www.aec.at  
Ars Electronica 1997
Festival-Website 1997
Back to:
Festival 1979-2007
 

 

Globe Theater. Ein Historienspiel für Roboter
II. Akt, 2. Szene: Nostalgie der Maschinen



Schritt für Schritt haben wir nun unsere Welt empirisch kartographiert, mit Hilfe von Instrumenten und indem wir unsere Körper auf und in ihr umherbewegten. Wir leben jetzt in einer Welt, in der Technologie den exakten Standort einzelner Individuen transparent machen kann. Wo wir sind, geht plötzlich jeden etwas an. Die Welt ist nun tatsächlich eine Bühne, ein Amphitheater, eine Welt der Welten, ein Arenatheater, eine pluralistische Armatur, die sich selbst gleichzeitig zur Schilderung und Aufführung schauspielerischer Ereignisse zur Verfügung stellt.

Unsere einzige Chance auf Anonymität und Einsamkeit besteht also scheinbar darin, uns fortwährend zu bewegen, und zwar so schnell, daß keines der von uns geschaffenen Instrumente uns registrieren kann. Der kürzeste Abstand zwischen zwei Punkten könnte heute eine gerade Linie sein, die man in Höchstgeschwindigkeit zurücklegt, und unsere einzige Möglichkeit, zwar gehört, nicht aber gesehen zu werden, die Rückkehr zum Nomadendasein.

Wie andere natürliche Wesen auf dieser Welt bewegen wir uns in dichten Gruppen fort und gehen unseren Aktivitäten in urban organisierter Betriebsamkeit nach. Jeder von uns hat seine persönliche Tagesordnung und spielt, wie Roboter es eben tun, seine Rolle als Archivist, Bibliothekar, Detektiv, Lieferant, Spion und/oder Archäologe.

In Globe Theater zieht ein ganzes Spektrum von Robotern an uns vorbei, sie tasten sich eine Karte entlang, die sie selbst erstellten, und beschreiben die Welt. Als Kreaturen erschaffen die Roboter so ihre eigene diagrammatische Niederschrift, Kodierung, Zuordnung. Die Nostalgie stolz vor sich hertragend wie ein Banner, eilen sie dahin und beschwören nicht nur das Territorium selbst herauf, wie es war und ist, sondern antizipieren ein neues: jenen geheimnisvollen Teil des Weges, der bald beschritten wird, jetzt aber noch unbekannt ist und sowohl Feuer, Wasser, Luft oder Erde sein könnte.

Indem sie Informationen und Metaphern sammeln und ihre Funde interpretieren, wird der Schauplatz, an dem diese robotischen Akteure auftauchen, zu einer Reihe von Bühnenszenen, durch die sie sich als eine Art von Projektion bewegen. Die Gruppen, die sie in der physischen Welt bilden, stellen einige unserer besten Eigenschaften zur Schau: die Neugierde und die Leidenschaft für Studium, Interpretation und Darstellung der menschlichen Geschichte. Wie die Attrappe einer Tür in einem alten ägyptischen Grabmal verdeckt und schützt die hektische Betriebsamkeit dieser eigenwilligen Charaktere und ihrer dramatischen Abenteuer einen Subtext: die politische Hingabe, mit der sie die Phantasie am Leben erhalten.

Diese kühnen Charaktere widmen sich der ideologischen Neuerkundung und Neuabbildung der Welt und bewahren, ja, vertiefen dabei all ihre Vielfalt. Sie beschränken sich dabei weder auf die flache, kreisförmige Scheibe des Mittelalters noch auf die Kugelform. Die Welt erscheint diesen Neugierdemaschinen vielmehr als Chamäleon, denn sie kann Form, Farbe und Umfang nach eigenem Willen verändern.

Die aus den Bemühungen der robotischen Wesen resultierenden Geschichten werden in der ihnen eigenen Form des Schauspiels zum Ausdruck gebracht – einer Nachahmung des mittelalterlichen Historienspiels und der Genres Detektiv- und Kriminalgeschichte, Science-Fiction, Fabel, hochgeistig-wissenschaftliche Reportage und Journalismus. Als Künstler sind nun wir die Erfinder, Archäologen und Detektive. Wie Roboter schlagen unsere Studien oft Brücken zwischen den Dingen, entfernen willkürliche Grenzen zwischen Isoliertem und Nebeneinandergestelltem. Roboter und Computer befreien uns von der Aussicht darauf, die ganze Informationslast der Welt könne uns erdrücken. Nun sind sie an der Reihe, Informationsspeicherung, -organisation und -zugriff handzuhaben, was uns hoffentlich die Freiheit läßt, neue künstlerische und philosophische Räume zu erschließen.

DIE HANDELNDEN PERSONEN: DIE ORDENSROBOTER
Der Stellvertretende Detektiv des Schiffes: Der Kühne Detektiv des Guten Schiffes Beagle
Sie: Eine Neubesetzung der Fiktiven Person von H. Rider Haggard
Visconde de Santarem (1791–1856): Kartenhistoriker, Erfinder des Begriffs »Cartographie«
Libra: Bewahrer des Friedens, Vollstrecker der Jurisprudenz
Kiru: Bibliothekar der Nebeneinanderstellung Auf Allen Ebenen
Callimachus: Dichter, Bibliothekar, Alexandrinische Bibliothek, 260 v.Chr.
Vier Projektor-Türme: Nord, Süd, Ost, West
2. AKT, II. SZENE:
CALLIMACHUS: Ein fliegender Teppich fliegt und ist so unglaublich, daß es in der Tat schwerfällt, es zu glauben.

KIRU: Camouflage Town hat ein exaktes Duplikat. In Zeiten, in denen sich der Stamm unbesiegbar fühlt, dient Camouflage Town als Köder-Schlachtfeld; beutehungrige Feinde locken sie mit Gerüchten über Schätze und Gerätschaften dorthin in den Krieg.
Aufgrund meiner Fähigkeit, der Belastung der Gegensätze zu widerstehen, bin ich verantwortlich für die Aufzeichnung archaischer Extreme. Unermüdlich erbitte ich Beiträge von jedem, der mir begegnet. Heiß/kalt, Freude/ Trauer, gutartig/tödlich, auf/ab, innen/außen. Die Ehrfurcht unseres Stammes vor Worten beeinflußt jeden Aspekt unserer Kultur. Beunruhigt durch die Tatsache, daß Worte falsch sein könnten, werden sogar gerichtliche Verfahren gänzlich in Pantomime abgewickelt. Dies gilt auch für die Nachstellung von Verbrechen für Richter und Geschworene. Die Verwendung des gesprochenen Wortes in der Rechtspraxis ist undenkbar.

LIBRA: Seit Jahrhunderten ist die Geschichte der Phantasie von Bipolarität geprägt; die Menschen hatten keine andere Möglichkeit, ihre Position zu kennen, als sie zu etwas anderem in Bezug zu setzen.

KIRU: Es gibt auch zahlreiche geschriebene Gesetze über das gesprochene Wort; ein solches Gesetz lautet, grob übersetzt, "Schwierigkeiten beginnen dann, wenn man dem Namen einer Farbe eine Eigenschaft zuspricht". Es muß festgestellt werden, ob die Eigenschaft ein wahrer Gradmesser der Farbe ist oder eine separate Qualität, die ihren eigenen Namen als Farbe verdient.In Entscheidungen über derartige Unterschiede sind wir unerbittlich.

SIE: Alle jubelten wie verrückt, als die Schleier der Frauen altmodisch wurden. Emanzipiert gingen wir alle heim und trugen die Bürde der Mode.