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PRoPs: Am Hauptplatz sind die Avatare los!


'Eric Paulos Eric Paulos / 'John Canny John Canny

Mit etwas mehr Einfühlungsvermögen hätte Baron Frankenstein ahnen können, daß sein Geschöpf das Bedürfnis haben würde, aus dem Labor zu entkommen. Als fühlendes Wesen mußte es sich zwangsläufig weiterentwickeln und neue Umgebungen entdecken. Es tat also nur, wozu es vorprogrammiert war – allerdings nicht von Frankenstein, sondern durch das weitaus intelligentere Design seines genetischen und memetischen Rohmaterials.

Avatare sind das menschliche Lebenserhaltungssystem in der Welt der Bits. Sie ermöglichen uns, Entfernungen zu überbrücken, neue Identitäten anzunehmen und in verschiedenen Sozialräumen wirkliche Arbeit zu verrichten. In ihrer eigenen Umgebung sind sie eine sehr erfolgreiche Art. Es war klar, daß sie früher oder später aus dem Cyberspace entfliehen würden. PRoPs stellen die Weiterentwicklung der Avatare in Hardware dar, und dergestalt bevölkern Avatare die Plätze und Cafés der realen Welt. Ein PRoP ist eine "Persönliche Robotische Präsenz", ein Teleroboter, der über das Internet von einem menschlichen Piloten gesteuert wird und diesem an einem externen Ort als rudimentärer materieller Körper dient. PRoPs sind nicht aus Fleisch und Blut, aber sie leben in unserer Welt.

Bei Bedarf bieten sie uns alternative Körper, durch die wir die Welt erleben können. Ebenso wie die Avatare dienen sie der Koordination von Zusammenarbeit über große Entfernungen hinweg. Man kann sie in ebenso gräßlichen Formen und Farbkombinationen produzieren, nur lassen sie sich nicht länger im Inneren von Maschinen festhalten. Sie erweitern den Handlungsradius von Internetbenutzern weit über das Netz in die Welt hinaus und können auch weit weg vom Computer ihres Piloten auftauchen. Sie sind steuerbare Kameras mit Rädern, Schienen und Propellern und werden jede Chance nützen, um aus dem Computerraum zu entwischen.

Ein Hauptgrund für die Entwicklung der Telerobotik lag in den natürlichen Grenzen der menschlichen Haut. Auf unserem Weg vom Atomzeitalter ins Weltraumzeitalter haben wir erkannt, daß der Rüstung Grenzen gesetzt sind und Fernsteuerung billiger und sicherer ist. In seinen Suspension Events hat der australische Künstler Stelarc auf die Verletzbarkeit der menschlichen Haut hingewiesen. Vor kurzem ist er mit seiner Ping Body-Serie in das Steuerungssystem des Körpers eingedrungen. Für Stelarc ist dieses gewaltsame Eindringen Symbol für das, was dem Körper in unserer modernen Zeit zugemutet wird. Er schließt daraus, daß der Körper diesen Anforderungen nicht wirklich gewachsen und daher "überholt" ist. So wurde Stelarc zu einem der ersten Anwender der Cyborg-Technologie [sein Dritter Arm].

Ein anderer Zweig der Telerobotik ist die Kunst des Werkzeugmachens. Mit Tele-Chirurgie und Tele-Diagnose hat ein räumlich von seinem Patienten getrennter Chirurg erstaunliche Instrumente in der Hand. Statt mit Rippenklammern werden die Organe des Patienten durch Bildaufbereitung und Simulation freigelegt. Projekte wie Telegarden [Ars Electronica Festival 96] und Legal Tender [SIGGRAPH '96] verwenden Gartengeräte bzw. Prüfinstrumente für Währungen und stellen sie der Internet-Gemeinde zur Verfügung. Außerdem verwickeln sie den Besucher in einen Dialog über reale Objekte an realen, aber weiter entfernten Orten. PRoPs stellen eine telerobotische Version des Puppenspiels dar. Sie sind auf soziale Aufgaben spezialisiert und lassen sich bestenfalls so geschickt handhaben wie eine Marionette. Dennoch bieten sie dem Piloten/Puppenspieler zahlreiche Möglichkeiten der Selbstdarstellung. In der Tele-Arbeit ist dies gewiß ihre wichtigste Funktion.

