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Ars Electronica 1997
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Festival 1979-2007
 

 

Die Familie Auer
Ein KUNSTRADIO Projekt von vielen

'Heidi Grundmann Heidi Grundmann

Im Dezember 1997 wird das Ö1 KUNSTRADIO zehn Jahre alt. Ursprünglich als wöchentliche Sendung für Radiokunst im [Kultur-]Kanal Österreich 1 des ORF konzipiert, weiteten sich die Aktivitäten des KUNSTRADIOs schnell auf die Veranstaltung von Symposien und die Realisierung von Installationen im mit dem Radio verknüpften öffentlichen Raum, von multimedialen Projekte, telematischen Simultanprojekten und internationalen Live Radio und Internetprojekten etc. aus. Seit April 1995 ist das KUNSTRADIO ON LINE. [http://thing.at/orfkunstradio/]. Im zweiten Halbjahr 1997 hat das KUNSTRADIO alle seine Projekte und Aktivitäten unter das Motto "Recycling the Future" (1) gestellt – darunter auch seinen Beitrag zum Ars Electronica Festival 97, bei dem u. a. das Projekt Familie Auer vorgestellt wird.
In den zehn Jahren seit das KUNSTRADIO begonnen hat, Radiokunst zu produzieren und zu senden, haben sich sowohl "Radio" wie auch "Kunst" unter dem Druck der neuen digitalen Kommunikationstechnologien grundlegend verändert. Doch selbst vor zehn Jahren waren jene Zeiten längst vorbei, in denen sich Familien vor dem Radio-Apparat versammelten, um sich gemeinsam ein Hörspiel oder eine Fußballübertragung anzuhören. Im Kunstbereich hatte gerade eine neue radiospezifische Kunstform ganz offiziell Anerkennung gefunden: die Documenta 8 enthielt eine eigene Audiothek, in der Klaus Schöning [Gründer und Leiter des Studio Akustische Kunst beim WDR] die Ars Acustica samt ihren historischen Wurzeln darstellte. Wenig später fand die Ars Acustica selbst bei den ihr gegenüber mißtrauischen Hörspielleitern der in der EBU [Europäischen Rundfunkunion] zusammengeschlossenen öffentlich rechtlichen Anstalten immerhin so viel Anerkennung, daß man ihr zugestand, eine eigene Gruppierung der für sie zuständigen Redakteure zu formieren. Gerade dieser längst überfällige Schritt machte deutlich, daß die Ars Acustica wie das von ihr – im sogenannten Neuen Hörspiel der 60er Jahre – dekonstruierte traditionelle Hörspiel nur im System des europäischen öffentlich rechtlichen [und osteuropäischen Staats-] Rundfunks bzw. in den ähnlich strukturierten Anstalten in Kanada und Australien überhaupt zu Sichtbarkeit und Anerkennung hatte reifen können. Als "vom Radio initiierte und verwaltete Kunst" konnte Klaus Schöning die Ars Acustica bezeichnen und darauf hinweisen, daß die für die Geschichte und Definition der Ars Acustica entscheidenden Radiowerke eines John Cage in Europa [beim WDR]und nicht in den USA mit ihrem ganz anderen medienpolitischen System realisiert worden waren. In großen Installationen, z. B. des Amerikaners Bill Fontana, hatte diese europäische "vom Radio initiierte und verwaltete Kunst" auch immer wieder "den Apparat des Radios in den öffentlichen Raum" getragen [Manfred Mixner] und dort u. a. dem Phänomen der Simultaneität nachgehört.

Radiokunst aber hatte auch noch andere Wurzeln – vor allem in den "armen" Collegeradios und Coop Radios Kanadas, der USA und Australiens z. B., denen die Mittel zu den komplexen Studioproduktionen der Ars Acustica genauso fehlten wie jene für Leitungen und Satelliten für interkontinentale Skulpturen: das Spiel mit [vorgefundenen] Formen aus dem Populärradio und -Film [Hank Bull/Patrick Ready, Vancouver; ts-ts-ts, Melbourne (2) ], mit dem Rauschen der Kanäle selbst [G.X. Jupitter Larsen, Vancouver], mit unmanipulierten Naturgeräuschen als Material konzeptueller Radiokompositionen [Terry Fox, San Francisco], mit Sprache und Musik als skulpturalem Material [Lawrence Weiner, New York] usw. fand dort auch ohne Zugang zu großen Studios etc. statt – allerdings auch ohne den spezifischen Kontext von Programmen mit nationaler Reichweite und internationalen Leitungen.

