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World Skin
Eine Fotosafari ins Land des Kriegs

'Jean-Baptiste Barrière Jean-Baptiste Barrière / 'Maurice Benayoun Maurice Benayoun

Mit Fotoapparaten bewaffnet bewegen wir uns durch einen dreidimensionalen Raum. Die Landschaft vor unseren Augen ist vom Krieg gezeichnet. Zerstörte Gebäude, bewaffnete Männer, Panzer, Kanonen, Trümmerhaufen, Verwundete, Verstümmelte. Diese Zusammenstellung von Fotos und Nachrichtenbildern von verschiedenen Kriegsschauplätzen stellt ein von stummer Gewalt erfülltes Universum dar. Der Sound gibt den Ton einer Welt wieder, in der Atmen gleichbedeutend mit Leiden ist. Kaum Effekte. Man fühlt, daß unsere Anwesenheit als Besucher dieses chaotische Gleichgewicht stören könnte. Doch gerade unser Eingreifen wird den Schmerz wachrütteln. Wir fotografieren, und das Fotografieren ist hier eine Waffe der Auslöschung.

Das Land des Kriegs hat keine Grenzen. Wie so viele Touristen besuchen wir es mit der Kamera in der Hand. Jeder kann Bilder aufnehmen, einen Augenblick dieser mit dem Tode ringenden Welt einfangen. Was er aufnimmt, existiert für niemanden mehr. Jedes fotografierte Fragment verschwindet von der Bildfläche und wird durch eine schwarze Silhouette ersetzt. Mit jeder Aufnahme wird ein Teil der Welt ausgelöscht. Jedes aufgenommene Bild wird ausgedruckt. Sobald ein Bild auf Papier ausgedruckt ist, ist es auf dem Projektionsschirm nicht mehr zu sehen. Zurück bleibt nur sein gespenstischer Schatten, der je nach Blickwinkel verteilt ist und Fragmente zukünftiger Fotografien verdeckt. Je weiter wir in dieses Universum vordringen, umso stärker wird uns sein unendlicher Charakter bewußt, und die chaotischen Elemente erneuern sich, sobald wir sie wiederentdecken, setzen sich in einer Tragödie ohne Ende wieder anders zusammen.

Ich fotografiere. Durch meine Handlung – zuerst Aggression, dann das Vergnügen des Teilens – reiße ich der Welt die Haut vom Leibe. Diese Haut wird zu einer Trophäe, und mein Ruhm wächst mit dem Verschwinden der Welt.

Das Eintauchen in den Krieg ist hier ein Eintauchen in das Bild, aber auch ein Schauspiel. In der Ordnung der Ereignisse, die die persönliche Geschichte charakterisieren, ist der Krieg ein besonderer Vorfall, der die tiefsten Abgründe der Menschheit enthüllt. Er trägt zur Verdinglichung des anderen bei. Das Aufnehmen der Bilder enteignet die Intimität des Schmerzes und legt zugleich Zeugnis von ihm ab.

Worum es hier geht, ist der Stellenwert des Bildes bei unserer Inbesitznahme der Welt. Die ungeschminktesten und brutalsten Realitäten werden in unserer Wahrnehmung auf eine emotionale Oberfläche reduziert. Die Aneignung, die Bewertung, das Verständnis der Welt stellen ein Einfangen dar. Einfangen bedeutet, sich etwas zu eigen zu machen, und was einmal in Besitz genommen wurde, kann niemand mehr nehmen.

Im Englischen sagt man: "shot", "shooting", im Französischen "prise de vues". Schießen/ Nehmen. Bei einem materiellen Träger kommt das "Nehmen" einem Mitnehmen gleich. Die Fotografie fängt das von der Welt reflektierte Licht ein. Sie stellt ein individuelles Einfangen und Ordnen dar. Das Bild wird dem Sucher angepaßt.

Das Bild neutralisiert den Inhalt. Die Medien bringen alles auf ein und dieselbe Ebene. Das physische Gedächtnis, das Papier [beispielsweise], ist die Tür, die einer gewissen Art von Vergessen offensteht. Wir stellen das "Objektiv" zwischen uns und die Welt. Wir schützen uns vor der Verpflichtung zum Handeln.

Man "nimmt" das Bild auf, und die Welt "bietet" sich als Schauspiel dar. Die Welt und die Zerstörung stellen die bevorzugte Bühne für dieses Theater dar. Die Tragödie als Schauspiel der Natur in Aktion.

Die Lebenden sind die Touristen des Todes. Wenn die Kunst ein ernstes Spiel ist, so trifft dies auch auf den Krieg zu. Der Krieg ist ein Spiel, das den Körper als unendlich wiederholte Frage nach der Reduktion des Seins auf seine bloße Hülle einsetzt.

Die gedruckte Spur ist das Pendant zum Vergessen. Das "gute Gewissen" steht im Widerspruch zum "guten Gedächtnis". Man weiß, was man behält, doch man weiß nicht, was man aus seinem Gedächtnis streicht. Der Zuschauer/Tourist trägt hier zu einer Verstärkung der tragischen Dimension des Schauspiels bei. Ohne ihn bliebe diese Welt ihrem Schmerz überlassen. Er rüttelt diesen Schmerz wach, enthüllt ihn. Durch die Medien wird der Krieg zu einer öffentlichen Bühne – in dem Sinne, in dem man von einer "öffentlichen Frau" spricht – und auf dieser obszönen Bühne gibt sich der Schmerz zu erkennen, wird jeder mit Haut und Haar verschlungen.

Der Anblick des Verwundeten ruft uns das Bild des Menschen als zerlegbares Gebilde ins Gedächtnis. Mehr oder weniger Materie. Die Logik der Materie behält die Oberhand über die Logik des Geistes, das bedrohte Bindemittel der sozialen Gefüge.

Der Krieg ist ein gefährliches interaktives Gemeinschaftswerk. Die interaktive Schöpfung spielt mit diesem Chaos, in dem der Einsatz des Körpers eine relative Verwundbarkeit nahelegt. Die Welt fällt dem Blick zum Opfer, und jeder ist an ihrem Verschwinden beteiligt. Die kollektive Enthüllung wird zum persönlichen Vergnügen, zum Objekt einer fetischistischen Befriedigung. Ich behalte für mich, was ich gesehen habe [bzw. die Spuren dessen, was ich gesehen habe]. Eine gedruckte Spur zu besitzen, das Bild zu besitzen – darin besteht das Paradoxon des Virtuellen, das sich besser an die Glorifizierung des Vergänglichen anpaßt. Das Klangmaterial ist dazu da, um uns dieses Eintauchen über die Bilderspiele hinaus als reale Beteiligung an dem Drama erleben zu lassen. Fernab von den Videospielen, die uns in leidenschaftliche Kämpfer verwandeln, enthüllt hier der Klang die wahre Natur offensichtlich harmloser Gesten und will eher ein Erleben als ein Verständnis vermitteln. Manche Dinge kann man nicht teilen. Dazu gehören der Schmerz und das Bild unserer Erinnerung. Die zu erforschenden Welten können uns diese Dinge näherbringen, aber immer nur als Metaphern und nie als Simulakrum.