Ungezogenes Mädchen versus Astronautenchristus:
Die seltsame politische Entwicklung des Cyborg
'Hari Kunzru
Hari Kunzru
Es ist gut ein Jahrzehnt her, seit Donna Haraway erstmals ihre Cyborgtheorie formulierte (1) . Seitdem hat sich das Bild des "kybernetischen Organismus", des vernetzten, rationaler Kontrolle unterworfenen Fleisches, von einer technischen zu einer politischen Kategorie gewandelt – ein Wandel, der die wissenschaftlichen Eltern des Cyborg immer noch verblüfft.
In seinen Anfängen während der fünfziger und sechziger Jahre in den Forschungsprogrammen der US-Luftwaffe hatte der Cyborg eine scheinbar unkomplizierte Bedeutung, jene Bedeutung, deren Code auch in den Raumfahrtromanheften aus der Zeit des Kalten Krieges und den geschwungenen Heckflossen des Chevrolet-Cabrios eingeschrieben ist. Der Mensch – so signalisierten Cyborg, Chevy und SF-Taschenbuch – war im Begriff, sämtliche Grenzen zu überschreiten. Dem Wunsch entsprungen, menschliche Systeme für das Überleben im All zu adaptieren, sollte der cyborgisierte Mensch die Grenzen der Newton'schen Physik sprengen und, die Gesetze der Schwerkraft überwindend, sich auf den Weg zu den Sternen machen. Gleichzeitig sollte er die Schranken seines eigenen Körpers hinter sich lassen und mit seiner Umwelt in eine Kontroll- und Kommunikationsrückkopplungsschleife treten. Die Haut, die ultimative Grenze zwischen zerbrechlichem Selbst und feindseliger Umwelt, sollte auf gloriose Weise durchlässig werden, aber nicht im Sinne einer Verwundung, sondern auf eine Art, welche die chaotischen, kaum begriffenen biologischen Prozesse mystisch in die exakten, meß- und vorhersagbaren Prozesse der Technologie verwandeln würde. Der solcherart von der Maschine durchdrungene Mensch sollte zu einem "erweiterten", "adaptierten" oder "verstärkten" Menschen (2) werden, der gemäß den Protokollen der Technowissenschaft funktioniert. Mit der Verbesserung der Wissenschaft sollte sich auch der Mensch verbessern. Man sollte ihn, kurz gesagt, upgraden können. Für diese Erweiterung schien es keine feststehende Grenze zu geben. Der cyborgisierte Mensch konnte sich potentiell unendlich weiterentwickeln, vielleicht sogar Erhabenheit erlangen.
Zweifellos schien es, daß der Mensch, wenn seine biologischen Funktionen von Maschinen reguliert würden, frei wäre, nicht nur die physischen Weiten des Alls zu erkunden, sondern auch die spirituellen der eigenen Existenz. Die Steuerung der homöostatischen Körperprozesse erschien dieser ersten Generation von Cyborgforschern als etwas Mühsames, als eine Vergeudung von Energie, die besser der Selbstverwirklichung oder spirituellen Übungen zugute käme; es war, als sei Besitz eines Körpers eine Ablenkung, Zeitverschwendung, ein Arbeitsaufwand. Wenn der Mensch im Weltraum nicht nur sein Raumschiff steuern muß, sondern ständig alle möglichen Dinge checken und entsprechende Anpassungen vornehmen muß, nur um sich am Leben zu erhalten, dann wird er zum Sklaven der Maschine. Der Zweck des Cyborg und seiner homöostatischen Systeme besteht darin, ein Organisationssystem zur Verfügung zu stellen, das solche roboterhaften Probleme automatisch und unbewußt regelt und damit dem Menschen die Freiheit gibt zu forschen, schöpferisch tätig zu sein, zu denken und zu fühlen. (3)
Wiewohl dieser Kampf gegen die Sklaverei vor dem Hintergrund der Raumfahrt stattfand, trafen dieselben Hoffungen und Ängste auch auf das Leben im Amerika der Nachkriegszeit zu. Die Cyborgisierung wurde zum Zweck der Arbeitsersparnis durchgeführt, eine Große-Jungs-Version der Geschirrspüler und Kühlschränke, die diese für ihre Frauen zuhause auf der Erde kauften. Doch anders als die Küche der Zukunft, deren Technologie den Frauen mehr Zeit für Hobbies oder Schönheitspflege gab, diente der Cyborg einem höheren Zweck. In den frühen technischen Artikeln über Cyborgs findet sich immer wieder die Implikation, die Enthebung von der Tätigkeit der Körperregulation befähige den Menschen, eine höhere spirituelle Stufe zu erreichen. Kurzum, der Cyborg wurde dazu konstruiert, den Menschen gottähnlicher zu machen.