Einige von jenen KünstlerInnen, die sich mit dem Medium Radio auseinandersetzten, zählten zu jenen Pionieren einer Telekommunikationskunst, die im Jahre 1986 bei der Biennale von Venedig die offiziellen Weihen durch das System "bildende Kunst" gefunden hat. Diese Kunst, die seit den 70er Jahren den traditionellen Begriff der Autorenschaft oder den des in sich abgeschlossenen Werkes in der Praxis von weltweiten Netzprojekten [Telefon, Slow Scan TV, Computer Communication, Fax] in Frage stellte und zugleich medienpolitische Aspekte der Neuen Technologien, z. B. den des Zugangs zu den Kommunikationsmedien, thematisierte, wurde Ende der 80er/ Anfang der 90er Jahre auch im Radio virulent. In Liveprojekten wurden unterschiedliche Räume und Situationen verknüpft und uferten aus dem Kunstkontext in den Kontext des Alltagsradios aus, wo sowohl Redakteure wie auch Hörer die Kunstherkunft des Materials und damit ihre "Schwellenangst" vergaßen [Bill Fontana], oder die Hörer selbst zu AutorInnen wurden, die z. T. keine Ahnung hatten, daß sie an einem Kunstprojekt teilnahmen [Chris Mann, Wolfgang Temmel (3) ].
Kein Autor/Macher aber hat in unserer Mediengesellschaft noch Kontrolle darüber, wie, in welchem Kontext und welchen Ausschnitten sein/ihr wohl portioniertes "Werk" letztlich rezipiert wird. Denn jede/r von uns ist längst bewußt und/oder unbewußt zu einem Kristallisationspunkt eines ständigen höchst persönlichen Collageprozesses geworden. Ob wir durch das TV Programm zappen, während des Telefonierens weiter fernsehen, gleichzeitig Musik hören und Korrekturen an einem auf dem Bildschirm gezeigten Text anbringen usw. – wir befinden uns in einem multimedialen Environment, das wir uns aus einem Strom von möglichen Versatzstücken und Fragmenten selbst auf unterschiedlichen Wahrnehmungsebenen immer wieder anders zusammenstellen. (4)
Die Collagierung von unterschiedlichen öffentlichen und institutionalisierten, medialen und realen Räumen mit Hilfe von Übertragungs- und Sendetechnologien ermöglichte die Erprobung eines "verteilten" Werkbegriffes, der sich in seiner Gesamtheit nicht nur der Kontrolle der sich auf die Rolle von InitiatorInnen zurückziehenden AutorInnen, sondern auch des Gesamteinblicks durch die zu Ko-Autoren gewordenen RezipientInnen entzog. Die Beeinflussung von miteinander verknüpften Live-Sendungen z. B. durch UserInnen, die in vorgefundenen mit dem Radionetz verbundenen Homepages des WWW surften, war nur eine von vielen Möglichkeiten einer "remoten/verteilten" künstlerischen und nicht-künstlerischen Produktion in einem Gewebe von weltweit verstreuten miteinander vernetzten, sich gegenseitig beeinflussenden Produktionsräumen, -Paradigmen und Materialien der unterschiedlichsten Art, wie sie in einem vereinbarten Zeitraum etwa von 24 oder 18 Stunden live – zum Leben erweckt – wurden [Horizontal Radio, 1995 (5) ; Rivers & Bridges, 1996 (6) ].
In der Kommunikationskunst ist der Kontext also ein kulturelles Faktum. Es wird nicht extra ein Spielplatz geschaffen, sondern es wird ein Spiel im und auf der Basis der Bedingungen des öffentlichen Raumes in Gang gesetzt. Dieser kulturelle Interaktionsrahmen wird durch offensive Benutzer verändert – zumindest in seiner Wahrnehmungsgestalt. Zur Darstellung kommt die Art der Benutzung, und dabei ist "Art" natürlich doppeldeutig gemeint. Bislang war die Erzeugung von [ästhetischer] Information gewöhnlich Privatsache. Der Datenraum macht indes nicht nur die Daten selbst, sondern auch die Erzeugung von Daten/Information zu einer öffentlichen Angelegenheit." (7)
Ein Projekt, das verschiedene Aspekte der aktuellen Radiokunst [als Teil der Kommunikationskunst] und ihrer Geschichte auf sehr unspektakuläre Weise beleuchtet – und zwar über einen längeren Zeitraum und unter Einbeziehung neuer technischer Entwicklungen –, ist das Radio- und Internet-Projekt Familie Auer, das sich auf ein massenmediales Populärgenre bezieht:

Es begann als Kantinengespräch mit einem Autor [Lucas Cejpek] – irgendwann im Jahre 1995 – für das KUNSTRADIO vor allem das Jahr von Horizontal Radio und des Starts von KUNSTRADIO ON LINE. Es ging um die Idee einer Familienserie im Radio und im Internet: Al Bundy – ein TV gewordenes Radiogenre – tauchte als ein mögliches Modell auf: Eltern, zwei Teenager-Kinder, Nachbarn, ein Tier. Eine wienerische Familie sollte es werden. Im Herbst 1995 erfand eine Gruppe von vier LiteratInnen (8) die Namen der Familienmitglieder und beschrieb die Charaktere mit je vier Eigenschaften. Im Überschwang ihrer Zusammenkunft entstand auch ein Katalog von Regeln für alle anderen in Zukunft vielleicht mitwirkenden AutorInnen und KomponistInnen samt Copyright- Bestimmungen. Bei einem ersten größeren Treffen all jener KUNSTRADIO-AutorInnen [wie immer mit unterschiedlichstem Background und unterschiedlichen Alters], die am Projekt Familie Auer interessiert waren, wurde dieser Regelkatalog samt allen Copyright-Überlegungen sofort ad acta gelegt und beschlossen, daß man sich für die verschiedenen sich abzeichnenden Aufgaben im Radio und Internet zu wechselnden Teams zusammenschließen würde. Als einzige Vorgaben für die Radioepisoden wurden akzeptiert: eine eigene Kennmelodie ohne erklärende Einführung und mit einem Hinweis auf die Internetadresse am Ende jeder Episode, ein gleichbleibendes SchauspielerInnenteam, die Erstellung einer "Datenbank" von Standardsätzen, Geräuschen, musikalischen Versatzstücken, Gelächter usw. Eine zunächst zur Diskussion gestellte Arbeitsteilung nach Art des traditionellen Hörspieles [von einem Regisseur inszeniertes Manuskript, illustrative Geräusche etc.]wurde von einer Mehrheit der am Projekt Familie Auer Beteiligten umgehend abgelehnt. Bereits mit den im Laufe der Zeit immer selbständiger agierenden SchauspielerInnen aufgenommene Texte wurden stattdessen – fragmentiert – zu Teilen der "Datenbank", die den aufs engste mit den Tonmeistern zusammenarbeitenden Teams im Studio als Material für die "Komposition" der ersten Folgen diente und in ständig sich erweiternder Form auch für spätere Folgen zur Verfügung stand. Schon im ersten Monat betätigten sich auch die Tonmeister als [Ko-]Autoren.

