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Prometheus in der Hölle


'Rainer P. Born Rainer P. Born

"It would seem that for most of us, most of the time, communication depends on more than words."

(Winterson)


TECHNIK UND KUNST – EIN AUSBLICK
Als Albert Camus 1946 – die Hölle des zweiten Weltkrieges noch drastisch vor Augen – seinen kleinen Essay Prometheus in der Hölle schrieb, gab es das Internet noch nicht. Aber es gab die Sehnsucht nach einer neuen Zukunft für die Menschen, nach Kommunikation quer über alle Grenzen hinweg, nach einem friedlichen Miteinander an Stelle eines instrumentalisierten, maschinengeleiteten Gegeneinanders.

Camus benützt Prometheus, für den es kennzeichnend sei, "daß er die Maschine nicht von der Kunst trennen kann" und der "an die gleichzeitige Befreiung des Körpers und der Seele glaubt", als Metapher und erstes Symbol von Menschlichkeit und Kultur.

Im folgenden möchte ich die Chancen der kulturellen Evolution der Menschheit vor dem Hintergrund der weltweiten elektronischen Informationsverarbeitungs- und Vernetzungsmöglichkeiten [an-] diskutieren, und zwar im Sinne der von mir dahingehend interpretierten Thematik des Symposiums – oder wie es Camus ausdrückt – "... werden wir die Kraft haben, das Heidekraut zum Blühen zu bringen?"

Wenn wir uns in eine rein technologische, instrumentelle Informationsvermittlung verstricken, dann wird letztlich die Möglichkeit einer Adaptivität des Systems Mensch an eine neue Umwelt verringert. Wir werden in unseren Reaktionsspielräumen und -mustern eingeschränkt und können nicht mehr flexibel genug auf rigorose Veränderungen in unserem Umfeld reagieren – Prometheus wird in der Hölle bleiben, und das Heidekraut wird verwelken.

Die Verbindung von [Computer-] Technik und Kunst räumt der Kunst eine besondere Stellung ein. Mit anderen Mitteln als die Philosophie, aber zum selben Zweck, ermöglicht es Kunst, Menschlichkeit im Umgang mit unserem Wissen zu reflektieren, und schafft damit die Möglichkeit eines neuen Evolutionsschubes in der Kommunikation von nicht verbalisierbarem Wissen. Durch Kunsterleben, durch das Moment des Sich-Öffnens für neue Einsichten, wird eine andere Art des Einbettens und In-Bezug-Setzens, eine andere Art der Reflexion des Alltages erreicht. Kunst ermöglicht also die Befreiung der Seele. Was allerdings geschieht mit dem Körper?

Zu einer Befreiung von Körper und Seele bedarf es neben der künstlerischen auch einer philosophischen Reflexion dessen, was bei der Kommunikation von Wissen passiert, wie sie erfolgreich sein kann und was es uns ermöglichen wird, die rein verbale Weitergabe von Wissen zu durchbrechen bzw. um nicht-verbale Inhalte zu erweitern.

Ich werde also zu zeigen versuchen, daß die Idee der "kulturellen Evolution" als Kennzeichen für "komplexe, adaptive Systeme" [Gell-Mann], wie z. B. Menschen es sind, auf der Idee einer inhaltlichen [d. h. nicht rein genetischen] Wissensvermittlung aufbaut, daß aber im Hinblick auf den Einsatz moderner Technologien übersehen wird, daß man im sogenannten Netz zunächst einmal nur sprachlich [oder multimedial] aufbereitetes Wissen weitergeben kann. Positiv formuliert bedeutet das, daß vor allem sogenanntes Faktenwissen rasch weitergegeben werden kann. Man gewinnt damit Zeit für anderes. Neue Wege zur Wissensvermittlung könnten dadurch eröffnet werden, weil man sich nicht mehr mit der simplen Faktenvermittlung herumschlagen muß.

Die Gebrauchsanleitung nämlich, die für den Umgang mit Faktenwissen entscheidend ist, wird nicht immer oder zumindest nicht in ausreichender Weise mitgeliefert. Es werden also häufig gerade diejenigen Informationen nicht weitergegeben, die nicht so ohne weiteres [sprachlich] ausgedrückt oder kommuniziert werden können, weil sie auf speziellen Erfahrungen im Umgang mit und zur Anwendung von Wissen beruhen.