Für die Konstrukteure und Angehörigen der Air Force, aus denen sich die erste Generation der Cyborgadepten zusammensetzte, bestand kein Zweifel, daß sie sich auf einer spirituellen Mission befanden. "Wo stehen wir, wohin gehen wir, und wie kommen wir hin?" Mit dieser unkontextualisierten und augenscheinlich metaphysischen Frage eröffnete Major Jack E. Steele 1960 eine Präsentation auf einem Raumforschungssymposion auf dem Luftwaffenstützpunkt Wright. Und in der Folge beschrieb er eine künftige "bionische" Menschengeneration als das "große und ferne" Ziel, auf welches er und sein Publikum hinarbeiteten. (4)
Die Pilgerreise, die spirituelle Entwicklung als Spiegelbild der physischen Reise, ist seit jeher eine der ideologischen Triebkräfte der amerikanischen Expansion gewesen, schon als im 17. Jahrhundert die erste Schiffsladung von Dissentern ihre Gottsuche der scheinbar leeren Landschaft der "neuen Welt" einzuschreiben begann. Die Cyborgforschung kann als ein Erbe dieser Bewegung angesehen werden, als Fortsetzung des Vordringens der Pioniere in den Westen und der puritanischen inneren Gottreise. Der Cyborg stand für die Fähigkeit, mit Hilfe der Wissenschaft eine aktive Rolle in der Evolution einzunehmen und die widerspenstige Biologie des Menschen der Herrschaft von Vernunft und Moral zu unterstellen – und dies alles im Dienste staatlicher Expansion.
Der rational zu entwickelnde Mensch war fast immer ein Luftwaffenpilot, und Archivaufnahmen von Piloten, die mörderische Körpertests durchlaufen und verschiedene prothetische Apparate tragen, gehören zu den eindrucksvollsten Bildern des frühen Cyborgzeitalters. In Exoskelette eingespannt, unmenschlichen [oder vielleicht auch bloß posthumanen] Kräften ausgesetzt, seine Reaktionen durch die intravenöse Injektion von Drogen beeinflußt, wird der Kampfpilot zu Amerikas Cyborgchristus, zum Schmerzensmann, dessen Leiden seine Nation erlöst. Ein amerikanischer Musterknabe, auserwählt seiner körperlichen und geistigen Perfektion wegen, transfiguriert durch die Maschine, empor- und hinausgeschickt, leidend und suchend für die Menschen, deren Stimmen und Steuern ihn da hinbefördert haben – Speerspitze der Hoffung und Tiefensonde der Kaltenkriegsseele der Supermacht. In einem Spiegelbild dieser Obsession brachte die UdSSR, die selbst ein gewaltiges kybernetisches Projekt, ein riesiges Experiment über rationalistische Kontrolle war, mit der bis zur staatsgeförderten Produktion von quasi-religiösen Ikonen reichenden Juri-Gagarin-Industrie ihren eigenen Cyborgchristuskult hervor.
Vielleicht war Donna Haraways Tat zum Teil eine therapeutische. Indem sie das Unbewußte dieses aufgemotzten Himmelspiloten freilegte, legte sie die Ängste, die sexuelle und sprituelle Ambiguität, die nächtlichen Schrecken einer der zentralen Metaphern der technokulturellen Gewißheit der Nachkriegszeit offen. Doch war ihre Analyse auch ein bewußter Störfaktor, ein kritischer Virus, in einen Zeichenkreislauf injiziert, der zu geschlossen und zu perfekt reguliert schien, als daß er die geringste Abweichung oder Gegnerschaft zugelassen hätte.
