www.aec.at  
Ars Electronica 1997
Festival-Website 1997
Back to:
Festival 1979-2007
 

 

Humanistic Intelligence


'Steve Mann Steve Mann

Einer der grundlegenden Unterschiede zwischen freien demokratischen Gesellschaften und totalitären Systemen liegt in der Tatsache, daß im Falle einer totalitären Regierung [bzw. jeder anderen totalitären Organisation] das Regime für sich Verschwiegenheit und Geheimhaltung in Anspruch nimmt, während alle anderen Gruppen strenger Überwachung und Offenlegung unterworfen sind, wohingegen in der bürgerlichen Kultur einer liberalen Demokratie mehr oder weniger das genaue Gegenteil der Fall ist.

Simon Davies [über die massive Kampagne, die in Australien 1987 gegen die Einführung eines nationalen Personalausweises gestartet wurde]


EINLEITUNG
Als "Lösung" für das Problem der ständig zunehmenden Kriminalität wird uns nur zu oft eine verstärkte Überwachung präsentiert, anstatt das Übel an der Wurzel zu packen, also etwa gegen den Bindungsverlust innerhalb der Gemeinschaft vorzugehen.

Viele Menschen meinen, daß die Gewalt in den Städten – wie auch andere Formen von Verbrechen – dazu geführt hat, daß die Anwendung etwa von Überwachungsmaßnahmen drastisch ausgeweitet werden muß. Derartige Maßnahmen, die von großen Organisationen unterstützt werden, bedrohen jedoch den Fortbestand einer freien und demokratischen Gesellschaft.

So hat sich z. B. herausgestellt, daß die Anzahl der schweren Gewaltverbrechen in New York City zurückgegangen ist. Dieser Rückgang ist allerdings großteils auf die Beschneidung der Freiheiten der Bürger zurückzuführen. Das Recht der Behörden, stichprobenartig Untersuchungen durchzuführen und ohne jegliche Formalitäten in die Wohnungen der Bürger einzudringen, wie auch insbesondere eine verstärkte Überwachung haben eine neue Weltordnung eingeleitet, die auf "Recht und Ordnung" basiert.

Die jüngste Zunahme von Überwachungskameras, die mit Hochgeschwindigkeitscomputern und zentralen Datenbanken verbunden sind, führt uns in Richtung eines Hochgeschwindigkeits-"Überwachungs-Superhighways".

In manchen Städten [wie Liverpool und Baltimore] werden Kameras im gesamten Stadtgebiet eingesetzt, um die Bürger in allen öffentlichen Räumen zu überwachen.

Die Architekten dieses "Überwachungs-Superhighways" versprechen uns, daß es durch den Einsatz weiterer einseitiger Überwachungsmethoden, wie das Abnehmen der Fingerabdrücke von Sozialhilfeempfängern und den Einsatz von Durchleuchtungsgeräten zum "Schutz von Gebäuden vor Diebstählen durch Angestellte" und zur "verdeckten polizeilichen Durchsuchung von Menschenmassen auf Waffen" dienen [Nowhere to Hide von Joe Constance, http://www.ingersoll-rand.com/compair/ octnov96/radar.htm], künftig weniger Kriminalität geben wird, während sie für uns zugleich eine Zukunft entwerfen, in der sie selbst immer weniger Verantwortung für ihr Tun übernehmen müssen.

Die Stadt ist zu einem angsteinflößenden Ort geworden, und ohnehin bereits drastische "Lösungen" werden noch weiter verschärft, um ein Gleichgewicht mit den "drastischen Problemen" herzustellen. Ein Ziel meiner Arbeit besteht nun darin, beide Seiten dieses Gleichgewichts zu hinterfragen, von denen offensichtlich jede für die Eskalation der jeweils anderen verantwortlich ist.

Es ist möglicherweise wahr, daß es in Organisationen mit totalitärer Videoüberwachung weniger Gewaltverbrechen gibt. Und unter totalitärer Videoüberwachung verstehe ich, daß das Videosignal nur von einer auserwählten Gruppe empfangen werden kann, die anderen den Zugang zu derartigen Videoüberwachungssystemen untersagt und sich dadurch weigert, ihnen gegenüber Rechenschaft abzulegen.

Das extremste Beispiel für eine totalitäre Videoüberwachung ist möglicherweise ein von der Mafia betriebenes Spielcasino [das Casino will alles über jeden einzelnen Spieler wissen, aber keinerlei Einzelheiten über sich selbst preisgeben]. Man würde in einer derartigen Organisation kaum mit unverhohlener physischer Gewalt rechnen, es kann jedoch zum gelegentlichen "Verschwinden" von Personen kommen, die der Organisation nicht zu Gesicht stehen.

