InfoWar in der Krise
'Chris Hables Gray
Chris Hables Gray
InfoWar ist eine sexy klingende Bezeichnung für eine Reihe höchst unerotischer Ideen. Obwohl vermutlich förderlich für Militärbudgets und die Auflage von Massenblättern, beschreibt dieser Begriff weniger eine neue Form der Kriegsführung, sondern verstellt eher den Blick auf die Krise des modernen Krieges selbst, der mit zwei fundamentalen Paradoxa zu kämpfen hat. Vom 16. Jahrhundert bis 1945 entwickelte sich der moderne Krieg zu einem umfassenden industriell-wissenschaftlichen System mit dem Ziel des effektiven, totalen Krieges. Ironischerweise stellte sich der totale Krieg gerade in seiner entwickeltsten Form als undurchführbar heraus, da eine wahre Apokalypse die unausweichliche Folge wäre. Von diesem ersten zentralen Paradoxon der heutigen Kriegsführung führte der Weg direkt zur Entwicklung des postmodernen Krieges. (1)
Sowohl der moderne als auch der postmoderne Krieg beruhen auf der Manipulation (und zunehmenden Macht) der Information, obwohl wir noch nicht einmal wirklich wissen, was Information eigentlich ist. Damit ist das zweite zentrale Paradoxon angesprochen.INFORMATION IN DER KRISE Albert Einsteins Formel e=mc2 beschreibt die Beziehung zwischen Energie und Masse in der Sprache der Mathematik. Sie ist ein Emblem für den großen Fortschritt, den die Wissenschaft in ihrem Verständnis von Energie und Materie gemacht hat. Aber die Realität wird von einem weiteren zentralen Faktor beeinflußt, den wir bisher nur mangelhaft verstanden haben: Information. Natürlich stellt e=mc2 selbst eine Information dar. Doch die Formel beschreibt nur das Verhältnis von Energie und Masse, nicht, warum Energie gleich Masse mal dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit ist. Unsere Fähigkeit, Energie und Masse zu manipulieren, versetzt uns in die Lage, Massenvernichtungswaffen herzustellen. Ohne ein entsprechendes Verständnis der Informationsgesetze werden wir uns damit wahrscheinlich selbst vernichten.
Nicht alle Theorien über Information sind auch wirklich Informationstheorien. Claude Shannons berühmte Informationsgesetze beispielsweise sagen zwar etwas über Signalredundanz aus, aber nichts über das Wesen der Information. Im Laufe der letzten 2000 Jahre wurden einzelne Komponenten der Information mit einigem Erfolg untersucht: Logik und Mathematik im Altertum, Statistik, natürliche Prozesse und noch einmal Mathematik in der Moderne. Aber erst am Ende des 20. Jahrhunderts begann die Entwicklung einer einheitlichen Informationstheorie. Dieser Schritt bedeutete die Abkehr von der gewagten platonischen Idee, alle Information befände sich bereits in unserem Gehirn, und von kühnen Behauptungen von Mathematikern wie Leibniz, mit dem Studium der Mathematik lerne der Mensch schon alles Wissenswerte.
Norbert Wiener prägte für diese Suche nach einer einheitlichen Informationstheorie den Ausdruck “Kybernetik”, und der Erfolg dieser Idee hat die Disziplin Kybernetik als solche eigentlich überflüssig gemacht. Statt dessen hat das Paradigma der Informationsverarbeitung die meisten Wissenschaftszweige kolonisiert, angefangen mit Physik und Chemie über Genetik und Medizin (wo Begriffe der Infomedizin biomedizinische Metaphern ersetzt haben) bis hin zu den Sozial- und Geisteswissenschaften. Und nicht zu vergessen die wissenschaftlichen Disziplinen, die vollständig auf der Informationsrevolution basieren: Computerwissenschaft, Information Systems, Systemanalyse und Ökologie. Aber selbstverständlich machte die Kybernetik dabei nicht halt. Sie ist auch tief in das Denken der Militärs eingedrungen und hat dort das seltsame Wesen InfoWar hervorgebracht.