Wir befassen uns nun seit etwa drei Jahren mit der Herstellung von PRoPs. Der Pilot eines PRoP sitzt irgendwo im Netz an einem normalen PC, und der PRoP sendet ihm über das Netz ein Live-Video. Der PRoP ist mit einem Zweiweg-Audio-System ausgestattet, über das der Pilot mit Personen sprechen kann, die sich in der Nähe des PRoP aufhalten. Unsere neuesten PRoPs haben rudimentäre Seh- und Gestikulierfähigkeiten. Man könnte sie als mobile Video-Konferenz-Systeme beschreiben, aber sie darauf zu reduzieren, würde gerade ihre interessantesten Aspekte verhüllen. Und um diesen kleinen Unterschied geht es in unserer Forschung. Wir suchen eine Antwort auf die Frage: "Was ist der Unterschied zwischen bloßer Kommunikation und tatsächlicher Anwesenheit?" Dieselbe Frage stellen sich auch diejenigen, die sich mit dem Studium von Online-Gemeinschaften befassen. Was PRoPs betrifft, so ist der Unterschied besonders kraß, da wir es, abgesehen vom Teleroboter, mit sozialer Interaktion zwischen Menschen in einer vertrauten menschlichen Umgebung zu tun haben. Im Cyberspace quält uns der Zweifel, ob nicht allein schon durch die Wahl der digitalen Darstellungsform ein subtiler Aspekt menschlicher Interaktion verlorengegangen ist.

Wenn man sich für einen geeigneten Körperform für PRoPs entscheiden muß, fällt es schwer, der Versuchung des Fliegens zu widerstehen. Unsere ersten PRoPs waren allesamt kleine Hallen-Luftschiffe, sogenannte Blimps. In der Größe, nicht aber in ihrer Haltung, glichen sie einem großen Menschen. Sie fliegen frei, durch Batterieantrieb und Funksteuerung, und kleine Elektromotoren und Propeller sorgen für die nötige Schubkraft. Inzwischen sind sie auch mit einem Echolot zur Höhenkontrolle und einem elektronischen Kompaß zur Steuerung ausgestattet und relativ einfach über das Mainstream-Internet zu steuern. Wir nannten diese Geräte "Space Browser", denn offensichtlich stellten sie die Weiterentwicklung von WWW- und VRML-Browsern hin zu Werkzeugen dar, mit denen man sich im physikalischen Raum bewegen kann. Sie eigneten sich besonders dazu, sich durch Galerien und andere große Räume zu bewegen, und ist der Raum hoch genug, so können sie dem Piloten in der Tat neue Perspektiven vermitteln.

Wir hätten PRoPs auch weiterhin mit übermenschlichen Fähigkeiten wie der des Fliegens ausstatten können, hätte sich nicht in unserer Forschungsarbeit ein abrupter Richtungswechsel ergeben. Wir entdeckten, daß das Interessanteste an diesen Blimps ihre sozialen Fähigkeiten waren. Sie ermöglichten es einem, umherzustreifen, sich umzusehen, zufällig jemanden zu treffen, und sie zogen Aufmerksamkeit auf sich. Als Flugschiffe waren sie aber für solche Aufgaben nicht wirklich ideal. Übermenschliche Fähigkeiten eignen sich wunderbar für übermenschliche Aufgaben; aber wenn Superman zur Arbeit fliegt, hat er keine Möglichkeit, mit Kollegen, die sich zu Lande fortbewegen, zu kommunizieren oder gemeinsame Erfahrungen zu machen. Blimps und Menschen existieren nicht in ein- und demselben Medium. Erdenbewohner sind von Natur aus im Ruhezustand. Blimps sind von Natur aus ständig in Bewegung. Zum zwischenmenschlichen Erfahrungsaustausch eignet sich ein bodenständiger PRoP besser.

