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Ars Electronica 1997
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MACHINES R US


'Tom Sherman Tom Sherman

1. MACHINES R US
… wir vertrauen auf Maschinen. Wir lieben unsere Maschinen. Sie sind unsere Freunde. Wir halten sie für vertrauenswürdiger als Menschen. Aber wenn wir unsere Maschinen an andere Maschinen anschließen, stehen wir plötzlich vor der Tatsache, daß wir mit Menschen verbunden sind, die wir nicht kennen. Wir müssen feststellen, daß wir über unsere Maschinen von Fremden beobachtet, belauscht, überwacht werden. Wir mögen es nicht, beobachtet zu werden, wenn nicht wir selbst den Ton angeben. Wir wollen bei jedem unserer Auftritte Regie führen. Wir wollen einen klaren Unterschied zwischen wann wir im Rampenlicht stehen und wann hinter den Kulissen. Hinter den Kulissen befinden wir uns in unserer privaten Zone. Es gibt da ein Problem. Wir wissen, daß wir uns unerwünschter, lästiger Beobachtung ausliefern, wenn wir unsere Maschinen verwenden, wenn unsere Maschinen an die anderer Menschen angeschlossen werden. Wir empfinden das als echtes Problem. Wir haben Angst vor Eingriffen in unsere Privatsphäre. Fremde, aber auch Bekannte, können in unseren inneren Bereich eindringen – diesen privaten, persönlichen Bereich, der uns allein vorbehalten ist. Dabei macht es keinen wirklichen Unterschied, ob wir unsere Besucher kennen, ob wir sie mögen oder fürchten oder lieben – wenn sie nicht willkommen sind, empfinden wir sie als Eindringlinge. Wir wissen, daß diese Eindringlinge über unsere Maschinen an uns herankommen können. Das Sonderbare daran ist, daß wir beim Wahrnehmen und Verstehen der Welt so von unseren Maschinen abhängig geworden sind, daß wir sie auch brauchen, um uns selbst sehen zu können. Wir brauchen Maschinen, um nach draußen zu sehen, und wir brauchen sie, um nach innen zu sehen. Passen wir also sicherheitshalber darauf auf, daß unsere Maschinen nur mit uns verbunden sind. Stellen wir sicher, daß wir offline sind, wenn wir nach innen schauen, und online nur, wenn wir nach draußen blicken. Versuchen wir sicherzustellen, daß niemand hereinschauen kann, wenn wir gerade einen Blick nach draußen werfen.
2. DER MANN TRUG DUNKLE GLÄSER,
kaute Kaugummi, ohne etwas zu sagen. Kopfhörer mit seiner Musik. Schaute bloß zu. Ohne sichtlich zu interagieren. Die Hände in den Hosentaschen, läßt er seinen Blick im Zimmer herumwandern. Er spielt das Spiel zu Hause, wo niemand weiß, wie es steht. Er spielt mit seinen Maschinen. Er nimmt niemals Kontakt mit draußen auf. Seine Maschinen sind für sich allein. Sie verhalten sich wie er. Sie haben keine Wahl. Er hat sie unter Kontrolle. Maschinen sind in dieser Hinsicht großartig. Sie wollen keine Wahl treffen. Freiheit ist nur ein anderes Wort für "außer Kontrolle". Das Angenehme am Alleinsein mit einer Maschine, ist dieses Gefühl der Beständigkeit. Wenn du dich selbst durch eine Maschine ansiehst, kannst du ziemlich sicher sein, immer dasselbe Bild vorzufinden, Nacht für Nacht. Wenn du allein zu Hause bist, in deinem Inneren, ist Beständigkeit sehr wichtig. Geistige Routinevorgänge, ausgeführt in Edelstahl. Enge Kreise. Spiegel über Spiegel. Ach, die Bandbreite der Erfahrungen in meiner Wohnung. Ich kann ganz der sein, der ich bin. Ich werde dich nie hereinlassen. Meine Maschinen genügen mir als Gesellschaft. Ich kann voll Vertrauen eine Beziehung zu ihnen aufbauen. Sie sind verläßlich. Keine Überraschungen. Keine Störungen. Keine anderen. Keine Reue.
3. DASS DIE DINGE IN UNSEREM INNEREN NICHT GEMESSEN WERDEN KÖNNEN,
bedeutet nicht, daß sie nicht wirklich sind. Vor kurzem bat mich ein neuer Bekannter, ihm zu erklären, wer ich sei. Ich kam seinem Wunsch nach. Es war eine primitive Beschreibung. Ich erinnere mich, daß mir während des Sprechens der Gedanke kam, ich betrüge mich selbst. Ich weiß, daß ich mich selbst besser kenne, als irgendjemand sonst, aber ich bringe so wenig von dem, was ich weiß, nach draußen – dorthin, wo die Worte sind. Meine Gehemmtheit. Das meiste, dessen ich mir bewußt bin, wird mir klar, indem ich mit meinen Maschinen interagiere. Interagieren ist nicht ganz das richtige Wort. Ich verwende meine Maschinen, um mehr über mich herauszufinden. Manche Menschen lieben die Einsamkeit der Natur – sie lieben es, auf einem Felsen irgendwo in der Einöde zu sitzen, wo es ruhig und still ist und wo sie eins werden können mit einem See oder mit dem Himmel. Man weiß, in Gedanken sprechen sie mit den Bäumen und den Wolken und irgendwelchen Vögelchen. Ich spreche in meinen Gedanken, mit meiner Stimme, meinen Händen und meinen Fingern zu meinen Maschinen. Ich verwende meine Maschinen gern als Erinnerungshilfe. Ich mag es, Erinnerungen nochmals abzuspielen. Ich mag es, mich an Erinnerungen zu erinneren.

