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Ars Electronica 1997
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Festival 1979-2007
 

 

Jenseits der Maschine
Technologie und Posthumane Freiheit

'Max More Max More

"Belebte und unbelebte Dinge tauschen Eigenschaften aus …"

Phillip K. Dick, A Scanner Darkly
Gemäß dem Einführungsstatement zu dieser Konferenz sind Mensch und Maschine einander diametral entgegengesetzt. Ich möchte versuchen zu dieser Diskussion beizutragen , indem ich dieser Behauptung konstruktiv widerspreche. Ich werde erstens die These vertreten, daß Menschen zwar keine Maschinen sind, aber aus mechanischen Teilen bestehen. Und zweitens, daß wir dann, wenn wir das akzeptieren, zu erkennen vermögen, wie uns Maschinen und Technologie in die Lage versetzen, "menschlicher als menschlich", d. h. weniger mechanisch als heute, zu werden.

Wenn es zuträfe, daß Menschen und Maschinen diametrale Gegensätze sind, dann dürften Menschen keinerlei maschinische und Maschinen keinerlei menschliche Eigenschaften besitzen. Doch die Biochemie zeigt uns, daß wir aus Milliarden von Maschinen bestehen. Jedes unserer Organe und Gewebe ist eine Maschine mit einer ganz bestimmten Funktion. Jedes Organ besteht aus Zellen, die ihrerseits aus noch kleineren, einfacheren biochemischen Maschinen aufgebaut sind. Wir bezeichnen sie als Ribosome, Mitochondrien, RNS und so weiter. Selbst der Sitz unseres Bewußtseins und unserer Persönlichkeit, das Gehirn, setzt sich aus vielen Milliarden Maschinen zusammen – Neuronen, Synapsen, Hormonsystemen, Neurotransmittern. Leztendlich bestehen Körper und Hirn aus den einfachsten mechanischen Teilen: aus subatomaren Partikeln. Letzlich sind wir lauter umherschwirrende Quarks.

Die umgekehrte Ansicht – daß Menschen das genaue Gegenteil von Maschinen sind – kann nur dann stimmen, wenn wir den Vitalismus akzeptieren. Der Vitalismus behauptet, daß das Leben nicht eine Folge biochemischer Reaktionen, sondern einer lebenden Dingen eigentümlichen Lebenskraft sei. Während die moderne Wissenschaft das Leben als Ergebnis komplexer Interaktionen von mechanischen Teilen betrachtet, die ein organisches Ganzes bilden, ist es für den Vitalismus mit einer Substanz durchsetzt, die in der unbelebten Natur nicht existiert.

Daß Menschen aus Maschinen bestehen, heißt nicht, daß wir nur Maschinen sind. Menschen sind herausragende Maschinen. Wir sind das [bislang] extropischeste, komplexeste Produkt von Milliarden Evolutionsjahren. Maschinen sind nicht alle von Natur aus gleich. Lebende Organismen legen Eigenschaften an den Tag, über die einfachere Maschinen nicht verfügen. Diese emergenten Eigenschaften [Homöostase, Reproduktion, Lernen, Intelligenz] resultieren nicht aus der Anhäufung einer rätselhaften Lebenskraft, sondern aus der Komplexität funktionaler Wechselbeziehungen. Wenn unsere Definition von "Maschine" und "mechanisch" ein starres, unveränderliches, stupides, unflexibles Funktionieren impliziert, dann sind Menschen keine Maschinen, auch wenn sie vollständig aus Maschinen bestehen. Wenn genügend Maschinen auf komplexe Weise zusammenarbeiten, entstehen neue Eigenschaften – Eigenschaften, die wir mit Begriffen wie "organisch", "belebt", "fühlend" und "denkend" belegen.

