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Ars Electronica 1997
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Festival 1979-2007
 

 

Architettura della Separazione
Interaktive Klang- und Videoinstallation & Theaterperformance "Scanning Bacchae"

'Isabella Bordoni Isabella Bordoni / 'Roberto Paci Dalò Roberto Paci Dalò / 'Giardini Pensili Giardini Pensili

DIE INSTALLATION
Architettura della Separazione ist eine interaktive Klang- und Lichtinstallation in der Linzer Schiffswerft. Computer- und sensorgesteuerte Klang- und Lichtanlagen werden im Raum installiert, und im selben Ambiente finden auch Aufführungen der auf Euripides' Bakchen basierenden Theaterperformance Scanning Bacchae statt.

Parallel dazu wird auf dem Ars-Electronica-Server eine Web-Site erstellt, Rundfunkübertragungen sind geplant. Architettura della Separazione wurde speziell für das Ars Electronica Festival entworfen.

Das Projekt versteht sich als themenspezifischer Beitrag zum diesjährigen Festival, da es mit der Erzeugung von Ambienten in der physikalischen Welt und im elektronischen Raum befaßt ist, in die sich auch die "Schnittstelle Mensch" einschalten kann. All diese Umgebungen dienen als Laboratorium, und die Web-Site wird nach dem Festival als On-going-Project weitergeführt.

Der im Rahmen des Projekts erforschte Bereich läßt sich an folgenden Schlüsselwörten festmachen: heterotopy, city, body, scanning, sampling, broadcasting, border. Architettura della Separazione ist eine Umgebung, die auf die Praxis des Hörens ausgerichtet ist. Im Mittelpunkt des Projekts steht die Stadt selbst, die in einem Zusammenspiel akustischer, räumlicher, historischer, geographischer, politischer und städtebaulicher Studien analysiert wird.

Als sinnbildlicher Raum für diese Erforschung wurde das Areal der VOEST-Alpine gewählt. Als Stadt innerhalb der Stadt, als einzigartiges Beispiel für einen autonomen Ballungsraum innerhalb eines historisch als "Linz" definierten Ortes stellt die VOEST-Alpine als Raum eine Abweichung dar. Die Theorie des Projekts steht denn auch in direkter Beziehung zu den Werken des italienischen Philosophen Giorgio Agamben, der – insbesondere in Homo sacer – die Begriffe Souveränität und Abweichung untersucht. Eine perfekt realisierte und noch in Betrieb befindliche Heterotopie [einzigartig in Europa], Teil des Traumes von der industriellen Kultur, derzeit in dynamischer Beziehung zum digitalen Linz.

Architettura della Separazione resultiert also aus einer Reihe von in Linz durchgeführten Scan- und Sampling-Aktivitäten und ist als Weiterentwicklung früherer interaktiver Großinstallationen wie Locus [1994] und Teatro dell'ascolto [Theater des Hörens, 1995] zu verstehen. In diesen Projekten führten dramaturgische und narrative Vorstellungen die verwendeten Technologien auf eine Reise in die Tiefen der Erinnerung an gelebte Räume, im Wechselspiel zwischen Erinnerung und Vergessen und im Bewußtsein jener leeren und diskutierbaren Räume, die zwischen dem Wirklichen, dem Mutmaßlichen und dem Möglichen existieren.

Hier ist die Stadt jene komplexe Maschine, die den Informationsfluß beherbergt und verändert, die einen Korpus beherbergt, dessen Teilkörper bedrängt und überwacht werden. Die Stadtlandschaft ist hier zugleich Ort der Heimat und der Fremde, ein Grenzort, der sich unablässig offenbart und dabei – in der Regel – über geographische und politische Kodizes verfügt, welche provisorisch und parteiisch sind. Sieht man die Stadt als Symbol des Werdens, so wäre das Wohnen die ursprüngliche Form des Aufenthalts an einem Ort. Das wiederum hieße, die Gliederung eines Gebietes als minimale Übertragung eines Körpers auf einen anderen Körper aufzufassen.

