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Ars Electronica 1997
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Und das Wort ist Fleisch geworden ...


'Peter Fleissner Peter Fleissner

ANFORDERUNGEN AN EINE HUMANE INFORMATIONSGESELLSCHAFT
Zwischen Euphorie und Entrüstung liegt die Bandbreite der Gefühle, mit denen die Menschen auf die Anfänge der sogenannten Informationsgesellschaft reagieren. So verständlich die jeweilige emotionale Reaktion auch sein mag, so wenig Glauben in ihre Richtigkeit sollte man ihr schenken. Eine adäquatere Beurteilung kann erst aus der Distanz gelingen. In diesem Beitrag möchte ich mich der "Informationsmaschine Mensch" und ihrer gesellschaftlichen Einbettung weder mit unkritisch-optimistischer Übertreibung noch in einer kulturpessimistischen Attitude nähern, sondern Methoden aus dem Bereich der Sozial- und Kulturwissenschaften verwenden, um zu einer Einschätzung der gegenwärtigenTrends zu gelangen. In welcher Zeit leben wir? Welche Haupttrends lassen sich feststellen? Welche zentralen Problemlagen zeichnen sich ab? Welche Tendenzen sind zu erwarten?
"WERTVOLLE" WISSENSCHAFT?
Es ist andererseits offensichtlich, daß eine solche Standortbestimmung nicht objektiv sein kann, sondern immer mit den eigenen Wünschen und Hoffnungen verquickt ist, in meinem Fall mit dem Wunsch nach Frieden und kooperativem Zusammenleben, nach Verhältnissen, die den Namen "menschlich" wirklich verdienen, nach Lebensbedingungen, unter denen der Mensch dem Menschen nicht zum Wolf wird. Diese persönlichen Gefühlsäußerungen dienen als Kompaß und Richtschnur für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Gegenwart, die sich bestimmten methodischen Standards verpflichtet fühlt, aber nicht aus sich heraus eine ethische Position formulieren kann. Damit sprechen wir bereits ein zentrales Problem unserer zeitgenössischen Wissenschaft an, die sich wertfrei gebärdet, gerade dadurch aber für jede mißbräuchliche Verwendung zugänglich wird. Es sollte daher für eine humane Wissenschaft ein erster notwendiger Schritt sein, das ihr zugrundeliegende Wertsystem ausdrücklich auf den Tisch zu legen.

Sehen wir also mit dieser Optik auf unsere Welt. Ein erster Blick in die reichen Länder der Erde macht die große Bedeutung von technischen Innovationen deutlich. Sie sind zum zentralen Faktor der internationalen Wirtschaftskonkurrenz aufgerückt. Nicht mehr Goldschätze, körperliche Arbeit oder Rohstoffe bilden die Grundlage des Reichtums, sondern die Fähigkeit, mit neuen technischen Mitteln in globalem Maßstab auf dem Weltmarkt bestehen und dominant werden zu können. Stellte die industrielle Revolution des vorigen Jahrhunderts unter kapitalistischen Bedingungen einen bisher nie dagewesenen Schub an virtuosem Umgang mit Natur und Naturstoffen dar, geeignet, die Produktivität menschlicher Arbeit um das Zehn- bis mehr als Hundertfache zu verstärken, brachte sie gleichzeitig mit unglaublichem Reichtum auch ungeahntes Elend über weite Teile der Menschen, über Bauern, Handwerker und Arbeiter. Gesellschaftlich erzeugte persönliche Zwangslagen wurden zum fruchtbaren Boden für die Verbreitung rassistischer, antisemitischer, menschenverachtender Ideologien, die, von Politikern organisiert, in die großen Katastrophen dieses Jahrhunderts, in zwei Weltkriege und Massenmord führten.
TECHNIK ALS HEILSBRINGER
Die durch die gesellschaftliche Ordnung verstärkte Ambivalenz technischer Innovationen zeigt sich nicht nur in den Katastrophenszenarios des 20. Jahrhunderts, sondern äußert sich auch in den chronischen Problemen globaler Dimension. Sie sind nicht zuletzt Ergebnis des durchschlagenden Erfolgs und der raschen Diffusion angewandter Naturwissenschaft im Weltmaßstab. Der Eingriff der Menschen in die natürlichen Kreisläufe führt über Treibhauseffekt und Ozonloch, über bodennahes Ozon und radioaktive Verseuchung zur Gefährdung der Voraussetzungen menschlichen Lebens auf unserem Planeten; der durch neue Technologien vorangetriebene Ausbau des ökonomischen Vorsprungs in der ersten Welt erzeugt soziale Ungleichheit in der [sich in sogenannte Reformstaaten auflösenden] zweiten und dritten Welt. Letztere schleicht sich im Gegenzug in Form von Slums in die reichen Metropolen der Erde ein. Die Allgegenwart der neuen Technik selbst wird durch die umfassende Abhängigkeit von ihr zur Gefahr für die Gesellschaften, die ohne sie nicht mehr lebensfähig sind. Dabei denke ich nicht nur an die Atombombe oder die zivile Nukleartechnik, sondern ich meine die ganz banale Abhängigkeit unserer Lebensfähigkeit von Stromversorgung, Telefon, Computern und elektronischen Netzen.