All das hat uns in unserem Verständnis von Information ein gutes Stück vorangebracht. Die erste wirkliche Erkenntnis in diesem Zusammenhang war interessanterweise die Tatsache, daß unserem Verständnis Grenzen gesetzt sind. Wie Hans Gödel gezeigt hat, ist jedes formale Informationssystem entweder unvollständig oder enthält Paradoxa oder beides. Er lieferte den mathematischen Beweis für diese Behauptung und wandte sie auf die Mathematik an. Das nahmen ihm einige Mathematiker wie John von Neumann übel. Noch übler aber war die Illusion, Mathematik sei die “Sprache Gottes”, mit der alles erklärt werden könne. Mathematik ist eine nette, schöne und erklärungsmächtige Disziplin, aber sie ist nicht “vollständig”. Bald schon konnten Alonzo Church und Alan Turing belegen, daß Gödels Beweis sogar für Computer mit unendlicher Rechenleistung gilt. Der perfekte Computer ist ein Ding der Unmöglichkeit. In philosophischer Hinsicht hängen diese Beweise mit den Erkenntnissen der Quantenphysik zusammen (die übrigens ihrerseits einigen Traditionalisten unter den Physikern schwer zu schaffen machte). Die Quantenphysik behauptet, die Kenntnis einer Sache sei in vielen Fällen gleichbedeutend mit der Unmöglichkeit, etwas anderes zu wissen (Beispiel: Elektronenverhalten), und der Beobachter sei ein Teil der von ihm beobachteten Situation und beeinflusse sie daher unweigerlich (Heisenberg’sche Unschärferelation).
Die Erkenntnis, daß der Beobachter auch als Teil des Systems gesehen werden kann, zeigt, wie veränderlich Systemdefinitionen sind. Tatsächlich besteht jedes System aus Subsystemen und ist selbst Teil von größeren Systemen. Das gibt uns eine Vorstellung von der Komplexität der Realität und von der Bedeutung von Definitionen. Mit der Definition eines Systems legen wir gleichzeitig die Grenzen des Erkennens fest. Gregory Bateson war der erste, der die Implikationen dieser Folgerungen eingehend untersuchte. Er kam unter anderem zu dem Schluß, daß es einem Teil des Systems unmöglich ist, das System als Ganzes vollständig zu begreifen. Mit anderen Worten: Wir Menschen sind nicht in der Lage, die Wirklichkeit ganz zu erfassen. Wir können zwar Teile davon verstehen, aber den oben erwähnten Gesetzen der Quantenphysik entsprechend, müssen wir uns darüber klar werden, daß das Wissen um eine Sache die Kenntnis einer anderen häufig ausschließt.
Bateson suchte außerdem nach Gesetzmäßigkeiten zum besseren Verständnis der Dynamik von Systemen und Systemen von Systemen. Er erkannte die wichtige Rolle der Symmetrie, die Bedeutung von Mustern und ihre Ähnlichkeiten über mehrere Systeme hinweg sowie die vielen komplizierten Möglichkeiten des Feedback. Daß auch Norbert Wiener vom Phänomen des Feedback fasziniert war, ist leicht zu verstehen. Feedback kann positiv oder negativ, einfach oder komplex sein oder eine Kombination dieser vier Möglichkeiten darstellen. Und ineinander verschlungene oder einander durchdringende Feedbackschleifen sind von einer unglaublichen Komplexität, die auch andere interessante Eigenschaften ans Tageslicht bringt.