Auch viele Kaufhäuser setzen umfangreiche Videoüberwachungssysteme ein, verbieten es aber gleichzeitig anderen, in ihren Räumlichkeiten Kameras zu verwenden. Ich will nun mit meiner Arbeit einen technologischen Rahmen für die Hinterfragung derartiger Beschränkungen schaffen.

Eine von oben nach unten strukturierte panoptikonartige Überwachungshierarchie läßt Jeremy Benthams Philosophie wahr werden. Der einstige Gemeinschaftsgeist, der sowohl in den engmaschigen Gemeinschaften als auch in den moderneren "nachbarschaftliche Wachgemeinschaften" bestand [und z. B. durch das Vertrauen in andere Mitglieder der Gemeinschaft zum Ausdruck kam], wurde durch das absolute Vertrauen in die Regierung, große Firmen oder andere – dem unsichtbaren Wächter in Benthams Wachturm vergleichbare – unsichtbare Autoritäten abgelöst.

Ein wichtiges Ziel meiner Arbeit besteht darin, eine Grundlage zu schaffen, die ich "Humanistische Intelligenz" [H. I.] nenne und die als Basis für das existentielle Prinzip der Selbstbestimmung und der Lenkung unseres eigenen Schicksals wie auch des humanistischen Begriffs der Selbstverwirklichung dienen soll.

Die "Humanistische Intelligenz" unterscheidet sich von der Künstlichen Intelligenz dadurch, daß das Ziel eher darin besteht, durch eine Art von Prothesen intelligent zu werden, als durch intelligente Maschinen ersetzt oder seiner Privilegien beraubt zu werden. Damit hinterfragt die H. I. den Begriff der intelligenten Umgebung und der allgegenwärtigen Überwachung. Anstelle von "intelligenten Räumen", "intelligenten Fußböden", "intelligenten Plafonds", "intelligenten Toiletten", "intelligenten Lichtschaltern" etc. konzentriert sich die H. I. auf den Begriff des "intelligenten Menschen".

Ein wichtiges Ziel der H. I. besteht darin, einen ersten Schritt in Richtung des höchsten Prinzips der Aufklärung, dem Grundsatz der Würde des einzelnen, zu unternehmen. Ermöglicht wird dies durch eine prothetische Transformation des Körpers in einen souveränen Raum.
ÄLTERE UND NEUERE ARBEITEN
Ich habe eine Reihe von reflektionistischen und diffusionistischen Performances geschaffen, um den Begriff der totalitären Überwachung in Frage zu stellen und den Begriff einer höheren und unanzweifelbaren Autorität zu hinterfragen und zu appropriieren 1978-96, von Steve Mann, 1996].

Im folgenden beschreibe ich Experimente und Performances, die ich realisiert und bewußt bis an die Grenzen getrieben habe, um [a] einen bestimmten Punkt zu illustrieren und [b] Reaktionen und Beobachtungen direkt miterleben zu können. Der durchschnittliche Leser würde wahrscheinlich nicht bis an diese Grenzen gehen wollen, doch auch subtilere Varianten dieser Experimente und Performances können noch dazu dienen, ähnliche Einblicke oder Reaktionen zu erhalten.
MY MANAGER: EXTERNALISIERUNG DES ORTS DER KONTROLLE
Mit "Externalisierung des Orts der Kontrolle" spreche ich das Phänomen an, das man erlebt, wenn man z. B. am Kundendienstschalter eines Kaufhauses steht. Der bzw. die Angestellte verfügt zu seiner/ihrer Unterstützung über verschiedene Medien und kann z. B. die Entscheidung [möglicherweise auch nur scheinbar] an eine externe Einheit, wie z. B. ein Telefon [das zu einer anderen Einheit gehört, die sich am anderen Ende des Kommunikationskanals befindet], einen Monitor oder andere Medien delegieren, zu denen wir keinen Zugang haben. In diesem Sinne kann der/die Angestellte, falls er/sie das will, sich der Verantwortung für seine/ihre Handlungen einfach entziehen.