Der jüngste Entwicklungsschritt der Technik, die Entfaltung elektronischer Informations- und Kommunikationstechnologien, findet in den Äußerungen führender Politiker und Wirtschaftsbosse der Länder der Triade [NAFTA, EU und Japan] seinen Niederschlag. Sie sprechen alle von der Notwendigkeit einer globalen, kontinentweiten oder nationalen Informationsinfrastruktur, mit deren Hilfe eine neue Gesellschaft, die Informationsgesellschaft, errichtet werden könnte. Sie würde die notwendigen Jobs erzeugen, die in den letzten Jahrzehnten gleichzeitig mit den Ausläufern und fossilen Überbleibsel der Industriegesellschaft vernichtet worden wären. Alle Schichten der Bevölkerung könnten aus der Informationsgesellschaft ihre Vorteile ziehen. Die radikal verringerten Informations-, Kommunikations- und Organisationskosten machten eine hierarchiearme, demokratische Gesellschaft möglich, in der für Ausgrenzungen kein Platz wäre. Unterschiede der Rasse, Klasse, sozialen Schicht, Geschlecht, Behinderung – alles würde hinter den Computerschirmen verborgen bleiben, und die Ideale von menschlicher Gleichheit und Demokratie könnten weltweit hervortreten.

Aus historischer Sicht bemerken wir eine innere Verwandtschaft mit Äußerungen zu Beginn dieses Jahrhunderts, wo die sozialistische Revolution in Rußland auf die humanisierende Wirkung der Elektroenergie mit dem Slogan "Kommunismus – das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes" [Lenin 1920: 513] zurückgreift. Auch die Hoffnungen der französischen Revolution auf die Segnungen der beginnenden Naturwissenschaft lassen sich mit der gegenwärtigen politisch-ökonomischen Rhetorik vergleichen. Technik wird als Löser aller gesellschaftlicher Probleme und als Hoffnungsträger für paradiesische Zustände angesehen.
GEGENWÄRTIGE PROBLEMFELDER
So sehr meine privaten Wünsche mit der Meinung der Europapolitiker übereinstimmen, so sehr ist eine methodische Einschränkung angebracht: Wie auch die obigen Beispiele andeuten, können neue Technologien nicht per se eine humanisierende Wirkung entfalten. Sie bieten bloß ein erweitertes Feld der Möglichkeiten für soziale oder persönliche Entwicklung. Erst die Einbettung in die Gesellschaft legt fest, welche spezifischen Pfade sich aus den neuen Möglichkeiten realisieren werden. Zur Verwirklichung eines bestimmten Potentials, das in einer neuen Technologie steckt, müssen erst verschiedene Hürden genommen werden, allen voran die politisch-ökonomische, dann die soziale und die kulturelle. Und hier liegt der Hase im Pfeffer.

