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Ars Electronica 1997
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Festival 1979-2007
 

 

Clone The Party!


'Heimo Ranzenbacher Heimo Ranzenbacher

HR: Das Verständnis unserer westlichen Kultur wird zunehmend geprägt durch die Begriffe immateriell, prozeßhaft, systemisch und ortlos: Kunst, will sie kulturell relevant sein, unterliegt in ihrer Begrifflichkeit diesem Verständnis. Die Neue Kunst ist gewissermaßen zu einer Organisationsform auf der Basis des kulturellen Verständnisses geworden, die dessen zentrale Begriffe radikalisiert. Wie stellt sich Eure Haltung als Künstler gegenüber diesem neuen kulturellen Bedingungsfeld dar?
B/C: Unsere Antwort auf das aktuelle kulturelle Bedingungsfeld ist der Auf- und Ausbau des TNC-Networks. Aus der vor bald zwei Jahren im Netz lancierten Media-Fiction vom Great Web Crash entstand das boomende Cyberradio Radio TNC. Dieses generierte seinerseits mittlerweile weitgehend autonomisierte Side-Projects wie das CyberMemorial oder die Headcheese-Affäre. Heute agiert die TNC-Connection als Initiatorin von Web-Shows und globalen Netzwerk-Events [Crash Party, Clone Party]. Gleichzeitig werden Consulting-Funktionen wahrgenommen, beispielsweise für den Aufbau eines Cyberchannels im Kabelnetz eines Pariser Vororts, und Produktionsaufträge in Europa und den USA ausgeführt.
HR: Wäre dieses Leistungsfeld, mit dem ihr als Künstler befaßt seid, eventuell mit "Konfigurationskunst" zu beschreiben – erläutert am Unterschied zur Kommunikationskunst, die sich grob gesagt dadurch, daß sie das telematische Environment beansprucht, um es zu thematisieren, außerhalb dieses – nämlich im herkömmlichen, durch Kunstprojekte und -werke identifizierbaren Bereich der Kunst – positioniert? Eure Arbeit hingegen gründet eher auf dem basalen Prozeß ihrer Implementierung in das telematische Environment – mit notwendigerweise systemischen Wechselwirkungen – und mündet in die Konfiguration so auch neu eröffneter Möglichkeiten. Die Kunst selbst erscheint als Projekt; und aus diesem Projekt Kunst leiten sich Kunstprojekte in einem durch es mitgestalteten neuen Umfeld ab.
B/C: Der Begriff "Networking", als eine im umfassendsten Sinn konfigurierende Aktivität im telematischen Environment, gefällt uns besser. Ein solch dynamisches Netzwerk wie die TNC-Connection entsteht nicht von alleine. Auf die Verdichtung kultureller Phänomene zu einem spannungsgeladenen Setting [der Web-Crash] folgte die Verlinkung des Know-how bzw. der Infrastruktur verschiedenster Einzelpersonen und Sub-Netze, von der international rekrutierten Guest-Crew über u. a. den französischen News-Channel France Info, den Berliner Trendsender Radio Fritz, das Ars Electronica Center, das Pariser Technologiemuseum bis hin zu HotWired. Je nach TNC-Event werden Teile dieses Basis-Networks aktiviert, neue kommen hinzu. Die Verkoppelung der verschiedenen User-Subnetze hat beispielsweise der Crash Party den entscheidenden Kick gegeben und dafür gesorgt, daß sie weit über das hippe Online-Spektakel zum kulturell relevanten Event wurde. Heute nehmen wir unsere Verantwortung im TNC-Produktions- und Kommunikationsnetz wahr, indem wir dafür sorgen, daß der eingeleitete Prozeß sich so beschleunigt weiterentwickelt, wie das Headcheese-Sample vor sich hinfault ... Wir koordinieren weiterhin einen großen Teil der Aktivitäten, wirken als Katalysatoren und Animatoren für Events wie die Clone Party und tauchen weiterhin mit einem Data-Schnorchel ausgerüstet – die Shift-Taste gedrückt – in den Whirl-Pool der immateriellen Produktion ein. In einem vernetzten Produktionsprozeß ist Multi-Tasking selbstverständlich.