Manchmal fangen meine Maschinen Dinge auf, die ich nicht einmal bemerkt habe. Ich vergesse die Details. Aber meine Maschinen helfen mir dabei, Details und Bilder und Musik und Dinge, die wirklich wichtig für mich sind, zusammenzutragen und zu sammeln. Manchmal weiß ich nicht, wieso ich bestimmte Dinge sammle. Ich arbeite einfach mit meinen Maschinen, und von Zeit zu Zeit gibt es einen Augenblick … einen Augenblick, in dem mir eine Maschine etwas über mich erzählt. Etwas, das ich nicht an Ort und Stelle mit anderen Menschen teilen möchte.
4. WENN ICH NACH DRAUSSEN GEHE, TUE ICH DAS NIE ALLEIN.
Ich bewege mich mit einer meiner Maschinen fort, und sie bestimmt die Geschwindigkeit und die Länge meiner Reise. Wir gehen Hand in Hand im Gleichschritt. Wenn ich auf Menschen stoße, sehen sie uns. Sie bekommen uns im Doppelpack. Wir sind unzertrennlich. Wir haben gelernt, uns fest aneinanderzuklammern, damit uns niemand auseinanderbringen kann. Bevor der Punkt erreicht ist, an dem mein Bild auseinanderzubrechen droht, senden wir ein paar Berichtigungen nach draußen. Das ist meine Art zu sprechen. Das ist meine Art zu gehen. Ich begebe mich nur für Besorgungen nach draußen. Ich begebe mich nur zum Essen nach draußen. Meine Maschinen helfen mir bei der Nahrungssuche. Wir essen gemeinsam wie Spatzen. Futtersuche in Einkaufszentren. Menschen ohne Maschinen stehen vor der Tür, wühlen im Abfall. Wir sind viel raffinierter. Wir bestellen Tiefkühlkost per Fernbedienung. Wir sehen uns den Fleischkanal an und drücken auf den Knopf, wenn wir einen Abschuß machen wollen. Aber das ist nur mein Selbstbild, in die Kälte eines Gefrierfachs projiziert. Aufgepaßt, ich bin auf der Suche nach etwas Eßbarem. Ich muß einen freien Hafen finden. Ich muß irgendwo anlegen. Ich muß Entscheidungen treffen. Ich muß den verfügbaren Speicher füllen. Ich muß aussteigen, ehe ich erkannt werde. Und ich muß meine Spuren mit den Seufzern und dem Stöhnen der Maschinenliebe, des Maschinenhasses, der Maschinenangst, der Maschinenleere verwischen. Maschinenliebe, Maschinenhaß, Maschinenangst, Maschinenleere. Ehe du "interaktiver Fleischfresser" sagen kannst, sind wir wieder in unserem schützenden Zuhause.
5. ICH BIN EIN PERSÖNLICHER MENSCH.
In dieser Welt der Maschinen, wo Menschen eins sind mit Systemen und World-Wide-Webs, wird instinktives Verhalten geschätzt, weil es natürlich ist. Ich bin ein persönlicher Mensch. Ich bin etwas Besonderes. Nicht zu einzigartig, aber relativ aufsässig, was die Uhrzeit und vorgegebene Rahmenbedingungen betrifft. Aber dann passe ich auch wieder ins Schema. Ich bin ein persönlicher Mensch, der innerhalb der Grenzen der Systeme bleibt, die ich spiele. Ich handle instinktiv, weil Logik und Vernunft am besten den Maschinen überlassen werden – so wie ich nicht versuche, mich länger als unbedingt notwendig an Einzelheiten zu erinnern. Ich erinnere mich an eine Geschichte über Spinnen, die ihre Netze im Weltraum spannen. Als mit den Experimenten an Bord des Shuttles begonnen wurde, schickten die Wissenschafter ein paar Orb-Weaver-Spinnen hinaus in die Umlaufbahn. Sie wollten sehen, ob diese Spinnen ihre kunstvollen Netze auch in der Schwerelosigkeit spinnen können. Die Astronauten installierten eine Filmkamera, um die Spinnen beim Netzspinnen aufzunehmen. Aufgrund ihres dichten Programms konnten sie mit dem Filmen nicht warten, bis die Spinnen zu spinnen begannen. Sie ließen die Kamera einige Stunden lang laufen und hofften das Beste. Als der Film voll war, prüften sie den Spinnencontainer, konnten aber keine Netze finden. Einige Tage später, als das Shuttle auf der Erde zurück war und entladen wurde, fanden die Wissenschafter zwei fertige Netze, die offenbar in der Schwerelosigkeit entstanden waren.