Insbesondere durch den Einsatz zentralisierter Computersysteme wurde eine neue Ära dieser Form der Externalisierung eingeleitet. So könnte uns der/die Angestellte im Kaufhaus – möglicherweise nicht ganz aufrichtig – sagen: "Ich kann Ihre Reklamation nicht bearbeiten, der Computer läßt sie mich nicht eingeben." Der/die Angestellte hätte oftmals durchaus die Möglichkeit, unserem Wunsch nachzukommen, zieht es aber vor, einer höheren und nicht hinterfragbaren Autorität unterworfen zu sein bzw. macht uns das zumindest weis. So wird der Kunde in eine untergebene Position gedrängt und weiß nicht, ob der/die Angestellte nach seinem/ ihrem eigenen Willen oder aber nach dem Willen einer höheren Autorität handelt, die von Ihnen als Kunde nicht zu hinterfragen ist.

Dieselbe Taktik wird oft von Gebrauchtwagenhändlern angewandt, die Ihnen beispielsweise sagen: "Ich würde Ihnen den Wagen wirklich gern für $ 2.000 geben, aber ich muß das mit meinem Chef besprechen". Daraufhin verschwinden sie für einige Minuten in einem Hinterzimmer, trinken in aller Ruhe eine Tasse Kaffee – allein, wohlgemerkt – und tauchen schließlich auf, um Ihnen zu erklären: "Mein Chef ist leider nicht damit einverstanden, daß ich Ihnen den Wagen zu so einem günstigen Preis überlasse …".

Eine meiner Performances mit dem Titel My Manager war ein reflektionistisches Werk, in dem ich versucht habe, mir dieselbe Art von unterstützender Infrastruktur zu schaffen. Das erreichte ich durch die Konstruktion verschiedener Formen eines persönlichen Informationsraums, der einen Computer in einem Rucksack umfaßte, der mit einem über einem oder beiden Augen (1) angebrachten Display mit einer Funkfernschreiberschnittstelle verbunden war, welche wiederum die Verbindung zu einem räumlich entfernten "Manager" herstellte.

So trug ich in meiner Kleidung eine unterstützende Infrastruktur mit mir herum, dank derer man nicht mehr eindeutig feststellen konnte, ob meine Gedanken etc. meine eigenen oder die einer räumlich entfernten Einheit waren.

Mein Gerät unterschied sich wesentlich von einem Zweiweg-Funkgerät, bei dem es für jeden Außenstehenden erkennbar ist, wann der Apparat in Verwendung ist. Die Laptops, die sich dann in den achtziger Jahren entwickelten, konnten die Uneindeutigkeit und die Ungewißheit, die mein ursprüngliches Gerät hervorgerufen hatte, noch immer nicht erzielen.

My Manager war mein Versuch, zur Aufklärung zurückzufinden und die Souveränität des Individuums durch die Illusion seiner Subversion zu erklären. Im Geiste der situationistischen Tradition habe ich ein "détournement" meiner eigenen Subversion geschaffen.
PAINFUL DISCONNECT
In einer weiteren Performance von My Manager kann ein räumlich entfernter Agent meiner Wahl im Sinne von Stelarc auch meinen Körper fernsteuern, so daß ich mich weiter einer Autorität unterwerfen kann, die in meinem eigenen Interesse handelt, für andere jedoch weder zugänglich noch hinterfragbar ist.

Ich habe auch die Option, mir bei jeder Trennung vom Internet ein "elektrisches Korrektursignal" [durch einen Hochspannungsaufwärtstransformator, der mit dem in meiner Kleidung montierten Computer verbunden ist] geben zu lassen. Wenn mich jemand auffordern würde, einen Aufzug zu betreten, so könnte ich ehrlich antworten, daß mir das große Schmerzen zufügen würde.

In diesem Sinne würde jemand, der mich dazu zwingt, eine Umgebung zu betreten, in der ich den Funkkontakt mit der potentiellen Außeninstanz verliere, eine Handlung setzen, die einer Folter gleichkommt.

Da die Folter als Menschenrechtsverletzung angesehen wird, besteht das Ziel dieser Performance darin, aufzuzeigen, daß eine Trennung wider Willen ebenfalls als Menschenrechtsverletzung betrachtet werden sollte.

Painful Disconnect realisiert den Gedanken, daß die Verweigerung des Rechts auf Selbstüberwachung durch Freunde und Familienangehörige gleichbedeutend mit möglicher Folter oder anderweitiger Mißhandlung ist.
NECESSIFICATION
Aufgrund des langfristigen Anpassungsprozesses, den ich in Zusammenhang mit der Verwendung dieses Geräts durchgemacht habe [z. B. durch die Tatsache, daß ich es viele Jahre lang getragen habe], ist es schließlich soweit gekommen, daß ich mich nun auf dieses Gerät verlasse, um richtig zu sehen, und daß es für mich in gewisser Weise eine visuelle Prothese geworden ist [Eudaemonic Eye, http://wearcam.org/chi97.html].

