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Station Rose in the Social Web


'John Coate John Coate

Nach zahlreichen Performances, Symposien, Ausstellungen & Clubbings sowie dem täglichen Stationsbetrieb stand 1991 eines der einschneidendsten Ereignisse in den Aktivitäten von Station Rose an: der Weggang von der Heimat.

Auf dem Festival Cyberthon, einem Marathon in Sachen Cyberspace und Virtual Reality, das 1990 in San Francisco stattfand, trat Station Rose mit Public Brain Session auf. Als einzige europäische Künstler performten wir um 2 a.m., rund um die Uhr gab es aufregende Demos, Shows, Performances, VR-Applikationen, Vorträge, sowie den WELL-Infostand.

Gleich nach der Übersiedelung nach Frankfurt führten wir für das Österreichische Ministerium für Wissenschaft und Forschung den Forschungsauftrag "Virtuelle Realität als Neuer Grenzbereich" durch, dessen Resultate 1992 in Form einer der ersten Kunst-CD-ROMs im deutschsprachigen Raum veröffentlicht wurden. Das brachte uns zurück nach San Francisco. Neben Howard Rheingold, Timothy Leary und der Gang von Mondo 2000 trafen wir John Coate, den wir kurz vorher bei Cyberthon kennengelernt hatten. Als damaliger Managing Director von The WELL erklärte er uns die Philosophie und die Gesetze der Virtual Community von The WELL.Wieder zu Hause in Frankfurt, erfuhren wir am eigenen Leibe, was es heißt, Teil einer Virtual Community zu sein. Der tägliche Gedankenaustausch mit Personen im Cyberspace erzeugte ein mindestens ebenso starkes Heimatgefühl wie die persönlichen Kontakte in Frankfurt.

1991 war Frankfurt für Station Rose genauso neu wie das Netz. Nur zwei Monate lagen zwischen dem Umzug nach RL und unserem Netzzugang.

Ich lernte Station Rose im September 1990 kennen, nur wenige Tage vor dem Cyberthon Festival in San Francisco.Das war damals mein fünftes Jahr als Conference Manager für The WELL in Sausalito, Kalifornien. Cyberthon war jenes legendäre 24-stündige Nonstop-Demo-/Präsentations-/Networking-Festival in einem Industrielagerhaus unten an den Docks der San Francisco Bay. Station Rose war aus Wien angereist, um im 2:00-Morgen-Programm Public Brain Sessions, eine Licht-, Klang- und Bewußtseinsperformance aufzuführen. Da sie nicht wußten, wo sie übernachten sollten, arrangierten die Sponsoren des Festivals eine Übernachtungsmöglichkeit im Haus meiner Freundin Calliope. Calliope und ich holten Gary und Elisa vom Flughafen ab, ohne überhaupt zu wissen, wie die beiden aussehen. Also gingen wir zum Förderband und beobachteten das Gepäck, denn wir wußten, daß sie irgendwelche robusten Gerätekisten dabeihaben mußten. Und tatsächlich: Dieses flippige, absolut gutaussehende Pärchen in den schrillen Klamotten schnappte sich das Zeug. Wir gingen zu ihnen rüber und sagten: "Station Rose?" Sie antworteten:"Yah … yah!", und das war der Beginn einer großartigen Dauerfreundschaft, die in shiftenden Räumen wuchs und gedieh, im realen Raum ebenso wie im Cyberspace. Im Laufe der Jahre haben die beiden uns dreimal besucht, als sie Feldforschungen für ihre Projekte durchführten. Wir verschafften ihnen [Station Rose] Anschluß an die Cyber-Gemeinde von San Francisco, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer globalen Netz-Matrix geworden ist. Sie kamen genau zu dem Zeitpunkt an, als The WELL seine Glanzzeit erlebte.
Die "virtuelle Heimat" wuchs parallel zur "analogen". Gespräche wurden über The WELL geführt und in den Clubs und Restaurants in der Exilheimat. Ein Grundbedürfnis nach sozialem Kontakt wurde im Cyberspace gestillt, es entstand ein starkes Zugehörigkeitsgefühl, ein Verbundensein, eine virtuelle Gemeinschaft eben.
Damals hatten wir ungefähr 5000 zahlende Abonnenten und machten als Kleinunternehmen seit neuestem Profit. Wir hatten ein Stammpublikum von mehreren Hundert, die alle, jeder auf seine Weise, wußten, daß sie in etwas Aufregendes und Bedeutendes verwickelt waren. Da war also ein ganzer Haufen intelligenter, interessanter Menschen, die Computer benutzten, um sich zu treffen und zu unterhalten, und das war etwas Revolutionäres in ihrem Leben. Wir waren untereinander verbunden, wir waren mit dem frühen Internet verbunden, und diese globale Konversation machte uns richtig high. Und wir beschränkten unsere Interaktion auch nicht auf Online-Konversation allein. Wir veranstalteten jeden Monat Parties und manchmal Happenings mit unseren eigenen Rock'n' Roll-Bands und Revue-Vorstellungen. Wir hatten Picknicks, Hochzeiten und Begräbnisse. Wir halfen einander bei der Jobsuche. Es war klar, daß unsere Beziehungen die Quelle dieser Faszination waren, und die Technologie ihr Nährboden.
Nach fünf Jahren im Netz wurden wir von Howard Rheingold im Herbst 1996 eingeladen, Hosts der "Frankfurt Conference" bei seinem Online-Projekt Electric Minds < www.minds.com > zu sein. Schon vorher hatten wir im Rahmen von Brainstorms zusammengearbeitet und eine Art "editorial jam session" erfunden, bei der wir über das Netz Multimedia-Beiträge in HTML zu seinem Online-Projekt lieferten, die von Rheingold editiert wurden.