Sie waren deformiert, entsprachen aber der üblichen kunstvollen Form. Der Instinkt hatte auch in einer fremden und feindlichen Umgebung gesiegt. Die Orb-Weaver-Spinnen hatten es geschafft, sich unter höchst unnatürlichen Bedingungen natürlich zu verhalten. Wenn wir vergessen, was es heißt, sich natürlich zu verhalten, fällt es uns schwer, die Kamera im rechten Moment einzuschalten.
6. DAS GEDÄCHTNIS HAT IN UNSERER HEUTIGEN WELT DIE LOGIK ERSETZT.
Niemand ist in der Lage, ohne Rücksicht auf das eigene Interesse zu argumentieren. Wir glauben nur, was wir als wahr in Erinnerung haben. Wir erinnern uns nur an weniges selbst. Wir vertrauen auf unsere Maschinen, um der Vergangenheit Gestalt zu verleihen. Das Erinnerungsvermögen von Maschinen ist präzis und umfassend. Maschinen befreien uns von der Verantwortung, Erinnerungen zu speichern und zu organisieren. Wenn wir vergessen – und das tun wir – brauchen wir nur den Speicher unserer Maschinen zu durchsuchen, um das Geschehene wiederherzustellen.

Mit Hilfe unserer Maschinen erinnern wir uns nicht bloß, wir erinnern uns an Erinnerungen. Und mit unseren Maschinen als Partner finden wir die Wahrheit, indem wir Aufzeichnungen, das schriftliche Beweismaterial der Vergangenheit, vergleichen. Wir gründen unsere persönliche Perspektive auf Erinnerungen an Erinnerungen. Indem wir uns an Erinnerungen von Erinnerungen erinnern. Indem wir uns an Erinnerungen von Erinnerungen von Erinnerungen erinnern. Wir verschanzen uns vor der Gegenwart hinter den Aufzeichnungen, hinter dem Gewicht des schriftlichen Beweismaterials, und bekommen ein Gefühl der persönlichen Perspektive. Wir genießen die Beständigkeit unserer Perspektive. Die Erinnerungen unserer Maschinen geben uns Halt. Wir sind abhängig von den Erinnerungen unserer Maschinen. Ohne das Gedächtnis unserer Maschinen sind wir verloren. Wenn unsere Systeme zusammenbrechen und dabei die aufgezeichneten Erinnerungen teilweise oder zur Gänze verloren gehen, müssen wir entscheiden, ob wir sie neu errichten wollen oder lieber den Stecken ziehen.
7. INTERAKTIVTÄT UND IDENTITÄT SIND EIN INTERESSANTES PAAR.
Letztendlich hat alles, was ich sage, mit Beziehungen zu tun, mit der Existenz von Beziehungen. Jeder Mensch hat den Wunsch zu interagieren, Spieler in einem Spiel zu sein, das ihm entspricht. In Beziehung zu einer Maschine zu stehen, einer Maschine, die er oder sie kontrolliert, hat man zwangsläufig mit Interaktivität zu tun.

