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Ars Electronica 1997
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Festival 1979-2007
 

 

Parasitische Visionen
Alternierende, intime und unwillkürliche Erfahrungen

' Stelarc Stelarc

EINLEITUNG
In früheren Performances hat der Körper mit angefügter Technologie [die durch EMG-Signale gesteuerte Dritte Hand], mit in den Körper eingesetzter Technologie [die Stomach Sculpture – ein selbstleuchtender, geräuscherzeugender, sich öffnender/schließender, sich ausdehnender und wieder zusammenziehender Mechanismus in der Bauchhöhle] und Netzverbindung [anderswo befindliche Menschen nehmen Zugriff auf den Körper und aktivieren ihn per Fernsteuerung] funktioniert. Es gab die Erweiterung des Körpers , es gab das Eindringen in ihn , und nun wird er zum Wirt – nicht nur für Technologie, sondern auch für entfernte Agenten. So, wie das Internet umfassende und interaktive Möglichkeiten zum Anzeigen, Verknüpfen und Abrufen von Informationen und Bildern bietet, könnte es jetzt unerwartete Möglichkeiten bieten, auf den Körper selbst zuzugreifen, über Schnittstellen mit ihm Kontakt aufzunehmen und ihn selbst ins Netz zu laden. Und statt das Internet als Mittel zur Erfüllung unmodern gewordener metaphysischer Sehnsüchte nach Entkörperung zu betrachten, bietet es ganz im Gegenteil mächtige individuelle und kollektive Strategien für eine Projektion der körperlichen Präsenz und eine Veräußerlichung des körperlichen Bewußtseins. Das Internet beschleunigt nicht das Verschwinden des Körpers und die Auflösung des Selbst, sondern ermöglicht vielmehr neue kollektive physische Verbindungen und eine telematische Abstufung der Subjektivität. Die Authentizität eines solchen Körpers wird nicht mehr auf die Kohärenz seiner Individualität zurückzuführen sein, sondern auf die Vielfalt der zum Zweck seiner Steuerung zusammenarbeitenden Protagonisten. Nicht mehr bloß die Identität des Körpers ist wichtig, sondern auch seine Connectivity, nicht seine Mobilität oder sein Aufenthaltsort, sondern seine Schnittstelle …
OBERFLÄCHE UND SELBST: ABSCHIED VON DER HAUT
1 Als Oberfläche war die Haut einst der Anfang der Welt und gleichzeitig die Grenze des Selbst. Doch heute, von der Technologie gedehnt, gepierct und durchdrungen, ist die Haut nicht mehr die glatte, sinnliche Oberfläche eines Orts oder eines Bildschirms. Haut ist nicht mehr mit Abgeschlossenheit gleichzusetzen. Das Zerreißen der Oberfläche und der Haut bedeutet die Auslöschung von Innen und Außen. Ein Kunstwerk wurde in den Körper eingesetzt. Die für die Fifth Australian Sculpture Triennale in Melbourne, deren Thema ortsspezifische Arbeit war, geschaffene Stomach Sculpture wurde 40 cm weit in die Bauchhöhle eingeschoben. Nicht als prothetisches Implantat, sondern als ästhetische Ergänzung. Der Körper wird hohl, nicht zum Körper ohne Organe, sondern zum Körper mit Kunst. Der Körper wird als hohle Struktur erfahren, ohne sinnvolle Unterscheidungen zwischen öffentlichen, privaten und physiologischen Räumen. Der hohle Körper wird zu einem Wirt, nicht für ein Selbst, sondern einfach für eine Skulptur. Die Haut ist als Schnittstelle veraltet. Die Bedeutung des Cyber könnte durchaus darin liegen, daß der Körper sich häutet. Das Überzogensein des Körpers mit Membranen, in die alternierend Sensoren und Eingabe-/Ausgabegeräte eingebettet sind, schafft die Möglichkeit intimerer und intensiverer Interaktivität. Subjektiv erfährt der Körper sich selbst als stärker veräußerlichtes System anstelle einer eingehüllten Struktur. Das Selbst verlagert sich an einen Ort jenseits der Haut. Der Körper wird zum Teil aufgrund dieser Veräußerlichung zum Hohlkörper, doch ist seine Leere nicht auf das Fehlen seiner Fähigkeiten, sondern auf deren Veräußerlichung und Erweiterung zurückzuführen, auf seine neuen sensorischen Fühler und sein zunehmend ferngesteuertes Funktionieren …
