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Ars Electronica 1997
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Festival 1979-2007
 

 

oudeis - a world wide odyssey


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GENESIS
Es begann mit einer Besprechung zwischen Künstlern, Kunstvermittlern und Universitätsprofessoren. Man unterhielt sich über Möglichkeiten, die Jugendarbeitslosigkeit in Österreich zu bekämpfen. Darauf folgte ein Geburtstagsfest im Kreise einer Großfamilie und ein Abendessen in einem Gastgarten, bei dem Theaterschaffende und -rezipienten, Theater- und Computerfreaks aufeinandertrafen.
TRADITION
Das experimentelle und alternative Theater des 20. Jahrhunderts fordert in Bau, Textwahl und Aufführungspraxis einen Bruch mit den Theatertraditionen. Weil die dramatische Handlung in den traditionellen Bühnen "zum Sklaven des Bühnenrahmens und des prospektivischen Blickwinkels gemacht wird", muß jene Art von Bühnenbau aufgehoben werden, schreibt Enrico Prampolini schon 1924 in Die futuristische Bühnenatmosphäre.

In den 60er Jahren beginnen die Künstler des "freien Theaters" die Theaterhäuser zu verlassen, neue Schauplätze zu suchen und das Publikum verstärkt in das Geschehen einzubeziehen. Vor allem um "das Ausprobieren neuer Techniken, neuer Produktionsweisen – darum geht es allen Gruppen, die zum 'Fringe Theatre' gehören", betont der Londoner Regisseur und Schauspieler Pip Simmons im Programmheft Theater der Nationen, 1979. In der Forderung, den Entwicklungen einer modernen Theaterkunst gerecht zu werden, wurden so abseits der etablierten Bühnen bereits früh neue Medien wie Film, Photographie, Video oder Fernsehen in das Bühnengeschehen einbezogen und nach neuen kreativen Prozessen gesucht. Besonders im "performance art"-Bereich der englischen Fringe-Theater-Bewegung dominieren die visuellen Eindrücke, in den "actor and writer based companies" bedient man sich kollektiver Arbeitsformen und Experimenten mit theatralischen Ausdrucksmitteln.

Neugefundene Orte und Mittel sind weitgestreut, je nach Inszenierungskonzept werden sowohl ehemalige Kinos, Fabrikshallen und Straßenbahnremisen, aber auch Straßenecken zu einem Platz für Theater umgestaltet. Im Sinne eines offenen Spielraums und der Inkludierung der Neuen Medien ist in den 90er Jahren eine neue Komponente dazugekommen: der elektronische Raum.
INTERNET
Die Theaterszene im Internet entwickelte sich aus Treffpunkten im Netz, die sich Theatertheoretiker und -künstler geschaffen haben, um Erfahrungen auszutauschen und Projekte zu entwickeln. Zentrum dieser Treffpunkte bilden verschiedene Diskussionslisten und die Kommunikationsumgebung des ATHEMOO. Der virtuelle Raum des ATHEMOO wurde an der Universität von Hawaii in Manoa im Juni 1995 von Dr. Juli Burk erstellt und bietet seitdem Theaterschaffenden die Möglichkeit zu synchronen Treffen.

Ein Stück kann unter Verwendung des Internet auf verschiedenste Arten und Weisen aufgeführt werden. Es ist nicht zwingend notwendig, dafür einen vollkommen neuen Ort im Internet zu schaffen. Bühnen können in schon bestehenden Räumen, den Online-Meeting-Places, errichtet werden. Vorstellungen fanden bereits 1993 in den text-basierten Umgebungen IRC [Internet Relay Chat] und später in MOOs [Multi User Dimension Object Oriented] statt. Des weiteren gab es Experimente mit der etwas "bunteren" Umgebung "Palace", einem zweidimensionalen Chat-Place, und unter Verwendung von CU-SeeMe-Videoconferencing-Software, die Video und Audio in Echtzeit bietet.
KOLLEKTIVE KOLLABORATION
In der Produktion von oudeis – a world wide odyssey wurde die kreative Zusammenarbeit, eine in der Fringe-Tradition stehende Arbeitsweise, zu einer weltweiten Kollaboration erweitert. Mitarbeiter von verschiedensten Kontinenten und kulturellen Umfeldern fanden sich mittels des Mediums Internet zusammen. Ausgehend von einer lokalen Gruppe in Wien vergrößerte sich das Team zu einer stattlichen Anzahl von Partnern in der ganzen Welt, die über E-mail und Online-Treffen kommunizieren.