Für mich auch deshalb absolut notwendig, daß ich dieses Gerät trage, weil es zusätzlich der Überwachung meiner Gesundheit dient, also sozusagen ein Gesundheitswächter ist. Und deshalb stellt für mich die Aufforderung, es zu entfernen, den ersten Schritt in Richtung Stolper- bzw. Sturzgefahr [d. h. Verletzungsgefahr] dar. Doch ein Entfernen des Gerätes hieße sogar, mein Leben in Gefahr zu bringen, weil dann ein Gesundheitswächter fehlte, der, falls mein Herz Anzeichen vorzeitiger Fehlfunktionen o. ä. zeigt, ärztliche Hilfe rufen könnte.
THE PERSONAL SAFETY DEVICE / DIE PERSÖNLICHE SICHERHEITSVORRICHTUNG
Zusätzlich übernimmt die H. I. im Bereich der persönlichen Sicherheit auch eine Schutz- und Verteidigungsfunktion. So kann ich beispielsweise meinen derzeitigen Aufenthaltsort einer oder mehreren Personen meiner Wahl entweder automatisch mittels einer GPS-tauglichen Funkfernschreiberschnittstelle oder über eine direkte Eingabevorrichtung [z. B. eine Reihe von Schaltern, die in meinen Gürtel oder in meine Kleidung integriert sind] mitteilen.

Verschiedene sensorische Geräte, die ich in meine Kleidung integriert habe, führen sowohl an mir als auch an meiner Umgebung Messungen durch. Diese sensorischen Apparate umfassen ein 24.360 GHz-Radargerät, ein 10.250 GHz-Radargerät, Videokameras, Mikrophone, ein Infrarotsichtsystem sowie eine Vielzahl von Sensoren, die Messungen an meinem eigenen Körper durchführen, wie meine Herzfrequenz [EKG], meine Schrittfrequenz [Wandler in meinen Schuhen] etc. messen.

Mit Hilfe intelligenter Signalverarbeitung läßt sich ein automatisiertes persönliches Sicherheitssystem entwickeln. Der Input der verschiedenen Sensoren bildet einen charakteristischen Vektor, der von den in meine Kleidung integrierten Schaltkreisen verarbeitet werden kann [z. B. 133 MHz 586er Prozessor, der unter dem Betriebssystem Linux 2.0 läuft, sowie verschiedene zweckspezifische DSP-Hardware, Prozessoren der Serie TMS320 etc.].

Als Beispiel für die Einsatzmöglichkeiten intelligenter Signalverarbeitung in einer Schutzvorrichtung brauchen Sie sich nur vorzustellen, was passiert, wenn Ihnen ein Angreifer entgegentritt, der in der Hand eine abgesägte Schrotflinte schwingt und Geld von Ihnen verlangt. In einer derartigen Situation steigt die Herzfrequenz des Opfers wahrscheinlich stark an, doch gleichzeitig kommt es zu einem unerklärlichen Rückgang der Schrittfrequenz [der darauf zurückzuführen ist, daß der Angreifer sein Opfer dazu auffordert, stehenzubleiben und eine Brieftasche oder ähnliches herauszugeben].

Nehmen wir nun den Quotienten aus Herzfrequenz und Schrittfrequenz. Man kann sich ohne weiteres vorstellen, daß dieser Quotient – über eine bestimmte Zeitdauer hinweg registriert – grobe Hinweise auf das Vorliegen einer Notsituation liefern könnte. Ich habe tatsächlich höher entwickelte intelligente Signalverarbeitungsalgorithmen erarbeitet, die z. B. Situationsbewußtsein umfassen.
ELECTRIC FEEL SENSING: DIE SYNTHETISCHE SYNÄSTHESIE DES SECHSTEN UND SIEBENTEN SINNES
Ein weiteres Beispiel für intelligente Signalverarbeitung umfaßt ein Radarsystem, das ich in meine Kleidung integriert habe, um "fühlen" zu können, wenn sich jemand von hinten an mich heranschleicht. Das Radarsystem errichtet ein elektromagnetisches Fernfeld-Wellenmuster, dessen demodulierter Doppler-Output verarbeitet wird und dazu dient, an meinen Körper angeschlossene vibrotaktile Wandler zu betätigen. Wenn also jemand hinter mir herschleicht, kann ich fühlen, wie er sich an meinen Körper "preßt", obwohl er sich noch in einiger Entfernung befindet. Je näher er kommt, umso stärker fühle ich dieses "Pressen" gegen meinen Körper. Bei einem Abstand von 20 oder 30 Metern ist das Gefühl noch sehr schwach, bei zehn Metern ist es bereits deutlich stärker, und wenn die Person so nahe ist, daß sie mich von hinten erstechen könnte, ist das Gefühl dermaßen stark, daß es schwierig zu ignorieren wäre.