Als Utopie wäre anzustreben, daß über Internet und ähnliche Kommunikationskanäle nicht nur die Fakten, sondern auch die Gebrauchsanleitung, nicht nur formales, sondern auch inhaltliches, genetisches und memetisches Wissen in geeigneter Weise vermittelt werden.
BIOLOGISCHE UND KULTURELLE EVOLUTION ODER GENETIK VERSUS MEMETIK/MEMESIS
Wenn wir die biologische und die kulturelle Evolution vergleichen, so ist der entscheidende Unterschied der, daß die genetische, also interne, Weitergabe von Information über das Umfeld, in dem ein Organismus lebt und an das er sich angepaßt hat, im allgemeinen sehr langsam ist. Populationsgenetisch betrachtet, ist sie für die einzelnen Individuen als solche unter Umständen sogar eher nachteilig.

Die kulturelle Evolution stellt demgegenüber eine wesentliche Beschleunigung in der Weitergabe von überlebensrelevanter Information dar. Der Trick besteht nicht zuletzt darin, Information zu "externalisieren", d. h. Zeichen zu benutzen, die in bestimmten Situationen einen benutzbaren Informationsgehalt besitzen. Die Bedeutung eines Zeichens ergibt sich aus seinem Gebrauch in der Sprache, aus dem Umgang damit in einem Sprachspiel – frei nach Wittgenstein. Im Laufe der kulturellen Evolution wurden die verschiedensten Techniken zur Weitergabe von Information entwickelt, die [je nach Kultur in unterschiedlichem Maß] auf individuellen Erfahrungen beruhen und die individuelle Entwicklung reflektieren. Man hat sich gewissermaßen externe Informations"gene" geschaffen. Von außen gesehen muß jedes Mitglied der Kultur lernen, mit diesen Zeichen umzugehen und die darin kodierten Informationen entsprechend zu benutzen.
Betrachtet man die Möglichkeiten des Internet als verlängerten Arm der kulturellen Evolution [Informationsweitergabe], so kommt es aber darauf an, daß die vermittelten Ideen wie Samen auf einen Boden fallen, der schon vorbereitet sein muß. Man muß schon etwas wissen, schon eigene Erfahrungen gemacht haben, um die Zeichen der anderen zu verstehen.

Wenn man Wissen durch Lernen weitergibt, wird Wissen aus Bausteinen neu aufgebaut. Da stellt sich nun folgende Frage: Was leistet eine evolutionistische Sichtweise [Memesis] zum Verständnis der Rolle des Internet bei der Weiterentwicklung oder Verbesserung der kulturellen Evolution, etwa in Richtung der Initiierung eines neuen Evolutionsschubes? Was kann dadurch in bezug auf die Entwicklung der weltweiten Informationsvernetzung durch das Internet besser verstanden, besser beschrieben, besser prognostiziert werden?

In der kulturellen Evolution werden unter dem Aspekt der besseren Anpassung an die Umwelt Ideen weitergegeben – aber eben nicht so sehr die konkreten Ideen, die man weitererzählen kann, sondern "Ideenkerne". In Analogie zum Konzept der "Gene" führt Dawkins den Begriff "Meme" als Baustein der kulturellen Evolution ein und nominiert damit einen Träger für die Weitergabe kultureller Information, die so ähnlich funktionieren soll wie die Weitergabe von Erbmaterial in einem Gen.

Ideenkerne haben den Vorteil, daß man verschiedene Einzelfälle unter einem gemeinsamen Aspekt [oder einer gemeinsamen Funktion] erfassen und sich so rasch darauf einstellen kann. Man kann ein Rad erkennen, man hat Erwartungen bezüglich seines Funktionierens, man kann es in einem anderen Fall durch Rollen ersetzen und einen schweren Kasten auf diese Weise verschieben. Man hat also erfaßt, worauf es bei einem Rad ankommt – was aber ist für die erfolgreiche Kommunikation von Ideenkernen verantwortlich?