Denken wir nur an das Phänomen der Rekursion, das den Fraktalen zugrunde liegt. Oder an die Komplexitätstheorie, die gezeigt hat, daß durch den möglichen Multiplikatoreffekt von Feedbackschleifen unbedeutende Ereignisse ungeahnte Auswirkungen haben können (Schmetterlingseffekt). Ilya Prigogine hat in seiner eleganten Arbeit über dissipative Systeme dargelegt, wie in einigen hochinteressanten Fällen Systeme in komplexere Systeme übergehen können. Das hat einerseits tiefgreifende Auswirkungen auf unser Wissen über grundlegende informationelle Prinzipien der Physik, die bis jetzt nur teilweise verstanden werden konnten (z. B. Entropie und Extropie). Andererseits sind auch unsere Vorstellungen von so komplexen Systemen, wie es das Leben ist, davon betroffen. Unser Wissen über solche Systeme, die ihren Namen der Tatsache verdanken, daß wir sie nicht kontrollieren können (2) , wächst in beträchtlichem Ausmaß. Ironischerweise haben aber weder unser bisheriges Wissen noch unsere neu erworbenen Kenntnisse auf dem Gebiet der Informationstheorie – zu erwähnen sind hier im besonderen die Grenzen unseres Wissens und die Unmöglichkeit, das Verhalten der meisten komplexen Systeme zu kontrollieren oder auch nur vorherzusagen – nennenswerte Auswirkungen auf das Konzept des InfoWar. Die militärische Doktrin vom InfoWar beschränkt sich statt dessen auf die Vernarrtheit in die wachsende Rechenleistung von Maschinen und auf Illusionen über deren militärische Nutzbarkeit. Die Armee setzt alle Hoffnungen auf Informationsmaschinen und -systeme, die den Krieg aus seiner derzeitigen Krise “retten” sollen.DER POSTMODERNE KRIEG IN DER KRISE Was ist unter der Krise des postmodernen Krieges zu verstehen? Um es ohne Umschweife zu sagen: Die Tatsache, daß er zu unserer Vernichtung führen könnte. Krieg gibt es bereits seit undenklichen Zeiten, aber anders als die Aggression ist er kein unvermeidlicher oder natürlicher Teil unserer menschlichen Natur. Krieg ist eine mögliche Ausdrucksform von Aggression und Rivalität zwischen Kulturen und Individuen. Aber nur ein Bruchteil aller Menschen hat seit dem Beginn der Menschheit in einem Krieg gekämpft, nur wenige Kulturen können als kriegerisch bezeichnet werden, und alle kriegerischen Konflikte haben irgendwann ihr Ende gefunden. Nichtsdestotrotz ist der Krieg ein sehr machtvoller Faktor, der nicht einfach aufhören wird zu existieren.
Die zunehmende Leistungsfähigkeit von Waffensystemen mündete in die Krise des postmodernen Krieges, die heute die internationalen Beziehungen prägt. Diese Krise führte zu einer Rückbesinnung auf ältere, begrenzte und in manchen Fällen sogar terroristische Formen der Kriegsführung bzw. zum erneuten Auftreten von Stellvertreterkriegen, wie wir sie aus der Zeit des Kalten Krieges kennen. Gleichzeitig hat sie in militärischen Kreisen eine ans Unglaubliche grenzende Technophilie ausgelöst, mit einem unstillbaren Verlangen nach neuen Waffen von Science-fiction-artiger Zerstörungskraft und nach neuen Formen der Kriegsführung – ohne die politischen Kosten bisheriger Konflikte.