HR: Entspricht Euer Selbstverständnis überhaupt noch dem üblichen Bild von der Profession des Künstlers?
B/C: "Vous n’êtes pas des organisateurs, vous êtes des artistes, merde alors!" – "Ihr habt nicht Organisatoren zu sein, sondern Künstler, verdammt nochmal!" Mit diesen Worten kommentierte 1992 ein Kurator unsere Tätigkeit, die so überhaupt nicht den gängigen Vorstellungen entsprach. Es ist klar, daß die von uns initiierten Projekte und Events, denen die radikal neuen Macht- und Verantwortungsstrukturen vernetzter Systeme zugrunde liegen, nicht mehr mit dem herkömmlichen Werk/Autor-Begriff erfaßt werden können. Im Ziel [Auf- und Ausbau der TNC-Connection] klingt das genauso an wie in den verschiedenen Funktionen, die wir dabei erfüllen. An die Stelle der Autorität des Autors über ein Werk tritt das, was wir oft mit dem Begriff "gemeinsames Prozeß- und Data-Management" umschreiben.
HR: Ihr gehört zu den ganz wenigen, die Radio als vorstrukturiertes und in der Folge strukturierendes Netz verwenden. Was bedeutet Radio für Euch allgemein und im Zusammenhang mit den TNC-spezifischen Strategien?
B/C: In den vergangenen zehn Jahren, in denen wir mit Music-, Kultur- und Infochannels produziert haben, war das Radio – wie alle herkömmlichen Medien – einem gigantischen Wandel ausgesetzt. Als wir bei Radio France 1989 die erste volldigitale Produktion realisiert haben, erschien einer der Techniker mit einem beeindruckenden Set von Sonnenbrillen, die er sich eine nach der anderen aufsetzte, um seine Augen vor dem verderblichen Bildschirmflimmern zu schützen. In den Kaffeepausen haben wir uns denn auch episch lang über seine brennenden Augen unterhalten, kaum je aber über das neu angeschaffte State-of-the-Art Harddisk-Recordingsystem. Selbst wenn die Bildschirmqualität wirklich etwas rudimentär war, signalisierte die Sonnenbrillen-Performance vor allem dies: "Was-könnte-ich-tun-damit-ich-gar-nicht-sehe-was-sich-verändert?" Wir haben in dieser Zeit die unbequeme Rolle der Ikonoklasten gespielt, den Status quo angegriffen und das Radio, d. h. unsere Produktionspartner, mit den Pattern des vor sich gehenden Wandels konfrontiert. Und wir haben die Situation genutzt, um Arbeitsformen zu propagieren, die den veränderten Produktionsbedingungen gerecht wurden, d. h. die starre, im top-down Media-Denken verankerte Trennung zwischen Techniker, Autor, Realisator, Producer etc. auflösten. Genausowenig ging es ohne Widerstand, als wir im ORF erstmals ab unserem aus Paris angeschleppten Mac Live-Sendungen fuhren oder öffentlich-rechtliche Anstalten in Netz-Events eingebunden und mit den Konzepten von vernetzten Produktionsprozessen vertraut gemacht haben. Die Tatsache, daß ihre Programme dabei erstmals live auf Internet gesendet wurden, und zwar auf den Kanälen des CyberRadios Radio TNC, hat das aus einer anderen Zeit herübergerettete Selbstverständnis in wirksamster Weise mit den neuen Realitäten konfrontiert. Radio TNC war denn auch lange eine der ganz wenigen Plattformen, auf welchen Radio mit seinen techno-ästhetischen Möglichkeiten, historischen Bedingtheiten, seinen Sachzwängen und Begrenzungen konsequent und in allen erdenklichen Kombinationen mit dem Internet gekoppelt wurde. Die dabei gesammelten Erfahrungen haben wir Ende 1996 in einer vom französischen Kommunikationsministerium in Auftrag gegebenen Studie weitergegeben.
HR: Eure Strategien bewirken die Öffnung/Auflösung des unidirektionalen Verhältnisses zwischen Sender und Empfänger zugunsten einer Dynamik, die sich im Grunde des lenkenden Zugriffs entzieht. Wird Radio als informationsgenerierendes Medium durch die Anbindung an Technologien, die es erlauben, Informationen zu prozessieren, hinfällig?