Historisch gesehen, dauerte es nicht lange, bis die Durchdringung des menschlichen Körpers durch Netzwerke und Maschinen Alternativvisionen zur lustvollen Befreiung vom Fleisch entstehen ließ, wie sie den Freaks der Air Force vor Augen stand. Schon bei einer früheren Generation von technologischen Alpträumen ging es um Menschen, die zu Automaten werden. Der ergonomisch gelenkte Fabrikarbeiter, diszipliniert durch die beiden Massenmechanismen Industrie und Krieg, wurde in den Zwischenkriegsjahren des 20. Jahrhunderts als Roboter [tschechisch für "Sklavenarbeit"] dargestellt. Wenn die Arbeiter in einer noch früheren Phase der Industrialisierung zu bloßen "hands" metonymisiert wurden (5) , so wurden sie nun zu Kolben und Schwungrädern, beweglichen Teilen in großen Maschinen. Das Bild Charlie Chaplins, der sich in den Rädern einer großen Maschine verfängt, (6) ist in dieser Epoche die Leitmetapher widerspenstigen Menschentums, das sich auf komische Weise den Rhythmen der Fabrik verweigert.
In den dreißiger Jahren war die Haut des kleinen Vagabunden für das ihn unterdrückende System allerdings noch eine undurchdringbare Barriere. In den Sechzigern, als die erste Generation der Christuspiloten der Augmentation unterzogen wurde, war dies nicht mehr der Fall. Das Durchstoßen der Körpermembran [mittels Prothesen und Implantaten, den astronautischen Stigmata] setzte wesentlich mehr in Gang, als man glaubte. Seit der Antike hatte der Westen in höchstem Maße auf die Undurchdringbarkeit des Körpers gesetzt. Vom Apoll von Belvedere bis zum Nationalsozialismus wurde der geschlossene, undurchdringliche Körper als moralisch maßvoll, ästhetisch wohlgefällig und epistemologisch einmalig und sicher gewürdigt.
Wenn der Körper dagegen sein Getriebe offenbarte, das Durchstoßen seiner Öffnungen, das Hervorquellen der inneren Säfte zuließ, so deutete das unweigerlich auf den Umsturz der Ordnung, die Heraufkunft von Chaos, Schrecken und Verfall. Ob sich dieser Umsturz in den gefräßigen, scheißenden, fickenden Groteskgestalten des Renaissancekarnevals, in der von der Rassenlehre der Nazis dargestellten Physiognomie des Juden mit schlaffen Lippen und vorspringender Nase oder in der neoklassischen Mischung aus Begehren und Abscheu angesichts weiblichen Fleisches äußert – stets kam ihm dieselbe Bedeutung zu. Der klassische Körper hielt [innen und außen versiegelt] zweitausend Jahre lang der Flut ausufernder, irrationaler, ungestümer Körperlichkeit stand, die, wenn sie hervorbräche, jegliche Grundlagen der zivilisierten Gesellschaft fortzuschwemmen drohte.
Der von der Vernunft selbst durchdrungene Cyborgkörper stellt also ein unauflösliches Paradoxon dar – der Körper muß um jeden Preis seine Grenzen gegen die Sintflut der Unvernunft wahren, muß aber zugleich sein Geheimnis offenbaren, um der Vernunft die Überschreitung körperlicher Grenzen zu gestatten. Sonst nämlich bildete der Körper für die Vernunft ein Hindernis und fände sich als Quelle der Unvernunft wieder. Darin besteht der Haken beim Fleisch. Dies ist die ewige Tragikomödie des abendländischen Denkens über den Körper, eines Denkens, das sich nicht selbst verkörpern, nicht aus dem Körper heraus denken kann, sondern dauernd versuchen muß, mit ihm zu denken, ihn von außen zu durchdringen.