Architettura della Separazione durchdringt alles, was auch Körper durchdringen, und teilt mit diesen die Unbeständigkeit und zugleich Vielfalt der Perspektiven und Visionen. Sie fordert, erzeugt und verherrlicht einen Körper, der zu Raum wird, auf daß der Raum Fleisch wird. Die Einheit Körper ist Maßstab und Größe, Fährte und Grenze. Es sind Fährten und Grenzen, die Identität in Bewegung begründen.

Es geht also darum, die Geographie, Politik, Geschichte und nicht zuletzt die Emotionalität dieser Umgebung zu "bewohnen". Dies geschieht zugleich durch die Aufführung einer Performance, die insbesondere auf Theorie und Praxis des Scanning aufbaut, also auf dem Originaltext, auf einem vornehmlich durch digitale Technologien geschaffenen Raum, auf Klang und auf der Beziehung zwischen Orten und Körpern.
PERFORMANCE
Scanning Bacchae wird im Ambiente "Linz" aufgeführt, und die Stadt selbst liefert die Infrastruktur für die Dramaturgie. Die Installation wird also zuweilen zum digitalen Set der Performance. Für das Publikum sind diese beiden Umstände in völlig unterschiedlicher Weise erfahrbar. Einmal wird von Zeiten und Strecken ausgegangen, die der Besucher festlegt, dann wiederum von einem gegebenen Raum und einer gegebenen Zeit. Vom Standpunkt der Wahrnehmung aus handelt es sich um zwei verschiedene Modalitäten, aus denen sich eine dritte ableitet, die aus der Hybridisierung der beiden ersteren ein eigenes Kräftefeld entstehen läßt.

Der Text, der Scanning Bacchae als Quelle der Inspiration und Orientierung zugrundeliegt, sind die Bakchen von Euripides – natürlicher Ort der Bemühung, Genuß und Disziplin zu vereinbaren. Der zeitgenössische Originaltext folgt den Spuren einer Tragödie, die aufgrund des dringenden Bedürfnisses nach Identität – sei diese nun individuell, national oder territorial – durchaus modern ist. Euripides' Bakchen scheinen also Ursprung einer nicht moralischen Sichtweise, sie gewähren einen Blick auf ein Ritual, das weder rein privat noch gänzlich kollektiv ist, sondern eher mikrogemeinschaftlich – Ritual einer Geometrie der Gefühle, der Befreiung, der Unsinnigkeit, der Vergeßlichkeit.

Kräftefeld, Schlachtfeld, Sportplatz, Ritual der Körper und Verherrlichung des eigenen psychischen und physischen Mechanismus, der Wettbewerbsfähigkeitstick als geistige Dressur analog zum körperlichen Training.
"Was nun die eigentlichen Heterotopien anlangt: Wie kann man sie beschreiben, welchen Sinn haben sie? Man könnte eine Wissenschaft annehmen – nein, lassen wir das heruntergekommene Wort, sagen wir: eine systematische Beschreibung, deren Aufgabe in einer bestimmten Gesellschaft das Studium, die Analyse, die Beschreibung, die "Lektüre" [wie man jetzt gern sagt] dieser verschiedenen Räume, dieser anderen Orte wäre: gewissermaßen eine zugleich mythische und reale Bestreitung des Raumes, in dem wir leben; diese Beschreibung könnte Heterotopologie heißen."

Michel Foucault

"Die Heterotopie vermag an einen einzigen Ort mehrere Räume, mehrere Plazierungen zusammenzulegen, die an sich unvereinbar sind. So läßt das Theater auf dem Viereck der Bühne eine ganze Reihe von einander fremden Orten aufeinander folgen; so ist das Kino ein merkwürdiger viereckiger Saal, in dessen Hintergrund man einen zweidimensionalen Schirm einen dreidimensionalen Raum sich projizieren sieht. Aber vielleicht ist die älteste dieser Heterotopien mit widersprüchlichen Plazierungen der Garten."

Michel Foucault