B/C: "Warum hat mein Fiat keinen Internetanschluss!?" fragte ein verzweifelter Hörer während der Crash Party völlig zu recht. Zum Glück war das Radio da, um das bedauernswerte Fiat-Tech-Defizit aufzufangen. Der TNC-Party-Channel, der auch in der Clone Party wieder eine wichtige Funktion spielen wird, wurde während der Crash Party über Internet, über Satellit und via Äther [auf den Frequenzen von Radio Fritz] verbreitet. Die Anbindung dieses bestehenden, "vorstrukturierten"Sub-Netzes an das TNC-Netz hatte in der Crash Party zum Beispiel den ganz konkreten Effekt, den Fiat-Fahrer während seiner Fahrt über die Entwicklung auf den verschiedenen Online-Party-Floors auf dem laufenden zu halten und ihn via Funktelefon in die globale Party-Schlaufe einzuschleusen. Mit anderen Worten: Die Verbindung von Radio und Internet bietet in einem entsprechend konfigurierten Setting ein hohes Innovationspotential im Spannungsfeld von ... Fiat, Push und Pull.
HR: Das aktuelle, dem TNC-Networking entstammende Projekt ist die Clone Party, von Euch als Verfeinerung und Ausbau der in der Crash Party entwickelten Produktionsmuster angekündigt. Warum "Clone"? Bezeichnet doch Cloning das Erzeugen einer erb-, sprich an Information gleichen Nachkommenschaft. Crash Party beruhte auf einer Fiktion, sowohl im Sinne einer Geschichte als auch einer Annahme, eines Denkmodells, das im Zuge seines Entwurfs zur Erforschung von Möglichkeiten zugleich seine eigene Praxis generierte. Der Crash einer Web-Site mit unmittelbaren Konsequenzen für ihre Betreiber [durch die Auflösung der Grenzen zwischen Mensch und Maschine] und eine Rettungsaktion von multimedialen Ausmaßen mit Ausformungen im "wirklichen Leben"... Ihr habt gleichsam in die Praxis überführt, was Umberto Ecos Roman Das Foucault’sche Pendel zugrunde liegt: die sukzessive Durchsetzung des Realen vom Fiktiven. Die Clone Party hingegen scheint ohne Fiktion auszukommen.
B/C: Das Setting für die Crash Party war ein sorgfältig dosierter Mix aus Cyber-Klischees, Techno-Katastrophismus und TNC-Goodies. Das Storyboard vom Great Web Crash und seinen im virtuellen Nichts verschollenen Opfern hat den elfjährigen Nerdster ebenso wie den Media-Activist reiferen Alters animiert, Inputs getriggert und die Crash Party zum immersiv-partizipativen Netzevent gemacht. Das Setting der Clone Party geht seinerseits aus von einem "Denkmodell, das im Zuge seines Entwurfs zur Erforschung von [gentechnologischen] Möglichkeiten seine eigene Praxis generiert": Ian Wilmuts epochale Reussite mit Dolly ... Wenn wir uns am 11. September 1997 zur Feier des bevorstehenden Menschen-Clonings in unsere Blue-Genes zwängen und global vernetzt den Body-Sampling-Step tanzen, ist die Interpenetration von Fiktion und Realität schon derart hochprozentig, daß sich uns random-generierten Wesen lange vor dem Hangover der Kopf dreht ...
HR: Das Schwindelgefühl als Indiz für die Erfaßtheit der Menschenkinder von der Cyber-Genese ...
B/C: Es muß genau dieses Schwindelgefühl gewesen sein, das Gerfried Stocker erfaßte, als er am Ars Electronica Festival 96 das erste CyberMemorial eröffnete. Im Online-Studio von Radio TNC sollte er mit einem scharfen Mausklick in einem feierlichen Akt die virtuelle Samtschleife durchschneiden und die mittlerweile längst legendären Worte aussprechen: "Love, peace & Radio TNC – Cyberimmortality for everybody!"Angesichts der für uns Menschenkinder schwindelerregend erhebenden Perspektive hat Gerfried Stocker die Samtschleife allerdings versehentlich schon beim Probelauf hochgefahren ...
HR: Die Clone Party wird per Online-Flyer angesagt, es gibt Live-Videos, Tele-DJing, TNC-Wavemaster sorgen für Offbeat-Cybertainment etc. Welche Bedeutung hat für Euch der Umgang mit Elementen der Popularkultur?