Diese Art von Benutzerschnittstelle ist intuitiv, da sie so konzipiert ist, daß sie zwischen mir und meiner Umwelt ein eins-zu-eins Verhältnis herstellt. Wenn beispielsweise jemand von links hinten auf mich zukommt, kann ich das "Pressen" an der linken Seite meines Rückens spüren, und rechts wäre es genau umgekehrt.

Derartige Systeme verleihen mir zusätzliche Sinne [wie z. B. Radar, Sonar etc.], die über die normalen fünf Sinne hinausgehen. Um diese zusätzlichen Sinne jedoch wahrnehmen zu können, ordne ich sie den normalen fünf Sinnen zu, und diese Zuordnung nenne ich "synthetische Synästhesie".

Diese Zuordnung braucht allerdings nicht eins-zu-eins zu erfolgen. So ordne ich z. B. das Radarsystem häufig mehr als einem meiner fünf Sinne zu. Bei meiner Lieblingszuordnung wird eine rückwärts blickende Kamera mittels Radar zugeschaltet.

Die intelligente Signalverarbeitung kann nämlich so eingesetzt werden, daß sie auswählt, in welchem Ausmaß die rückwärts blickende Kamera miteinbezogen wird, anstatt sie nur einfach einzuschalten. Ich habe beispielsweise ein Radarsystem konzipiert, das sowohl über phasengleiche als auch über gegenphasige Komponenten verfügt. So können die Signale verarbeitet werden, um festzustellen, ob Objekte sich auf mich zu oder von mir weg bewegen. Von besonderem Interesse sind dabei jene Objekte, die sich mir von hinten nähern, da die meisten Objekte, die sich hinter mir befinden [wie z. B. der Boden, geparkte Fahrzeuge oder unbewegliche Objekte] sich relativ gesehen von mir entfernen.

Jener Anteil des Doppler-Spektrums, der den sich mir nähernden Objekten entspricht, kann zur Erstellung eines Auffälligkeitsindex miteinbezogen werden. Dieser Auffälligkeitsindex ähnelt dem oben beschriebenen Quotienten aus Herzfrequenz und Schrittfrequenz insofern, als diese beiden Auffälligkeitsindizes versuchen, mir oder dem für mich die Verarbeitung übernehmenden Agenten anzuzeigen, welches Maß an Aufmerksamkeit einem anderen Instrument des Situationsbewußtseins zukommen sollte.

Im Falle des Radarsystems kann der Auffälligkeitsindex für die Steuerung eines Videomixers verwendet werden, der wiederum steuert, in welchem Ausmaß sich meine Aufmerksamkeit auf die nach hinten blickende Kamera konzentriert. Das von der rückwärts gerichteten Kamera produzierte Bild wird meinem Auge seitenverkehrt und auf dem Kopf stehend geliefert [d. h. die Kamera ist verkehrt montiert, und jeder Rasterpunkt wird mit Hilfe eines Schaltkreises vertikal gespiegelt], so daß ich den Eindruck habe, die von hinter mir kommenden Lichtstrahlen würden meinen Hinterkopf, meine Netzhaut und dann das Sehzentrum meines Auges durchdringen. So erhält man ein System, das den Gesetzen der projektiven Geometrie folgt und das Auge neu definiert – als Mittel, das ein von einem einzigen Punkt im Raum ausgehendes Bündel von Lichtstrahlen einfängt und dieses Strahlenbündel auf eine einzige Bildebene projiziert. Und diese Bildebene mache ich auf dem Minicomputerbildschirm sichtbar, den ich in meine Brille eingebaut habe.