Electric Minds bot die Möglichkeit, unsere dort erworbenen Kenntnisse in Multimedia und Internetkommunikation unter Beweis zu stellen. Neben monatlichen Textbeiträgen für World Wide Jam, bei der wir über Interessantes aus der näheren globalen Umgebung berichten, ist es Aufgabe der Station Rose, die "Frankfurt Conference" in Gang zu halten.

Eine von The WELL entwickelte Software [Well Engaged] ermöglicht es den Besuchern, nicht nur Text beizutragen, sondern auch HTML-Befehle einzubinden. Daher ist beinahe jeder Topic unserer "Frankfurt Conference" eine multimediale Mischung aus Bildern, Tönen, Animationen und Text.

Die Besonderheit von Well Engaged, nämlich die Möglichkeit zu einer sozialen Interaktion, wollen wir hier genau erläutern. Well Engaged hebt Electric Minds innerhalb des World Wide Web auf ein höheres Level der Kommunikation, eben auf das des "Social Web". Chats machen einen Schritt vorwärts, sie werden erweitert, indem die persönlichen, sozialen Interaktionen in der Virtual Community verstärkt werden, so wie man es schon von Conference-Systemen à la WELL und Chat-Foren generell kennt. Was dazukommt, ist Publishing in Echtzeit. Sich-Zusammensetzen und Geschichten-am-Lagerfeuer-Erzählen heißt hier, Geschichten in Bildern, Soundz, Gif-Anis, Text und Links zu "erzählen", was dem hohen Anspruch des World Wide Web, nämlich multimedial zu sein, gerecht wird.

Zur Erinnerung: Homepages sind multimediale Auslageflächen, die Informationen anbieten, zum Ansehen & -hören, Downloaden einladen, jedoch nicht zum Interagieren. Updates von Homepages brauchen Offline -Betreuung; eine Conference in Electric Minds braucht hingegen Online-Betreuung. Das Conference-System von Electric Minds hat das Versprechen der "Echtzeit" eingelöst, indem es die Möglichkeit bietet, multimediale Daten sofort zu posten. Verglichen mit "klassischem" Online-Publishing ist die Ästhethik, die daraus resultierende Kunstform, ist eine andere, neue. Sie ist außerdem noch sehr jung und ungezähmt und kann im Zusammenspiel mit anderen neuen Möglichkeiten wie Webcasting bislang ungeahnte Wege beschreiten.
Bald schon verwischten sich die Grenzen zwischen der "virtuellen" und der realen Gemeinde. Unsere neue Gesellschaft schien amphibische Qualität zu haben, schien bilingualer Natur zu sein. Man konnte virtuell oder wirklich interagieren … und man konnte selbst entscheiden, in welchem Ausmaß. Ich war irgendwie ins Online-Geschäft hineingestolpert. Ich wurde 1986 angestellt, als The WELL ein Ein-Personen-Betrieb war und nur sehr wenige Menschen wußten, daß Computer überhaupt irgendwas mit Kommunikation zu tun hatten. Am Anfang verstand ich überhaupt nichts von Computern, aber ich wußte einiges darüber, wie Menschen in Gruppen besser miteinander auskommen können. Das kam daher, daß ich zwischen meinem 19. und 32. Lebensjahr sowohl auf dem Land als auch in der Stadt in kommunalen Situationen gelebt hatte. Ich hatte in dieser Zeit z. B. mit gut und gern zehn Personen in einem Bus gelebt, in großen Armee-Zelten mit bis zu 20 Personen, in städtischen Haushalten mit mehr als 30 und in großen baufälligen Hippie-Landhäusern mit mehr als 40 Erwachsenen und Kindern. Ich hatte als Farmer, Mechaniker, Fernfahrer und Tischler gearbeitet, zumeist unten auf der Farm in Tennessee – in den 70er Jahren die größte einzelne intentionale Gemeinde Amerikas – oder oben in Washington DC und New York City. Gemeinsam mit all den Leuten, mit denen ich zusammenwohnte, haben wir Besucher beherbergt, die etwas über unsere Aktivitäten erfahren wollten. Nach dreizehn Jahren, in denen ich in Leben und Vorstellungen hunderter anderer Menschen verwickelt war, kam ich zu The WELL und fühlte mich überraschenderweise gleich zuhause. Durch meinen Job stand ich im Mittelpunkt dieses neu entstehenden "virtuellen Marktplatzes". Meine Hauptaufgabe bestand darin, Menschen einander vorzustellen und sie dazu zu ermuntern, ihre Beziehungen zu pflegen und zu erweitern.
Die Bildung der eigenen Virtual Community, wie sie in unserem Fall die "Frankfurt Conference" darstellt, ist ein einschneidender Fact und hat definitiv Folgen, macht sie doch soziales Verhalten transparent. So waren zum Start von Electric Minds viele User gekommen, um von Anfang an dabei gewesen zu sein. Einige kamen nur einmal, einige mehrere Male, und einige kommen immer wieder. Diese letzte Gruppe agiert aus demselben Bedürfnis nach globaler Kommunikation, und gemeinsam wird eine menschliche, digitale Umgangsform miteinander geübt, ein prickelndes Online-Gefühl erlebt.

