Neuron-Silizium-Kopplung oder Hirn-Computer-Kopplung?
'Peter Fromherz
Peter Fromherz
Im Jahr 1984 sah ich in meinem Labor an der Universität Ulm im Rahmen von zwei unterschiedlichen Diplomarbeiten zum ersten Mal Nervenzellen und Siliziumwafer. Wir studierten damals, wie die elektrische Aktivität von Nervenzellen fluoreszierende Farbstoffe beeinflußt und wie künstliche Membranschichten auf mikroskopische Siliziumelektroden wirken. Dadurch angeregt, skizzierte ich im Januar 1985 – anläßlich des zwanzigsten Winterseminars "Molecules, Information and Memory" von Manfred Eigen – in einem Aufsatz Brain on Line? The Feasibility of a Neuron-Silicon Junction, wie man einen direkten elektrischen Kontakt von einer Nervenzelle mit Silizium und umgekehrt aufbauen könnte. Es hieß dort: "The information processing of the networks of neurons in a brain and of the networks of silicon chips in a computer is coupled at the present moment macroscopically through the opto-mechanical pathway eye-screen and finger-keyboard [Fig.1a]. Is a direct microscopical coupling feasible [Fig.1b] ? The utopian question may be shaped into a proper scientific problem: How to design a neuron-silicon junction?"
Es blieb nicht beim Design. Voraussetzung für die Realisierung von Neuron-Silizium-Verknüpfungen war es jedoch, die Herstellung von Siliziumchips und die Kultivation von Nervenzellen zu erlernen und zu beherrschen – in ein und demselben Laboratorium durch ein kleines Team. Sechs Jahre später publizierten wir die erste direkte elektrische Kopplung einer Nervenzelle zu einem Silizium-Transistor (1) , zehn Jahre später die erste direkte elektrische Kopplung von einer Silizium-Mikrostruktur zu einer Nervenzelle (2) .
Inzwischen haben wir die Physik der Kopplung von Neuronen und Silizium im Detail studiert (3) – (6) . Wir wissen, wie die Qualität der Signalübertragung von der Geometrie des Kontakts von Zelle und Chip und von den elektrischen Eigenschaften der Zellmembran und des Siliziums bestimmt wird.
Alle diese Studien wurden mit großen Nervenzellen [Durchmesser circa 60 Mikrometer] aus den Ganglien des Blutegels durchgeführt. Als Beispiel ist in Fig. 2 die Verdrahtung einer solchen Nervenzelle mit 16 Transistoren eines Siliziumchips gezeigt. Erste Kopplungen mit Nervenzellen aus dem Hirn der Ratte sind kürzlich gelungen (7) . Es entstehen hier besondere Probleme wegen der geringen Größe [etwa 10 Mikrometer] der Zellen.
Die langwierigen und schwierigen Experimente haben uns gezeigt, wie groß die Lücke zwischen den Reagenzglasexperimenten der Neuron-Silizium-Kopplung und einem Interfacing von Hirn und Computer wirklich ist. Wir müssen beachten, daß es hier zwei ganz unterschiedliche Aspekte gibt – einen physikalischen und einen informatischen.
Zum einen: Die Physik der direkten Kopplung von Nervenzellen und Silizium beruht auf dem Kontakt der dünnen Zellmembran der Neurone [5 Nanometer] und der dünnen Quarzschicht, mit der das Silizium vom Wasser isoliert ist [20 Nanometer]. Nur wenn dieser Kontakt sehr eng ist [etwa 30 Nanometer], ergibt sich eine elektrische Kopplung durch das elektrische Feld [Influenz]. Diese enge Kopplung gelingt im Reagenzglas mit sauberen Siliziumchips und Nervenzellen, die aus dem Gewebe herauspräpariert sind. Es ist im Moment nicht zu sehen, wie sich solche Kontakte im Gewebe einer Nervenfaser oder eines Hirns bilden sollen. Es geht ja nicht nur darum, einzelne zufällige Kontakte zu erhalten. Wenn die beiden in sich mikroskopisch verschalteten Welten von Hirn und Computer wirklich Verbindung miteinander aufnehmen sollen und wenn eine adäquate Kommunikation zustande kommen soll, so müssen Millionen von Kontakten hergestellt werden.