Bei der Auffassung, daß Menschen und Maschinen Gegensätze sind, wird auch übersehen, daß Maschinen die Evolution organischer, belebter Eigenschaften weiter fortsetzen. Wir entwickeln bereits Roboter, die manche Eigenschaften von Tieren aufweisen; wir verfügen über künstliches Leben in der Software, wie Computerviren und -würmer, die mutieren, sich reproduzieren und evolvieren; wir besitzen Computer, die mit Fuzzy-Logic, genetischen Algorithmen und anderen Rechenmethoden umzugehen lernen. Ob ein Geschöpf oder Organ aus organischem Material auf Kohlenstoffbasis oder aus Silikon oder anderen anorganischen Materialien besteht, ist nebensächlich. Wichtig ist die Komplexität des Ergebnisses: Ist das Gebilde lernfähig, ist es in der Lage, sich selbst zu verändern, dynamisch auf wechselnde Eingaben zu reagieren?

Man kann entweder sagen, daß Menschen besonders diffizile, komplexe und herausragende Maschinen sind oder daß Menschen keine Maschinen sind, jedoch aus solchen bestehen. Die Fakten sind wichtiger als die Worte, die wir gebrauchen, wenngleich Worte Konnotationen in sich bergen, die sich auf Einstellungen auswirken. Worauf es ankommt, ist jedenfalls, daß Mensch und Maschine keine Gegensätze sind. Mit der fortgesetzten raschen Evolution der Maschinen und dem zunehmenden Basteln an unseren Körpern und Gehirnen wird dieser Umstand immer offensichtlicher werden. Diese Erkenntnis wird den Weg zu unserer Selbstverbesserung durch Upgrades der menschlichen Maschinenkomponenten bereiten.

Ein Menschenhirn denkt, erfindet, fühlt, plant, rechnet, erkennt. Diese Eigenschaften bewußter Lebewesen sind eine Folge der ungeheuer komplizierten Verknüpfungen zwischen unseren 100 Milliarden Neuronen. Das Einzelneuron verfügt über kein Bewußtsein, keine Ratio, keine Kreativität. Noch weniger verfügen die molekularen und atomaren Bestandteile der Neuronen über diese Eigenschaften. Das Neuron ist eine biochemische Maschine. Deshalb sollte es uns auch gelingen, biologische Neuronen unter Beibehaltung ihrer jeweiligen Funktion durch synthetische zu ersetzen oder zu ergänzen. Es sollte uns gelingen, geschädigtes neuronales Gewebe durch Implantate wiederherzustellen. Es sollte uns gelingen, Speicherkapazität, Verarbeitungsleistung und neue Fähigkeiten mittels Ergänzung natürlicher durch synthetische Neuronen zu steigern. Im Prinzip könnten wir unsere sämtlichen Neuronen ersetzen, bis wir ein vollkommen synthetisches oder prothetisches Gehirn haben. Wenn die neuen Neuronen ähnlich wie die alten funktionierten und auf dieselbe Weise verknüpft wären, würden wir nie und nimmer einen Unterschied feststellen [außer daß wir vielleicht zu einer schnelleren Informationsverarbeitung in der Lage wären und auch im Alter nicht langsamer würden].

Da es schnell zu Mißverständnissen kommt, möchte ich betonen, daß ich lediglich behaupte, daß Menschen aus Maschinen bestehen, nicht daß sie Maschinen sind. In gewisser Weise könnten wir zwar mit Recht behaupten, daß Menschen Maschinen sind, weil wir vollständig aus mechanischen Teilen bestehen und keinen triftigen Grund haben anzunehmen, wir besäßen irgendwelche nicht-materiellen Teile. Wenn wir uns allerdings als Maschinen beschrieben, würden wir diesem Begriff eine sehr breite Bedeutung verleihen. Mit "Maschine" verbinden wir gewöhnlich etwas Starres, Unveränderliches, Geplantes, Programmierbares. Da wir uns für freie, verantwortungsvolle, moralische, vernünftige Wesen halten, ist es nur billig, den Begriff "Maschine" einzuschränken und seine Anwendung auf uns selbst auszuschließen. Das ist die von mir bevorzugte Option. In diesem Fall müssen wir jedoch akzeptieren, daß dann auch unsere Computer und Roboter und elektronische Ökosysteme nicht mehr zwangläufig Maschinen in diesem Sinne sind. Ob etwas eine Maschine ist, hängt von der Komplexität seiner Funktion ab, nicht vom Material, aus dem es besteht. Einfache biologische Organismen wie Enzyme und Viren sind sicherlich als Maschinen einzustufen, eine avancierte künstliche Intelligenz hingegen gälte zweifellos nicht als solche.

