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Triangles. Dreiecke und der Digitalschleier


'Matt Gorbet Matt Gorbet / 'Maggie Orth Maggie Orth

"Das", sagte sie …
…" ist ein Cyhnk, oder?" Sie deutete mit dem Kopf in Richtung der aus Stein gemeißelten Qualle …
"Wann hast du erfahren", fragte Alsrod, "daß der Cyhnk nicht überall im Universum dieselbe Bedeutung hat?"


Samuel Delaney,
Stars in my Pockets like Grains of Sand
Aus vereinzelten Überzeugungen und Ansätzen bringt jeder von uns in jedes Artefakt, das Teil unserer äußeren Welt ist, eine innere Welt ein; dadurch werden die Objekte mit veränderlichen Bedeutungen und Funktionen erfüllt. In ihrer praktischen Verwendung zeichnen sich Werkzeuge durch ein einfaches Eins-zu-Eins-Verhältnis von Ursache und Wirkung aus: Der Hammer schlägt den Nagel ein. Aber stellen Sie einen Computer zwischen den Hammer und den Nagel, dann ändert sich diese Beziehung. Es entsteht ein Softwareschleier, und wenn man mit dem Hammer zuschlägt, ertönt möglicherweise Musik. Doch Gegenstände wie unser Hammer haben auch symbolische oder magische Funktionen und Bedeutungen. Diese symbolische Bedeutung besitzt bereits einen derartigen Schleier. Konfrontieren Sie die Welt mit einem Symbol, und der eine wird Bewunderung empfinden, der andere Ironie. Wenn man aber nun einen Computer zwischen das Symbol und die Welt stellt – welche Rolle hat dann die Softwareschicht, der Digitalschleier?

Mikroprozessoren [kleinste programmierbare Computerchips] verlassen unsere Computer und finden Eingang in Tausende Gegenstände unseres täglichen Lebens, die dadurch einen digitalen Schleier erhalten. Wir sind umgeben von digital gesteuerten Objekten, deren Funktion mit einer Bitsequenz verändert werden kann. Objekte wie Fernsteuerungen und Pager haben – wie eine byzantinische Kirche – ein seltsam nichtssagendes Äußeres, das ihrer Aufgabe überhaupt nicht zu entsprechen scheint. Die Hagia Sophia zum Beispiel ist von den Straßen Istanbuls aus praktisch unsichtbar. Um sie den wechselnden Religionen des Reichs anzupassen, wurde ihr durch Änderung ihres internen Codes, ihrer Mosaike, immer wieder eine neue Bedeutung verliehen. Genauso kann auch ein Bitstring die Bedeutung eines Objekts verändern, indem er die Information verändert, die dieses Objekt enthält, kontrolliert oder anzeigt. Diese digitale DNS kann auf ein Individuum oder eine Gruppe reagieren und dieses bzw. diese reflektieren. Sie kann durch materiellen Output, Licht, Klänge und Bewegungen die persönlichen Bedeutungen ändern, die wir Gegenständen zuschreiben. Sie kann auch die magische Funktion eines Gegenstands in Frage stellen und neu definieren.

Unsere Anordnung von Dreiecken ist eine strukturierte Ansammlung programmierbaren Materials mit programmierbarer Bedeutung, die mit einer einzigen Bitsequenz geändert werden kann. Jedes einzelne Dreieck ist mikroprozessorgesteuert und verfügt über eine eigene Identität. Jedes dieser Dreiecke kann mit den anderen kommunizieren, sie erkennen und unterscheiden, es kann auf die Anwesenheit der anderen reagieren und seine eigene zeitliche und räumliche Position in bezug auf die anderen definieren. Ein Computer vermittelt diese Informationen, und wenn das System neu angeordnet wird, wird die genaue Topologie und Geschichte des einzelnen Dreiecks vom Computer erschlossen, gespeichert und upgedatet. Doch die mimetische Speicherung des Zustands des Dreiecksystems ist nicht das Ziel, sondern eher ein Werkzeug. Denn jedes Dreieck ist ein unbeschriebenes Blatt, ein Behältnis für Bilder oder Zeichen, und eine Neuanordnung der Dreiecke bedeutet auch eine Neuanordnung der Bedeutung des Systems. Wenn die Dreiecke von einem Spieler zusammengesetzt werden, schafft der Kontext jedes einzelnen Bildes und seine Beziehung zu den Nachbarn wie in einer Abfolge von Hieroglyphen eine neue Bedeutung innerhalb des Systems und generiert einen neuen Output. Die mimetische Kenntnis des Systems wird von höherstufiger Software genutzt, um Anordnungen und Ereignisse im Rahmen des Systems zu interpretieren.