B/C: Im Netz mit seiner hyper-transkulturellen Ausprägung sind kompakte Identitätsangebote scharf abgegrenzter Kultursektoren sinnlos. Für uns stellt sich insofern nicht in erster Linie die Frage nach dem Umgang mit Elementen, sondern jene der Präsenz in kulturell relevanten Räumen, in denen eklektizistische, komplexe Code-Ensembles ihre Identitäten selbst entwerfen und permanent verändern.
HR: Worin besteht für Euch die Analogie zwischen dem Produkt der Gen-Ingenieurskunst, Dolly, projektiertem Menschen-Cloning und den vernetzten Existenzen? Im Cyborg? Ich meine damit nicht das fiktionale Wesen, sondern das unserer Realität nähere, das ein Hybrid aus Mensch und Maschine nur insofern ist, als es die zunehmende Obsoleszenz bestimmter Dichotomien – Mann/Frau, Natur/Kultur etc. – aufgrund apparativer Seinsweisen repräsentiert. Ein phänomenologisches Wesen.
B/C: "Was die Linzer noch Himmel nennen, nennen wir in TNC-Kreisen die Skypage. Und die Linzer Skypage ist heute erstmals seit langem wieder blau, und auch die Sonne, die darauf projiziert wird, scheint wieder ..." Die Spannungslinien, die wir im Clone Party-Setting anlegen, schneiden sich natürlich [auch] im Cyborg. Ein Begriffspaar, das uns dabei brennnend interessiert, ist Witz/Ernst. Es eignet sich beispielsweise zur Bestimmung des Human-Anteils des angesprochenen Hybrids. Veranschaulicht im exklusiven TNC-Cyborg-Test: Wenn Dich das obige Statement noch zum Lachen bringt, bist Du noch kein Cyborg ...
HR: Die mit Dolly verbundene Sensation ist nicht nur eine wissenschaftliche, sondern auch kulturell bestimmt. In Japan z. B. hat das Gen-Ingenieurswesen weit weniger ethische Implikationen als etwa eine Herzverpflanzung. Wie haltet Ihr es mit der Sache des Gen-Ingenieurswesens und der kulturspezifischen Bekundung des Pro, Kontra oder Ambivalenten in solchen Fragen angesichts aller Globalisierung? Findet Eure Haltung in der Clone Party Berücksichtigung?
B/C: Die Clone Party ist ein distribuiertes, globales Ereignis. Jeder Akteur vertritt seine/ihre kulturspezifische Sicht – es gibt Einstiegsmöglichkeiten und Kommunikationskanäle genug [das TNC-Party-Studio beim Ars Electronica Festival, der lange Online-Vorlauf, die "privaten" Party-Floors etc]. In der Crash Party wurde der Jahrestag des Great Web Crash in London wie erwartet trinkenderweise in Pubs gefeiert, während die Partygoer in Osaka – wie in Japan an Geburtstagen offenbar üblich – rot gefärbten Sekihan-Reis auftischten und in Form von dampfenden GIFs an die Party-Community verschickten ...
HR: Der Schwerpunkt der Clone Party, habt Ihr im Netz angekündigt, liege beim Interface. Interface wird als eine Möglichkeit/Organisationsform des sinnlichen Nachvollzugs eines Prozesses, der im Ortlosen initiiert wurde und erfolgt, und seiner Kulmination vor Ort angesprochen. Könnte damit der FleshFactor beschrieben werden, den das Ars Electronica Festival 97 im Sinne der Erfahrung des Individuums als Schnittstelle im Verhältnis von Technologie und ihren kulturellen Prägungen thematisiert? Dies würde auch bedeuten, daß Erfahrungen vor Ort zum prägenden Faktor des nachfolgenden Prozesses, der "globalen Party-Schlaufe", werden ... und Online-Erfahrungen bewirken?