Der Cyborg löste eine Krise der Technowissenschaft aus, selbst indem er die Erfüllung ihrer geheimsten Wünsche versprach. Darin lag ein radikales Moment, eines, das Donna Haraway sich zunutze machte, um mit Hilfe dieses Paradoxons sowohl den Wissenschaftsdiskurs als auch jene Spielarten des Feminismus aufzubrechen, die sich in einem naiven Gegensatz zu diesem konstituierten. Doch auch wenn die Verstörung, die der Cyborg darstellt, eine radikale ist, so ist sie doch nicht völlig neu. Der vielleicht nächste kulturelle Ahnherr ist in der Entwicklung der wissenschaftlichen Vivisektion während der Renaissance zu suchen. Auch bei dieser handelte es sich um einen Diskurs, der den Körper im Namen des Wissens öffnete, der buchstäblich Körper zerlegte, um Wahrheit zu produzieren. Die sezierten Figuren auf den illustrierenden Holzschnitten in den Werken des flämischen Anatomen Andreas Vesalius (7) stellen sich regelrecht zur Schau, schlagen manchmal die abgezogene Haut wie einen Schleier zur Seite, um den Blick des Studenten in die Geheimnisse ihrer Körper eindringen zu lassen. In diesem wie in anderen Anatomietexten der Renaissance werden komplizierte Bildallegorien eingesetzt, um eine anatomische Praxis zu legitimieren, die eine tiefe kulturelle Angst auslöste, die das nämliche Problem der körperlichen Integrität aufwarf und die – so könnte man sich [in einem jener "Was-Wäre-Wenn"-Spiele, die das Verknüpfen der Mitgiften der Geistesgeschichte zum Vergnügen macht] vorstellen – von einer Haraway des 17. Jahrhunderts hätte benutzt werden können, um die "Naturphilosophie" auseinanderzunehmen.
Im Jahr 1997 wird die entsprechende Zeichenökonomie, wie sie im Operationsgebiet des Vesalius am Werk war, über die Kinoleinwand und den Fernsehbildschirm ausgetragen. Nach einem raschen, ursprünglich mit Promotion-Veranstaltungen für das Raumfahrtprogramm verbundenen Popularisierungsprozeß wurde der Cyborg zu einer kulturellen Mainstreamfigur. Die Krise im Verhältnis der Wissenschaft zum Körper brachte bald unweigerlich eine Flut finsterer, populärer Bilder hervor. Heute gibt es eine regelrechte Industrie des kybernetischen Schreckens: Tetsuo, der überarbeitete japanische "sarariman", dessen Körper von bösartigen Biomechanismen allmählich aufgeschwemmt und schließlich zerrissen wird, Borg vom Raumschiff Enterprise, dessen raubtierartig vernetztes Bewußtsein die körperliche Integrität und persönliche Identität [die zwei im Raumschiff Enterprise hochgehaltenen Säulen der Moral], das Speicherhirn von Johnny Mnemonic, aus dem Kindheitserinnerungen gelöscht wurden, um Platz für wertvolle Daten der Firma zu schaffen. Selbst die außer Kontrolle geratenen Dinosaurier von Jurassic Park sind im wesentlichen Cyborggeschöpfe, beruht ihre Reanimation doch auf einer Verquickung von Kapital, Biotechnologie und fossiler DNS.
Die gegenwärtige kulturelle Rolle des Cyborg als Träger eines verbreiteten Unbehagens gegenüber der Wissenschaft macht Haraways Verwendung desselben nicht nur zu einer oppositionellen, sondern, noch erstaunlicher, sogar zu einer positiven Trope. Haraways Cyborg ist affirmativ, zelebratorisch, ja, sogar sexy, was geradezu ein Wunder ist, wenn man bedenkt, daß es sich dabei einstmals entweder um eine technowissenschaftliche religiöse Phantasievorstellung oder einen Pop-Science-Fiction-Alptraum handelte. Die Herkunft des/der neuen Cyborg aus der feministischen Debatte um die Aufhebung klassischer hierarchischer Binäroppositionen [Mann/ Frau, Vernunft/Gefühl, Kultur/Natur usf.] ist bekannt. Der Cyborgkörper ist ein konstruierter und läßt sich daher potentiell auch rekonstruieren, ein Umstand, der das feministische Projekt zu einer Frage der Neuerfindung, der Neuerschaffung, der Neubestimmung macht und nicht zu einem metaphysischen Kampf gegen einen proteischen Feind oder zu einer quasi-spirituellen Verweigerung einer vermännlichten Realität. Kurzum: Die Cyborg macht Veränderung möglich.