Die Dreiecke verlassen unsere bildbezogene Geschichte und spiegeln die Möglichkeiten der digitalen Information wieder, indem sie vom Quadrat abgehen. Einfach erklärt, bedeuten drei Seiten eine sich verzweigende Struktur mit einem Output und zwei Inputs oder mit zwei Outputs und einem Input. Die Dreiecke unterliegen nicht der Schwerkraft und erzeugen auch keine einfache Textzeile, sondern Schleifen, umgekehrte Bilder und Verzweigungen. Die Anzahl der möglichen eindeutigen Kombinationen eines Satzes von Dreiecken ist sowohl beängstigend als auch eine gewaltige Herausforderung. Vier Dreiecke können mehr als 1.600 eindeutige Zustände einnehmen; bei sechs Dreiecken sind es mehr als 500.000. Die miteinander verbundenen Elemente lassen auch Objekte mit Form und Gestalt – Oberfläche oder Kontext für Bilder und Symbole – entstehen. Die Elemente sind Mosaiksteinchen, die sowohl eine Geschichte erzählen als auch ihren eigenen physischen Kontext konstruieren. Und so wie die Form eines Altarbildes, einer Palette oder eines rechteckigen Gemäldes zur Bedeutung der darauf gemalten Symbole beiträgt, so kann auch die Form der Objekte, die aus den dreieckigen Elementen aufgebaut sind, zur Bedeutung der kombinierten Symbole beitragen.

Man nimmt an, daß die Sumerer die Sprache auf der Grundlage von Verträgen entwickelten, die aus winzigen, die gehandelten Waren darstellenden Tonfiguren bestanden, die in Tonbehältern steckten. Schließlich begannen die Händler, für jede Figur ein Symbol auf die Außenseite des Behälters zu drücken. Aus diesen Zeichen entwickelten sich dann Buchstaben und im Laufe der Zeit eine Sprache. Objekte mit Selbstkenntnis und programmierbarer Bedeutung fordern eine neue Sprache mit neuen Interpretationsweisen und einer neuen Syntax. Und die Software, die Verbindungen oder Beziehungen zwischen derartigen Objekten interpretieren und deren Inhalt steuern kann, erfordert die Entwicklung eines veränderlichen Inhalts, über den wir derzeit noch nicht verfügen.

Bisher beruhten die meisten technologischen Schnittstellen auf der Vergangenheit und verwendeten uns vertraute Modelle der Informationsorganisation als Metaphern zum Verständnis der digitalen Information. Rein physisch sind Tastatur und Monitor Überbleibsel von Fernsehgeräten und Schreibmaschinen und somit Technologien der Vergangenheit. Die Metapher des Schreibtischs spiegelt eigentlich die vergangenen Systeme der Informationsorganisation mit Akten und Ordnern wieder. Diese Systeme helfen den "Usern", sich an die Technologie anzupassen, indem diese in einer vertrauten Vergangenheit verankert wird. Systeme wie die Dreiecke sind keine Metaphern der Vergangenheit, sondern phantastische Vorschläge für die Zukunft. Die Dreieckselemente sind zutiefst in diese Phantasie – in einem Streben nach Transzendenz durch Technologie – und in die formale Abstraktion der digitalen Information eingebettet. Doch zugleich postulieren sie kein Ideal, sondern sind ein Forschungsinstrument. Sie sind ein Werkzeug zum Verständnis und zur Entwicklung einer neuen Sprache mit programmierbarer Bedeutung, die überall dort möglich ist, wo ein Objekt über den Digitalschleier verfügt.