B/C: Jeder Partygoer ist Knoten und Schnittstelle in einem hochkomplexen techno-sozialen Event und vermittelt den anderen seine/ihre subjektiven Erlebnisse als Individuum in vernetzten Erfahrungsräumen. Die aufgesplittete, zwangsläufig immer nur partielle Wahrnehmung des gesamten Events hat die Crash Partygoer sofort dazu bewegt, alle verfügbaren, zusammengeschalteten Kanäle zum Austausch von Informationen und Eindrükken zu nutzen. Ob man bei HotWired in San Francisco zu Beta Lounge’s DJ-Kicks getanzt hat, ob man alleine in seiner Wohnung mit einem Bier-Sixpack an einem CU-SeeMe-Chat teilnahm oder in der Berliner Real-World-Venue mit anderen vor dem Terminal saß und Bilddateien auf den FTP-Server uploadete: Es gab so viele Arten, diese vernetzte Form von Party zu feiern, wie es Teilnehmer gab. Oder wie ein eingefleischter IRC-User es formuliert hat: "Ich habe den ganzen Abend über das gleiche getan wie an jedem anderen Abend: chatten. Aber während der Crash Party spürte ich zum ersten Mal in meinen Fingerspitzen, was es heißt, aktiver Teil in einem globalen Net-Event zu sein."
HR: Welcher Art sind Verfeinerung und Ausbau der Features gegenüber der Crash Party?
B/C: Der lange Online-Vorlauf der Clone Party wird zur allgemeinen Verfeinerung des Interface-Design genutzt, damit jeder Partygoer die erwähnte Schnittstellenfunktion wahrnehmen [im doppelten Wortsinn] kann. Dazu gehört die verstärkte Sensibilisierung der TNC-Guest-Animatoren und DJs für den vernetzten Raum, in dem sie agieren. Sie tauchen auf als Party-Agents, als digitale Doubles, und stimulieren die Interaktion. UserInnen haben die Möglichkeit, eigene Homepages, sogenannte "private" Online-Partyfloors [und damit Sub-Party-Netzwerke] zu betreiben und zu promoten. Dazu gehört natürlich auch der vor Ort, über Radio und Internet verbreitete TNC-Party-Channel. Er funktioniert als Komplexitätsindikator, scannt die Partyfloors auf dem Netz und in der Real World ab, klinkt sich ein in die verschiedenen Datastreams und gibt die Live-Statements von Partygoern und Betreibern von Party-Floors in die globale Party-Schlaufe ein.
HR: Es entsteht das quasi-fraktale Bild einer potentiell globalen Clone Party – durch eine Kernidee, aus der sich das Setting in der Art von Zweigen herausbildet, die in ihrer Struktur die Idee und ihr folgenden Prozesse zumindest in ihrer Potentialität abbilden. Das Prinzip des Cloning wird – bei Nachsicht mit der etwas gewagten Vermischung des Fraktalen mit Cloning – sozusagen auch projekt-bzw. prozeßimmanent verwirklicht und ist nicht nur ein Aufhänger?
B/C: Genau. Der Slogan "Clone the party!" ist natürlich Programm. Ersetzen wir den Begriff "Zweige" durch "Sub-Netze", und wir sind beim Prozeß, den wir beispielsweise mit den verschiedenen Online-Partyfloors anstreben: eine Reihe geklonter Clone-Parties, die das Initial-Setting in seiner Potentialität abbilden – sich aber in der Folge je nach kontextueller Prägung ausdifferenzieren. Mit jedem neu aufgeschalteten "privaten" Online-Partyfloor, jeder spontan lancierten Heim-Party, pflanzt sich das Netzwerk-Event in horizontaler Richtung fort.
HR: Der Party-Begriff – er transportiert etwas Leichtes, Leicht-Sinniges in Form eines sozialen Verbundes ...
B/C: Ein "tief-sinniger" Anlaß in einem "leicht-sinnigen" Rahmen: Für die Dauer einer langen Nacht ist das Setting der Clone Party Schauplatz für einen Test-Run angesichts der neuen Perspektiven menschlicher Existenz, mit dem Ziel, neue vernetzte Erlebnisräume erfahrbar zu machen.
HR: In jüngster Zeit werden die Stimmen im Diskurs der "neuen Perspektiven menschlicher Existenz" als Kassandrarufe laut. Man spricht, mit Stanislaw Lem, von "Exformation"; Paul Virilio hat in Fluchtgeschwindigkeit die Untrennbarkeit der Ästhetik der Wahrnehmung von einer Ethik der Wahrnehmung postuliert. Sind Netzwerk-Projekte in der Art – und, ob der Lustbetontheit, speziell – von Clone Party apologetische Feiern der Bedingungen vernetzter Existenz?