Vom 4. Januar 1996 bis Mitte Februar 1997 wurde im Kulturkanal Österreich 1 allwöchentlich eine durchnittlich ca. fünf Minuten lange Episode aus dem Leben der Familie Auer ausgestrahlt. Jede Folge wurde von einem Team aus LiteratInnen, KomponistInnen, KünstlerInnen, TechnikerInnen produziert. Diese Teams formierten sich immer wieder neu aus einer im Laufe der Zeit auf über 70 Mitwirkende anwachsenden Gruppe. Die vom Radio ausgehende Initiative und Verwaltung beschränkte sich auf Organisatorisches, auf die Entwicklung des Projektes selbst wurde kein Einfluß genommen – außer daß von Anfang an klargestellt wurde, daß für das KUNSTRADIO eine traditionelle Hörspielserie ohne Internet nicht von Interesse sei.
Mit dem "Schritt des Autors vom Schreibtisch ins Studio" (9) und mit der technischen Ermöglichung der Stereophonie begann [in den 6oer Jahren] das sogenannte "Neue Hörspiel" [...] Quasi in Zusammenarbeit von Schriftstellern, Dramaturgen, Theaterregisseuren, Komponisten, Filmemachern und bildenden Künstlern fand man zu einem neuen ästethischen Selbstverständnis [...] Die Vormachtstellung einer verbalen bedeutenden Sprache wich einer gleichberechtigten Zusammenführung von Sprache, Musik und Geräusch und führte zu der Ausprägung einer "akustischen Sprache", die sich in verschiedenen Spielarten, heterogene akustische Materialien miteinander in Beziehung zu setzen, artikuliert. (10)
Die Selbstdefinition von KünstlerInnen, LiteratInnen, KomponistInnen, MedienkünstlerInnen sowie TechnikerInnen und OrganisatorInnen gerät in einem Projekt wie Familie Auer in geradezu turbulente Bewegung. Kooperation, Teamwork, Interdisziplinarität, Verzicht auf das Copyright für eingebrachte Ideen oder auf die Kontrolle nicht nur über die Weiterentwicklung des Projektes, sondern auch über einzelne Bausteine, all dies ist etwas, das erst erlernt/erprobt werden muß. Doch den wenigen Auer-AutorInnen, die sich – bewußt auf ihren traditionellen Rollen beharrend – zurückgezogen haben, weil der Verlust der gewohnten Kontrolle ihnen zum Problem wurde, steht die sehr viel größere Anzahl jener gegenüber, die im Einklang mit den Intentionen des Gesamtprojektes z. B. auf die Nennung ihrer Namen selbst bei jenen Radio-oder Internet-Episoden verzichteten, an denen sie extensiv mitgearbeitet haben ... Diese AutorInnen waren sich u. a. darüber im klaren, daß jede Episode und jeder andere Schritt in der Projekt-Realisierung jeweils nur Teilaspekt eines größeren, aus Fragmenten zusammengesetzten Ganzen war. Es ging nicht um die Verwirklichung eigener spezialisierter Ansprüche und Standards, sondern um die kollaborative interdisziplinäre Erkundung eines medialen Verbundes, der sich mit rasender Geschwindigkeit wandelt und differenziert und sich einer mehr als alibihaften Intervention einzelner immer deutlicher entzieht.

Als Sub-Homepage bei KUNSTRADIO ONLINE entstand gleichzeitig mit der ersten Radioepisode Anfang Jänner 96 die – immer noch existierende (11) – ebenfalls von KünstlerInnenteams, die sich zum Teil mit den Teams der Radioepisoden überschnitten, gestaltete Homepage der Familie Auer: sie enthält "Bildgeschichten" [unter Einschluß von RealAudio Files], Spiele, einen Familie Auer-Fan-Club sowie Sound-Files der Radio-Episoden usw. Einige AutorInnen, die selbst nicht für das WWW arbeiten, setzten in enger Zusammenarbeit mit KünstlerInnen, die mit der Arbeit im Web vertraut sind, eigene Ideen um. Es gab Projektteile, in denen der Ausgang der Radioepisoden von den Usern im Netz beeinflußt werden konnte.

Im Radio von heute ist eine wöchentliche Serie in der Länge von etwas weniger als zwei Popmusik-Titeln in bezug auf ihre Auffindbarkeit durch potentiell interessierte HörerInnen ein geradezu absurdes Unterfangen – noch dazu, wenn die Beginnzeit 22 Uhr 17 lautet, gewohnheitsmäß einen "Kunst"-Kontext signalisiert, keinerlei Erklärung und Einführung geboten wird und narrative Elemente nur als Zitate auftreten. Im Medienverbund von Ankündigungen in den Radioprogrammbeilagen der Printmedien, Hinweisen im Hörfunk, im Internet, auf Public Voice etc. wurde die Familie Auer aber selbst bei jenen "Kulturinteressierten" bekannt, die nie eine der Hörfunkfolgen gehört haben bzw. im WWW nie auf die Familie Auer gestoßen sind.