Jenseits der Semiotik jedoch, jenseits auch des Begriffsrahmens der feministischen Diskussion, in die sie ursprünglich eingeführt wurde, hat die Haraway'sche Cyborg das Zeug, unser Denken über Körper, Netzwerke, Macht und Maschinen im allgemeinen zu verändern. Da in ihr die kulturelle Diskussion in radikal materialistischen Begriffen reformuliert wird [als kybernetische, mittels Aggregation von Körpern, Technologie und sozialen Protokollen verfahrende Kommunikations- und Kontrollmechanismen] erlaubt die Cyborg eine Art zu denken, die den vorherrschenden semiotisch orientierten Theorien nicht zu Gebote steht.
Für die Semiotik stellt die Materialität einen unerreichbaren Horizont dar, die Kluft zwischen Zeichen und Bezeichnetem – ein Abgrund, dessen Widerstand gegen seine rhetorische Überbrückung Gefühle von Verlust, Gefangensein und Verzweiflung hervorruft. Oft wird die poetische Trauer selbst zum Hauptgegenstand der kritischen Energie und überläßt andere Probleme dem Streit mit sich selbst. Auf diese semiotische Melancholie antwortet die Cyborg mit Schocktaktik – sie greift einfach in ihre Bauchhöhle und holt eine Handvoll Eingeweide heraus, hebt ein paar Hautlappen hoch, um die darunter wimmelnden blutigen Servomechanismen zu zeigen.
Die Cyborg zwingt uns, das Denken im Körper und die Körper in Netzwerken anzusiedeln, die Elemente der Biologie, der Politik, des Begehrens und der Technologie enthalten. Sie bildet Kontinuitäten zwischen diesen disparaten Bereichen und ermöglicht uns damit, das sonst Undenkbare zu denken. Einen unkomplizierten Begriff des "Realen" oder "Materiellen" wider die Sprache zu behaupten, war gewiß einst die Taktik von [linken wie rechten] Denkern, die gewisse heilige, interpretationsfreie Räume zu bewahren suchten. Marodierende, sprachlich orientierte Postmodernisten konnten sich stets sicher sein, in diesen Priesterhöhlen, diesen geheimen Verstecken die Fetische der Macht aufzuspüren: Gott, den Menschen, die Frau, das Gesetz, den Staat – Schlupfwinkel des Unwiderlegbaren, Unfraglichen. Doch dieser einst so lebendige Prozeß der Infragestellung ist letzthin zu einer zentralen Kulturindustrie verkommen. Dabei ist er eingezäunt, vom System, das er dekonstruieren wollte, eingeholt worden. Die unordentliche Körperlichkeit des Cyborg signalisiert eine neue Phase oppositioneller Kulturpolitik, eine Phase jenseits der Souveränität der Sprache. Die Cyborgmaterialität ist allerdings keine stille, nicht befragbare. Sie ist nicht der glatte, homogene, undurchdringliche Körper von gestern. An ihr ist nichts klassisch. Sie ist konstruiert, heterogen, multipel, von Codes durchsetzt, klebrig anzugreifen und, wie Donna Haraway sagt, jederzeit rekonstruierbar. Wie der Titel eines Romans von Phillip K. Dick lautet: We can build you. Wäre hinzuzufügen, daß wir auch uns selbst bauen können.
Wir entdecken uns demnach alle als Cyborgs. Es ist eine unheimliche Entdeckung, ein faszinierender Augenblick der Entfremdung vor dem Spiegel. Möglicherweise aber verstellt der allzumenschliche Narzißmus dieses Augenblicks Aspekte der Cyborg, die neu formuliert werden müssen. Die buchstäbliche Durchdringung der Haut durch die Technowissenschaft, ob durch Antibiotika, Agrochemikalien, Prothesen oder Informationstechnologien, ist nur ein Aspekt unserer Cyborgisierung.