Das tatsächliche Problem der kulturellen Evolution ist die Erfahrungsweitergabe. Wissen muß so weitergegeben werden, daß es in entscheidenden Situationen etwas nützt! Externes [nicht genetisch kodiertes] Wissen sollte auch korrigiert werden können [genetisches Wissen kann nur langfristig – durch Mutation oder Aussterben – korrigiert werden], es sollte also möglich sein, durch – individuelle, kollektive, künstlerische – Reflexion Fehler bei der Replikation von Wissen zu vermeiden, wobei zufällige Fehler mitunter auch nützlich sein können.
MEMESIS UND DIE GLOBALE INFORMATIONSVERNETZUNG

"Wenn ihr zu den großen Leuten sagt:
Ich habe ein sehr schönes Haus mit roten Ziegeln gesehen, mit Geranien vor den Fenster und Tauben auf dem Dach … dann sind sie nicht imstande, sich dieses Haus vorzustellen. Man muß ihnen sagen: Ich habe ein Haus gesehen, das hunderttausend Franc wert ist. Dann schreien sie gleich: Ach, wie schön!"


[Antoine de Saint-Exupéry]
Die Kernfrage ist: Wie kann man neues Wissen "im anderen" aufbauen? Es geht hier darum, neue Sichtweisen zu vermitteln, die sich nicht unmittelbar aus dem bisherigen Hintergrundwissen und seiner Semantik/ Pragmatik ergeben oder ableiten lassen.
Wir haben bezüglich der Möglichkeiten des Internet insoferne überzogene Erwartungen, als wir auch falsche Erwartungen an die Informationswissenschaft haben, die dem Internet zugrunde liegt. Die Ergebnisse der Wissenschaft sind in den seltensten Fällen unmittelbare Handlungsanleitungen oder Beschreibungen von Realität, sie dienen viel eher einem allgemeinen Verständnis, einer Erklärung von Zusammenhängen in der Welt.

Wenn man einen Stab auf den Fingern balanciert, schaut man auf die Spitze des Stabes und orientiert sich in seinen Handlungen daran. Die Spitze des Stabes ersetzt das ganze System, ist eine Kenngröße für das betrachtete System. So ähnlich benutzt man in der Wissenschaft Modelle - Idealisierungen, die die Realität ersetzen -, um mit ihrer Hilfe die Realität zu manipulieren.

Es besteht die Tendenz, zur Weitergabe von Faktenwissen eine universelle Sprache und in diesem Zusammenhang einen universellen Common Sense voraussetzen, in der Hoffnung, auf diese Weise "alles" kommunizieren zu können. Leider bleiben wir dann in dem Elend stecken, aus dem uns Prometheus retten wollte: "Sie sahen, ohne zu sehen, sie hörten, ohne zu hören, den Gestalten des Traumes gleich." Wenn man verbalisiertes Wissen verstehen will, muß man im Grunde schon etwas wissen, ein gemeinsames Hintergrundwissen haben, um die kommunizierten Inhalte begreifen und damit sinnvoll umgehen zu können. Wenn aber dieses Wissen nicht universell, erdumspannend nivelliert werden soll [universelles Durchschnittswissen, Denken im Gleichschritt, marsch], muß man die Möglichkeit haben, zumindest lokal diese Nivellierung zu durchbrechen, neue Erfahrungen zu machen, Zusatzwissen zu erwerben und auch dieses neue Wissen weiterzugeben.
EVOLUTION DER KOMMUNIKATION – CHANCEN UND GRENZEN DES INTERNET

"Art is for us a reality beyond now. An imaginative reality that we need. The reality of art is the reality of the imagination. The reality of art is not the reality of experience."

[Winterson]
Das Internet bringt uns vor allem einen Geschwindigkeitszuwachs in der Vermittlung von Faktenwissen. Letztlich handelt es sich dabei aber um "Zeichen", die übertragen werden und die ihren Sinn erst durch Interpretation [Dekodierung] in einer Lebensform, in einer Lebenswelt, in einer Lebenspraxis erhalten. Durch den Zeitgewinn entsteht ein Freiraum, den man im Sinne eines Evolutionsschubes für die Kommunikation der Interpretationsmöglichkeiten von vermittelten Zeichen nutzen könnte. Es geht dabei vor allem um die Möglichkeit, implizites Wissen ["tacid knowledge" nach Polanyi] beim Empfänger aufzubauen.

Der Evolutionsschub besteht hier darin, daß eine neue Art von Aufbau und Vermittlung von Information/Wissen eine bessere Überlebenschance bedeutet, sei es für das Individuum, sei es für die Spezies als solche.