Während die Radioepisoden also pünktlich jeden Donnerstag um 22 Uhr 17 in die Flüchtigkeit des Äthers entschwanden, lassen sich die Web-Episoden der Familie Auer jederzeit und immer noch aufsuchen, die RealAudio-Files können jederzeit abgerufen werden, an den Spielen kann man sich jederzeit beteiligen, seine E-mails jederzeit abschicken [mit der Beantwortung aller E-mails war das Familie Auer Team allerdings häufig überfordert, besonders, weil erst wenige der beteiligten KünstlerInnen über einen eigenen Zugang zum Netz verfügten].
Das Telefon war und ist immer noch das einzige allgemein verfügbare, nicht programmierte, allen Teilnehmern offenstehende, persönliche, interaktive Medium zur Kommunikation – abgesehen vom unmittelbaren persönlichen Kontakt. Programmorientierte Rundfunkmedien wie Radio und Fernsehen sind überall verfügbar, aber sie sind Einbahn-Systeme, in denen eine Ware – Information, Unterhaltung, Dienstleistungen – an eine breite Schicht von zumindest potentiellen Verbrauchern vertrieben wird. [...] Beim Telefon dagegen ist die Dienstleistung selbst die Ware, die erst der Benutzer, die Benutzerin mit Inhalt füllt. (12)
Das Projekt Familie Auer exploriert ein breites Spektrum auf der Skala vom "unprogrammierten" bis zum "programmierten" Kommunikationsmedium – vom Chat über die E-mail, den Anruf bei einer Live-Radiosendung, die Voice Box, das Spiel im WWW, die vorproduzierte Radioepisode bis hin zur Zeitung und CD.

Im späten Frühjahr 1996 wurde auf Beschluß der bereits zu einer Art von Familie gewordenen ProduzentInnen der Familie Auer eine Familie Auer Public Voice Box installiert, für die wieder eigene Teams tätig werden mußten. Es kam auch zur Produktion und Aussendung einer Karte mit den unterschiedlichen Adressen, an denen die Familie Auer anzutreffen war.

Eine 43 Minuten lange Live-Sendung (13) markierte Ende Juni ein halbes Jahr Familie Auer und hatte verschiedene Ebenen: Im WWW und bei der Auer Hotline [Public Voice] wurden die UserInnen schon eine Zeitlang vor dem Sendungsdatum aufgefordert, Texte einzuschicken, nach denen die SchauspielerInnen sich kurz vor und in der Live-Sendung in neue Familie Auer Situationen begeben konnten. Zwei CDs [eine davon im Zufallsmodus abgespielt] mit kurzen Modulen aus bisher produzierten Radioepisoden bildeten zusammen mit anderen von einem Sampler abrufbaren Kurzsequenzen [z. B. Gelächter, Musikakzente] und den im Computer des Hörspielstudios gespeicherten, kurz vor und während der Sendung nach den Usertexten gespielten Szenen das Material zur Live-Sendung. Während dieser beantworteten die SchauspielerInnen – in ihre Rollen schlüpfend – zudem spontan Höreranrufe und wurden dabei von einem Live-Akkordeon akzentuiert. Die Besonderheit der Höreranrufe bei der Live Familie Auer: Auch die HörerInnen spielten bei ihren Anrufen Rollen und wurden zu Co-Autoren.

Eine zweite Live-Sendung Ende Jänner 1997 (14) hatte noch mehr Ebenen: Es gab ein kleines Live-Publikum im Studio, das auf Aufforderung und spontan Gelächter und Applaus spendete, es gab für UserInnen wiederum die Möglichkeit ihre im Internet deponierten Texte von den SchauspielerInnen umsetzen zu lassen, auch das Hörertelefon war wieder aktiv, dazu konnte man noch mit der Familie Auer live chatten. Die Live-Radio-Mischung [zu der wiederum Samples aus bisher produzierten Folgen, aus der "Datenbank" sowie Sound Files aus dem Netz kamen] konnte im RealAudio Live Modus [weltweit] im Netz verfolgt werden und wurde von Bildern aus einer Live-Web-Kamera ergänzt.