Maschinen mit gutem Erinnerungsvermögen müssen bedient werden. Sie müssen ein- und ausgeschaltet werden. Sie müssen angesehen, angehört und berührt werden, du mußt mit ihnen sprechen. Sie müssen gefüttert werden. Sie müssen kontrolliert werden. Wenn sie fester Bestandteil unseres Inneren sein sollen, müssen sie sicher sein. Wir müssen unseren inneren Bereich ausdehnen können ohne das Risiko einer undichten Stelle. Heutzutage ist es schwer, Geheimnisse zu wahren. Informationen fliegen mit Lichtgeschwindigkeit herum. Die Welt außerhalb von uns selbst ist prall gefüllt mit einem dichten, undurchsichtigen Nebel aus Botschaften.

Botschaften anderer Menschen. Geheimnisse anderer Menschen, ausgeschmückt und erstarrt, komprimiert und homogenisiert. Die Geheimnisse anderer Menschen werden zu meinen Geheimnissen.

Manchmal ist es schwierig, meine eigenen Geheimnisse zu erkennen. Ich verwende meine Maschinen, um meine Aufmerksamkeit zu steuern. Ich verwende meine Maschinen, um die Lautstärke leiser zu stellen, um die Intensität zu verringern, um eine Reihe von Geheimnissen zu identifizieren, die meine sind – oder die ich zumindest dafür halte. Ich identifiziere eine Reihe von Geheimnissen, damit ich Beziehungen effizient herstellen, Einfluß nehmen und Dinge ausführen kann.
8. MEINE MASCHINEN HABEN GEDULD MIT MIR, WENN ICH SCHWIERIGKEITEN HABE, MICH SELBST ZU FINDEN.
Unmenschliche Geduld. Ich kann mir beliebig Zeit nehmen, um festzustellen, wer ich bin. Ich kann ein Modell meines inneres Selbst herstellen. Ich kann mit diesem Modell interagieren, in einen Dialog treten mit meinem Zwilling, mich fortschrittlich fühlen, wenn ich ins Blickfeld rücke. Ich kann das Gefühl haben, jemand zu sein. Ich kann mich stark genug fühlen, um nach draußen zu gehen. Nicht als ein Bündel von jedermanns Geheimnissen, sondern als ein Wesen mit innerer Integrität. Wenn das Modell selbst erst einmal zufriedenstellend konstruiert wurde, sowohl hinsichtlich Komplexität als auch Klarheit, ist es an der Zeit, meine eigene Gesellschaft zu genießen. Bis mir langweilig wird. Zuerst empfinde ich Freude, dann Enttäuschung. Anfängliche Anerkennung und Wertschätzung machen Vorhersehbarkeit und betäubender Überflüssigkeit Platz. Die Erregung nimmt ab. Auch wenn die losen Enden sich zu entwirren beginnen, entsteht nicht genügend Abwechslung. An diesem Punkt verlangt die Erfahrung eine selbstzerstörerische Handlung. Das Ausradieren der Erinnerung ist eine Möglichkeit. Hundertprozentige Offenbarung eine extremere. Das modellierte Selbst verlangt über Bord geworfen zu werden. Die Erlaubnis wird erteilt. Du weist deine Maschine an, die Kanäle zur Außenwelt zu öffnen. Du sendest und öffnest dich Eindringlingen. Im Augenblick der vollständigen Offenbarung herrscht völlige Stille. Leeres Wunder. Ist irgend jemand da draußen?
9. WARUM NENNE ICH MEINE PERSÖNLICHEN TECHNISCHEN BEHELFE MASCHINEN?
Es interessiert mich, wie wir uns durch den Gebrauch von Objekten eine persönliche Identität schaffen. Wenn du dich in der Wohnung eines Menschen umsiehst und dir vorstellst, mit wem du es zu tun hast, ob es ein ordentlicher oder chaotischer, ein nostalgischer oder romantischer, unheimlicher, einfacher, modischer oder ein durch und durch unwissender Mensch ist, fällt es dir nicht schwer, dir vorzustellen, was im Kopf dieses speziellen jemand vor sich geht. Wenn uns jemand zu sich nach Hause einlädt, können wir eine Menge über ihn erfahren, indem wir einfach die Atmosphäre seines Wohnraums erleben. Innenarchitektur ist wie eine Maschine, die die Atmosphäre eines tieferen, versteckten, inneren Raums verstärkt und mitteilt. Das Innere eines Zuhauses wird so gestaltet, daß sich sein Besitzer behaglich und natürlich fühlt und sich diese Gefühle auch auf andere übertragen – auf Familie, Freunde und Bekannte. Persönliche technische Geräte sind das fleischgewordene Abbild dieses Inneren, ob es sich nun um einen Mikrowellenherd, einen Massagestuhl, eine Heimvideoanlage, einen Polizeifunkscanner oder einen PC mit mehrsprachigem Spracherkennungssystem handelt. Diese Maschine, die wir Zuhause nennen, soll uns die Möglichkeit geben, wir selbst zu sein, und gleichzeitig enthüllen, wie dies für andere ist.

