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Ars Electronica 1996
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Festival 1979-2007
 

 

Vektor im offenen Raum


'Gerfried Stocker Gerfried Stocker

Es gibt viele Gründe anzunehmen, daß ein einmaliges Vorhaben wie das Ars Electronica Center nicht nur seiner Namensgebung wegen ohne seine “Paten” nicht hätte zustande kommen können. Der wesentlichste Grund seines Entstehens ist jedoch das aus dem international akklamierten Ars Electronica Festival und dem Prix Ars Electronica gewachsene Wissen um die Notwendigkeit eines zukunftsorientierten Umgangs mit der Gegenwart. Ein Wissen, das Voraussetzung ist, sich im Vorfeld der kulturellen Entwicklung den zu Anbeginn programmierten Zielbereichen, Kunst, Technologie und Gesellschaft als einem gemeinsamen Aufgabenbereich kompetent zu stellen.

Eine Grundüberlegung zur Programmatik betrifft daher die Positionierung in jenem Umfeld, in dem das Ars Electronica Center durch seine Ableitung aus den Aktivitäten des Festivals und des Prix wurzelt. So wird dem Ars Electronica Center auch seine Bestimmung durch ein funktionierendes Modell vorgegeben: nämlich künstlerisches Engagement als Leitbild für die Navigation durch die in einer Mediamorphose begriffenen Welt; als Motor für die gesellschaftliche Konfrontation mit den neuen Rahmenbedingungen unserer Zeit; als Ressource für die anstehende Gestaltung und Akulturation der neuen medialen Lebensräume.

Angesichts dieses programmatischen Hintergrundes ist das Ars Electronica Center nicht nur als ein kultureller Kompetenzträger zu verstehen, sondern – infolge des Verständnisses von Kultur als Techno-Evolution – selbst als ein Projekt der Kunst dieser Kultur. Konsequenterweise verhält sich dieses Projekt wie ein “work in progress” – im Hinblick auf seine Integrationsfähigkeit ebenso wie auf seine Kompatibilität mit den Interessen einer breiten Öffentlichkeit; andererseits verlangt ein Projekt, das sich so sehr im Sturm der Veränderungen und Neuerungen exponiert, eine starke Identität, die es über Technikmoden und kurzlebige Hypes hinausstellt.

Das Ars Electronica Center darf sich daher nicht nur als Anbieter und Galerie begreifen, sondern als Partner, als Infrastuktur und Impulsgeber. Das heißt, es muß selbst an seiner eigenen Notwendigkeit, der Schaffung eines fruchtbaren Umfeldes mitwirken.

Denn, was unterscheidet das Ars Electronica Center als “Museum der Zukunft” von einem Werbecamp der Computer- und IT-Industrie? Im wesentlichen wohl, daß die Inhalte dieses “Museums” nicht von Produktherstellern oder Softwareentwicklern designt werden, sondern aus einer künstlerisch motivierten Herangehensweise resultieren.

Das Ars Electronica Center legt es darauf an, eine Art Magnetfeld zu entwickeln, das nicht nur verstärkt internationale Kapazitäten, sondern auch neugierige, experimentierfreudige Kreative [welcher Ausbildung auch immer] nach Linz zieht. Gedacht ist, auf diesem Wege einen Pool von kompetenten, interessierten, innovativen Menschen ins Leben zu rufen, die sich der Gravitationskraft des Centers nicht nur physikalisch, sondern auch in ihrem Denken “ausliefern” werden; insofern, als sie – von dem modus operandi, aus großer Distanz die Dinge in ihren Köpfen zu disponieren, in die unmittelbare Nähe zur Technologie gebracht – zwangsläufig ihre Herangehensweise an die Dinge werden ändern müssen. Ein solches Naheverhältnis evoziert automatisch eine ganz andere Art von Ideen, als sie bisher mehrheitlich die Gestalt von ästhetischen Ferndiagnosen erhielt.

Schon in den Monaten vor dem offiziellen Betriebsbeginn herrschte im Ars Electronica Center keine sterile institutionelle, konzeptionell gesteuerte Arbeitsatmosphäre, es präsentierte sich vielmehr als offene Werkstatt, in der kreative Intelligenz ihr Vermögen an den Geräten und dadurch deren Leistungsvermögen erprobte. In einem dieser neuen Hacker-/ Künstlergeneration eigenen, für Außenstehende kaum nachvollziehbaren konsequenten Einsatz am Gerät selbst, der Identifizierung, geradezu Verschmelzung mit dem Computer [und dem dahinterliegenden Netzwerk] wurde die digitale Revolution, die unsere Gesellschaft heute erfaßt, konkret.