Obwohl ich keinen wesentlichen metaphysischen Einwand gegen eine Beschreibung des Menschen als Maschine sehe, überzeugen mich doch die Konnotationen dieses Wortes, daß es klüger wäre, den Begriff nicht auf uns selbst [und unsere geistigen Kinder – die künstlichen Menschen, die wir schließlich erschaffen werden] anzuwenden. Da Begriffskonnotationen unsere Einstellung beeinflussen, sollten wir es vermeiden, Menschen mit Begriffen zu etikettieren, die uns dazu verleiten könnten, sie als Werkzeuge, Objekte oder bloße Mittel zum Zweck zu sehen. Maschinen werden gewöhnlich als eine Anordnung von Teilen verstanden, die uns beim Verrichten nützlicher Arbeit hilft, indem sie mechanische Engergie in zweckmäßigere Formen umwandelt. Maschinen kommen in verschiedenen Ausprägungen vor, von einfachen Hebeln und Schrauben bis hin zu Motoren [Maschinen, die Wärme und andere Energieformen in mechanische Energie umwandeln] und Computern [informationsverarbeitenden Maschinen]. Zwischen einem einfachen Hebel und einem Millionen von Codezeilen verarbeitenden Computer klafft zweifellos eine tiefe Kluft. Wenn beide als Maschinen bezeichnet werden können, können wir den Begriff genausogut auf den Menschen ausdehnen. Da der Maschinenbegriff jedoch auf ein für äußere Zwecke verwendetes Werkzeug verweist, möchte ich ihn auf Menschen lieber nicht anwenden.

Um meine Position zwischen diesen Alternativen besser bestimmen zu können, würde ich sagen, daß man in bezug auf das Verhältnis von Mensch und Maschine mindestens vier Standpunkte unterscheiden kann:
  1. Menschen sind Maschinen. Dies scheint nach dem FleshFactor-Interview im Juni 1997 die Position von Daniel Dennett und – ursprünglich – die von Lukrez und La Mettrie zu sein. Diesem Standpunkt zufolge enthalten Menschen nicht bloß Maschinen, sondern sie sind Maschinen

  2. Menschen besitzen eine Doppelnatur. Sie verfügen über einen mechanisch-physischen Körper und einen spirituellen Leib oder eine Seele, die gänzlich unmechanisch ist. Ich halte diesen Standpunkt für wissenschaftlich und philosophisch vollkommen unhaltbar, wiewohl er sich höchster Popularität erfreut.

  3. Menschen sind auf mysteriöse Weise nicht-mechanisch. Sie [oder zumindest ihr Gehirn] besitzen wesentliche Eigenschaften, die in keinem irgendwie greifbaren Sinn mechanisch sind und die sich mit keinem von uns konstruierten Gebilde [z. B. künstliche Intelligenz] nachbilden lassen. Zu diesen "Neuen Mystikern" [oder modernen Vitalisten], wie man sie genannt hat, gehören Roger Penrose und John Searle.