Zwischen den beiden Familie Auer Live-Sendungen lag ein gutes halbes Jahr – in diesem halben Jahr hat sich die Technologie (15) für das WWW rasch weiterentwickelt – eine Diskussion um Push- und Pull Media entstand; der Begriff Internet-Radio bürgert sich immer mehr ein, die Möglichkeiten und Definitionen von Net.Radio und Net.Art werden diskutiert. Das KUNSTRADIO selbst begann im September 1996 immer häufiger Live-Webcasts zu veranstalten, die nur zum Teil mit den KUNSTRADIO Sendungen auf Österreich 1 zu tun haben, und zur Definition dessen, was Net.Radio sein könnte, beitragen … (16)

Die Präsenz der Familie Auer beim Ars Electronica Festival 97 manifestiert sich on line, on site und on air: Wiederum ist das "Spielfeld" Familie Auer Rahmen für eine durchaus ernsthafte Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Produktions- und Distributionsräumen. Aus einem Ankündigungstext: "Gegenstand des KUNSTRADIO-Projektbüros bei der Ars Electronica 97 ist die interdisziplinäre Entwicklung von Projekten und entsprechenden Arbeitsmethoden für den bisher kaum erforschten Kontext, der aus der Verknüpfung verschiedener medialer und realer Räume on line, on air und on site entsteht. eine Woche lang wird sich – unter dem Motto Recycling the Future – ein internationales Team vor Ort im Designcenter in Linz sowie an mit Linz vernetzten Außenstellen sowie in Radiosendungen der Herausforderung des simultanen, z. T. interaktiven Produzierens in und für miteinander vernetzte unterschiedliche raum-zeitliche Situationen stellen. (17)

In der Entwicklung neuer Produktionsstrategien für die unterschiedlichen Aspekte des neuen Medienverbundes, in den das traditionelle Radio – sich dabei bis zur Unkenntlichkeit verändernd – immer stärker eingebunden wird, hat die Familie Auer also einen durchaus ernsthaften Hintergrund. [Dieser Medienverbund wird übrigens – unwidersprochen – selbst vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk meist im Sinne von "neuen Geschäftsfeldern" und nicht als kulturell-künstlerisches Feld interpretiert]. Die Produktion in der Vernetzung unterschiedlicher medialer Aktionsräume führt zu einem neuen Blick auf das Telefon, das Radio, die Live-Übertragung, Printmedien, CDs, den Anrufbeantworter usw. und zu der Entdeckung, daß die bisher als eigenständig empfundenen Übertragungs-, Kommunikations-, Distributions- und Speichermedien als unterschiedliche Aspekte eines Megaverbundes betrachtet werden können, in dem der Computer zum Primary Medium wird [Wolfgang Hagen], durch den alle diese Aspekte angesteuert werden können.

Radio hört sich immer noch an wie das alte programmierte Medium voller Inhalte , nach deren Ablauf man seine Uhr stellen könnte,wenn das noch notwendig wäre ... Und tatsächlich gehen Radiomacher vielerorten immer noch von der Prämisse des von Anfang bis Ende angehörten Werkes aus, von der Fiktion eines der genau abgemessenen Sendung inständig Beiwohnens der HörerInnen ...

In der immer größer werdenden Vielzahl "programmierter" Kanäle jedoch wird Radio zum Rauschen, aus dem mit Sondersignal Verkehrsmeldungen oder Nachrichten herausschnellen; oder aus dem vom zum User gewordenen Hörer als Radio on Demand in der Zeit eingefrorene Bruchstücke erst aufgesammelt werden müssen, um in jene Collage eingepaßt zu werden, aus der jeder von uns sich sein alltägliches mediales Environment bastelt.

Selbst das World Wide Web im Internet, dessen kommunikative Elemente weit hinter den Erwartungen der frühen Netz-Utopisten zurückbleiben, wird mit seinen langen Downloading-Zeiten bereits zum Hintergrundmedium und damit zu einem der vielen, die Aufmerksamkeit nur sporadisch/punktuell beanspruchenden Medien, die wir laufend als unser Environment collagieren. Oder wie immer wir unsere Seite des "Verbundes aus Technologie und Physiologie" [F.A. Kittler] interpretieren, um sie irgendwie mit unserem Selbst-Bild in Einklang zu bringen , das uns die andere Seite des Verbundes – spiegellos – nicht einmal zurückwirft. Registriert werden wir nur als Statistik, Quote, Hit – als kreditwürdig oder nicht.