Vieles davon, was die “Home-Directories” dieser “Freaks” niemals verlassen wird, was sie wohl auch nicht in den offiziellen Web-Server des Centers stellen werden, ist vor allem im Zusammenhang mit seinem Entstehungsprozeß und dem von Selbstverständlichkeit [nicht zu verwechseln mit unreflektierter Gelassenheit] geprägten, erst für die dritte Generation der Computeruser bezeichnenden Umgang so bemerkenswert – unleugbares Zeichen des im diesjährigen Festival als “Memesis” bezeichneten Entstehens einer neuen Kultur. So spielt das Festival, das zugleich ganz im Zeichen der Eröffnung des Centers steht, auch auf die Eröffnung solcher Aktionsfelder an, auf eine neue Phase der Arbeit mit Medientechnologie und der Medienkunst, der es bedarf, um der technologischen Revolution auch mit jener Kraft zu begegnen, die durch sie wirksam geworden ist.

Hier liegt die Chance für das Ars Electronica Center, das sich mit seinen Usern verbünden, auf sie einlassen und mit ihnen wachsen muß. Dies gilt auch für die Zusammenarbeit mit den künstlerischen, innovativen Kräften: Sie müssen gewonnen werden, das Ars Electronica Center als Labor, als ihre Plattform anzunehmen und zu nutzen.

Wobei hier über den bloßen Einsatz elektronischer Medien als Werkzeug hinauszugehen, hinauszudenken ist. Zum einen sollen der Begegnung von Technikern mit Künstlern Projekte entspringen, die, in Kenntnis der technologischen Prozesse, auf der adäquaten Wahl der Mittel ebenso wie der Idee der intermedialen Vernetzung und deren Reflexion basieren. Zum anderen soll künstlerisches Know-how für Techniker und Theoretiker erschlossen werden – ein Ansatz, der angesichts der zunehmenden Bedeutung von “kreativen Problemlösungsstrategien” durchaus nicht vermessen ist. Nur in der Öffnung zu verschiedenen Interessenskreisen, in der Koexistenz von Vermittlungs- und Forschungsstätte, von Labor und Infopool kann eine den Anforderungen entsprechende Schnittstelle entstehen – eine Vernetzung mit allen Lebensbereichen, die wiederum ein kulturelles Paradigma der neuen Informationsgesellschaft ist.

Man wird lange suchen müssen, um eine historische Analogie zu jenem Phänomen zu finden, das derzeit unter teilweise sehr gegensätzlichen Vorzeichen abläuft: KünstlerInnen, die bisher auch im Medienkunstbereich isoliert und unbeachtet gearbeitet haben, sehen sich unverhofft dem außerordentlich großen Interesse einer Öffentlichkeit gegenüber, die sich Schlüsselbegriffe und ideologische Stereotypen der digitalen Revolution aneignet. Diese neue Aufmerksamkeit gilt jedoch weniger der eigentlichen künstlerischen Arbeit als vielmehr den Künstlern selbst als im weitesten Sinne gestalterisch kreatives und daher dienstbares [Arbeits-]Potential der neuen Medientechnologien. Die beklemmende Erkenntnis, daß die Techno-logie ohne “content” nicht zu verkaufen sein könnte, öffnet viele Kanäle und schürt zugleich die äußerst fragwürdige Hoffnung, daß sich in Technologie-Angelegenheiten verdienende Kunst bald selbst ihr Brot verdiene und folglich den ausgezehrten öffentlichen Kulturtöpfen etwas Entlastung zukommen könne.

Dem Künstler geht es in den latenten Grenzen seines Selbstverständnisses wie seines gesellschaftlichen Rollenbildes an den Kragen.