FRAKTALES FLEISCH
2 Stellen Sie sich einen Körper vor, der sein Bewußtsein und sein Handeln an anderswo befindliche andere Körper oder Körperteile veräußerlichen kann. Eine alternierende Funktionseinheit, die räumlich verteilt aber elektronisch verbunden ist. Eine Bewegung, die Sie in Melbourne induzieren, würde örtlich verschoben und sich an einem anderen Körper in Rotterdam vollziehen. Ein hin- und herwechselndes, gleitendes Bewußtsein, das sich weder "ganz hier" in diesem Körper noch "ganz dort" in jenen Körpern befindet. Es geht hier nicht um einen fragmentierten Körper, sondern um eine Vielzahl von Körpern und Körperteilen, die einander per Fernsteuerung Anweisungen erteilen und steuern. Es geht nicht um einen Herr-Knecht-Kontrollmechanismus, sondern um Feedbackschleifen alternierenden Bewußtseins, steuernder Kräfte und gespaltener Physiologien. Stellen Sie sich vor, eine Seite Ihres Körpers würde ferngesteuert, während die andere Seite durch eine steuernde Kraft vor Ort bewegt werden kann. Sie beobachten, wie sich ein Teil Ihres Körpers bewegt, haben diese Bewegung jedoch weder selbst induziert, noch kontrahieren Sie Ihre Muskeln, um die Bewegung auszuführen. Stellen Sie sich die Konsequenzen und Vorteile einer Existenz in Form eines solchen gespaltenen Körpers vor, der über einen Spannungseingang die Anweisungen einem entfernten Agenten empfängt und über einen Spannungsausgang selbst periphere Geräte steuert. Dies wäre eine komplexere und interessantere Art von Körper – nicht nur eine einzige Einheit mit einer einzigen steuernden Kraft, sondern ein Körper, der einer Vielzahl geographisch entfernter und fremder Agenten als Wirt dient. Mit verschiedenen Physiologien und an wechselnden Orten. Es wäre in einigen Situationen und für bestimmte Zielsetzungen bestimmt gerechtfertigt, einen menschlichen Arm anstatt eines Roboterarms fernzusteuern, denn wenn die betreffende Aufgabe an einem ungefährlichen Ort auszuführen ist, könnte der Gebrauch eines fernbedienbaren menschlichen Arms von Vorteil sein, da dieser mit einem anderen Arm und einem mobilen, intelligenten Körper verbunden wäre. Stellen Sie sich eine Aufgabe vor, die von einem Körper an einem Ort begonnen und von einem anderen Körper an einem anderen Ort zu Ende geführt wird. Oder die Weitergabe und Einübung einer Fertigkeit. Der Körper nicht als Ort der Programmierung, sondern als Medium für die Manifestation entfernter Agenten. Dieser physisch gespaltene Körper könnte beispielsweise einen unwillkürlich gestikulierenden Arm haben [der von einem unbekannten Agenten ferngesteuert wird], während der andere Arm durch eine Exoskelett-Prothese unterstützt mit exquisiter Präzision und enormer Geschwindigkeit arbeitet. Ein Körper, der Bewegung verkörperlichen kann, die von Moment zu Moment reine maschinische Bewegung wäre, ausgeführt ohne Erinnerung, ohne Verlangen …
STIMBOD