Die meisten inneren Räume werden durch Hemmungen und strategische Anstrengungen in Sachen Image-Management unkenntlich gemacht. Oberflächlich, wie Innenräume zumeist sind, stellen technische Behelfe die aufschlußreichsten Gegenstände eines Zuhauses dar – diese Maschinen sind voll mit persönlichen Informationen. Wenn es uns gelingt herauszufinden, was im Ofen ist oder welcher Fernsehkanal eingestellt ist oder wann und wofür der Computer verwendet wird, betreten wir das Allerheiligste unseres Gastgebers. Das Eindringen in die Audionotizen eines fremden Computers kommt einer Durchsuchung der Hausapotheke eines Fremden gleich.
10. WIR SIND, WAS WIR SEHEN, WENN WIR ES SEHEN,
jedesmal. Eine Reihe von Leuten sagt mir, Wahrnehmung gehe über alles. Die meisten von ihnen meinen damit, daß sie sich viele Gedanken darüber machen, wie sie von anderen wahrgenommen werden. Eine weitaus kleinere Zahl interessiert sich dafür, wie sie andere und die Welt, in der wir leben, wahrnehmen. Maschinen können beim Gestalten und Verfeinern der Wahrnehmung eine wichtige Rolle spielen. Wahrnehmung ist gemeinhin ein halbbewußter Vorgang. Du bist nicht wirklich aufmerksam, und dann stellst du plötzlich fest, daß du von deiner unmittelbaren Umgebung durchdrungen bist. Mikrosekunden später wirst du deiner vollständigen Immersion gewahr. Dieses Gewahrsein ist es, was wir Erfahrung nennen. Wenn wir uns unserer Erfahrung bewußt werden, empfinden wir das Bedürfnis, das, was wir fühlen, zu beschreiben. Unsere Maschinen sind sehr gut im Beschreiben. Wenn wir den Akt des Beschreibens erfolgreich automatisieren, erhöhen wir unser Wahrnehmungsvermögen und unseren Wahrnehmungshunger. Wir schaffen einen Motor, der Erfahrung generiert, der sie speichert und austauscht und verbreitet. Wir verbreiten Wahrnehmung und Erfahrung mit Hilfe maschinenunterstützter Beschreibungen: Du bist, was du siehst, wenn du es siehst, jedesmal. Wieder und wieder und wieder.
11. ICH BIN IN MEINEM LEBEN SEHR VIEL GEFLOGEN.
Nach einem relativ langsamen Start habe ich jede Menge Zeit in der Luft verbracht, meist auf Inlandsflügen, zwischen Erdnüssen und Keksen bzw. Steak, Fisch und Hühnchen wählend, und immer bedacht, Kabinendruck und Innenohr aneinander anzupassen. Ich habe absolut keine Angst vor dem Fliegen. Ich sitze am liebsten im Mittelgang über dem Tragflügel. Ich verschwinde hinter einem Buch oder einer Zeitung oder einem Magazin und tue so, als würde die Maschine den Boden nie verlassen. Ich ignoriere die Sicherheitsvorführungen. Ich gehe nie auf die Toilette. Ich spreche nie mit meinen Mitreisenden. Heute morgen hatte ich ein sehr seltsames Erlebnis. Ich verstaute meinen Mantel und meine Aktentasche in der Gepäckablage über mir, setzte mich, schnallte mich an, setzte meine Stereokopfhörer auf und sah mich um. Ich kannte jede einzelne Person in diesem Flugzeug. Ich hatte jeden an Bord im Laufe der Jahre irgendwann einmal getroffen. Direkten Augenkontakt meidend, identifizierte ich alle an Bord kommenden Passagiere. Dann stand ich auf und fingerte an meiner Aktentasche in der Gepäckablage herum, um noch einmal alle überprüfen zu können, die hinter mir saßen. Ich kannte jede verdammte Person im Flugzeug, nicht mit Namen – aber ich hatte Erinnerungen an sie alle. Ich hatte Angst, erkannt zu werden, deshalb versteckte ich mich hinter meiner Zeitung und dachte darüber nach, wie seltsam es war, alle in diesem Flugzeug zu kennen. Das passiert, wenn man jahrelang viel fliegt. Man stellt fest, daß man jeden gerade ein bißchen kennt, und in den meisten Fällen ist ein bißchen auch schon mehr als genug.
12. ICH KANNTE DIESEN MANN,
er war mein Freund. Ich liebte es, mich mit ihm zu unterhalten. Wir konnten nie genug davon bekommen, uns zu unterhalten und zu lachen. Wir tranken und rauchten und sprachen über Gott und die Welt. Wir waren irgendwie verrückt. Wir machten dumme Sachen. Aber die Zeit ist vergangen, wir haben uns verändert, und jetzt verhalten wir uns anders, wenn wir einander treffen. Ich vermute, wir haben uns beide verändert, aber ich habe noch immer Lust, mich zu unterhalten und zu lachen und verrückt zu sein. Aber es ist kein Platz dafür. Ich habe das Gefühl, mein Freund mag mich nicht mehr. Ich habe das Gefühl, daß er über meine Entwicklung enttäuscht ist. Wir kennen einander sehr lange. Wir sehen die Welt noch immer auf eine ähnliche Art und Weise, aber er hat seinen Humor verloren.