B/C: Seit dem historischen Web-Crash vom 4. Februar 1996 ist die gecrashte Homepage des CyberRadios Radio TNC beliebtes Ausflugsziel zahlreicher Net-Trotter geworden. Wo läßt sich besser über Freud und Leid der eigenen vernetzten Existenz nachdenken, als in den jämmerlichen Trümmern modernster Kommunikationstechnologie? Was die Clone Party angeht: Der Online-Flyer kündigt eine Ambiance zwischen "the laugther and the tears" an ...
HR: Das Umfeld, das Setting, in dem sich Clone Party ereignet, ist zugleich das Feld, das die Ereignisse [mit-]bestimmt. Es ist der öffentliche Raum des Radios und der Netzwerke, der urbane ebenso wie der [vermeintlich] private Raum. Räume, die voneinander durchdrungen und, vereinheitlicht, politisierte Räume zu nennen sind. Sie sind öffentlich im Sinne veröffentlichter-veröffentlichender Räume, diskursiv im Sinne der Akzeptanz von Autorität. Von der Utopie einer dialogischen Demokratie, wie sie der prozessuale Aspekt von Clone Party darstellt, sind wir gegenwärtig ebenso weit entfernt wie von einer Kunst, die in der Informationssphäre ihre Freiheit durchsetzt [bzw. prozessiert]. Die Clone Party ist jedoch meines Erachtens ein Modell – der Freiheit durch das Setting einer dialogischen Struktur innerhalb einer diskursiven. Wie seht Ihr das?
B/C: Einer der interessantesten Momente der Crash Party war jener, als nach einem neuerlichen inszenierten Web-Crash UserInnen aufgefordert wurden, die zerstörten Homepages der beteiligten Partner wiederherzustellen, indem Image-Files, die sich noch im Cache befanden, auf ein extra aufgeschaltetes FTP-Verzeichnis geladen werden konnten. Innerhalb von Minuten waren die Server hoffnungslos überlastet. Den UserInnen ging es dabei natürlich keineswegs um Original-Rekonstruktion, sondern um Freestyle-Reparatur. Sie begannen, das Erscheinungsbild der Homepages [darunter jenes eines öffentlich-rechtlichen Senders] nach ihren eigenen Vorstellungen zu redesignen ...
HR: Dadurch beschreibt sich auch etwas grundsätzlich anderes als bei rahmen- [bzw. matrix-]orientierten interaktiven Kunstwerken mit bloß inversiver Dynamik. Bei inversiv-dynamischen Systemen ist die Rede von der Preisgabe der Autorität des Autors über sein Werk lediglich rhetorisch. Die offene, offensive Dynamik hingegen, die hier eröffnet wird, verwischt jedoch die Grenzen zwischen den Gestaltern – auch des Rahmens – und den von ihnen Aktivierten.
B/C: Wenn der DJ in San Francisco ein Wilmut-Statement samplet, wenn wir in Linz den RealAudio-Stream aus Paris in den Party-Channel einmischen, wenn ein User in Holland den Chat verläßt – dann sind das, freilich in unterschiedlicher Ausprägung, alles Ereignisse, die den Ablauf des Events im jeweiligen Sub-Netz betreffen, aber, toutes proportions gardées, durch ihre Einbindung in die globale Party-Schlaufe, auch Auswirkungen auf den Ablauf des Gesamtevents haben. Die Frage, wer wo wie wann was dazu beigetragen hat, damit aus dem Clone Party-Setting die Clone Party bzw. das Clone Party-Netz wird, ist in einem solchen durch "offensive Dynamik" geprägten Prozeß nicht mehr nachvollziehbar. Nachvollziehbar – und direkt erfahrbar – ist hingegen die massive Parallelität und Komplexität eines pulsierenden, vernetzten Prozesses.
HR: Ihr habt die Erfahrbarkeit der neuen vernetzten Erlebnisräume als Ziel von Clone Party angegeben und die Clone Party als eine Art Verdichtung eines laufenden Prozesses – des vorhin "Projekt Kunst" genannten. Welcher Art ist Eure Erfahrung kunstprojektorientierten vernetzten Agierens?
B/C: Events wie die Crash Party treffen in der Koppelung von Online- und Real-World-Erfahrung das Lebensgefühl einer sich per Mausklick vermehrenden Spezies, für die vernetztes Agieren nichts mit dem Bestellen einer Pizza via Internet zu tun hat. Es ist die Spezies der êtres interconnectés.