Im Namen der Deregulierung gibt der Staat derzeit Stück für Stück traditionelle Monopole und wesentliche Aktivitäten früherer Tätigkeit an private Unternehmen ab, einerseits aus Gründen von Ineffizienz und überhöhten Kosten, andererseits aber auch mit der Behauptung der Unfinanzierbarkeit öffentlicher Dienstleistungen. Diese Orientierung macht in einer Gesellschaft durchaus Sinn, wo der Reichtum aller Individuen stark angestiegen ist, wo Leistungen aus dem hohen Einkommen der privaten Haushalte leicht finanziert werden können. In einer Gesellschaft wachsender sozialer Unterschiede und Ausgrenzungen kann Deregulierung auch zu verstärkter Desintegration führen. Obwohl eine deregulierte Wirtschaft für den einzelnen Betrieb einen erhöhten Handlungsspielraum bieten und der Strategieraum gegenüber nationaler und internationaler Konkurrenz erweitert werden kann, und – wie im Falle der Freigabe von elektronischen Netzen und Telefondiensten – auch eine Reduktion der Kosten für das Internet zu erwarten ist, steht der durch Rationalisierung und Auslagerung von Arbeitsplätzen erzeugte Abbau von Jobs im Inland in keinem ausgewogenen Verhältnis zur Erzeugung neuer Arbeitsplätze, die[bei ansonsten gleichen ökonomischen Bedingungen] eventuell durch Telearbeit und innovative Produkte geschaffen werden könnten. Der soziale Abstieg großer Teile der Bevölkerung in der sich abzeichnenden Zweidrittelgesellschaft setzt die zentrale Voraussetzung für eine sinnvolle Deregulierungsstrategie außer Kraft. Im Gegenteil, er macht ein verstärktes Engagement des Staates zur Abfederung der sozial unzumutbaren Situation für eine wachsende Minderheit nötig, soll die Gesellschaft nicht letztlich in einen Zerfall getrieben werden, der durch verzweifelte individuelle Notlagen, harte Auseinandersetzungen um finanzielle, geistige und stoffliche Ressourcen, erhöhte Kriminalität, Rassismus, Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit gekennzeichnet sein wird.
VORAUSSETZUNGEN FÜR EINE HUMANE INFORMATIONSGESELLSCHAFT
Soll die reale Konstruktion der Informationsgesellschaft gelingen, müssen mindestens drei Voraussetzungen erfüllt werden: Erstens bedarf es einer entsprechenden Infrastruktur, zweitens muß diese Infrastruktur universellen Zugang für jede Frau und jedermann erlauben, drittens muß sichergestellt sein, daß der Erwerb einer entsprechenden Qualifikation die Benützung der elektronischen Netze ermöglicht. Bei der Aufzählung dieser drei Forderungen ist die Reihenfolge wichtig: Die Erfüllung des jeweils vorher angegebenen Punktes ist Voraussetzung für die Möglichkeit der Erfüllung des folgenden. Fehlt nur eine dieser drei Voraussetzungen, droht eine weitere Spaltung der Gesellschaft, die schon bisher durch Klassen- und Schichtengegensätze zerrissen ist.
IST DIE ELEKTRONISCHE INFRASTRUKTUR HINREICHEND?
Wie wir wissen, ist gerade in Österreich der Datenhighway noch nicht so stark ausgebaut, daß er eine ausreichende Kommunikationsinfrastruktur darstellen würde. Die Klagen der derzeitigen Nutzer gehen in zwei Richtungen: Einerseits sind die Telefongebühren noch viel zu hoch [40 Schilling pro Stunde], daß auch weniger zahlungskräftige private Personen, vor allem Jugendliche oder ältere, ohne übertriebene Belastungen das Internet oder andere Dienste nützen könnten, andererseits ist die Bandbreite der vorhandenen Strecken noch ziemlich niedrig, so daß vor allem Graphiken oder Videos nur in mangelhafter Qualität und nach langem Warten übertragen werden können. Immerhin bahnt sich bezüglich des ersten Punkts eine Entwicklung an, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Reduktion der Gebühren führen wird. Die Post senkt ab Herbst 1997 die Kosten für Datenübertragungen auf voraussichtlich 10 Schilling pro Stunde. Damit beantwortet sie vorauseilend künftige Konkurrenzangebote, die durch den Wegfall des staatlichen Monopols für Telefondienste per 1. Jänner 1998 nach EU-Recht entstehen werden.

Gleichzeitig warten schon andere Unternehmenscluster auf ihren Markteintritt als Netzanbieter. Die größte Kabelfernsehgesellschaft Telekabel wird über ihr privates Netz mittels relativ billiger Zusatzgeräte den bisherigen TV-Konsumenten um einen Bruchteil der bisherigen Kosten eine permanente Verbindung zum Internet ermöglichen können. Die Österreichischen Bundesbahnen und die Elektrizitätsversorgungsunternehmen [beide verfügen über landesweite Kabelstrecken] werden das Gebot der Stunde ebenfalls nützen und ihre Infrastruktur auf dem Markt anbieten. Es ist also zu erwarten, daß durch Konkurrenz und erhöhtes Angebot die Preise für Verbindungen zu elektronischen Netzen rapide fallen werden.