Er scheint eine Art unheilbare Traurigkeit mit sich herumzutragen. Er kann keine Freude mehr empfinden. Alles in seiner Umgebung wird niedergedrückt durch das Gewicht seiner Haltung. Er hat eine schwierige Zeit durchgemacht, in der ihm alles mißlang. Eine ganze Reihe von Dingen ging schief. Die Enttäuschungen haben sich im Laufe der Zeit angesammelt, bis er sich nicht mehr davon befreien konnte. Er verlor den Glauben daran, daß die Dinge besser werden würden. Schließlich ergab er sich dem Rhythmus des Fallens – des Mißlingens. Selbst wenn die Negativserie zu Ende ist, wenn der Himmel aufklart, ändert das nichts an seiner Laune. Er ist in einem unglücklichen Zwist mit sich selbst gefangen. Er hat seinen Humor verloren. Ich hoffe, ich werde meinen nie verlieren.
13. EINE MÖGLICHKEIT ALLEIN ZU SEIN, OHNE ALLEIN ZU SEIN.
Ich arbeite gern mit meinen Maschinen, weil ich allein bin, ohne wirklich allein zu sein. Maschinen sind Teil einer Ökologie der menschlichen Natur. Wenn wir mit einer Maschine eins sind, sind wir mit allen Maschinen und mit allen, die Maschinen berühren, verbunden. Wir sind eins mit der menschlichen Natur, und es ist tröstlich, Teil einer Ökologie von Menschen zu sein, die durch Maschinen verbunden sind, und von Maschinen, die durch Menschen verbunden sind. Ich mag an Maschinen die distanzierte Intimität, die ich zwischen mir und anderen herstellen und aufrechterhalten kann. Ich kann mit jemand anderem allein sein. Ich kann meinen Körper verlassen und jemandem wirklich nahe sein, ohne seinen Körper zu berühren. Körper an Körper ist eine Sache, mit jemand anderem allein zu sein, ohne ihn zu berühren, eine andere. Die menschliche Natur wird durch Maschinen aller Art zusammengehalten.