Die "Frankfurt Conference" ist für Station Rose der nächste Schritt zu einem verantwortungsvollen Umgang mit dem Netz geworden, zur aktiven Integration des Netzes in das tägliche Leben, weit entfernt von einer Homepage-Konsumgesellschaft kritisierender Web-Potatoes, die über fehlende Geschwindigkeit oder ähnliche Sportdefizite jammern.
Als ich die beiden also gemeinsam mit Calliope [die inzwischen meine Frau ist] traf und wir sahen, wie gut wir uns verstanden und wie sympathisch wir einander waren, stellten wir sie natürlich unseren Freunden und Geschäftspartnern vor: Howard Rheingold, Freddy "Are We Really?" Hahne und Mark "Spoonman" Petrakis. Wir alle waren echte Kinder der 60er, mit einem Faible für Gruppenbewußtsein, positive Energie und psychische Abenteuer. Das Interessante an Grenzen und Schranken war für uns, sie zu überschreiten. So hatten wir einen gemeinsamen Bezugsrahmen, der haargenau auf die Vorteile der Kommunikation im Cyberspace abgestimmt war. Und so starteten wir auch andere Online-Projekte, wie z. B. Electric Minds und SF Gate, die ihre Philosphie direkt von dem ableiten, was wir gemeinsam gelernt hatten. Wir hatten es gelernt, es funktionierte, wir wissen, daß es echt ist, und wir leben noch heute danach. Es basiert auf unseren essentiellen Funktionen als soziale, künstlerische und wirtschaftliche Wesen. Gibt es etwas besseres?
Die "Frankfurt Conference" ist für Station Rose the next step zu einer Online-Heimat, nachdem wir selbst seit sechs Jahren Teil der Online-Community The WELL sind. Die Conference ist eine Verpflichtung auf täglicher Basis. Um eine Conference hat man sich zu kümmern. Diese Verpflichtung macht sich erst im Laufe der Monate bemerkbar. Verteilt über den Globus, pflegen Menschen ihre Online-Freundschaften.

Die Umstände haben uns 1991 der Heimat den Rücken zukehren lassen, um uns daraufhin neue Heimaten anzubieten. Die Online-Heimat bietet Platz für bereits existierende & neue Beziehungen, parallel dazu bietet sie das passende Feld, um Kunst zu produzieren & zu zeigen. Zusammen mit Webcasting, das Station Rose gerade startet, bietet das Social Web ungeahnte Möglichkeiten zur multimedialen Interaktion, zu neuen Sprachen, zu neuen Beziehungen. Es kommt nur darauf an, wie man miteinander umgehen und in Echtzeit interagieren will. Es könnten schlechte Zeiten für Webpotaoes anbrechen. ;-)
Seit der Explosion des Internet in den 90ern ist etwas Großartiges passiert: Diese Networking-Instrumente stehen immer mehr Leuten zur Verfügung, und diese können sie mehr denn je zu ihrem eigenen Vorteil nützen. E-mail, Chatting, Diskussionsforen, Sprache, Video und persönliche Homepages bieten heute Millionen von Menschen die Möglichkeit, neue Bekanntschaften zu schließen und mit den Menschen verbunden zu bleiben, die man schon kennt. Der Cyberspace hat keinen eigenen Geschmack und keine eigene Energie. Er ist genau so gut oder schlecht wie die Leute, die ihn bewohnen. Es gibt zahlreiche Probleme, und bei jeder öffentlichen Versammlung, die wirklich gute gesellschaftliche Energien entwickelt, kommen Leute daher, die so ausgehungert sind nach Aufmerksamkeit oder es so nötig haben, der einzige Gegner oder Verteidiger eines Prinzips zu sein, daß es zu einer Streiterei kommt. Und die Online-Welt ist ein Ort, wo selbst der kleinste Konflikt unlösbar erscheinen kann, weil es so einfach ist, sich mißzuverstehen. Aber im Laufe der Zeit, mit viel Geduld und Ausdauer, können die Menschen ihre Gemeinsamkeiten dadurch entdecken, daß sie sich ihrer unterschiedlichen Auffassungen bewußt werden und sie diskutieren. Und so kann man alle möglichen Beziehungen entwickeln, vertiefen und stärken. Wirkliches Leben und wirkliche Faszination stehen nun in der virtuellen Welt jedem zur Verfügung, der die Reise wagen möchte.