Hatten seinesgleichen in den klassischen Gattungen noch Theater, Galerien und Konzerthäuser als approbierte Formen ihrer abgrenzbaren Öffentlichkeit – Distributionspraktiken, die selbst in den Einweg-Massenmedien Rundfunk und TV noch einigermaßen konserviert werden konnten –, so stellt sich eine virtuelle Öffentlichkeit, wie sie das Internet exemplarisch ausformt, vielen als unwertes oder bedrohliches Nichts dar. Als ein schwarzes Loch, in dem alles verschwindet, weil es sich so schwer auszeichnen und hervorheben läßt in dem allgemeinen “Kommunikationsmüll” [als ob eine Galerie in Hong Kong oder ein guter Artikel in all den Zeitschriften eines Flughafenkiosks leichter zu finden wäre ...], weil jeder sich alles greifen kann, weil man, und das zumindest ist ein sehr ernstzunehmender Aspekt, davon nicht einmal leben kann. Dennoch kann es sich ein Künstler keineswegs mehr leisten, außerhalb dieser Entwicklungen zu stehen; Homepages und E-mail gehören zu selbstverständlichen Bestandteilen einer Künstlerbiographie.

Die Umsetzung künstlerischer Ideen ist oft nur mehr mit beträchtlichem technologischem Aufwand zu bewerkstelligen, so daß die herkömmlichen Orte der Kunst nur mehr selten den richtigen Rahmen abgeben. Das “Verschwinden” der Kunst und ihrer Künstler – angekündigt und lange schon in der interdisziplinären Verschränkung der Genres vorgedacht und geprobt – wird abseits der spannenden theoretischen Neudefinition von Selbstverständnis und Rollenbild zu einer realen Möglichkeit.

Die geänderten Rahmenbedingungen fordern uns neue Konzeptionen ab. Dies gilt gleichermaßen für Produktion, Vermittlung und Rezeption. Angesichts der großen Herausforderung, mit der sich die zeitgenössische Kunst konfrontiert sieht, sich einzurichten im “elektronisch- digitalen Raum”, sich zu behaupten zwischen den Faszinationen unseres High-Tech-Environments und einer notwendigen kritischen Reflexion und Distanz, ist interdisziplinäres, vernetztes Arbeiten heute zu recht ein Schlüsselbegriff – nicht nur des Kunstbetriebs – geworden. Um tatsächlich zeitgenössisch zu sein, muß sich der Künstler als Knoten in einem technologisch determinierten gesellschaftlichen Umfeld begreifen – und damit eine auch höchst politische Verantwortung übernehmen.

Eine Institution wie das Ars Electronica Center, mit seiner spezifischen gerätetechnischen und personellen Infrastruktur, mit seiner Doppelfunktion als Produktions- und Präsentationsort, aber auch mit seiner Positionierung “zwischen den Fronten” hat in diesem Zusammenhang zeitgemäßen Modellcharakter. Betrachtung und Reflexion des Spannungsfeldes von Kunst, Technologie und Gesellschaft erfolgte oft nur in den internen Zirkeln des Festival-Publikums, doch die Virulenz dieser Themen übersteigt ein bloß medientheoretisches Interesse bei weitem und ist eine Herausforderung, der sich Festival und Center gleichermaßen stellen müssen.

Denn nicht nur die von Künstlern besiedelten Nischen geraten aus den Fugen, ihr Schicksal teilt auch die Welt der klassischen Berufsbilder im Verlust eines langbewährten Regelwerks der gesellschaftlichen Ordnung und Hierarchie. Auf Arbeit als sinnstiftenden Lebensunterhalt hin orientiert, mental wie auch ökonomisch, sehen wir dem Näherkommen einst moderner Visionen einer durch Technologie von ihrer Arbeit befreiten Menschheit mit großer Skepsis entgegen, blieben doch in der ersten Annäherung alle schillernden Utopien und Verheißungen auf der Strecke. Gegenwärtig folgt die Durchsetzung der Informationstechnologien noch ziemlich einfallslos den Leitlinien des klassischen Kapitalismus zu Ungunsten sozialstaatlicher Ideen. Derartige “banale” Aspekte werden im Fieber der gutgemeinten Euphorie noch viel zu selten angesprochen und leisten einer zunehmenden Verunsicherung und auch Abwehrhaltung Vorschub. Hier ist eine laufende offene und öffentliche Diskussion und Konfrontation gefordert.

Für diesen Diskurs ist Linz dank seines frühen Engagements in der Auseinandersetzung mit der Krise einer Gesellschaft an der Wende des Industriezeitalters zum Informationszeitalter nur ein Vorteil.