Natürlich sollte man die Bedeutung von Faktenwissen nicht unterschätzen oder abwerten. Man darf aber auch nicht vergessen, daß das Internet ursprünglich aus militärischen Überlegungen heraus entwickelt wurde und daß es sich vor allem für die Weitergabe von überlebensnotwendigen, leicht kommunizierbaren Informationen eignet, die nicht notwendig kreativer Natur sind und/oder die Lebensqualität verbessern. Durch die reine Weitergabe von Fakten wird auch die Lebenswelt nur auf Fakten reduziert. Anstelle einer verbesserten Anpassung an eine sich ständig verändernde Umwelt erreicht man eine Erstarrung und Ritualisierung von Lebens- und Wissensformen.

Der Evolutionsschub – die Verbesserung der Lebensqualität – kann also nicht aus dem Internet, sondern nur im kreativen Umgang mit dem Internet entstehen. Kunst könnte diese Qualitätsverbesserung leisten, denn die reflexive Aufgabe von Kunst bietet die Möglichkeit, Fakten in Bildern neu zusammenzustellen und dadurch neue Sichtweisen zu kommunizieren.
NEUE FORMEN DER WEITERGABE VON WISSEN – KUNST UND CYBERSPACE

"It is the artists who must apprehend things fully, in their own right, communicating them not as symbols but as living realities with the power to move."

[Winterson]
Die Chance des Internet [zur Initiierung eines Evolutionsschubes in der Qualität der Kommunikation von Information] ist also gar nicht die, daß man die Kommunikationstechnik als solche benutzt, nämlich um Informationen rasch weiterzugeben, sondern daß man sich entlastet, um andere Kommunikationsformen zu entwickeln, um damit dasjenige Wissen weiterzugeben, das nicht so ohne weiteres durch sprachliche oder andere [auch multimediale] Darstellungsmittel explizit ausgedrückt werden kann. "Wissen" ist nicht identisch mit reinem Faktenwissen.

Bei der Weitergabe von Wissen muß man auch daran denken, wie Wissen zustandegekommen ist und welche Erfahrungen für Verstehen notwendig sind. In der Wissenschaft zum Beispiel geht es sehr oft darum, daß Ergebnisse durch kontrollierte Reproduktion nachvollziehbar sind, aber die Techniken der Reproduktion sind nicht die Techniken des Aufbaues von Wissen und schon gar nicht die der Entdeckung. Wichtig ist jedoch die Weitergabe letzterer, die Weitergabe von neuen Sichtweisen.

Hier liegt die Chance der Kunst. Durch das Erleben der Verfremdung von Alltäglichem kann sich der Betrachter für neue Sichtweisen öffnen und sich dadurch mit neuen Fakten vertraut machen. Durch die Kunst wird eine Verbindung von Rationalität und Emotionalität hergestellt, die zu einer wechselseitigen, reflexiven Korrektur, zur Wiedereinführung eines menschlichen Augenmaßes führen kann.

Wenn man die Technologie des Cyberspace [Datenhelm und Datenhandschuh] betrachtet, dann hat es den Anschein, als ob dadurch neue Möglichkeiten der Informationsvermittlung geschaffen würden, Möglichkeiten, die darauf hinauslaufen, daß man in einen anderen Erfahrungsraum eintaucht und Erfahrun-gen macht, die einen in eben dem Sinn öffnen, wie wir es der Kunst zugestanden haben. Man darf aber nicht übersehen, daß es sich bei all diesen Techniken um Simulationen handelt, die sich jeweils nur auf einen oder mehrere ausgewählte Aspekte von Realität beziehen und somit künstliche Modellwelten im und durch den Computer erzeugen.