Zusätzlich wird es in einigen Jahren von internationalen Konsortien Systeme tieffliegender Erdsatelliten geben [in Planung sind derzeit IRIDIUM mit 77 Satelliten, TELEDISC von Bill Gates mit angeblich mehr als 800 Satelliten, INMARSAT mit etwas höher positionierten 12 Satelliten, und schließlich GLOBALSTAR, von der EU favorisiert, mit 48 geplanten künstlichen Erdtrabanten], die globale Telefon- und Datenverbindungen erlauben [Ege/ Fleissner 1995: 27]. Insgesamt dürfte das Netz in Zukunft sowohl zu vernünftigen Preisen benützt werden können als auch die nötige Bandbreite vorhanden sein. Die EU plant im Rahmen des ACTS-Programms [Advanced Communication Technologies and Services] die Voraussetzungen für eine extrem schnelle elektronische Infrastruktur für die Informationsgesellschaft, vor allem auf der Basis von Photonentechnologien in Glasfaserstrecken [Fabianek et al. 1997: 54]. Erste Feldversuche sind bereits implementiert und sollen in Bandbreiten von 40 Gigabit pro Sekunde vorstoßen, also rund 300 mal schneller als die derzeit in Betrieb befindlichen Strecken der Post von 155 Megabit bzw. 34 Megabit pro Sekunde [Fleissner et al. 1996: 258-259].

Es ist als sicher anzunehmen, daß die nötige Infrastruktur nicht mehr – wie in den letzten hundert Jahren – vom Staat als Monopolisten angeboten werden wird, sondern von privaten Unternehmungen, die einander konkurrenzieren. Der Staat sollte sich aber dennoch nicht komplett zurückziehen. Er wird für die Formulierung und Kontrolle der technischen Standards und einer hinreichenden Qualität der Dienstleistungen nach wie vor dringend gebraucht, außerdem muß er – wer sonst? – faire Zugangsbedingungen und eine flächendeckende Versorgung sicherstellen, sollen nicht weiße Flecken auf der Netzlandkarte entstehen.
UNIVERSELLER ZUGANG?
Um eine realistische Einschätzung zu gewinnen, wie weit elektronische Netzwerke tatsächlich genützt werden, ist ein Blick auf die empirische Struktur der NutzerInnen hilfreich. In Österreich existieren keine präzisen Daten. Man wird von rund 300.000 NutzerInnen ausgehen können, wobei der überwiegende Teil durch Studierende und Lehrpersonal an den Universitäten, der öffentlichen Verwaltung und den Beschäftigten großer Unternehmen im Hard- und Softwarebereich repräsentiert wird. Die privaten Haushalte spielen bisher anteilsmäßig eine untergeordnete Rolle. Danach wären derzeit [1997] etwa fünf Prozent der österreichischen Bevölkerung im Netz. Die Tendenz ist steigend, bei sinkenden Kosten und erhöhter Bandbreite werden die privaten PC-Besitzer [angeblich hat hierzulande derzeit rund ein Viertel der Haushalte einen Personalcomputer zur Verfügung] zunehmend ein Modem und einen Netzanschluß erwerben.