Die Kommunikation wird über drei Mailinglisten, die sich mit der Organisation, der Dramaturgie und der technischen Seite befassen, geführt. Diese Listserv-Mailinglisten ermöglichen selbst in einer so großen Gruppe einen zielgerechten Informationsfluß. Als Zusatz hierzu wird jedoch auch eine synchrone Kommunikationsform für die kreative Arbeit benötigt. Im erwähnten ATHEMOO finden regelmäßige Treffen des weltweiten Teams statt.
ODYSSEE
Vor mehr als 2600 Jahren verfaßte Homer das Epos über die Irrfahrten des Odysseus. Viele Theoretiker beschäftigten sich mit den Metaphern der Orte, die Odysseus in den zehn Jahren vor seiner Rückkehr nach Ithaka besuchte. Christine Pellech beschrieb in Die Odyssey. Eine antike Weltumsegelung [Reimer, Berlin 1983], daß ihn seine Wanderungen über die sieben Weltmeere führten. Unter der Verwendung der von Homer verfertigten Beschreibungen [Himmelsrichtungen, See- und Windströmungen, Reisedauer …] skizziert sie eine mögliche Route seiner Weltumsegelung.

Odysseus' Reise und ihre Stationen werden in verschiedensten Werken auf eine zeitgenössische Art interpretiert. Künstler unseres Jahrhunderts wurden auch vom Gedanken der sich ändernden Distanzen und Bedeutsamkeit der Orte beeinflußt. Ein uns inspirierendes Beispiel dafür ist Walter Grond und sein Absolut Homer [Droschl, 1996].

Die Reise des Odysseus bietet eine exzellente Metapher, um die Theorie der Beschleunigung und die Enträumlichung der Welt zu einem globalen Dorf zu beleuchten. Anstatt entlang der Seewege wird Odysseus entlang der Leitungen des Internet reisen.
OU∂EIS
Die Struktur des Stücks ist von der Form der antiken griechischen Tragödie beeinflußt. Die sieben Epeisodia, i. e. die Szenen, sind von den Stasima umgeben, den Gesängen des Choros. Jedes Epeisodion bringt eines der Ereignisse, die Odysseus an den verschiedenen Stationen seiner Reise zu durchleben hat, auf die Bühne. Nach Homer besucht Odysseus die Insel der Kyklopen, wo er auf den grausamen Polyphem trifft, die Insel von Aiolos, dem Gott der Winde, die Insel Aiaia, die Heimat der schönen Kirke, selbst in den Hades steigt er hinab, bevor er einige Jahre auf Ogyia bei Kalypso ruht, um dann nach Ithaka zu Penelope heimkehren zu können.

Jeder Schauspieler wird seine Muttersprache verwenden. Die Interaktion zwischen den Bühnen an den verschiedenen Orten der Welt wird in multilingualen Dialogen stattfinden. Die Stasima zwischen den Szenen werden in Griechisch gesungen. Odysseus reist virtuell von Bühne zu Bühne, von Stadt zu Stadt, von Aufführungsort zu Aufführungsort. In jedem Epeisodion kann ein anderes Publikum eines anderen Landes einen Schauspieler des Odysseus sehen. Dieser Schauspieler wird auf den anderen Bühnen als Lichtkegel repräsentiert.
CHOROS
Zusätzlich zur körperlichen Anwesenheit in einem der Theaterhäuser wird es die Möglichkeit geben, die Aufführung im World Wide Web zu verfolgen. Das wiederum ermöglicht eine aktivere Teilnahme am Bühnengeschehen. Zwischen den Epeisodia werden die Stasima, die Gesänge des Choros, zu sehen und zu hören sein. In der Tragödie stand der Choros für das Volk. In oudeis wird er die Stimmung des Cyberpublikums wiedergeben. Das auf diese Weise mit dem Stück interaktiv verbundene Publikum hat die Möglichkeit, die Handlung zu kommentieren.

Der Klang von griechischen A-cappella-Gesängen, die von einer internationalen Gruppe um Santiago Pereson komponiert werden, wird durch Anweisungen ausgelöst werden, die die virtuellen Zuschauer während des Stückes senden. Eine Lautsprecheranlage wird diese Musik auf allen Bühnen reproduzieren. Die Summe dieser Stimmen wird den Chor bilden, und jede Stimme wird von jemandem aus dem Netz hervorgerufen werden.
PROTOTYP
Die weltweite Premiere der globalen Theateraufführung von oudeis – a world wide odyssey wird 1998 stattfinden. Die Komplexität der Idee und ihrer Realisierung läßt im Diskurs viele Fragen unbeantwortet. Ein Prototyp des Bühnen- und Aufführungskonzepts soll einige dieser Fragen beantworten – und neue stellen. Weiters werden die unterschiedlichen Entwicklungsstufen der weltweiten Partner auf einen gemeinsamen Stand gebracht. Im Zuge eines realen Treffens beim diesjährigen Ars Electronica Festival werden die Teilnehmer, die sich zum Teil nur virtuell kennen, die weiteren Perspektiven des Projekts erarbeiten.