Mit dem visuellen Auffälligkeitsindex des Radars in der Kontrollschleife kann die Lichtstärke der von hinter mir kommenden Strahlen so moduliert werden, daß es dem Maß an Aufmerksamkeit entspricht, das der verarbeitende Agent für angemessen hält.
SAFETYNET
Sobald ein Streßsignal festgestellt wird [entweder durch intelligente Signalverarbeitungseinheiten oder manuell durch mich selbst], kann über einen Kommunikationskanal eine Verbindung mit Freunden und Verwandten, die zuvor in meine persönliche Sicherheitsliste eingegeben wurden, hergestellt werden. Über diesen Kommunikationskanal werden Live-Videoaufnahmen sowie andere Informationen über meine Umgebung an entfernte Orte in Ländern auf der ganzen Welt übertragen und dort aufgezeichnet, so daß sie von einem potentiellen Angreifer nicht vernichtet werden können.

Um eine große Anzahl möglicher Fehlalarme zu vermeiden, verständigt das System nicht die Polizei oder andere Behörden, sondern Mitglieder meines SafetyNet – eines Netzwerks von Freunden und Verwandten, von denen sich jeder um die Sicherheit des anderen kümmert. Dieser Ansatz für die persönliche Sicherheit läßt sich mit einem hohen Grad konstanter Connectivity mit anderen kombinieren, z. B. durch ein ständig offenes UNIX-Funkfernschreiber-"Talk"-Window, ständig zugängliche Videokonferenzen aus der Perspektive der ersten Person [beispielsweise von einer tragbaren Videokamera aus] etc.

Diese Art von persönlicher Sicherheitsvorrichtung kann auch vor Polizeibrutalität und verschiedenen anderen Formen von Menschenrechtsverletzungen schützen.
DIE SUBVERSION DES PANOPTIKONS MIT HILFE EINER TRAGBAREN DRAHTLOSEN WEBCAM
Dank der durch die moderne Technologie möglich gewordenen Miniaturisierung sind gewöhnliche Kameras heute wesentlich kleiner. Doch eines haben sie mit ihren Vorgängern noch immer gemeinsam: Jeder bemerkt sofort, wenn sie verwendet werden, da man die Kamera ja an das Auge führen, durchsehen usw. muß, und dieses Verwendungsmuster wird einen Angreifer wahrscheinlich rot sehen lassen. Im Falle von Polizeibrutalität könnte die Polizei z. B. versuchen, Fotos und ähnliche Aufnahmen zu verbieten bzw. diejenigen einzuschüchtern, die die Übergriffe dokumentieren wollen.

Eine weitere Schwäche der heutigen Kameratechnologie liegt in der lokalen Speicherung von Bildern oder Videoaufnahmen, d. h. diejenigen, die die Übergriffe begehen, können das Speichermedium [also den Film, die Videokassette, die Speicherkarte, die Diskette o. ä.] an sich bringen, indem sie behaupten, daß sie es als "Beweisstück" benötigen, während sie es in Wahrheit vermutlich vernichten wollen.

Ich habe eine "personal imaging"-Anwendung entwickelt, mit deren Hilfe man Videoaufnahmen aus der Perspektive der ersten Person erhalten kann [Wearable Computing: A First Step Toward Personal Imaging, IEEE Computer, Vol 30, No. 2, http:// computer.org/pubs/computer/1997/0297toc.html]. Diese Videoaufnahmen sind Teil meines persönlichen Informationsraums und deshalb anderen über eine drahtlose Internet-Verbindung zugänglich. Das bedeutet also, daß jeder, der Zugang zum Internet hat, diese Bilder sehen und auch eine aktive Rolle in der Verbreitung zahlloser Kopien der Bilder in Ländern auf der ganzen Welt spielen kann, so daß ein Angreifer oder jemand, der sich einer Menschenrechtsverletzung schuldig gemacht hat, diese Bilder nicht vernichten könnte. Sogar wenn man mich unter Druck setzt, könnten die Bilder nicht zerstört werden, da ich nicht weiß, wie viele Kopien jedes Bildes bzw. jeder Videosequenz es gibt und in welchen Ländern diese Aufnahmen angesehen, archiviert und gespeichert werden.