In den USA, dem Vorreiter in Sachen elektronischer Vernetzung, läßt sich dieser Trend zur massenhaften privaten Nutzung bereits empirisch nachweisen. Damit zeigt sich eine ähnliche Dynamik wie beim Telefon. War das Telefon zuallererst auf den geschäftlichen Bereich beschränkt, verbreitete es sich rasch als Medium für Familienkommunikation, worüber in den amerikanischen Groß- und Kleinstädten Klatsch und Tratsch zwischen den Mitgliedern lokaler Nachbarschaften, vor allem zwischen Bauersfrauen, ausgetauscht wurden [Flichy 1994: 152].Damit war der Grundstein für einen massenhaften und damit profitablen Einsatz gelegt. Diese Geschichte scheint sich in den USA jetzt auch für das Internet zu wiederholen: Zunächst lag – trotz deutlich zunehmender kommerzieller Server und wesentlich weiterer Verbreitung – der Schwerpunkt der Nutzung des Internet, zumindest was E-mail betrifft, im öffentlichen Bereich, so eine US-amerikanische empirische Studie von Control Data [1995]. 83 Prozenz der Mitarbeiter von öffentlichen Einrichtungen verwendeten E-mail, bei privaten Unternehmungen waren es demgegenüber nur 62 Prozent [CONSUME 1995]. Anfang 1996 konnte festgestellt werden [siehe http://etrg.findsvp.com/internet/demograph.html], daß bereits 63 Prozent das Netz zur Arbeit in ihren eigenen vier Wänden nützen, 69 Prozent haben einen Zugang zum Netz von daheim [dagegen nur 47 Prozent aus dem Unternehmen und 21 Prozent aus der Schule]. In den USA wird von einem Boom bei den RentnerInnen berichtet. Mit wachsender Ausdehnung der Netzanschlüsse auf die Gesamtbevölkerung wächst das Durchschnittsalter langsam an [Anfang 1966 36 Jahre], was auch durch den höheren Frauenanteil von 35 Prozent bestätigt wird. Das Durchschnittseinkommen der Internetter liegt mit 61.500 $ bei den gut Verdienenden, worauf auch die hohe Beteiligungsrate von Personen weißer Hautfarbe von 83% hinweist. Es ist zu erwarten, daß in Zukunft das Durchschnittseinkommen fallen, der Frauenanteil und das Durchschnittsalter weiter steigen werden.

Unterschiedliche Resultate, die den früheren Verhältnissen in den USA entsprechen, finden sich in der Bundesrepublik Deutschland [für jeweils neue Umfrageergebnisse siehe http://www.w3b.de]. 1996 stellten Schüler [5.8%], Studenten [29.8%], Doktoranden [5.1%] und Beamte [3.9%] in Summe fast 45 Prozent der Internetklientel, die Angestellten machten 36 Prozent aus. Die Selbständigen waren mit 13 Prozent vertreten. Der Zugang erfolgte mit 45 Prozent über die Universität bzw. die Schule, mit 38 Prozent über den Arbeitgeber. Der private Zugang lag mit 17 Prozent noch ziemlich niedrig. Die übliche Aussage, daß das Internet vor allem von Menschen mit hohem Bildungsstand genützt wird, zeigt sich auch in der deutschen Umfrage: 78.4 Prozent der Nutzer besaßen 1996 das Abitur. Die Geschlechterrelation ist immer noch zugunsten der Männer verzerrt, jedoch mit abnehmender Tendenz [BRD: 1995 94%, 1996 91% Männeranteil]. In der BRD stieg das Durchschnittalter erst von 29 Jahren[1995] auf 30 Jahre [1996].

Von einem universellen Zugang, wie er beim Fernsehen und auch weitgehend beim Telefon vorliegt, ist also beim Internet in der BRD und in Österreich noch keine Rede.

Auch im Weltmaßstab zeigen sich beachtliche Disparitäten. Die Hauptaktivität elektronischer Vernetzung findet sich innerhalb der großen amerikanischen Metropolen, gefolgt von den europäischen und japanischen Großstädten und deren Querverbindungen. Afrika und Lateinamerika stellen beinahe weiße Flecken auf der Weltkarte dar. McLuhans Schlagwort vom "Globalen Dorf" [McLuhan 1995] wird daher noch einige Zeit auf seine Realisierung warten müssen [in den USA leben Anfang 1996 nur 10 Prozent der Netznutzer auf dem Lande, die Mehrheit befindet sich in den Städten oder in deren unmittelbarer Umgebung].
HÖHERE BILDUNG ODER SENKUNG DER ANFORDERUNGEN?
Selbst wenn die Kosten fallen und die Benutzerfreundlichkeit wesentlich verbessert wird, bleibt die Bildungsbarriere immer noch ein Selektionsfaktor, durch den die hochqualifizierten, jungen und begüterten Menschen dieser Erde bevorzugt werden. Für die weitere Ausdehnung der Netznutzung zeichnen sich zwei Wege ab, die einander nicht ausschließen. Der erste besteht in einer Senkung der qualifikatorischen Anforderungen beim Gebrauch der Netztechnologien, der zweite umgekehrt in der Vermittlung höherer Qualifikationen an weite Kreise der Bevölkerung. Auf dem ersten Weg lägen etwa Strategien, die den Ausbau von Breitbandnetzwerken in Verbindung mit Kompressionstechnologien anstreben, oder, als eine weitere Möglichkeit, die Entwicklung einer Software für einfachen und sicheren Geldtransfer in Kombination mit robusten und simplen Such- und Bestellmöglichkeiten im Netz. Einerseits würde das Netz durch das Angebot von Video-on-Demand oder interaktiver Virtueller Realität [die elektronisch vermittelte Begegnung von Menschen in virtuellen Räumen, die dreidimensionale Navigation ermöglichen, etwa mittels einer 3D-Brille oder einem Head Mounted Display] an das Unterhaltungsangebot des Fernsehens angeglichen, andererseits würde es dem massenhaften elektronischen Handel geöffnet. Der erste Weg könnte also die Nachfrage nach Netzdiensten stark ausdehnen.

