes zurückblicken kann. Die Macht der Großkonzerne ist fremd und gesichtslos, eine unkörperliche, nicht ortbare, unmenschliche Kraft, die sich uns ständig aufdrängt, uns jedoch lediglich eine Vielzahl scheinbar unzusammenhängender Ziele bietet und keinen Standpunkt, auf den wir uns verlassen oder den wir bekämpfen können. Diesen Horror kann man nicht einmal benennen – der Begriff “kafkaesk” käme der Sache relativ nahe, aber weder dieser noch “orwellsch” sind stark genug; denn bei Kafka und Orwell scheinen die alptraumhaften Kräfte von einer böswilligen oder amoralischen Regierung auszugehen und nicht von einer Unzahl unkörperlicher Entitäten, die, wie Gespenster in einem Videospiel, durch keine Waffe – ideologischer oder physikalischer Art – in ihrer Gesamtheit zerstört werden können.
Der Aktivist hat Glück, denn die Flexibilität der Macht der Großkonzerne, ihre fehlende Mitte, hat auch ihren Preis: Es fehlt das Gehirn. Sie mag so zäh sein wie ein Virus, hat aber auch nur die Intelligenz eines Virus: mechanisch, seelenlos, winzig. Sie ist sehr einfach anzugreifen, und im Unterschied zu einer Regierung reagiert sie auf Angriffe mit Mutation – was für ihre Ausdauer spricht, aber auch zur Folge hat, daß Proteste so unmittelbare Ergebnisse erzielen wie nie zuvor.
Angesichts einer solchen Mutationsfähigkeit erschien RTMARK eine weitverbreitete, individuell konzipierte Produktsabotage als geeignete Methode im Kampf gegen die Macht der Großkonzerne. Unter dem Hagel ständiger Angriffe, so lautete die Überlegung, ließen sich wesentliche Veränderungen bewirken. Diese Veränderungen würden vielleicht nicht von Dauer sein, sehr wohl aber die Angriffe selbst.
Um sich als eine permanente Einrichtung und nicht als Zwischenlösung zu positionieren, beschloß RTMARK, sich die multinationalen Konzerne zum Vorbild zu nehmen, d. h. überhaupt auf ein Vorbild zu verzichten und sich nur durch Logos und Slogans zu definieren. Die Aussagen in diesem Beitrag definieren RTMARK nicht, so ernst sie auch gemeint sind. RTMARK wird dadurch definiert, wie es wahrgenommen und genutzt wird; unser einziges Gesicht sind unsere Grafiken, Klangdaten und gelegentlichen Konsumartikel. RTMARK positioniert sich also wie ein Großkonzern, der sich den Umständen entsprechend anpaßt und mutiert.
Angesichts der entmutigenden Mutationsfähigkeit der Macht der Großkonzerne und der Tatsache, daß sich keine einzige Eigenschaft und kein einziges Credo bestimmen lassen, die sie definieren würden, geht man leicht in die Falle und gibt sich dem Glauben hin, diese Macht sei relativ gutartig. Da man wirklich so wenig über sie weiß, scheinen alle Hypothesen gleiche Gültigkeit zu besitzen, und schließlich ist es am einfachsten, die angenehmste zu akzeptieren. In diesem Fall ist die angenehmste die, daß der Machtwechsel von der Regierung zum multinationalen Konzern eine Verbesserung darstellt. Weil Regierungen oft ziemlich schlecht sind – das wissen wir von den Nazis und können wir den seit Jahrhunderten regierungsfeindlichen Protesten entnehmen – erscheint es (bedenkenlos) logisch, daß nur Gutes übrigbleiben kann, wenn sich die Regierung in Luft auflöst.