Es ist ein Prinzip der totalitären Videoüberwachung, daß nur die Wächter Zugang zu jenem privilegierten Überblick haben, den Videokameras ermöglichen. Ein wichtiges Ziel meiner Performance bestand nun darin, diese Situation mehr oder weniger umzukehren, d. h. mein "personal imaging"-System war ein erster Schritt zur Unterminierung der totalitären Überwachung, indem Videoaufnahmen [zumindest meine eigenen] jedem einzelnen zugänglich gemacht werden. Später baute ich größere Gemeinschaften von Menschen auf, die Kameras trugen, um einer großen Anzahl von Personen vielfältige Bildströme zugänglich zu machen. In jüngster Zeit habe ich aufgrund der Entwicklung des World Wide Web aus meinem Apparat einfach eine "WebCam" gemacht, so daß er jetzt noch einfacher zu verwenden ist und weiter zur Subversion des Panoptikons beiträgt. Meine Kamera ["WearCam" – die Kurzform für "Wearable Camera", tragbare Kamera] ist so plaziert, daß es einem Angreifer nicht möglich ist festzustellen, ob gerade Aufnahmen gemacht werden oder nicht. Dies läßt sich dadurch erreichen, daß die Kamera stets eingeschaltet ist, so daß sie in gewisser Weise als eine Art visuelle Prothese fungiert.
MAYBE CAMERA
Ich kann mich auch dafür entscheiden, den Ursprung der von meinem SafetyNet ermöglichten Fern-Verantwortung gar nicht zu kennen. Würde mich also jemand fragen: "Filmen Sie mich gerade?", könnte ich ihm antworten, daß ich es wirklich nicht weiß. Dieses Ablehnen der Verantwortung für Aufnahmen in Räumlichkeiten, in denen das Fotografieren verboten ist, habe ich in einer Performance mit dem Titel Firing Squad ausgelotet. Für Firing Squad habe ich eine Reihe von "Maybe Cameras" konstruiert. Wenn wir von Vertretern des Überwachungs-Superhighway befragt wurden, erklärten wir einfach: Das sind Uniformen – ein Standardthema aus Our Manager – , die wir tragen müssen, wenn wir während der Arbeitszeit Besorgungen machen.
Für die Herstellung einer "Maybe Camera" schneidet man zuerst eine Reihe kleiner Stücke [z. B. 8cm x 13cm] aus sehr dunklem Plexiglas aus [z. B. mit einer spezifischen Durchlässigkeit in der Größenordnung von 3% bis 15%]. Dann plaziert man eine Miniaturkamera mit Sender auf ein oder zwei Stücken, während man die anderen mit Platinen- und Linsenattrappen versieht. Jedes Stück wird mit Kabeln an eine 9-Volt-Batterie angeschlossen, unabhängig davon, ob es sich dabei um eine wirkliche Kamera oder um eine Attrappe handelt. Elf dieser Einheiten werden dann in schwarzes Epoxidharz gegossen, das man festwerden läßt. Auf der Außenseite jeder dieser Einheiten bohrt man nun eine Reihe von Löchern, so daß man jedes Exemplar an einem Hemd annähen kann, nachdem man ein kleines Loch für die 9-Volt-Batterie hergestellt hat, die sich innerhalb des Hemds befinden soll. Bevor man die Einheiten nun auf die Hemden näht, empfiehlt es sich, die Hemden mit folgendem Schriftzug zu bedrucken: "Zu IHRER Sicherheit kann eine Videoaufnahme von Ihnen und Ihrer Institution aufgezeichnet und fernübertragen werden.

JEDE KRIMINELLE HANDLUNG WIRD STRAFRECHTLICH VERFOLGT!!!".


DAS ZWEITE GEHIRN ALS PERSÖNLICHES TAGEBUCH: KEINE MIßACHTUNG DER JUSTIZ
Ich sehe meine Ausstattung zusammen mit dem persönlichen Informationsraum, den sie schafft, in vielerlei Weise als zweites Gehirn an – als eine wahre Prothese.

So kann ich mir sogar in Situationen, in denen ich mich bewußt dafür entscheide, Foto- oder Videoaufnahmen von einem bestimmten Vorgang zu machen, wünschen, daß diese Aufnahmen in eine Art persönliches Tagebuch aufgenommen werden, das nur "mir" zugänglich ist. [Die Definition dieses "mir" kann jene mit einschließen, die sich innerhalb meiner neu definierten körperlichen Grenze befinden, also beispielsweise andere Mitglieder meines SafetyNet.]

Es ist oft vorgekommen, daß sich Menschen sehr unwohl fühlten, wenn sie meinem zweiten Gehirn bestimmte Informationen anvertrauten, da sie befürchteten, trotz all meiner Anstrengungen, diese Informationen geheimzuhalten, könnte diese Geheimhaltung etwa im Falle einer gerichtlichen Vorladung gefährdet sein.