Unterhaltung und Kommerz sind aber nicht die einzigen möglichen Faktoren zur Ausweitung der Netznutzung. Die zweite Strategie, die von einer Erhöhung der Qualifikation der Bevölkerung ausgeht, hätte den zusätzlichen Vorteil, daß sie die Springquellen des Reichtums und der Kultur zu verstärktem Fließen anregen würde. Der Phantasie sind in dieser Hinsicht keine Grenzen gesetzt. Ich denke dabei nicht nur an die Erhöhung der beruflichen Qualifikation [die vor allem der Wirtschaft dient], sondern an den guten alten Bildungsbegriff, der enge Kontakte zur Humanität unterhielt. Gerade in einer Zeit, wo die Vereinzelung der Individuen verstärkt als empirisches Phänomen auftritt, wo von erhöhter Konkurrenz und von zunehmender Entsolidarisierung die Rede ist, wären Bildungsmaßnahmen von besonderer Bedeutung. Sie könnten mithelfen, ein Klima zu schaffen, das sich durch Toleranz, Kooperation, durch harmonisch und friedlich gestaltete zwischenmenschliche Beziehungen auszeichnet, in der Neugier und Kreativität stimuliert werden. Auf dieser Basis ließen sich die neuen elektronischen Räume, die uns von der Technik her geöffnet wurden, der Cyberspace und die Hypertexte, die Multi-User-Dungeons und die Internet-Relay-Chats, das Multimediaangebot und Video-on-Demand, human gestalten und mit menschenwürdigen Inhalten füllen, nicht zuletzt auch zum kommerziellen Vorteil der Unternehmen und zum Vorteil der gesamten Gesellschaft in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung, ohne Pogrome oder Kriege.

Die Erfüllung der hier genannten Anforderungen an Infrastruktur, Zugänglichkeit und Qualifikation bildet ein Minimalpaket als Voraussetzung für eine humane Informationsgesellschaft. Allerdings ist Vorsicht angebracht. Auch der beste infrastrukturelle Rahmen bietet keine Garantie dafür, daß sich nicht negative Züge in den Vordergrund drängen. Zentrale Überwachung, autoritäre Regierungen, rassistische Gesetzgebung – alles ist auch im Prinzip mit den modernsten Netzen möglich. Erst eine menschenfreundliche Gesellschaftspolitik auf einer möglichst breiten internationalen Basis wird die technischen Strukturen so nutzbar machen, daß sie zum Glück der Menschen positiv beitragen.
WOHER KOMMT DIE FASZINATION?
Bisher habe ich eine Sicht gewählt, die vor allem das rationale Verhalten der Menschen berücksichtigt. Reicht aber eine solche Sicht hin? Gerät einer auf logischen Überlegungen der Menschen fußenden Annäherung an die Welt nicht der Bereich der Emotionen, der Sehnsüchte und Hoffnungen, aus dem Blickfeld? Ist mit diesen von des Gedankens Blässe angekränkelten Sätzen schon alles gesagt? Die mediale Umgebung spricht eine andere Sprache: Euphorisch greifen die Massenmedien die ersten Schritte der Realisierung des Hyperspace mit Wortschöpfungen wie Information-Highway, Datenautobahn, Tele-Working,Tele-Shopping oder Tele-Banking auf. Die Faszination der Massenmedien wie des Publikums durch dieses Thema ist meiner Meinung nach nicht allein mit ökonomischen oder politischen Motiven zu erklären. Ich vermute hinter der Faszination an den elektronischen Netzen eine kulturhistorische Triebkraft, die trotz aller modernen Wissenschaft aus dem christlich geprägten mythischen Bewußtsein der entwickelten Welt in Verbindung mit einem Persönlichkeitstypus, der narzistischen Persönlichkeit, gespeist wird. Diese Triebkraft konkretisiert sich in einer Zeit, in der sich die menschliche Gesellschaft auf diesem Planeten in einer bestandsgefährdenden Krise befindet und daher für Veränderung [aber auch für Polarisierungen] zugänglicher wird als zuvor. Die Selbstfreisetzung der Menschen aus den tatsächlichen und gedachten Abhängigkeiten erreicht eine neue Stufe. Unser Überleben wird nicht nur durch den Erfolg der traditionellen industriellen mechanischen, chemischen und elektrischen Technologien gefährdet. Heute steht die Identität des Menschen in zweierlei Hinsicht konkret zur Debatte, einerseits durch die Gentechnologie, die an der naturwüchsigen biologischen Ausstattung der Menschen rührt, andererseits durch neue Informationstechnologien, die Stellung und Selbstwertgefühl der Menschen als einzige lebende Wesen mit Intelligenz und Denken zu hinterfragen beginnen.