Der Wunsch, die Macht der Großkonzerne trotz gegenteiliger Beweise als gutartig anzusehen, ist verständlich. Da dieser Wunsch, trotz bereits aufgefahrener Geschütze, den Kampf gegen die Macht der Großkonzerne erschwert, beschloß RTMARK 1997, den Heimlichkeiten ein Ende zu bereiten und zu versuchen, als Knotenpunkt für Erkenntnisse und Unsicherheiten bezüglich der Macht der Großkonzerne und deren Bekämpfung zu fungieren. Ein Ansporn für RTMARK war auch das Publikwerden der großzügigen Auszeichnung einer anderen Gruppe für den jahresbesten Akt “kreativer Sabotage” – für uns ein Zeichen, daß ein Bedürfnis nach einer öffentlichen Präsenz besteht, die gegen Konzerne gerichtet ist.
Als erstes gestatteten wir früheren RTMARK-Mitarbeitern, mit den Medien zu sprechen, und ersetzten das Einwählsystem durch eine Website (http://rtmark.com/). Wenn auch die Zahl der von RTMARK unterstützten Aktionen durch diese Änderung nicht dramatisch anstieg, so konnte RTMARK diese nun auf eine Art und Weise publik machen, wie es früher nicht möglich gewesen wäre. Zumindest in zwei Fällen kam es so zu einer umfassenden Berichterstattung, welche andernfalls nicht erfolgt wäre.
Durch seine verstärkte öffentliche Präsenz dient RTMARK auch immer häufiger als ein öffentlicher Raum, in dem sich Anti-Konzern-Aktivisten online treffen können. Würden wir unseren Erfolg wie die großen Firmen anhand typischer Kenngrößen messen, so wäre das Ergebnis ziemlich ermutigend. In den ca. acht Monaten seit unserem Netz-Einstieg hatte unsere Website etwa 20.000 Besucher, und durch unsere Vermittlung kamen mehrere weiterführende Kooperationen zustande. Wir können nur annehmen, daß einige Besucher der RTMARK-Site bzw. Leser von Berichten über RTMARK in The New York Times, Spin, Entertainment Today, The Village Voice, The Sydney Morning Herald, The International Herald Tribune hier Anregungen zu eigenen Ideen finden – diesen Schluß läßt zumindest der kontinuierliche Strom an Projektvorschlägen zu.
Was RTMARKs langfristiges Ziel – die Etablierung einer dauerhaften und wesentlichen Opposition zur Macht der Großkonzerne – angeht, müssen wir eingestehen, daß wir bisher nur eher bescheidene Erfolge verzeichnen konnten. Im Hinblick auf den zeitlichen Rahmen bleiben wir der Ansicht, daß weitverbreitete, individuell konzipierte Sabotage das geeignete Mittel im Kampf gegen die Hydra der Großkonzerne darstellt, müssen jedoch zugeben, daß auch der Umstieg auf eine stärker öffentlichkeitsorientierte Vorgangsweise bestenfalls gerade erst beginnt, jenen unerschütterliche Widerstand zu erzeugen, den wir auf unser Banner geheftet haben.
Zur Festlegung unserer weiteren Vorgehensweise richteten wir unsere Aufmerksamkeit auf ein System, das die Kritik an der Macht der Großkonzerne eher auf mechanischer denn illlusorischer Ebene hemmen könnte: den Börsenmarkt. Dadurch, daß sie beinahe jeden durch den Besitz von Aktien oder Investmentfonds für firmeninterne Vorsorgeprogramme gewonnen haben, konnten die großen Firmen eine konservative Mehrheit erzeugen, für die – bewußt oder unbewußt – dasselbe zählt wie für die Firma: Was gut für die Firmenleitung ist, ist auch gut für mich. (3) Und weil die Wirtschaftsnachrichten in den Medien mit den fettesten Schlagzeilen versehen sind, verbreitet sich dieser Effekt weit über diejenigen hinaus, die reich genug sind, um Aktien zu besitzen.