Selbst wenn ich diese Informationen mit einer gewöhnlichen Verschlüsselung schützen sollte, wäre ihre Sicherheit noch immer durch die Anwendung der Folter oder die Ausübung anderer Arten von Druck bedroht. So wie das erste Gehirn von der [mittlerweile fünften] Verfassung vor einer Verurteilung wegen Mißachtung des Gerichts infolge einer Aussageverweigerung [Gefahr der Selbstbelastung] geschützt wird, wollte ich ein Mittel schaffen, um auch das "zweite Gehirn" vor Selbstbelastung zu schützen.

Meine Lösung bestand darin, die Informationen mit einem Schlüssel zu codieren, der mir selbst unbekannt ist. So kann ich Materialien mit öffentlich zugänglichen Schlüsseln anderer Mitglieder meines SafetyNet verschlüsseln. Dadurch könnte mein SafetyNet erkennen, wann ich unter Druck gesetzt werde, und meine Unfähigkeit, auf mein zweites Gehirn zuzugreifen, würde in diesem Falle nicht als Mißachtung jeglicher Gewalt, der ich unterworfen sein sollte, angesehen werden.
DAS LEBEN DURCH DEN BILDSCHIRM: EIN FENSTER IN DIE ZUKUNFT
Mit diesen Performances und den neuen Erfindungen, mit deren Hilfe ich sie realisierte, wurden zahlreiche wichtige Fragen angesprochen. So war My Manager mit einer Art von persönlichem Machtgewinn verbunden, der dadurch zustande kam, daß ich fähig war, eine starke Haltung einzunehmen und jeglicher Hinterfragung meines Willens durch den Verweis auf eine [möglicherweise fiktive] höhere und nicht hinterfragbare Autorität zu begegnen, wie dies die Vertreter von Institutionen nur allzu oft tun. Doch damit ist auch die Gefahr eines Mißbrauchs, z. B. als Mittel zur Kontrolle oder zur Versklavung von Menschen, verbunden.

Die Erforschung des ferngesteuerten Körpers wirft nicht nur die Frage nach der möglichen Versklavung durch eine höhere Autorität auf, die nicht wirklich im Interesse der mit dem Kontrollgerät ausgestatteten Person tätig ist, sondern auch einige wichtige Fragen über den Sitz der Verantwortung für unsere Handlungen. In einer Zeit, in der wir uns auf eine Zukunft der vernetzten persönlichen Informationsräume zubewegen, müssen wir uns sorgfältig überlegen, wie diese Welten aufgebaut sind.

Das Ziel der Humanistischen Intelligenz, nämlich den einzelnen mit einem höheren Grad an Selbstbestimmung und größerer Fähigkeit zur Lenkung seines eigenen Schicksals auszustatten, wird gegen die Ziele des Utilitarismus und damit auch gegen den Wunsch, lediglich die Produktivität am Arbeitsplatz und den Nutzens der Menschen für die Gesellschaft zu steigern, ankämpfen müssen.

Werden wir eine Zukunft der "Cyborgs" erleben, die, als "Marionetten" an einem virtuellen Faden in ihren Arbeitszellen eingeschlossen, die Anweisungen eines allmächtigen Vorgesetzten ausführen, oder werden wir eine gesunde Gemeinschaft freier, selbstverwirklichter Bürger erleben, von denen sich jeder um die Sicherheit und das Wohlergehen des anderen kümmert?

Das ist die Frage, mit der wir uns nun sorgfältig beschäftigen müssen, da unsere "körperliche Grenze" nicht mehr mit dem Fleisch endet, sondern sich eher ausweiten und im Äther verbreiten wird.

Mein Dank gebührt all jenen Menschen in meiner Umgebung, die meine Denkweise beeinflußt haben: Rosalind Picard, Hiroshi Ishii, Krzysztof Wodiczko, William Mitchell, Obed Torres, Thad Starner, Olivier Faugeras, Kent Nickerson, Simon Haykin und viele andere. Ich möchte auch Chris Dodge danken, der diesen Essay vorab gelesen und einige wichtige Verbesserungsvorschläge gemacht hat.

(1)
Ich bezeichnete diese Erfindung als "Personal Computer", obgleich dieser Ausdruck in den letzten Jahren die Bedeutung "Desktop-Computer" angenommen hat. So wurde mein Gerät im Laufe der Jahre als "humanistischer Computer", "existentieller Computer", "eudämonischer Computer", "tragbarer Computer" u. ä. bezeichnet.zurück