Angesichts dieser Probleme werden Wünsche, die bisher keine Realisierungschance hatten, mit allen Illusionen, die damit auch hochkommen, an die Oberfläche der Gesellschaft gespült und in der Praxis wirksam. Ein Prozeß der Umsetzung religiöser Phantasie in den menschlichen Alltag setzt sich fort, der mit der Erscheinung des Marktes und des Geldes seinen Ausgang nahm. Das jüngste Gericht wird zur Gegenwart im Markt, die Guten werden belohnt, die Bösen bestraft. Im Geld steigt die göttliche Macht, die laut Feuerbach [Erstausgabe 1841, zitiert aus 1957: 371] das menschliche Wesen, laut Marx und Engels [1845, zitiert aus 1971: 27] das gesellschaftliche Wesen der Menschen in phantastischer Weise zum Ausdruck bringt, auf die Erde herab und wohnt unter uns. Jeder kann daher ein Stückchen Göttlichkeit, sprich, das Potential menschlicher Tätigkeit, über Arbeit aktualisierbar, in der Geldbörse mit sich herumtragen. Der Cyberspace und die elektronischen Netze bedienen weitere Vorstellungen von den Eigenschaften Gottes: Die der Allwissenheit und der Allgegenwart. Damit geht – in aller zu berücksichtigenden Ambivalenz – das Wort der Schlange aus dem Ersten Buch Moses in Erfüllung, die den Menschen im Paradies verheißen hat: "Ihr werdet sein wie Gott!" [1. Mose 3.5]. Leider sind noch immer nicht alle Eigenschaften Gottes auf die Erde herabgefallen. Immer noch fehlen Weisheit, Barmherzigkeit und Liebe.


CONSUME: Newsletter 3/1995, vol. 107, Vienna July 1995
EGE, B., AND P. FLEISSNER: Gehört die Zukunft den Satelliten?. In: Hernsteiner, Fachzeitschrift für Management, No. 4, 1995: 26–27
FABIANEK, B., K. FITCHEW, ST. MYKEN, A. HOUGHTON: Optical Network Research and Development in European Community Programs: From RACE to ACTS. In: IEEE Communications Magazine, April 1997: 50–56
FEUERBACH, L.: Das Wesen des Christentums, Reclam, Leipzig 1957
FLEISSNER, P., W. HOFKIRCHNER, H. MÜLLER, M. POHL, CH. STARY: Der Mensch lebt nicht vom Bit allein, Peter Lang, Frankfurt am Main etc. 1996
FLICHY, P.: Tele-Geschichte der modernen Telekommunikation, Campus Verlag, Frankfurt/New York, Éditions de la Fondation Maison des Sciences de l'Homme, Paris 1996
LENIN, W. I., Bericht über die Tätigkeit des Rats der Volkskommissare, 22. Dezember 1920, in: Lenin, W. I., Werke, Band 31, Dietz Verlag, Berlin 1962: 483–515
MCLUHAN, M., B. R. POWERS, The Global Village: Transformations in World Life and Media in the 21st Century, Oxford: University Press, 1989
MARX, K., ENGELS, F.: Selected works, Progress Verlag, Moscow 1971