Im Zentrum dieser neuen Kriegstheorien steht immer die Information. So hat das US-amerikanische Militär seit den siebziger Jahren alle nur erdenklichen Anstrengungen unternommen, um künstliche Intelligenz (KI) für militärische Anwendungen zu nutzen. Das Scheitern dieser Versuche überrascht nicht, da die traditionelle Herangehensweise der Militärs an die KI typisch für ihre Unwissenheit in Sachen Informationstheorie ist. Seit Jahrhunderten spielen Wissenschaft und Technik eine immer größere Rolle in bewaffneten Konflikten. Der Höhepunkt dieser Entwicklung in den USA war die Einführung der permanenten Kriegswirtschaft im Jahre 1945 (3) , die die wissenschaftlich-technische Innovation innerhalb der Armee festschrieb. Die gleichzeitig stattfindende Militarisierung der ökonomischen und wissenschaftlichen Bereiche der Gesellschaft wurde als “reiner Krieg” bezeichnet. (4) Nach Michel Foucault ist Politik heute die “Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln” und nicht umgekehrt. (5) Der Großteil der Politik dreht sich mittlerweile um das Überleben des Krieges. Dazu bedient man sich der Information, in automatisierter und manipulierter Form oder in Gestalt von immer komplexer werdenden Maschinen.
Daß die Information als militärischer Faktor so reizvoll ist, ist zum Teil auf ihre lange Geschichte im Bereich der Armee zurückzuführen. Die erste – und vielleicht auch beste – Analyse des Krieges stammt von Sunzi (6) , der nicht müde wurde, die Bedeutung guter Information hervorzuheben. Jeder große General war sich dessen bewußt. Aber nicht nur Sunzi, sondern auch allen großen Theoretikern seither war klar, daß es im Krieg keine perfekte Information geben kann. Ob sie diesen Unsicherheitsfaktor nun “Fortuna” (Machiavelli (7) ) oder “Nebel des Krieges” (Clausewitz (8) ) nannten – alle wußten, daß über manche Dinge erst nach Ende des Krieges Gewißheit herrschen würde. Natürlich auch über das Wichtigste – den Sieger. Aber im Zeitalter der Massenvernichtungswaffen nimmt eine solche Auffassung dem Krieg nicht nur jede politische Wirksamkeit, sie macht ihn zu einem ganz und gar wahnsinnigen Unterfangen.
Aus verständlichen Gründen wird das Militär den Krieg nicht für obsolet erklären, auch wenn pensionierte Soldaten und Generäle genau das getan haben. Seit 1945 ist man also verzweifelt auf der Suche nach Möglichkeiten, den Krieg zu “retten” – Möglichkeiten, die alle in irgendeiner Form die Bedeutung von Information unterstreichen. Beim Militär der Vereinigten Staaten zum Beispiel setzte man Spieltheorie und Krisenmanagement ein, um Atomwaffen (die selbst ein Produkt der Informationsrevolution sind) zu kontrollieren, und das elektronische Gefechtsfeld, um den Vietnamkrieg zu gewinnen. Danach kam die Doktrin vom Low-Intensity-Konflikt und schließlich stürzte man sich auf KI- Waffen, deren Krönung das Star-Wars-System war. Die letzte Erscheinungsform dieser Suche ist der InfoWar und die damit zusammenhängenden Doktrinen des Cyberwar und des Netwar.
Es finden sich immer neue Technologien und Theorien zur Rechtfertigung dieser wiederkehrenden Revolutionen im militärischen Bereich oder RMAs (Revolutions in Military Affairs). Die grundlegenden Prämissen bleiben jedoch stets dieselben: Krieg ist unvermeidbar, und neue Informationstechnologien helfen, Kriege zu gewinnen. Der InfoWar übernimmt viele Aspekte früherer RMAs und übertreibt sie in unvorstellbarem Ausmaß. Die Illusion von möglichst unblutigen Kriegen hat der Vorstellung von ausschließlich virtuellen Schlachten im Cyberspace Platz gemacht. Die unscharfe Grenze zwischen Krieg und Frieden hat sich in einem allgemeinen Zustand ununterbrochenen Konflikts aufgelöst, und der Traum von der Kontrolle des Krieges lebt nun in Phantasien vom Mikromanagement jedes einzelnen Gefechtsfaktors fort.