3 Möglich wird das durch ein Muskelstimulationssystem per Touchscreen. Man hat eine Methode entwickelt, mit der sich Körperbewegungen durch Berührung bestimmter Muskelpositionen an einem Computermodell programmieren lassen. Oranges Fleisch repräsentiert dabei die möglichen Stimulationsorte, während rotes Fleisch die bewegten Muskeln anzeigt. Die Abfolge von Bewegungen kann mit einer Schleifenfunktion kontinuierlich wiederholt werden. Zusätzlich zur Choreographie der Körperbewegung durch Drücken der entsprechenden Muskelpositionen kann man auch Bewegungsabläufe aus einer Bibliothek von Gesten-Icons aneinanderreihen. Dieses System erlaubt die Stimulation der programmierten Bewegung für Analyse- und Evaluierungszwecke, bevor die Bewegung tatsächlich auf den Körper übertragen wird. Auf einem niedrigeren Stimulationsniveau handelt es sich um eine Art Schrittmachersystem für den Körper, auf einem höheren Stimulationsniveau um ein tatsächliches Körpersteuerungssystem. Dabei geht es nicht um die Fernsteuerung des Körpers, sondern vielmehr um die Schaffung von Körpern mit gespaltenen Physiologien, die von verschiedenen steuernden Kräften gelenkt werden. War es nicht Wittgenstein, der fragte, was bliebe, wenn man durch das Heben seines Arms die Intention, den Arm zu heben, beseitigen könne? Normalerweise würde man die Intention mit der Aktion assoziieren [sofern es sich nicht um eine instinktive Bewegung handelt oder man unter pathologischen Zuständen wie beispielsweise der Parkinson'schen Krankheit leidet]. Im Falle des Stimbod würde die Intention jedoch von einem anderswo befindlichen anderen Körper kommen. Es würde Handlungen ohne Erwartungen geben. Ein bidirektionales Tele-Stimbod-System würde einen besessenen/besitzenden Körper schaffen, eine gespaltene Physiologie, die zur Zusammenarbeit befähigt ist und gleichzeitig in der einen Physiologie per Fernsteuerung induzierte Aktionen lokal ausführt …
EXTREMES ABWESENHEITSGEFÜHL UND FREMDHEITSERFAHRUNG
4 Ein derartiger Stimbod wäre ein hohler Körper, ein Wirtskörper für Projektion und Führung durch geographisch entfernte Agenten. Handschuh-Anästhesie und das Fremde-Hand-Syndrom sind pathologische Zustände, in deren Verlauf der Patient einerseits einen Teil seines Körpers als abwesend, als nicht ihm selbst zugehörig, als nicht unter seiner eigenen Kontrolle stehend, d. h. ein Fehlen der Physiologie empfindet und andererseits ein Fehlen von Handlungsfähigkeit verspürt. Im Falle eines Stimbod würde nicht nur eine gespaltene Physiologie vorliegen, sondern der Betroffene würde Teile seiner selbst als automatisiert, abwesend und fremd empfinden. Das Problem würde nicht mehr in einer gespaltenen Persönlichkeit, sondern in einer gespaltenen Körperlichkeit bestehen. In unserer platonischen, kartesianischen und Freud'schen Vergangenheit mag das als pathologisch betrachtet worden sein, und in unserer Foucault'schen Gegenwart konzentrieren wir uns auf die Programmierung und Steuerung des Körpers. Doch auf dem Terrain der Cyberkomplexität, in der wir heute leben, könnten die Unzulänglichkeiten des egogesteuerten biologischen Körpers sowie die Tatsache, daß dieser mittlerweile rettungslos veraltet ist, nicht deutlicher zutage treten. Ein Übergang vom Psycho-Körper zum Cybersystem wird notwendig, um ein effizientes und intuitives Funktionieren in entfernten Räumen, in beschleunigten Situationen und auf komplexen technologischen Terrains zu gewährleisten. Anläßlich eines Seminars über Sexualität und Medizin in Melbourne fragte mich Sandy Stone nach den cybersexuellen Implikationen des Stimbod-Systems. Darüber hatte ich zuvor nicht nachgedacht, doch ich versuchte, zu erklären, wie ein solcher cybersexueller Kontakt aussehen würde. Ich würde mich beispielsweise in Melbourne befinden und Sandy in New York. Indem ich meine Brust berühre, würde