  4. Menschen bestehen aus mechanischen Teilen, aber die Anordnung dieser Teile läßt daraus emergente, nicht-mechanische Eigenschaften entstehen. Diese nicht-mechanischen emergenten Eigenschaften existieren zwar nur aufgrund der ihnen zugrundeliegenden mechanischen Teile, können jedoch durch Betrachtung der mechanischen Ebene allein nicht verstanden werden. Das ist der von mir vertretene Standpunkt.
Die Metapher vom Menschen als Maschine erscheint mir trotz ihrer oberflächlichen Wissenschaftlichkeit [die die Abwesenheit übernatürlicher Elemente betont] als veraltet. In der Humanwissenschaft der Volkswirtschaft hat sich bereits die Einsicht von der Unangemessenheit der Maschinensprache verbreitet. Jahrzehntelang wurde dort vom "Motor" der Wirtschaft, von "Ankurbelung", "Feinsteuerung" und dergleichen gesprochen. Die österreichische Schule [vor allem das Werk Friedrich Hayeks] hat diesen Ansatz als erste in Frage gestellt, indem sie den Markt als Entdeckungsprozeß hervorgehoben hat. In letzter Zeit hat ein bionomisches Modell Fuß gefaßt, bei dem die Wirtschaft als Ökosystem aufgefaßt wird, das man am besten sorgfältig hegen und pflegen sollte und nicht wie eine Maschine zentral kontrollieren.

Während William Paley in seinem Entwurfsargument für die Existenz Gottes die Welt als gigantischen, für einen bestimmten Zweck entworfenen Mechanismus darstellte, hat die Evolutionstheorie eine Welt zum Vorschein gebracht, die von Prozessen geordnet wurde, die sich über Jahrmillionen verteilen. Obwohl jeder Organismus der Welt in mechanistische Komponenten zerlegt werden kann [Knochen, Sehnen, Zellen, Organellen], haben die vom Ökosystem insgesamt verkörperten Prinzipien – genauso wie die vom Wirtschaftssystem verkörperten – mit den Arbeitsprinzipien paradigmatischer Maschinen nicht viel gemeinsam.

Die Behauptung, daß Menschen Maschinen seien, kann nicht definitiv für wahr oder falsch erklärt werden. Zwischen Maschinen und komplexen Systemen, die keine Maschinen sind, läßt sich genausowenig eine scharfe Trennlinie ziehen wie zwischen Leben und Nicht-Leben, zwischen Tag und Nacht. Auf der Seite derer, die Menschen lieber nicht als Maschinen bezeichnen, stehe ich deswegen, weil ich uns noch weiter über Starrheit, Unflexibilität, Gedankenlosigkeit hinauswachsen sehe. Wenn der Begriff "Maschine" diese Konnotationen einmal ablegen sollte, werde ich keinen Grund mehr sehen, warum man Menschen nicht als elegante organische Maschinen bezeichnen sollte.

Ich habe eingangs behauptet, mit Technologie könnten wir "menschlicher als menschlich" werden. Nun kann ich diese Behauptung verdeutlichen und zeigen, inwiefern die Auffassung, daß wir aus mechanischen Teilen bestehen, ein Anlaß zu Optimismus und Humanismus [oder Transhumanismus] sowie zur Förderung von Freiheit ist und nicht zu Angst und Nihilimus oder zu einer Politik der sozialen Kontrolle. Obwohl der Mensch ein komplexeres Gehirn ausgebildet hat als jedes andere Tier, haben wir unser biologisch-maschinisches Erbe nicht gänzlich hinter uns gelassen. Allzuleicht kann man Menschen manipulieren. Wir haben unsere Emotionen, unsere Stimmungen, unsere Persönlichkeit kaum unter Kontrolle. Wir reagieren auf äußere Einflüsse wie innere chemische, hormonale und neuronale Ereignisse, oft ohne uns dessen besonders bewußt zu sein oder eine Wahl zu haben. Wenngleich selbstbestimmter und selbstbewußter als andere Geschöpfe, weisen Menschen noch immer deutliche Anzeichen von Mechanik und Fremdbestimmtheit auf. Das Reizvolle an der Auffassung unserer selbst als komplexe, funktionell verknüpfte Ansammlung mechanischer Teile ist die dadurch eröffnete faszinierende Aussicht, daß uns die Technologie die Möglichkeit bietet, unsere Natur zu verändern, uns selbst zu verwandeln, uns unseren Werten gemäß zu erweitern und gestalten.