Für virtuelle Welten sind enorme Rechnerleistungen auf Seiten der Computer erforderlich. Die technischen Entwicklungen gehen dahin, alles "in Echtzeit" zu ermöglichen, d. h. man dreht den Kopf und der Computer rechnet und generiert das entsprechende Bild auf dem Monitor so schnell, daß man den Eindruck hat, in einem natürlichen Raum herumzuschauen. Es erscheint mir hier wichtig, darauf hinzuweisen, daß es bei dieser Möglichkeit, z.B. den Mount Everest zu erleben, im Prinzip immer noch so ist wie bei einem Video-Clip. Man sieht diejenigen Ausschnitte, die – in diesem Fall auf der Grundlage mathematischer Modelle – vorgewählt sind. Man wird vom Mount Everest nur das bewundern können, was insofern vorgegeben ist, als es im "Möglichkeitsraum der mathematischen Repräsentation" angelegt ist. Die tatsächliche Aktivität als Benutzer ist de facto eingeschränkt auf das [mathematisch] Zulässige. Da das zunächst gar nicht auffällt, haben wir aufgrund der Interaktivität, zum Beispiel durch die Wahl des Verweilens bei einer bestimmten Perspektive, den Eindruck, tatsächlich völlig frei zu sein. – Doch ist es fraglich, ob man im virtuellen Raum den Mount Everest beispielsweise auch auf dem Kopf stehend betrachten kann, was man, bei einigem akrobatischen Können, in der realen Welt durchaus kann. – Aber selbst wenn man die Simulationen so verbessert, daß man die Täuschungen praktisch nicht mehr bemerken bzw. durchschauen kann, ändert das nichts an der prinzipiellen Situation.

Die Vereinfachungen des Cyberspace verleiten dazu, die realen Welten durch virtuelle Welten zu ersetzen. Dies versucht man derzeit im Experiment bei Piloten, die mit einen Datenhelm wirklich fliegen. Ihnen wird über Leitsysteme und entsprechend leistungsstarke Computer eine vereinfachte, "sonnige" Welt eingespielt, in der sie auch bei realem Nebel sicher fliegen können. Während derzeit neben dem Cyberpiloten noch ein Co-Pilot sitzt, der durchs Fenster schauen kann – was auch ihm nur bei schönem Wetter nützt –, wird es diese prinzipielle Korrekturmöglichkeit später einmal nicht mehr geben. Es hat alles seine positiven und negativen Seiten! Nur, was folgt für uns daraus?

Für uns wird die Welt selbst zum Cyberspace – wir projizieren unsere Theorien in die Wirklichkeit. Man kommt daher möglicherweise gar nicht mehr auf die Idee, den realen Mount Everest auf dem Kopf stehend betrachten zu wollen. Die Welt wird durch unsere technischen Konstrukte ersetzt. Im Gegensatz dazu steht die Kunst, die [nach Winterson] versucht, das Leben nicht zu imitieren, sondern es zu antizipieren.
SPRACHE, INFORMATION UND WIRKLICHKEIT – ZUR MÖGLICHKEIT EINER KOMMUNIKATION VON FAKTEN UND WISSEN

"Communication between you and me relies on assumptions, associations, communalities and the kind of agreed shorthand, which no one could precisely define but which everyone would admit exists. That is one reason why it is an effort to have a proper conversation in a foreign language. Even if I am quite fluent, even if I understand the dictionary definitions of words and phrases, I cannot rely on a shorthand with the other party, whose habit of mind is subtly different from my own. Nevertheless, all of us know of times when we have not been able to communicate in words a deep emotion and yet we know we have been understood."

[Winterson]
Das anschließende Schema ist eine vereinfachte Meta-Darstellung von Kommunikation, eine Vereinigung von sprachlichen und nicht-sprachlichen Elementen, wobei insbesondere dem Zustandekommen von Verstehen durch Interpretation von Zeichen über verschiedene Komponenten von Hintergrundinformation Rechnung getragen und die Dynamik der Vermittlung von Wissen und Bedeutungsveränderung berücksichtigt wird. "Wissen" [z. B. implizites Wissen] ergibt sich aus der Wechselwirkung der verschiedenen Komponenten von Hintergrundwissen. "Wissen" äußert sich im Umgang mit Informationen. "Wissen" entsteht durch den Bezug der Dinge zueinander. "Wissen" vermittelt zwischen Sprache und Wirklichkeit, definiert den Umgang mit der Informa-tion, die sprachlich kodiert ist, und bestimmt den Bezug von Sprache auf Wirklichkeit.