Clone Party [11. September 1997]

Zur Feier des bevorstehenden Menschen-Clonings zwängen sich Partygoer aus aller Welt in ihre Blue-Genes und tanzen global vernetzt den Body-Sampling-Step. Das von Beusch/Cassani initiierte Netzwerk/Radio-Event "between the laugther and the tears" steigt simultan an zahlreichen miteinander vernetzten öffentlichen und privaten Online- und Real-World-Venues. Hybridisierte digitale Doubles der Party-Crew [TNC-Guest-Animatoren, Guest-DJ's etc.] agieren im vernetzten Raum als Party-Agents, scannen die verschiedenen Partyfloors ab, klinken sich ein in die zirkulierenden Datastreams und mischen daraus den TNC-Party-Channel. Dieser wird zusammen mit Live-Reports und Party-News-Flashes via Internet, über Satellit und Radio wieder in die weltweite Party-Schlaufe eingeschleust.


http://radiotnc.aec.at/cloneparty/

Headcheese-Affäre:

Im TNC-Online-Studio der Ars Electronica '96 brachte ein italienischer Besucher ein Stück formaggio di porco [Headcheese] in Umlauf. Das beschleunigt vor sich hinfaulende Fleischkäse-Sample hat seither eine Odyssee angetreten, tiefsinnige Debatten über digitalen Kannibalismus und Cyber-Reinkarnation ausgelöst und während einer TNC/HotWired-Liveshow die Net-Comunity in der ersten globalen "ecstatic headcheese eating union" versammelt ...


http://radiotnc.aec.at/headcheese/, http://www.hotwired.com/talk/poptalk/96/49/index4b.html

CyberMemorial

Seit über einem Jahr meißeln UserInnen ihre Inschriften ins Silizium des virtuellen Monuments zum Gedenken an die Opfer des Great Web Crash und verbreiten im Netz die frohe Botschaft: "Cyberimmortality for everybody!"


http://radiotnc.aec.at/cybermemorial/

Radio TNC

Radio TNC ist aus der Media-Fiction vom Great Web Crash hervorgegangen. Seit Februar 1996 löst sich eine internationale Guest-Crew am legendären Online-Mikrofon des boomenden CyberRadios ab. Auf dem Programm: Live-DJ-Mixes, Talkshows, straighte News-Flashes, CyberSerials und TNC-Specials [live online und on air u.a. an der Ars Electronica Festival 96 und '97 sowie an der Isea '97 in Chicago].


http://radiotnc.aec.at

TNC-Network

Die von Beusch/Cassani gegründete TNC-Connection betreibt das CyberRadio Radio TNC, produziert Offbeat-Cybertainment [Great Web Crash, Headcheese-Affäre], globale Netzwerk-Events [Crash Party, Clone Party] und führt Consulting- und Produktionsaufträge in Europa und den USA aus. Je nach TNC-Event wird das Basis-Network verlinkt mit dem Know-how bzw. der Infrastruktur von bestehenden Sub-Netzen [u. a. Ars Electronica Center; Beta Lounge, San Francisco; Radio Fritz, Berlin; BBC; Music-Channel Couleur 3; Technologiemuseum, Paris; France Info; HotWired].


http://radiotnc.aec.at

Crash Party [4. Februar 1997]

Zum Geburtstag des CyberRadios Radio TNC zündet die Net-Community rund um die Welt ein virtuelles Feuerwerk und erinnert sich mit Schaudern an den Großen Web Crash vom 4. Februar 1996. Auf Einladung von Beusch/Cassani mobilisiert eine internationale Crew ihr aktionsgeprüftes Party-Know-how und mischt die Datastreams der Anniversary-Gigs in San Francisco, Osaka, Berlin, London, München, New York, Paris, Amsterdam und Wien zu einem fünfstündigen Live-Event: Ein über Äther, Satellit und Netz verbreiteter Party-Channel, multiple RealAudio-Kanäle, CU-SeeMe-Sessions, Tele-Djing, Aktions-Bilder von Mensch & Maschine und ein IRC-Kanal für Chat-Lag-Addicts...


http://radiotnc.aec.at/crashparty/