Unsere neueste PRoP-Generation bewegt sich daher am Boden. Am besten beschreibt man sie als Stangengestalten mit mobiler Basis und einer steuerbaren Kamera in Kopfhöhe. Unsere ersten gestikulierenden PRoPs besitzen einen kleinen, zweidimensional steuerbaren Laser-Zeiger. Mit diesem Zeiger kann der Pilot auf Objekte in der realen Welt zeigen und Gesten vollführen, die ausschließlich auf reiner Bewegung basieren [es gibt keine Hände, die Handzeichen machen könnten]. Derzeit sind wir nicht daran interessiert, androide Roboter zu bauen. PRoPs können viele nützliche soziale Eigenschaften haben, ohne auch nur im entferntesten menschlich auszusehen. Wenn wir einem PRoP erfolgreich eine soziale Fähigkeit einpflanzen können, ohne das Medium Mensch zu kopieren, so haben wir schon etwas Wichtiges über diese Fähigkeit gelernt. Anthropomorphismus erzeugt hohe Erwartungen, die diese Roboter oft nicht erfüllen können. Und was noch schlimmer ist: Eine anthropomorphe Erscheinung vermittelt Gefühle und eine Gemütsverfassung, die mit denen des Piloten nichts zu tun haben, außer, er hat sie perfekt unter Kontrolle. Eine derartige Kontrolle ist äußerst kompliziert und subtil und steht derzeit noch nicht auf unserer Tagesordnung.

Wie jede Projektion auf der Basis digitaler Medien schneiden auch PRoPs im Vergleich zum lebenden Menschen recht armselig ab. Um die Erfahrung körperlicher Präsenz nachdrücklich zu beschreiben, benutzen wir oft die Formulierung "in Fleisch und Blut". Fleisch ist unsere ursprüngliche Schnittstelle zur Welt. Es dient als gewaltiger Sensor für Wärme, Feuchtigkeit, Oberflächenbeschaffenheit, Druck und Form. Es gibt zahlreiche Barrieren auf dem Weg von der PRoP-Präsenz zur wirklichen Präsenz, und eine der unüberwindbaren Barrieren ist die "Fleisch-Barriere". Auf dieses Faktum reagieren wir, indem wir trotzdem weitermachen. Menschen sind souveräne Medienbenutzer, auch wenn es sich um "armselige" Medien handelt. Ganz besonders in der elektronischen Kommunikation mit anderen Menschen benutzen wir all unsere kreativen Fähigkeiten, unsere Improvisationsgabe, um uns in den anderen Raum zu projizieren. Das Medium selbst wird dabei zur Nebensache; was wirklich real ist, ist das Zusammentreffen einzelner Individuen.

Aufgabe unserer Forschungen ist es herauszufinden, was PRoP-Benutzer tun und ausdrücken wollen, und diese Handlungen zu erfassen und zu transportieren. Für uns als Wissenschaftler besteht die Herausforderung darin, dem instinktiven Impuls zum Benennen und Eingrenzen einer Handlung [Was bedeutet sie?] zu widerstehen. Statt dessen müssen wir Konnotationen suchen [Was könnte es bedeuten?] und uns bemühen, jede einzelne davon zu bewahren.

Unsere PRoP-Ausstellungsstücke sind sowohl Flug- als auch Boden-Teleroboter. Das unterschiedliche Design gibt Auskunft darüber, wie viel [oder wie wenig] von der Präsenz ihres Piloten in den fernen Raum projiziert wird. Computerbenutzer im Design-Center, Linz, oder direkt im Internet werden sie steuern und sich so mit Besuchern, die zu Fuß im Zentrum unterwegs sind, unterhalten können. Die Blimp-PRoPs werden kaum zu übersehen sein, die Stangengestalten schon eher. Ihre Oberfläche ist auffällig unorganisch, denn sie sind aus Polyurethan und anderen Kunststoffen. Schließlich haben sie sich erst vor kurzem aus Pixmap-Werten entwickelt. In Wirklichkeit sind auch sie ganz einfach Besucher des Ars Electronica Festival, ebenso auf Entdeckungsreise wie Sie, ebenso fasziniert von ungewöhnlichen und neuen Perspektiven. Sie werden sehen, Sie haben eine ganze Menge gemeinsam.