Es ist eine Welt, die eine Welt anderer Spezies und anderer Zeiten umhüllt. Es ist ein Blickwinkel, der auf gemeinsame Einsamkeit angewiesen ist, ein Vergnügen, das daraus entsteht, mit anderen allein zu sein.
14. MAN KANN EINER ALTEN MASCHINE KEINE NEUEN KUNSTSTÜCKE BEIBRINGEN.
Du kannst eine neue Maschine dazu bringen, gewöhnliche, altmodische Dinge zu tun, aber wozu? Die meisten in Maschinen verliebte Menschen tun nur so als ob. Es ist nicht wichtig, was sie tun, sondern wie sie sich dabei fühlen. Man kann das bei Menschen beobachten, die gerne fernsehen. Die Menschen lieben das Fernsehen, weil sie es genießen, mit hunderttausenden, ja, sogar Millionen anderen allein zu sein. Gleichzeitig.

Sie sitzen und schauen sich beliebte Sendungen an und fühlen sich als Teil von etwas, das größer ist als sie selbst. Wenn das Telefon läutet, erwarten sie sich eine persönliche, exklusive Nachricht von einer anderen Person. Sie haben kein Interesse am Fernsehen, wenn sie ans Telefon gehen. Sicher, Bildtelefone werden zu einem Spielplatz für Werbung und Verkaufssendungen werden. Und beim Umschalten, das auf eine Maschinenidentitätskrise hinausläuft, werden unsere Fernsehsysteme zu einem neuen Medium für persönliche, exklusive Nachrichten. Video und Computer werden bereits jetzt wie Telefone für das Übermitteln persönlicher Botschaften verwendet, was für viele Leute nicht sehr praktisch ist. Diese neuen interaktiven Maschinen verlangen unsere volle Aufmerksamkeit und direkte Beteiligung. Das Problem interaktiver Technologien besteht darin, daß man nichts anderes zur selben Zeit tun kann. Parallele Tätigkeiten sind ausgeschlossen. Radio hören oder fernsehen, während man ein Buch liest, einen Film ansehen und dabei tagträumen, essen und Zeitung lesen, sich unterhalten und miteinander schlafen und gleichzeitig Musik hören oder Sexvideos ansehen und musizieren … Interaktive Technologien bedeuten das Ende für eine ganze Menge toller Parallelaktivitäten. Interaktivität und die damit einhergehende ausschließende Intimität bevorzugen das Abrufen von Erinnerungen in einem asynchronen Modus. ATM, Asynchronous Transfer Mode, ersetzt STM, Synchronous Transfer Mode. STM findet in Zeitscheiben, geteilter Echtzeit, statt, und ATM ist das Ende der Echtzeit, wie wir sie kennen.
15. ES GIBT KEIN ZENTRUM DER SELBSTIDENTITÄT MEHR.
Der Körper, wie beständig er auch sein mag, ist nicht mehr die feste Wohnadresse, die er einmal war. Relativ gesehen, sind wir alle heimatlos. Es bereitet uns Vergnügen, auf unseren Körper zurückzusehen. Aber letztendlich ist er nur ein Ding unter vielen in einer Welt von Dingen, die uns Rückmeldungen geben und uns helfen, im Gleichgewicht zu bleiben. Externe Speicherkonstruktionen ersetzen unseren Körper. Wo immer wir können, deponieren wir externe Erinnerungsspeicher. Wir berühren, wir suchen diese Speicherkonstruktionen auf. Wir suchen nach vertrautem Terrain.

Die Dinge zu berühren, hilft uns, unseren Weg zu finden. Festlegen der Form durch Erkennen von Mustern. Herstellen und Wiederherstellen von Ordnung. Überprüfen unserer Unterlagen. Gespräche mit uns selbst. Knüpfen neuer Beziehungen. Ersatzbeziehungen. So tun als ob. Üben, Proben für das einzig Wahre. Einfügen der Einzelheiten.

Verkörpern von Stereotypen. Vorgeben, Geheimnisse zu teilen. Mit jemand anderem. Warum fühlen wir uns als Außenseiter, wenn wir unsere Geheimnisse nicht preisgeben?

Warum fühlen wir uns so ausgeschlossen? Es spielt keine Rolle. Unsere Maschinen sind sehr gute Zuhörer. Sie sind die letzten guten Zuhörer …