(1)
Das Motto "Recycling the Future" verweist u. a. auf jene von den zukunftsfrohen Avantgarden zu Beginn unseres Jahrhunderts entwickelten künstlerischen Verfahren wie die Collage, das Ready Made etc., die für die gesamte 'Recombinant Culture' des zu Ende gehenden Jahrhunderts bestimmend geworden sind, und gerade auch von jenen KünstlerInnen (aller Sparten) weiterverwendet und -verwertet werden, denen es um die Kombination neuer und traditioneller Kommunikations-Medien geht.zurück

(2)
Alle hier genannten KünstlerInnen stehen stellvertretend für viele anderezurück

(3)
s. a. Im Netz der Systeme, Kunstforum, Katalog Ars Electronica, 1989zurück

(4)
H.Grundmann "Horizontal Radio", Neue Zeitschrift für Musik, Mainz, 1996zurück

(5)
s. Katalog Ars Electronica 1995 sowie http://thing.at/orfkunstradio/HORRAD/horrad.htmlzurück

(6)
s. Katalog Ars Electronica 1996 sowie http://thing.at/orfkunstradio/RIV_BRI/zurück

(7)
Heimo Ranzenbacher in: Ars Electronica Festival 96 – Memesis, Springer Verlag, Wien, New York 1996, S. 434zurück

(8)
Lucas Cejpek, Ilse Kilic, Margret Kreidl, Fritz Widhalm.zurück

(9)
In Österreich wurde dieser "Schritt des Autors ins Studio" - abgesehen von Einzelfällen programmatisch erst 1990 in dem KUNSTRADIO Projekt RP4 vollzogen, bei dem die Teilnehmer eines Workshops im digitalen Hörspielstudio 4 eingeladen waren, jeweils ein eigenes Projekt in diesem Studio zu realisieren. S.a.: RP4, 5 CDs in einer Box von Helmut Mark.zurück

(10)
Petra Maria Meyer: Die Stimme und ihre Schrift: die Graphophonie der akustischen Kunst. Passagen Verlag, Wien, 1993.zurück

(11)
http://thing.at/orfkunstradio/auer/zurück

(12)
Robert Adrian "Infobahn Blues", in: 'Medien und Öffentlichkeit', Rudolf Maresch Hgr, Boer Verlag, München 1995 und 'Digital Delirium', A. & M. Kroker ed., New World Perspectives, Montréal 1997.(The telephone was, and still is, the only generally available, unprogrammed, participatory, personal and interactive communications medium - aside from face to face contact. Programmed broadcasting media like radio and television are universally available … but they are one-way systems in which a commodity – information, entertainment, services – is distributed to a consuming, or potentially consuming, public. ...With the telephone on the other hand, it is the service itself which is the commodity and the user supplies his or her own content.…)zurück

(13)
27.6. 1996, Österreich 1, 22 Uhr 20 bis 23 Uhrzurück

(14)
30.1. 1997, Österreich 1, 22 Uhr 17 bis 23 Uhrzurück

(15)
Die Rolle, die KünstlerInnen – von denen eine immer größere Anzahl einem neuen Typ des Künstler-Technikers zuzuzählen ist –, bei der kreativen Erprobung und Erforschung neuester Technologien spielen, findet zwar offiziell kaum Beachtung, hat aber z.B., was die Entwicklung des Know Hows einzelner Ingenieure, die an Radiokunstprojekten mitarbeiten und das in diesen Projekten erworbene Wissen dann in ihren Rundfunk-Alltag tragen, beträchtliche Auswirkungen.zurück

(16)
s. http://thing.at/orfkunstradio/ EVENTS/event_frame.htmlzurück

(17)
Aus diesem einige Monate vor dem Ars Electronica Festival 1997 abzuschließenden Text kann nicht abgelesen werden, wie das KUNSTRADIO tatsächlich bei diesem Festival präsent sein wird. Eine Dokumentation wird bei KUNSTRADIO ON LINE zu finden oder zumindest via e-mail zu erfragen sein: http://thing.at/orfkunstradio/e-mail: kunstradio@thing.atzurück