Alle militärischen Analysen des InfoWar berücksichtigen diese Elemente. Sieht man sich jedoch die Vorschläge zur Umsetzung dieser Vorstellungen (9) , nämlich die Waffensysteme, Doktrinen und die bei Soldaten so beliebten lustigen Kriegs-“Spiele”, genauer an, so wird deutlich, daß sich der InfoWar in Wirklichkeit nur ein weiteres Schlachtfeld – eben den Cyberspace – erobern wird und daß er nur seit langem bestehende Tendenzen des postmodernen Krieges verstärkt, nämlich die Einführung zusätzlicher militärischer Befehls- und Kontrollebenen und die zunehmende Verschleierung des Unterschieds zwischen Krieg und Frieden. Nicht zuletzt fördert er die Militarisierung des Weltraums, die zunehmende Verschmelzung von Menschen mit Waffensystemen (Cyborg-Soldaten) und die manische Suche nach neuen Technologien. Der letzte Schrei heißt derzeit zum Beispiel Nanotechnologie.
Ein Schlüsselelement der Doktrin vom InfoWar ist ein schlagkräftiges Argument. Beinahe jede Theorie über den InfoWar stellt einen Zusammenhang zwischen der neuen Militärdoktrin und grundlegenden Veränderungen der menschlichen Kultur her. Einer der vielen Erklärungsversuche geht von vier verschiedenen, nach den jeweiligen Quellen der Macht definierten Epochen aus. (10) Die überwiegende Mehrheit der Militärtheoretiker beruft sich aber auf eine These der Zukunftsforscher Alvin und Heidi Toffler, derzufolge sich die Geschichte der menschlichen Kultur von ihren primitiven Anfängen über eine von Landwirtschaft geprägte Epoche und das Industriezeitalter bis hin zum heutigen Informationszeitalter entwickelt hat. Man muß den Tofflers zugute halten, daß sie in ihrem Buch (11) der Notwendigkeit des Friedens (oder des “Antikrieges”, wie sie ihn nennen) beinahe ebenso viel Platz einräumen wie den neuen Möglichkeiten, die das Informationszeitalter der Kriegsführung bietet.
Viele Antikriegsaktivisten hegen die Hoffnung, Frieden und Demokratie könnten tatsächlich stärker von der Informationsrevolution profitieren als Krieg und autoritäre Herrschaftsformen. Mag sein, aber der Beweis dafür steht noch aus. Viele der Initiativen zur Cyber-Demokratie haben gute Aussicht auf Erfolg, und die durch verschiedene Technologien (Weltraumforschung, Telekommunikation) und Theorien (vor allem die Ökologie) ermöglichte Vernetzung der Welt ist sicher positiv zu bewerten. Aber bestärkt durch einige virtuelle Sit-ins und spektakuläre Versuche, in das Computersystem des Pentagon einzudringen, scheinen manche Friedensaktivisten den Frieden nunmehr für unausweichlich zu halten. Das ist wohl eher unwahrscheinlich. Die Kriegsbewegung ist immer noch viel einflußreicher als die Friedensbewegung und hat sich mindestens ebenso begeistert (wenn auch vielleicht sogar noch ungeschickter) auf die Informationsrevolution gestürzt. Die Zukunft ist eindeutig noch nicht entschieden.INFOWAR UND GESELLSCHAFT: UNKLARHEITEN, SPANNUNGEN, MÖGLICHKEITEN Das Problem der Informationstheorie im allgemeinen und des Informationskrieges im besonderen ist erkenntnistheoretischer Natur. Wie wissen wir, was wir wissen? Das ist in vielerlei Hinsicht eine politische Frage. Man denke nur an die zunehmende Zahl fundamentalistischer Bewegungen und Staaten, die die denkbar einfachsten Erkenntnistheorien mit den höchst entwickelten Massenvernichtungswaffen kombinieren. Es ist kein Zufall, daß in vielen fundamentalistischen Weltanschauungen die Apokalypse ihren festen Platz hat. Erschreckend daran ist nicht nur der Glaube an eine Apokalypse, sondern daß die Fundamentalisten nunmehr auch über die technischen Mittel verfügen, sie herbeizuführen. Die Antwort auf diesen Fundamentalismus kann nur in einer bescheidenen Erkenntnistheorie bestehen, die auf unserem Wissen