Moderne Technologien wie die Gentechnologie, intelligente Drogen, Prothesen und bald auch Hirnimplantate [Neuroprothesen] stellen den nächsten Schritt auf dem langen Marsch der Evolution dar. Evolutionsprozesse haben Ordnung in das Chaos, Extropie in die Entropie gebracht. Extropie bezeichnet den Grad der Intelligenz, Information, Ordnung, Vitalität, Diversität und Verbesserungsfähigkeit eines Systems. Ihren [bisherigen] Höhepunkt auf diesem Planeten hat die Extropie im Menschen erreicht. Die ursprünglichen physikalischen Prozesse, die zur Bildung der Sterne und Planeten führten, machten der biologischen Evolution Platz. Die biologische Evolution hat ihre Sonderstellung an die memetische und technologische Evolution abgetreten. Mit dem Fortschreiten des extropischen Evolutionsprozesses hat die Komplexität des Nervensystems zugenommen. Die rein chemischen Reaktionen der Einzeller führten zu tropistischen Verhaltensweisen. Bei den Tieren wurde der Tropismus durch Instinktverhalten ergänzt, stimuliert durch integriertes Wahrnehmen und Wiedererkennen. Mit dem Erscheinen unserer Spezies taten sich dank unserer Fähigkeit zu begrifflichem Denken, Schlußfolgern, Kreativität, Selbstzügelung und Selbstveränderung neue Möglichkeiten für flexible Verhaltensweisen auf.

Richtig eingesetzt, wird uns die Technologie nicht mechanisieren, sondern auf dem Weg vom Menschen zum Nachmenschen, in dem sich der extropische Evolutionsprozeß fortsetzt, unsere Freiheit vergrößern. Die wissenschaftlich unhaltbaren Theorien des Dualismus und Vitalismus haben uns auf den falschen Gedanken gebracht, daß die Freiheit ganz oder gar nicht sei. In der kartesianischen Spielart des Dualismus sind sämtliche Tiere bloße Maschinen, die keinerlei Wahl haben. Allein die Menschen, erfüllt von einer spirituellen Substanz oder Seele, sind mit Freiheit und Verantwortung ausgestattet. Abgesehen davon, daß er Tiere aus dem Geltungsbereich der Moral verbannt, war dieser Standpunkt doppelt unglücklich. Wer an eine Seele glaubt, wird außerstande sein zu begreifen, wie Veränderungen an jemandes physischer Beschaffenheit die Freiheit mehren sollen. Seiner Ansicht nach liegt unsere einzigartige menschliche Freiheit und Vernunft ja außerhalb des Materiellen. Geht der Glaube an die Sphäre des Übernatürlichen verloren, kann das dualistische Erbe dazu führen, daß wir jeden Begriff von echter Wahl, Freiheit und Verantwortung aufgeben. [Die Philosophen bezeichnen die Auffassung, daß physische Ursache und Freiheit nicht nebeneinander bestehen können, als Inkompatibilismus.]

Ähnlich werden auch Vitalisten [ob nun die Variante des 19. Jahrhunderts oder die heutigen Neuen Mystiker] mit ihrer Verankerung der menschlichen Freiheit in einer mysteriösen Lebenskraft nicht begreifen, daß Veränderungen an unserer physischen Struktur unsere Freiheit erhöhen können. Wenn unsere Freiheit auf dieser Lebenskraft beruht, können wir sie durch eine Technologisierung unserer selbst, etwa durch Implantation synthetischer Neuronen oder den Einsatz prothetischer Geräte, nur verlieren.

Wir tun vielleicht gut daran, nicht zu behaupten, daß Menschen Maschinen sind. Doch wenn wir verstehen und akzeptieren, daß wir aus einem Arrangement mechanischer Teile bestehen, gibt uns das einen Schlüssel für unsere weitere Entmechanisierung in die Hand. Das Wissen um unseren Ursprung aus unbeseelter Natur läßt uns erkennen, daß der Weg unserer Evolution aus Bewußtlosigkeit und Starrheit hin zu maximaler Freiheit und Selbstbestimmung noch nicht abgeschlossen ist. Mit diesem Bewußtsein können wir unter Anwendung unserer wachsenden wissenschaftlichen Kenntnisse und unserer technologischen Leistungsfähigkeit unsere Entwicklung beschleunigen. Wir können den Triumph des Bewußtseins über die Blindheit herbeiführen.