ich sie ferngesteuert dazu veranlassen, ihre eigene Brust zu streicheln … Jemand, der sie vor Ort beobachtet, würde dies wahrscheinlich als einen Akt der Selbstbefriedigung, als Masturbation betrachten. Sie würde aber trotzdem wissen, daß ihre Hand aus der Ferne und vielleicht sogar von göttlicher Hand gelenkt wird. Aufgrund eines Feedback, das mir taktilen Reiz und Krafteinwirkung vermittelt, würde ich meine eigene Berührung über eine andere Person von einem anderen Ort aus als sekundäre und zusätzliche Empfindung wahrnehmen. Anders gesprochen, könnte ich, indem ich meine eigene Brust fühle, auch die ihre fühlen. Eine Intimität über eine Schnittstelle, eine Intimität ohne Nähe. Vergessen Sie nicht, daß es bei einem Stimbod nicht nur um ein Berührungsgefühl, sondern um ein Handlungssteuerungssystem geht. Kann ein Körper mit Erfahrungen extremer Abwesenheit und fremden Handelns zurandekommen, ohne von veralteten metaphysischen Ängsten und einer Besessenheit von seiner eigenen Individualität und seinem freien Handlungsvermögen überwältigt zu werden? Ein Stimbod müßte deshalb seine Aktualität weder ganz in diesem noch ganz in jenem Körper, sondern teilweise hier und teilweise nach dort projiziert empfinden. Ein Funktionssystem aus räumlich verteilten, jedoch elektronisch verbundenen Clustern von Körpern, fluktuierendes, fließendes Bewußtsein, erweitert durch die alternierende und fremde Steuerung …
PING BODY / PROTO-PARASITE
5 Im Jahr 1995 konnten die Besucher des Centre Pompidou [Paris], des Media Lab [Helsinki] und der Konferenz Doors of Perception [Amsterdam] im Rahmen des Projekts Telepolis per Fernsteuerung auf diesen Körper in Luxemburg zugreifen und ihn steuern, indem sie das mit Touchscreen und entsprechender Schnittstelle ausgestattete Muskelstimulationssystem benutzten. Über ISDN-Picturetel-Links konnte der Körper das Gesicht der ihn steuernden Person sehen, während die Programmierer gleichzeitig ihre Telechoreographie beobachten konnten. [Obwohl die Leute glaubten, bloß die Glieder des Körpers zu steuern, komponierten sie gleichzeitig und ohne sich dessen bewußt zu sein auch die Töne, die parallel dazu zu hören waren, sowie die Bilder des Körpers, die sie sehen konnten, denn die Arme, die Beine und der Kopf des Körpers waren mit Sensoren, Elektroden und Meßwertwandlern ausgestattet, die gesampelte Körpersignale und Töne auslösten und den Körper so auch zu einem Videoswitcher und -mixer machten. Obwohl Leute von anderen Orten aus die rechte Körperhälfte bedienten, konnte der Körper durch Bewegung seiner dritten Hand reagieren, wobei die Spannungsausgänge der Elektroden an den Bauchmuskeln und den Muskeln des linken Beins angebracht waren. Dieser gespaltene Körper stellte eine Kombination aus unwillkürlich-ferngesteuerten, improvisierten und EMG-muskelinduzierten motorischen Bewegungen dar]. Im Rahmen von Ping Body – an Internet Actuated and Uploaded Performance, die 1996 erstmals für Digital Aesthetics in Sydney aber auch für DEAF in Rotterdam durchgeführt wurde, wird der Körper nicht von anderen anderswo lokalisierten Körpern gelenkt, sondern die Performance wird durch Internet-Aktivität choreographiert und komponiert. Zufälliges Einschalten in über 30 globale Internet-Domänen ergibt Werte von 0–2000 Millisekunden, die dem Schultermuskel, dem Bizeps, den Beugemuskeln, den Oberschenkel- und den Unterschenkelmuskeln zugeordnet sind, wobei 0–60 V unwillkürliche Bewegungen induzieren. Die Körperbewegungen werden verstärkt, wobei eine MIDI-Schnittstelle die Position, die