RTMARK muß in der Lage sein – wenn nicht tatsächlich, so doch perzeptuell – eine Alternative zu dem endlosen Kapitalfluß am Börsenmarkt zu bieten. Ähnlich wie das National Endowment for the Arts sogar mit seinen spärlichen Gaben die Illusion einer Alternative zu konzernartigen Systemen erzeugen konnte – eine Illusion, die wichtiger ist als die tatsächlichen Geldbeträge (und die nun, zusammen mit dem Einfluß des NEA, verschwunden ist) –, hoffen wir bei RTMARK, eine ähnlich illusorische, aber konzeptuell starke Alternative zur “Gewinnorientierung” der Macht der Großkonzerne bieten zu können.
Um eine solche perzeptuelle Änderung zu bewirken, muß die derzeitige punktuelle Finanzierung unserer Projekte durch regelmäßige Unterstützungen ersetzt werden. RTMARK hat vor kurzem die Möglichkeit überprüft, eine verläßlichere Finanzierungsquelle zu erschließen, deren reale Auswirkungen, wenn sie auch nicht so wichtig sind wie die perzeptuellen, vielleicht auch nicht unbedeutend wären.
RTMARKs neuer “Investmentfonds” wird aller Wahrscheinlichkeit nach bis zum Erscheinungszeitpunkt dieses Artikels bereits vollständig implementiert sein. So ähnlich wie man ängstliche Kunden überzeugen kann, mit ihren Ersparnissen im Rahmen von Investmentfonds auf Firmenaktien zu setzen, wobei der direkte Kontakt zu den Aktien auf “Experten” abgeschoben wird, so glauben wir, durch die Einteilung der Projekte nach Themen, Risiko usw. sowie die Abwicklung der spezifischen Zuteilungsmodalitäten jene Furcht beschwichtigen zu können, die bei der Investition in bestimmte Projekte mitspielen mag. Solange innerhalb des Fonds die maximale Projekthilfe zur Verfügung steht, wird dadurch auch die vollständige Finanzierung aller Projekte in derselben Kategorie möglich.
Darüber hinaus bemühen wir uns, “Prominente” als Fonds-Manager zu gewinnen – Personen, die als verläßliche Produzenten kultureller Dividenden ihr Durchhaltevermögen unter Beweis gestellt haben und daher hervorragend geeignet sind, über die Verteilung der Mittel an die kulturellen Unternehmungen zu entscheiden, für die unsere Projekte stehen. Wenn sie ganzen Projektgruppen ihren prominenten Namen leihen, könnte das Investoren anziehen, die andernfalls davor zurückscheuen würden, das kulturelle Risiko einzugehen und RTMARK-Projekte zu unterstützen. Dank der Aufmerksamkeit, die diese Manager auf sich ziehen werden, wird die RTMARK-Alternative auch in der Öffentlichkeit an Profil gewinnen.
Von einigen Kandidaten für die Funktion der “prominenten Fonds-Manager” haben wir bereits Zusagen erhalten, und bei Erscheinen dieses Artikels wird dieses System aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls bereits umgesetzt worden sein. (4)SCHLUß Zum Glück für den Aktivisten ist der Hauptgrund für die geduldige Akzeptanz dieses Siegeszugs der Macht der Großkonzerne wahrscheinlich weder deren Gesichtslosigkeit noch der Börsenmarkt, sondern vielmehr ganz einfach ihr Alter. Es ist noch gar nicht lange her, seit das Modell des Großkonzerns das der Regierung als persönliches Leitbild ersetzt hat, seit wir aufgehört haben, einer “fairen Regierung” den Vorzug gegenüber “produktiver Investition” zu geben (und seit Harrison Ford an die Stelle von John Wayne getreten ist). Das alte Machtregime mit all seinen Metaphern existierte hunderte Jahre lang, und über dieselbe Zeitspanne hinweg konnte sich der Protest entwickeln; die neue Mythologie der Techno-Konzerne wird jetzt gerade formuliert und implantiert, und es gab einfach noch nicht genug Zeit, um zu lernen, wie man sie bekämpft.