Wer erklärt, daß Menschen heute völlig freie Wesen sind, sollte sich fragen, warum der zwanghafte Esser weiterißt, der süchtige Raucher weiterraucht, der Depressive nicht aus der Depression herauskommt, der Zauderer sein Verhalten nicht ändert und warum es uns überhaupt so schwer fällt, unsere Verhaltensprogramme umzuschreiben. Selbst wenn wir alle mehr Wahlmöglichkeiten haben, als wir gewöhnlich gewahr sind, so können wir uns doch nicht einfach aussuchen, wer wir sein wollen. Unsere Gefühle widersetzen sich. Ärger, Feindseligkeit, Neid, Gier, Unglück, Angst, Furcht, Aufregung, Lethargie, sie alle beherrschen uns in unterschiedlichem Maß. Durch kognitive Techniken können wir einen gewissen Einfluß erlangen, doch eingefleischte Denkgewohnheiten und machtvolle Stimmungen können sie nur schwer ändern. Unsere Kindheitserfahrungen und unsere Gene formen weitgehend unsere Persönlichkeit. Unsere Hormone und die Struktur unseres Gehirns begrenzen die Möglichkeit, uns auszusuchen, wie wir uns fühlen und verhalten, wie wir denken und wer wir sein wollen.

Ein konkretes Beispiel, wie uns die moderne Neurotechnologie mehr Wahlmöglichkeiten in bezug auf unsere Emotionen verschaffen könnte: Unsere Gehirne entwickelten sich dergestalt, daß Emotionszentren wie die Amygdala stark auf den Kortex wirken. Wegen der vielen von der Amygdala zum Kortex verlaufenden Nervenbahnen lenken unsere Gefühle – ob wir es wollen oder nicht – weitgehend unsere Aufmerksamkeit und formen unsere Gedanken. Wir verfügen nur über wenige Verbindungen, die in die umgekehrte Richtung gehen, vom Kortex zur Amygdala. Das macht es schwierig, einmal aktivierte Gefühle auszublenden. Wenn wir neue Bahnen von den Emotions- zu den Kognitionszentren legen könnten [womit wir nur den Evolutionsprozeß beschleunigen würden, der uns bereits mit mehr solchen Verbindungen ausgestattet hat als andere Säugetiere], könnten wir sowohl ein starkes Bewußtsein unserer Emotionen als auch die Fähigkeit zu ihrer Veränderung erwerben. Wir würden uns so von einer nicht gewählten Herrschaft befreien und eine bessere Integration von Vernunft und Leidenschaft herbeiführen.

Die Neuverdrahtung des Gehirns steht uns nicht unmittelbar bevor [obwohl sie sicherlich eher kommt, als es die meisten Wissenschaftler erwarten]. Andere Technologien haben bereits angefangen, die Wahlmöglichkeiten in bezug auf das Selbst, das wir gerne hätten, zu erweitern. Die ersten, die von diesen Technologien profitieren, sind Menschen mit emotionalen und kognitiven Schwächen. Medikamentöse Behandlungen, angefangen von einfachen Antidepressiva und Antiangstmitteln bis hin zu den hochentwickelten, zielgerichteteren Psychopharmaka, die selektiv auf bestimmte Neurotransmitter wirken, haben Millionen Menschen zu mehr Mitsprache in bezug auf ihre Gefühle und Handlungen verholfen. Nootropika oder "intelligente Drogen", obwohl noch im frühen Entwicklungsstadium, können die Kognitionsleistung älterer oder anderer Menschen mit kognitiven Defiziten steigern, manchmal selbst die junger und gesunder Personen. Die Gentherapie entwickelt sich rasch zu einem praktischen Werkzeug bei sich verändernden somatischen und neurologischen Funktionen. Retina- und Cochleaimplantate stellen schon heute Wahrnehmungsfähigkeiten wieder her. Neuroprothesen, wiewohl in der ferneren Zukunft liegend, besitzen ein ungeheueres Potential, die Kontrolle von den formenden Kräften der Evolution und Erziehung zurückzuerobern.