Annäherung und den Beugewinkel der Glieder mißt. Durch Internet-Daten aktiviert, wird der Körper in Form von Informationen und Bildern auf eine Web-Site geladen, die von anderen Menschen anderswo angesehen werden kann. Der Körper wird telematisch vergrößert, stimuliert und gedehnt, indem er Signale eines ausgedehnten räumlichen und elektrischen Systems reflektiert. Die normale Beziehung zum Internet wird umgekehrt – anstatt selbst durch den Input der Benutzer konstruiert zu werden, konstruiert das Internet die Aktivität eines Körpers. Der Körper wird zum Nexus der Internet-Aktivität, seine Aktivität ein statistisches Konstrukt von Computernetzen …
PARASITE: EVENT FÜR DEN BESETZTEN UND UNWILLKÜRLICHEN KÖRPER
6 Es wurde eine maßgeschneiderte Suchmaschine entwickelt, die Bilder scannt, auswählt und für den Körper anzeigt, der in einem interaktiven Videofeld funktioniert. Analysen der JPEG-Dateien liefern Daten, die mit Hilfe des Muskelstimulationssystems dem Körper zugeordnet werden. Es gibt einen optischen und einen elektrischen Input in den Körper. Die Bilder die Sie sehen, sind die Bilder, die Sie bewegen. Denken Sie an den Gesichtssinn des Körpers, erweitert und an eine parallele Virtualität angepaßt, deren Intensität zunimmt, um das Dämmerlicht der realen Welt zu kompensieren. Stellen Sie sich vor, wie die Suchmaschine Bilder des Körpers aus dem WWW aussucht, einen Metakörper konstruierend, der seinerseits den physischen Körper bewegt. Darstellungen des Körpers steuern die Physiologie des Körpers. Die resultierende Bewegung wird in einem VRML-Raum am Ort der Performance gezeigt und auch in Form potentieller und rekursiver Quellbilder für eine Reaktivierung des Körpers auf eine Web-Site geladen. RealAudio-Sound mit in abgetasteten Körpersignalen und -tönen untermischt, die durch Druck-, Näherungs-, Biegungs- und Beschleunigungsensoren generiert werden. Der physische Charakter des Körpers läßt Feedbackschleifen von interaktiven Neuronen, Nervenenden, Muskeln, Meßwertaufnehmern und dem Dritte-Hand-Mechanismus entstehen. Das System erweitert die optischen Parameter und die Funktionsparameter des Körpers elektronisch über die Cyborg-Erwei-terung durch die dritte Hand und andere periphere Geräte hinaus. Den Kontrapunkt zur Prothese der dritten Hand stellt die Prothese des Softwarecodes der Suchmaschine dar. Sobald man ihn ansteckt, wird der Körper zu einem Parasiten, der von einem erweiterten externen und virtuellen Nervensystem am Leben erhalten wird. Parasite wurde anläßlich der Virtual World Orchestra-Veranstaltung in Glasgow vorgestellt und auch für The Studio for Creative Inquiry, Carnegie Mellon University, in den Wood Street Galleries in Pittsburgh und anläßlich des Festival Atlantico in Lissabon präsentiert …
PHANTOMKÖRPER UND KOLLEKTIVE STRATEGIEN
7 Früher war die Verbindung zu anderen Körpern im Internet ebenso wie die Kommunikation mit ihnen rein textlicher Natur, und es fehlte drastisch an jeglicher physischen Präsenz. Dabei handelte es sich aber nicht um die Erfahrung einer authentisch entwickelten Abwesenheit, die in der realen Welt zu einem effizient funktionierenden Körper führt. Die Abwesenheit des Körpers im Internet ist vielmehr die Abwesenheit der Unzulänglichkeit, d. h. einer Unzulänglichkeit geeigneter Feedbackschleifen. Während wir immer mehr Verkabelungen für HiFi-Bilder, Töne, Berührungs- und Kraft-Feedback zwischen Körpern schaffen, beginnen wir, mächtige Phantompräsenzen zu erzeugen – wobei der Begriff Phantom in diesem Fall nicht im Sinne eines