Es mag sein, daß unsere derzeitigen unablässigen Bemühungen ab einem gewissen Punkt eine “kritische Masse” erreichen und daß ab diesem Zeitpunkt die Vorstellung der Sabotage im öffentlichen Bewußtsein stark genug verankert ist, um einen weitgreifenden Wandel bewirken zu können, aber darauf dürfen wir uns nicht verlassen. Egal, ob mit den Mitteln, die wir derzeit in Betracht ziehen, oder mit solchen, die wir erst erwägen müssen (und die uns vielleicht über die breite Öffentlichkeit erreichen), werden wir weiterhin bemüht sein, RTMARKs Möglichkeiten im Kampf gegen die Macht der Großkonzerne und die lächerlichen, aber gefährlichen Mythologien, auf die diese sich stützt, auszubauen.
RTMARK wird erst dann einen wahren Erfolg verzeichnen können, wenn einem die Sabotage natürlicher und selbstverständlicher erscheint als der Gang zur Kaffeemaschine. Bis gewissenhafter Widerstand so alltäglich ist, daß ihn die Großkonzerne überall voraussehen und ständig versuchen, ihm durch gewissenhaftes Verhalten zuvorzukommen, wird RTMARK seine Methoden immer wieder überprüfen und sich überlegen müssen, ob neue Methoden effektiver wären.
(1) “Über unseren Köpfen schwebt etwas, das aussieht wie ein ,Cyberkult'. Wir müssen anerkennen, daß die neuen Kommunikationstechnologien die Demokratie dann, und nur dann, fördern werden, wenn wir uns von Anfang an der Karikatur widersetzen, daß die großen multinationalen Konzerne für uns die globale Gesellschaft hervorbringen, indem sie sich in halsbrecherischer Geschwindigkeit auf den Information Superhighway stürzen.” Aus: Virilio, Paul: “Speed and Information: Cyberspace Alarm!”. In: CTheory, 1995zurück
(2) Wie wären nicht die ersten, die das Paradigma des Techno-Kults mit dem der Nazis vergleichen; vgl. z.B. die Diskussion zwischen Paul Virilio und Adrien Sina unter http://aleph.afuu.fr/web/aleph/COMM/lists/archi-www.96/msg00011.htmlzurück
(3) Zu ähnlichen Zwecken verwendeten nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings auch die USA eine ähnliche Technik, indem sie an heimkehrende Soldaten Häuser in den Vororten vergaben, wodurch eine konservative Generation von Grundbesitzern entstand und gleichzeitig die einst mächtigen und liberalen Stadtzentren entvölkert wurden.zurück
(4) Wir haben gerade begonnen, auch eine andere Option zu prüfen, welche wir nur umsetzen werden, wenn das System der “Investmentfonds” keine substantiellen Resultate bringt. Dies wäre das erste Mal, daß RTMARK sich nicht auf organisationsunabhängige Einzelspenden stützen würde, denn diese Option wäre hauptsächlich von Finanzmitteln abhängig, die durch die Kanäle einer Gruppe von KulturaktivistInnen fließen, die sich selbst als Cultural Terrorism Agency bezeichnen. Die CTA schöpft aus der Resonanz zwischen den Zielen der Kulturaktivisten und jenen fundamentalistischer islamischer Gruppen: Beide Gruppen lehnen Eigentum (d.h. exzessiven, überflüssigen, obszönen Besitz von Eigentum) und Repräsentation (einerseits von Menschen, andererseits von Produkten) ab. Die CTA leitet nun einfach Finanzmittel an jene Personen in Nordamerika weiter, die sich für diese Ziele engagieren. RTMARK diskutiert derzeit, ob die Annahme der von der CTA prinzipiell angebotenen Mittel moralisch vertretbar ist. Hätten wir mehr Mittel zur Verfügung, würde der Vorgang der Projekterstellung und -durchführung erheblich beschleunigt und RTMARK würde als solide Alternative zum Konzernsponsoring im Gefolge des NEA wesentlich stärker anerkannt. Da diesbezüglich RTMARK-intern die Meinungen noch auseinandergehen, fassen wir diese Alternative derzeit jedoch nur als letzten Ausweg ins Auge.zurück
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