Bei all diesen Technologien, seien es chemische oder genetische Modifikationen oder Implantate, sollten wir darauf achten, daß sie zur Erweiterung unserer Wahlmöglichkeiten verwendet werden. Gentechnologie und Stimmungsaufheller könnten dazu benutzt werden, unsere Fähigkeiten einzuengen, uns zu glücklichen Sklaven zu machen, uns ruhigzustellen. Dies sind reale Gefahren, die uns aber nicht davon abhalten sollten, technologische Mittel zu entwickeln, die uns aus unserer immer noch halbmechanischen Natur befreien. Bei der Entwicklung von Mitteln zur Veränderung unserer selbst sollten wir versuchen, unsere Wahlmöglichkeiten in bezug darauf, wie wir uns fühlen und wer wir sein wollen, zu erhöhen, anstatt diese Mittel dazu einzusetzen, uns und andere in bestimmte Funktionen oder Existenzweisen zu drängen.

Die vermehrte Freiheit, sich selbst zu entwerfen, die erhöhte Fähigkeit, sich selbst zu definieren, bedeutet einen größeren Bereich persönlicher Verantwortung. Wir werden immer weniger die Möglichkeit haben, unsere Probleme auf unsere Gene, unsere Eltern, unsere Hormone, unsere Gesellschaft zu schieben. Viele werden sich auf diesem Möglichkeitsniveau der Selbstdefinition unwohl fühlen. Ich sehe dieser nächsten Phase unserer Entwicklung – von der blinden Natur zu einem nachmenschlichen Zustand der Selbsterfindung oder des Automorphens – freudig entgegen.

Abschließend möchte ich anmerken, daß die Idee vom Mensch-als-Maschine manchmal zur Propagierung von Social Engineering verwendet worden ist – bei dem Individuen in zentral bestimmte Positionen und Rollen gedrängt werden. Die behaviouristischen Ansichten B.F. Skinners und seine grauenhafte Darstellung dessen, was er für eine Utopie hielt, ermahnen uns, mit der Maschinenmetapher vorsichtig umzugehen. Ich habe eingeräumt, daß wir uns als besonders elegante, komplexe Maschinen beschreiben könnten. Zu den angegebenen Gründen, warum man diese Metapher vermeiden sollte, können wir nun die Gefahr hinzufügen, daß sie den heutigen Sozialingenieuren Auftrieb geben könnte. Wenn wir anerkennen, daß wir mechanische Komponenten besitzen, unser Ziel jedoch darin besteht, uns von unserem maschinischen Erbe loszumachen, vermögen wir denen, die uns zu Werkzeugen für ihre Zwecke machen wollen, Widerstand zu leisten. Und wir können damit auch unseren eigenen Entschluß stützen, andere Menschen als einen Zweck für sich zu behandeln. Wir bestehen aus mechanischen Teilen, verfügen aber über emergente Eigenschaften wie freie Wahl, die Verfügung über uns selbst und persönliche Verantwortung.

Meine Botschaft lautet also: Wir sollten die offensichtliche Wahrheit eingestehen und zubilligen, daß Menschen Maschinen sind. Wir können Menschen und Maschinen nicht als vollkommen gegensätzlich ansehen. Wenn wir unsere Herkunft und fundamentale Natur verstehen, können wir unsere Entwicklung aus Erstarrung, Blindheit und Fremdbestimmung hin zu Flexibilität, Bewußtsein, Selbstbestimmung und Selbstdefinition beschleunigen. Wir können uns zunehmend ein Selbst wählen, können Künstler des Selbst werden. Das Zeitalter des Automorphens bricht an.