Bei der Kommunikation von Wissen muß man das Hintergrundwissen eines Adressaten in seiner Mehrschichtigkeit [cf. die Komponenten E, F, K, M im obigen Schema] berücksichtigen. Will man den Übergang von einem Zustand P in eine neuen Zustand Q [in der Welt, in einer Einstellung, im Verstehen, im Wissen] kommunizieren oder begreiflich machen oder gar [im Empfänger] erzeugen, so muß man sich die benützten Repräsentationsmittel R [z. B. die Sprache] klar machen und auch klar machen, durch welche Komponenten des Hintergrundwissens die Zeichen in R auf Ausschnitte der Welt W bezogen werden. Der Übergang von P nach Q spiegelt sich sprachlich und somit auch in der Kommunikation in der Akzeptanz des Überganges von den p nach q , d. h. in der Zulässigkeit der Beziehung der Zeichen, die im Repräsentationsraum D den [mehr oder minder realen] Zustandsübergängen P und Q zugeordnet sind. Diese Akzeptanz im Repräsenta-tionsraum kann durch die Veränderung relevanter Komponenten des Hintergrundwissens [das für die Zustimmung und Sinnstiftung letztlich verantwortlich ist] gezielt verstärkt werden. Die tatsächliche Akzeptanz und damit der Erfolg der Kommunikation von Wissen [vor allem, wenn es um den Aufbau/die Vermittlung neuer Sichtweisen, neuer Bezugsrahmen etc. geht] hängen vom Wechselspiel der entsprechenden Komponenten des Hintergrundwissens ab. Entscheidend ist dabei insbesondere das Verhältnis von theoretischem Wissen T [ausgewähltem allgemeinem Wissen A, cf. die linke x-Achse im Schema] und vernakulärem Wissen V [Common-sense-Wissen C, cf. die rechte x-Achse im Schema], das die Abstim-mung von neuem und altem Wissen bei konkret gewähltem Bereich B [als Ausschnitt der Welt/Wirklichkeit, unterer Teil der y-Achse] und der Darstellung D [als speziell gewählter Repräsentation, cf. oberer Teil der y-Achse] bestimmt. Wertungen oder allgemein-ethische Gesichtspunkte, das menschliche Augenmaß und die menschlichen Ziele beim "Umgang mit [neuem] Wissen" gehen auf dem Wege über das Hintergrundwissen in die Akzeptanz und in die Handhabung von Wissen/ Informationen ein.
WERDEN WIR DIE KRAFT HABEN, DAS HEIDEKRAUT ZUM BLÜHEN ZU BRINGEN?
Nach Camus war "Prometheus […] jener Heros, der die Menschen genügend liebte, um ihnen zugleich Feuer und Freiheit, Technik und Kunst zu schenken".

Die heutige Menschheit aber glaube "einzig an die Technik. In ihren Maschinen entdeckt sie ihre Stärke und hält die Kunst und deren Ansprüche für ein Hemmnis und ein Zeichen der Knechtschaft. Hingegen ist es für Prometheus kennzeichnend, daß er die Maschine nicht von der Kunst trennen kann. […] Der heutige Mensch glaubt, zuerst den Körper befreien zu müssen, selbst wenn der Geist – vorübergehend – zugrunde ginge. Doch kann der Geist nur vorübergehend sterben ?"

Des Mythos des Prometheus soll daran erinnern, "daß jede Einschränkung des Menschen nur vorübergehend sein kann und daß man dem Menschen nur dient, wenn man ihm ganz dient. Hungert er nach Brot und nach Heidekraut und ist es wahr, daß Brot notwendiger ist, lehren wir ihn die Erinnerung an das Heidekraut bewahren. […] Und es ist dieser bewundernswerte Wille [des Prometheus], nichts zu trennen noch abzusondern, der immer wieder das leidende Herz der Menschen versöhnt hat."

CAMUS, A., Hochzeit des Lichtes. Heimkehr nach Tipasa [Mittelmeeressays], Frankfurt 1988
DAWKINS, R., The Selfish Gene, Oxford 1989, 2nd ed.; dt.: Das egoistische Gen, Rowohlt, Reinbeck b. Hamburg, 1966
GELL-MANN, M., The Quark and the Jaguar. Adventures in the Simple and the Complex, W. H. Freeman, New York 1994; dt.: Das Quark und der Jaguar, Munich 1996
POLANYI, M., The Tacid Dimension, Oxford 1970
SAINT-EXUPÉRY, A. DE: Der Kleine Prinz, Düsseldorf 1956
WINTERSON J., Art Objects [Essays on Ecstasy and Effrontery], London 1996
WITTGENSTEIN, L., Gesammelte Schriften, Bd. 1, Frankfurt, 1964