um die Grenzen der Information beruht. Das politische Äquivalent dazu ist in vielen Fällen der Multikulturalismus. Nicht das von den Fundamentalisten verbreitete Zerrbild, das den Multikulturalismus als puren kulturellen Relativismus ablehnt, ist hier gemeint. Es geht um die Erkenntnis, daß keine Kultur, kein Standpunkt und kein Glaubenssystem von sich behaupten kann, alle Wahrheit dieser Welt zu kennen. Die Wahrheit liegt “irgendwo dort draußen”, aber in mehr als einer Form und an keinem bestimmten Ort. Im Besitz einiger Wahrheiten zu sein, bedeutet, andere nicht zu kennen. Auf diese Art und Weise “konstruieren” wir, wie Michel Foucault betonte, unsere Wahrheiten. Nicht aus dem gesamten Materialbestand, sondern durch unsere (bewußte oder unbewußte) Entscheidung, was wir in welcher Form wissen möchten.
Damit in Zusammenhang steht das Problem des Zukunftsschocks und seiner Folgewirkungen wie etwa die Informationsflut. Das Militär erhofft sich vom InfoWar Schutz gegenüber den Unwägbarkeiten einer sich rasch verändernden Welt und der dabei anfallenden Sintflut an Informationen. Aber gerade diese Aspekte der postmodernen Gesellschaft werden den InfoWar zum Scheitern bringen. Kein wie immer gearteter militärischer Beschaffungszyklus kann mit dem Tempo, mit dem sich Information und Gesellschaft ändern, Schritt halten. Da Information exponentiell anwächst, Weisheit und Wissen hingegen (wenn überhaupt) nur linear, und da die Verschlüsselung der Entschlüsselung immer überlegen sein wird, kann es kein Informationsmanagement geben. Tatsächlich sind gerade die informationsintensivsten Gesellschaften am anfälligsten für Angriffe und Störungen im Sinne des InfoWar. Doch statt diese Tatsache als weiteren Anstoß zur Abschaffung des Krieges zu verstehen, begründet man damit die Militarisierung des Cyberspace und weiterer Teile des öffentlichen Raums.
Obwohl den Unterschieden zwischen Daten, Informationen, Wissen und Weisheit möglicherweise entscheidende Bedeutung zukommt, werden gerade sie von der Informationstheorie am wenigsten verstanden. Das Problem ist darauf zurückzuführen, daß sich die Informationstheorie aus der Mathematik, der Logik und der Computerwissenschaft entwickelt hat, und diese sind, gelinde gesagt, vielleicht nicht gerade die besten Werkzeuge, um zu verstehen, was Weisheit und Wissen ist. Aus diesem Grund ist ein Kunstfestival durchaus der geeignete Ort, um ein Thema wie den InfoWar aufzugreifen. Wie jeder Krieg ist auch der Informationskrieg zu wichtig, um ihn den Generälen zu überlassen.
Kunst impliziert für einige von uns die Verwendung von Informationen zur Schaffung von Wissen und Weisheit, die man nicht in einfache, logisch zerlegbare Formeln zwängen kann. Manche große Wahrheiten lassen sich nicht in Worte fassen. Manches Wissen kann nur in Form von Kunstwerken oder künstlerischen Aktionen Ausdruck finden. Wie der Physiker Niels Bohr feststellte, ist das Gegenteil einer großen Wahrheit häufig eine andere große Wahrheit. Darum benötigen wir eine höher entwickelte Erkenntnistheorie, als sie die meisten Philosophen vertreten: Theorien, die sich nur auf die einfachsten logischen Schritte und menschlichen Sinne beschränken. Die Wirklichkeit ist mehr als das und viel lebendiger. Sie übertrifft an Dynamik sogar die Dialektik (These, Antithese, Synthese), die nur auf einfachen Dualitäten basiert. Die meisten Dualitäten helfen uns nicht weiter. Frieden ist nicht bloß Antikrieg. Das sogenannte Künstliche ist auch Teil der natürlichen Welt. Allen Systemen, seien sie organisch oder maschinisch, liegen dieselben Prinzipien zugrunde, und in der heutigen Welt basieren immer mehr Systeme auf einer Kombination aus Gewachsenem und Gemachtem: auf Cyborgs.