Gespensts zu verstehen ist, sondern im Sinne einer Phantomempfindung in einem amputierten Körperglied. Das Gefühl des entfernten Körpers, der sich auf der eigenen Haut und den eigenen Nervenenden festsaugt, das die psychologische und räumliche Distanz zwischen Körpern im Netz eliminiert. So wie bei der Phantomempfindung des Amputierten werden Körper Phantompartner erzeugen, und zwar nicht aufgrund eines Fehlens, sondern als Erweiterung, als fördernde Ergänzung ihrer eigenen Physiologie. Ihre Aura wird nicht mehr Ihnen allein gehören. Nur durch die Konstruktion von Phantomen wird das Äquivalent unserer entwickelten Abwesenheit erfahrbar sein, während wir zunehmend stärker, mit Geschwindigkeit und Intuition [ein erfolgreicher Körper funktioniert automatisch] funktionieren. Körper müssen sich heute auf Techno-Terrains und in Datenstrukturen jenseits des menschlichen Maßstabs bewähren, wo Intention und Aktion zu beschleunigten Reaktionen zusammenfallen. Körper, die ohne Erwartung funktionieren und Bewegungen ohne Erinnerung erzeugen. Kann ein Körper ohne Gefühl handeln? Muß ein Körper beständig seinen emotionalen, sozialen und biologischen Status Quo bestätigen? Oder wäre vielleicht eine elektronische Auslöschung mittels neuer, internalisierter Schnittstellen notwendig, damit ein Körper mit besseren In-puts und Outputs für eine Leistung und ein Bewußt-sein, die durch Suchmaschinen noch verstärkt werden, entstehen können? Stellen Sie sich einen Körper vor, der neu kartiert und konfiguriert wurde – nicht mittels des genetischen Gedächtnisses, sondern in Form elektronischer Schaltkreise. Wie wäre es mit einem Körper, der über eine Schnittstelle eng mit dem WWW verbunden ist und der durch ein entferntes Flüstern und die Fernsteuerung durch andere, anderswo lokalisierte Körper geweckt und aufgeschreckt wird? Ein Körper, der von Spinnen, Know-bots und Phantomen seine Information erhält …
FUNKTIONALES INTERNET/INTELLIGENTES SYSTEM
8 Stellen Sie sich vor, das Internet wäre so strukturiert, daß es sich automatisch miteinander verbindende Cluster von Online-Körpern in Echtzeit scannen, auswählen und umschalten würde [wobei die Größe und die Fertigkeiten der Cluster in Abhängigkeit von der zu erledigenden Aufgabe gewählt würden]. Kann ein Körper mit der Vielfalt von Agenten, mit einem fließenden und strömenden Bewußtsein, das sich in Abhängigkeit von den zugeschalteten und weggeschalteten Agenten verdunkelt oder intensiviert, zurande kommen? Bewußtsein und Handlungsvermögen würden geteilt, hin- und herwandern in einem elektronischen Raum verteilter Intelligenz. Über ein bloßes Mittel zur Informationsübertragung hinausgehend, wird das Internet zu einer Möglichkeit der Transduktion und erlaubt es Körpern, gegenseitig ihr physisches Handeln zu steuern. Der elektronische Raum als Ort der Aktion anstatt der Information. Stellen Sie sich einen Körper vor, der offen und bewußt ist, der besetzt und erweitert und mit größeren Handlungsmöglichkeiten ausgestattet werden kann. Stellen Sie sich einen Körper vor, dessen Bewußtsein durch Ersatzroboter in Situationen und Räumen veräußerlicht wird, in die sich kein Körper jemals begeben könnte. Diese Maschinen mit ihren Anordnungen von Sensoren, mit ihren Manipulatoren und ihren hybriden Bewegungsvorrichtungen würden die Handlungsmöglichkeiten exponentiell vervielfachen, die Präzision, die Geschwindigkeit und die Komplexität des menschlichen Handelns erhöhen. Vielleicht bedeutet Mensch zu sein nicht unbedingt, daß wir an unserem Menschsein festhalten müssen …