Zum andern: Es reicht nicht aus, Millionen von Kontakten zwischen Hirn und Computer aufzubauen, die irgendwelche Bits in beide Richtungen vermitteln. Hirn und Computer müssen unmittelbar die Semantik der fremden Sprache verstehen, ohne die durch Tastatur und Bildschirm gegebene Abstraktion und Anpassung. Die beiden Betriebssysteme müssen direkt miteinander bedeutungsvoll kommunizieren. Solange wir aber nicht wissen, wie das Hirn funktioniert – welches die Beziehung zwischen seinen mikroskopischen elektrischen Signalen und seiner makroskopischen Semantik ist – bleibt eine informatische Kopplung unmöglich, auch wenn die physikalische Kopplung gelingen würde.
Was kann man tun? Auf der physikalischen Seite wird man versuchen, tausende Kontaktstellen zwischen Nervenzellen und Siliziummikrostrukturen herzustellen. Experimente dazu – in Zusammenarbeit mit der mikroelektronischen Großindustrie – sind im Gange. Auch wenn dies nur im Reagenzglas gemacht wird, kann man auf dieser Basis erfahren, wie größere hybride Verbände aus neuronalen und technischen Elementen auf der Ebene der semantischen Information miteinander kommunizieren. Man kann also etwas über die Funktion des Hirns lernen.
Die Herstellung von Kontakten innerhalb eines Gewebes ist ein anderes Problem. Man kann daran denken, dieses durch geschickte Beschichtung der Chips oder der Zellen zu lösen. Auch hier ist zunächst die Grundlagenforschung zur Biologie, Chemie und Physik der Zelladhäsion gefordert.
Die Realisierung der direkten Kopplung einzelner Nervenzellen und einzelner Siliziummikrostrukturen hat uns die Augen geöffnet, wie schwierig es ist, Hirn und Computer zu verbinden ohne Vermittlung des opto-mechanischen Pfads Auge-Bildschirm und Finger-Tastatur. Die augenscheinlichen Probleme der Kopplung auf physikalischer und informatischer Ebene sind so enorm, daß es nicht möglich ist, heute vorherzusagen, ob eine derartige Kommunikation jemals möglich sein wird. Aus diesem Grund ist eine ethische Betrachtung zum "Chip-im-Hirn" oder "Hirn-im-Computer" gegenstandslos und überflüssig.
(1) P. Fromherz, A.Offenhäusser, T.Vetter, J.Weis, A Neuron-Silicon Junction: A Retzius-Cell of the Leech on an Insulated-Gate Field-Effect Transistor, in: Science 252 [1991] 1290-1293zurück
(2) P. Fromherz, A.Stett, Silicon-Neuron Junction: Capacitive Stimulation of an Individual Neuron on a Silicon Chip, in: Physical Review Letters 75 [1995] 1670-1673zurück
(3) P. Fromherz, C.O.Müller, R.Weis, Neuron- Transistor: Electrical Transfer Function measured by Patch-Clamp Technique, in: Physical Review Letters 71 [1993] 4079-4082zurück
(4) R.Weis, B.Müller, P.Fromherz, Neuron-Adhesion on a Silicon Chip probed by an Array of Field- Effect Transistors, in: Physical Review Letters 76 [1996] 327-330zurück
(5) R. Weis, P.Fromherz, Frequency Dependent Signal-Transfer in Neuron-Transistors, in: Physical Review E 55 [1997] 877-889zurück
(6) A. Stett, B.Müller, P.Fromherz, Two-Way Silicon- Neuron Interface by Electrical Inductance. in: Physical Review E 55 [1997] 1779-1782zurück
(7) S. Vassanelli, P.Fromherz, Neurons from Rat Brain coupled to Transistors, in: Applied Physics A [1997] in presszurück
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