Die Arbeit an zwei Szenen, die in öffentlichen Proben auf zwei Bühnen dargestellt werden, untersucht die Möglichkeiten der Interaktion zwischen realen und virtuellen Darstellern. Geprüft werden auch die Übertragungsmöglichkeiten sowie die Inkludierung der aktiven Teilnahme im World Wide Web.
ONE HOUR
In der zeit-räumlichen Einheit von Rollenspiel und Zuschauen entsteht Theater. Oudeis hat sich zum Ziel gesetzt, diese Einheit durch die Aufhebung der geographischen Grenzen zu erreichen.

Die Interaktion zwischen den Bühnen und die Visualisierung wird in Echtzeit stattfinden, die Abendvorstellung des einen Kontinents wird als Matinee des anderen zu sehen sein. Zeitzonen, Übertragungsdauer und Schnelligkeit werden als zusätzliche Parameter in das Inszenierungskonzept einbezogen.
PROGRESS
Die Lichtkegel werden von einer für das Theater revolutionären Idee belebt. Es wird eines der ersten Male sein, daß gezeigt wird, was ein Schauspieler wirklich fühlt, während er oder sie spielt. Das Schauspiel zeigt niemals die wirklichen Emotionen des Darstellers, sondern die Gefühle des dargestellten Charakters. Unter der Annahme, daß die Darsteller des Odysseus und seiner Gefährten nicht wirklich um ihr Leben bangen, während sie sich mit dem grausamen Polyphem gemeinsam auf der Bühne befinden, kann der Zuseher niemals erkennen, worauf sich die Schauspieler in diesem Moment tatsächlich konzentrieren.

Dank einer speziellen Sensortechnik, die an den Schauspielern verwendet wird, können diese normalerweise versteckten Emotionen gezeigt werden. Die von diesen Sensoren aufgenommenen Daten werden in Information über Farbe und Intensität des Lichtkegels umgewandelt. Die Positionen der Schauspieler werden von den Lichtsystemen der Bühnen erfaßt. Diese Information wird in ihrer Gesamtheit über das Internet zu den anderen Bühnen transportiert und produziert dort die virtuellen Schauspieler. Dadurch ist gesichert, daß jede Aufführung einzigartig ist, denn die virtuellen Schauspieler als Visualisierung der realen Schauspieler werden echte, lebende und fühlende Menschen und nicht vorprogrammierte Lichtvariationen sein.
DOKUMENTATION
Als Work-in-Progress existiert dieses Projekt bereits in der laufenden Diskussion, in der Arbeit an seiner Entwicklung und der Reflektion der Kunst- und Theaterszene.

Um diesen Entwicklungsprozeß in der kollektiven Arbeit des oudeis-Teams über den Inhalt der Hypermail-Archive der Diskussionslisten hinausgehend zu dokumentieren, wurde im Sommer 1996 die monatliche Zeitschrift Status Quo gegründet, die über das World Wide Web abrufbar und dort auch als druckbare Version verfügbar ist. Seit ihrer ersten Ausgabe war sie in ständigem Wachsen begriffen und dokumentiert mittlerweile nicht nur die Weiterentwicklung des ou∂eis-Projektes, sondern präsentiert auch andere Projekte, die zur Zeit im Internet aufgeführt werden.
ROUTING
Im Jahr 1998 wird die Karte von Odysseus' Weltreise neu gezeichnet werden, um eine für das 20. Jahrhundert passende Reiseroute zu zeigen, den möglichen Routen des Datenpakets durch das Netz folgend.

Von Europa reist Odysseus nach Illinois, südwärts nach Argentinien und Brasilien, um die Südhalbkugel nach Australien, und von dort wieder nordwärts nach Asien. Die achte Bühne ist im World Wide Web zu finden, wo sie über jeden Computer, der Zugang zum Internet hat, erreichbar ist.

ou∂eis – a world wide odyssey wird auf sieben über die ganze Welt verteilten Bühnen zu sehen sein. Auf jeder Bühne wird ein realer Schauspieler nicht nur spielen, sondern mit seinen virtuellen Gegenspielern, den realen Schauspielern der anderen Bühnen, über die Leitungen des Internet interagieren. Über die Teilnahme an der Aufführung in einem der Theater hinaus wird es die Möglichkeit geben, ihr über das Internet beizuwohnen und so darin eine aktive Rolle zu übernehmen.
"The effective combination of live theatre and the Internet is very tricky!"

Dan Zellner

"Big tnx for these amazing thoughts. From the technical point of view: Everything is possible, it's just a question of money, time and bandwidth."

Rainer Fügenstein

"I would worry if there is no concentration on the audience, for without an audience is there really a performance?"

Nina LeNoir

TwylaM-S says, "I really think that it is. It's slated for next spring, I think."
SantiagoP says "autumn here..."


Talk at ATHEMOO

"Die Odyssey ist episch angelegt, dehnt sich über Jahre aus und wird beschleunigt zu einer Stunde."

Gernot Lechner

"The need of having an interaction between the stages is that we should think of the world as one big stage."

Monika Wunderer