Die Faszination von der Durchlässigkeit des Körpers, ja, die Fetischisierung dieser Durchlässigkeit, wie man sie in der bei vielen Cyborggroupies beliebten Schauerprosa findet, lenkt von der zentralen Einsicht ab, daß Cyborgs etwas Vernetztes sind. Die Barriere der Haut kümmert die Cyborg deshalb nicht, weil sie sie nicht erkennt. Das dauernde Überschreiten dieser Grenze, das für Menschen, die Überschreitung mit Tod verbinden, so faszinierend ist, ist für den Cyborg etwas rein Zufälliges, ein unmarkierter Punkt in einem Kreislauf, der sich über mehrere, in Raum und Zeit weit verstreute Körper erstrecken kann. Die mehr von der popkulturellen Cyborg-Ikonographie als der politischen Theorie herrührende verbissene akademische Rede von Fleisch und Metall könnte die Sache mittlerweile sogar eher vernebeln.
Cyborg-Netzwerke enthalten zwar Fleisch, sind aber vor allem verteilte Objekte, die das Fleisch in Bezug zu allen möglichen heterogenen Codes, Produkten, Kräften setzen. Chirurgische Eingriffe sind dafür nicht notwendig. Haraways eigene Arbeit, die sich in letzter Zeit von der Cyborg wegbewegt und Netzwerken wie dem menschlichen Immunsystem und den maskulinen Protokollen wissenschaftlicher Objektivität zuwendet, unterstreicht dies.
In einem Interview, das ich mit ihr geführt habe, sagte Haraway: "Meine Cyborg ist ein ungezogenes Mädchen." Mit der Einführung des unbeschwerten Bildes vom Cyborg als ungebärdige Teenagerin, die die Regeln bricht, Zäune niederreißt, die falschen Leute zum Übernachten mit nach Hause bringt, beleuchtet sie dessen primäre Funktion – eine Figur der Grenzüberschreitung zu sein. Die Cyborg arbeitet mit der Überschreitung jener Signifikationsregimes, die Verbindungen zwischen Körpern, Macht und Technowissenschaft leugnen. Diese Spaltung, durch die Wort und Welt, wissenschaftliche Objektivität und experimentelles Abfallprodukt getrennt werden, ist eine der primären Methoden der Machterhaltung. Wenn der technowissenschaftliche Diskurs bewußt von den ihn leitenden ökonomischen Operatoren getrennt wird, wenn Ergebnisse von Experimenten sowohl von den Konsequenzen ihrer Verwendung als auch von der chaotischen Realität ihrer Herstellung getrennt werden, dann ist grenzüberschreitendes Denken erforderlich, um kritische Wissenschaftsdarstellungen hervorzubringen. Die Cyborg ist so lange von Nutzen, solange sie sich ihr Vermögen zur Grenzüberschreitung bewahrt und nicht in eine konventionelle Artikulation von Ängsten über plastische Chirurgie, KI, Wetware und dergleichen zurückfällt.
Im Augenblick ist die Cyborg noch immer das ungezogenste Mädchen im ganzen Viertel. Die von ihrer grenzüberschreitenden Verknüpfung angeblich separater Bereiche zutage geförderten Strukturen sind genau jene, die den begründeten Interessen des Kapitals am meisten gegen den Strich gehen. Die Cyborg erinnert uns, daß Bhopal und Tschernobyl mit Universitätslabors und Vorstandssitzungen zu tun haben, daß ein nackter menschlicher Körper mit Genpatentierung, mit der Marketingstrategie von Nike, Pestizidforschung, Antibiotika und dem internationalen Tourismus vernetzt sein kann. Die Cyborg sagt weiterhin, was früher unsagbar war. Sie hat sich ein ganz schönes Stück vom Astronautenchristus der DARPA entfernt.
(1) Donna Haraway, "Manifesto for Cyborgs: Science, Technology and Socialist Feminism", in: The 1980's Socialist Review 80 (1985)zurück
(2) All terms from Johnsen and Corliss, "Teleoperators and Human Augmentation", in Gray, Chris, (ed.), The Cyborg Handbook, London, Routledge 1995zurück
(3) Clynes and Kline, "Cyborgs and Space", in: Gray, op. cit.zurück
(4) Jack E. Steele, "How do We Get There", in: Gray, op. cit.zurück
(5) See for example the descriptions of factory workers in: Charles Dickens, Hard Times, first published 1854zurück
(6) Modern Times, dir. Charlie Chaplin (United Artists 1936)zurück
(7) de Humani Corporis Fabrica, Leyden, 1543zurück
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