Zur Überwindung dieser Dichotomien haben ich und andere eine Cyborg-Erkenntnistheorie vorgeschlagen: These, Antithese, Synthese, Prothese – und das Ganze noch einmal. (12) Die Wirklichkeit ist sperrig, paradox, dynamisch und überfordert unser Verständnis. Aber wir können genug wissen, um zu überleben. Oder um uns zumindest nicht mit Illusionen über den InfoWar abzutöten, hinter dem sich doch nur der reale Krieg verbirgt. Hakim Bey (13) ist der Autor einer der besten Analysen des Informationskrieges und seiner Gefahren. Zur Kontrolle der Körper, so führt er aus, benötigt auch der Terminal-Staat den Krieg. Körper sind letztendlich die Grundlage des Krieges. (14) Und überhaupt, “bei der Information herrscht ein Durcheinander”, fügt er lakonisch hinzu und weist damit auf unsere gegenwärtige Armut auf dem Gebiet der Informationstheorie hin. Setzen wir dieses “Durcheinander” in Beziehung zur blutigen Realität des Krieges, entsteht ein blutiges Durcheinander. Genau das steht uns bevor, wenn wir unser beschränktes Wissen darüber, wie wenig wir wissen, nicht auf die Idee des InfoWar, auf die Idee jeden Krieges anwenden und sagen: Genug. Laßt uns in Frieden miteinander leben.
(1) Gray, Chris Hables: Postmodern War. Guilford and Routledge, 1997zurück
(2) Kelly, Kevin: Out of Control. Bollmann, Mannheim 1997zurück
(3) Melman, Seymour: The Permanent War Economy. Simon & Schuster, 1974zurück
(4) Virilio, Paul; Sylvère Lotringer: Der reine Krieg (a.d.Franz. v. M. Karbe, G. Rossler), Merve, Berlin 1984zurück
(5) Foucault, Michel: Power/Knowledge. Pantheon 1980, 90zurück
(6) Sun Tzu: Die Kunst des Krieges, Droemer Knaur, München 1988zurück
(7) Gray, Chris Hables; Figueroa-Sarriera, Heidi J.; Mentor, Steven: “Cyborgology: Constructing the Knowledge of Cybernetic Organisms”. In: Machiavelli, Niccolò: The Art of War. Da Capo Press, 1990zurück
(8) Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Ullstein, Frankfurt/M 1994zurück
(9) Arquilla, John; Ronfeldt, David: Cyberwar is Coming! In: Arquilla, John; Ronfeldt, David (Hg.); RAND: In Athena's Camp: Preparing for Conflict in the Information Age. Santa Monica 1997. Deutsche Übersetzung siehe S. 24–56 im vorliegenden Bandzurück
(10) Bunker, Robert: “The Transition to Fourth Epoch War”. In: Marine Corp Gazette. September, 23–32zurück
(11) Toffler, Alvin; Toffler, Heidi: Überleben im 21. Jahrhundert. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1994zurück
(12) Gray, Chris Hables; Figueroa-Sarriera, Heidi J; Mentor, Steven (Hg.): The Cyborg Handbook. Routledge, 1995, 1–16zurück
(13) Bey, Hakim: “The Information War”. In: CTheory (electronic), 1995zurück
(14) Scarry, Elaine: The Body in Pain. Oxford University Press, 1985zurück
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