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Ars Electronica 1996
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Die Evolution der Zukunft


'Heimo Ranzenbacher Heimo Ranzenbacher

Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. Der Witz ist ein Witz nur dadurch, daß er Zukunft als etwas apostrophiert, das nicht ist und ja immer erst sein wird. Das Chronische ist mithin die Eigenart des Witzes.

Die Welt ist, heißt es, was der Fall ist; und Zukunft ist es nicht. Doch irgendwie scheint es angebracht, Zukunft als einen Fall der Welt aus ihrer gewohnten Existenz heraus in Betracht zu ziehen. Die Welt erweckt den Anschein, chronisch zu werden. In der Folge scheint es auch angebracht, vorsichtiger im Urteil über den Witz zu sein; er könnte aus der Zukunft stammen (1) .
Der Kunst, und zwar nicht nur jener, die zuletzt noch als Verstärker ihrer Vereinnahmung durch die Verwaltung der Sphären ihres [der Kunst] Erscheinens sich formatierte – so global spreche ich insbesondere über den Mainstream der jüngsten Jahrzehnte –, ist es ähnlich ergangen. Sie hat sich als ihr eigener Fall aus der Welt erwiesen. Auch Kunst, die eher in kulturellen Formaten als jenen ihrer Disziplinen sich präsentiert, global gesprochen: die computergestützte, hat – durch ihre Präsentationen erkennbare – Anlagen, den Sturz nachzuvollziehen. Die Frage, die mich hier beschäftigt, ist einerseits, wie sie in eine chronische Zukunft überführt werden kann, die ich als einen Fall postuliere, der "die Welt ist", andererseits wie ihre Eigenart als "kognitives Pixel" im möglichen Erscheinungsbild dieser Welt beschaffen sein könnte. Kunst im Sinne einer Denkungsart – sowohl ihrer selbst als auch des Komplexes der Sphäre ihres Erscheinens; und eines Wirksamwerdens, quasi einer virösen Eigenschaft im Programm sowohl ihrer Erscheinungssphäre als auch im Programm ihrer selbst. Um Zukunft, wenn ihr auch in Diskussionen regelmäßig unterstellt wird, bloß Zielgebiet für Science-Fiction zu sein, kommt man dabei nicht herum. Um SF hingegen durchaus.

Als "Zukunft der Evolution" erläutert der Untertitel von "Memesis" das Thema der Ars Electronica 96. Darin versteckt sich eine Unterstellung, ein Wissen über Evolution, das aus der Warte des Zukünftigen beansprucht wird; "Evolution der Zukunft" hat dadurch, daß ein Entwicklungsprozeß, etwas Unfertiges, angesprochen wird, weniger fragwürdige Implikationen. Wie auch immer: An die Zukunft verwiesen wird man in zunehmendem Maße; nicht zuletzt durch die Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung. Die gleichsam rasend abnehmende Distanz zur Zukunft verführt zur Voraussage. Zugegeben, zuweilen geht die Rede grade so, als hätte die Zukunft bereits begonnen.

Nicht erst seit die Rede von Industriegesellschaft den modernen Begriff von Technologie konnotiert, standen Gesellschaft [im Sinne der sozialen/politischen Organisation der Orientierung in der Kultur (2) und Technologie in einer Wechselbeziehung. Man denke nur an den Gebrauch des Feuers oder die Erfindung der beweglichen Drucklettern. Doch während des größten Teils der menschlichen Geschichte war die räumliche und zeitliche Ausbreitungsgeschwindigkeit von Veränderungen so träge, daß sie im Leben des Einzelnen wirkungslos blieben. Menschliche Geschichte schien etwas essentiell Statisches zu sein. Die Zukunft wurde entdeckt, als die Folgen der Veränderungen und das Ausmaß des Effekts auf die Gesellschaft groß genug wurden, um schon in der individuellen Lebensspanne wahrgenommen zu werden. Heute dominiert permanente, unausweichliche Veränderung unser Geschick. Eigentlich könnte keine vernünftige Entscheidung mehr getroffen werden, ohne dabei nicht nur die Welt, wie sie ist, sondern auch die Welt, wie sie sein wird, in Betracht zu ziehen. Voraussetzung dafür ist eine genauere Vorstellung von der künftigen Welt; die läuft infolgedessen Gefahr, daß ihrem Lauf eine Vorstellung von der Zukunft als ein statisches Element implementiert wird.

Die Wendung, daß die Zukunft bereits begonnen habe, impliziert Beobachtungen von lediglich vorausgesagten Dingen. Da indes allenfalls die Voraussage beobachtbar ist, konstruiert sie einen Widerspruch in sich. Wenn jedoch Physiker das Wort "voraussagen" benutzen, dann nicht im Sinne einer Weissagung. Die Frage: "Sagt diese Theorie die Lichtgeschwindigkeit voraus?" gilt nicht der Eignung der Theorie, die Höhe der Geschwindigkeit des Lichts am morgigen Tag zu erklären, sondern der theoretischen Bestimmbarkeit der Ge-schwindigkeit des Lichts, ohne sie zu messen. Frei nach Stephen Hawking, liefert [eine gute] Theorie einerseits die Beschreibung einer Klasse von Beobachtungen auf der Grundlage eines Modells und ermöglicht bestimmte Voraussagen über die Ergebnisse künftiger Beobachtungen. Andererseits sollte sie auch Beobachtungen nominieren, welche ihre [der Theorie] Fehlerhaftigkeit auszuweisen vermögen. Im naturwissenschaftlichen Sinn interpretiert, basiert der Satz vom erfolgten Auftakt der Zukunft nicht auf Beobachtungen des Auftakts, sondern auf Beobachtungen auf der Grundlage des Modells einer Zukunft, das – gemäß dem Vermögen einer Theorie – mögliche Beobachtungen einerseits voraussagt, andererseits Beobachtungsergebnisse bestimmt, die das theoretische Vermögen als unzureichend ausweisen. Voraussage hat so nichts mit sicher eintreffenden Ereignissen gemein – im Gegenteil. Der Wissenschaftstheoretiker Karl Popper weist darauf durch die Erklärung hin, daß keine Beobachtung eine Theorie beweisen könne, sondern ihr bestenfalls zu überleben ermögliche, bis sie erneut auf die Probe gestellt wird. Auf den unsicheren Lauf der Welt übertragen, würde das den theoretischen Entwurf ihres Verlaufes beschreiben – dessen Bestimmbarkeit mit der Theorie steht und fällt. Daß das theoretische Konstrukt sich dereinst verwirkliche, ist nicht notwendig, wohl aber – und darin mag das Äquivalent des Faktors der Unsicherheit in einer Theorie bestehen – sich dieses Ereignisses gewärtig zu sein. Das heißt, es hat eine für die Orientierung in der Welt fundamentale Bedeutung. Hegel konnte darin noch sein Unglück sehen, daß er in der Welt draußen sich selbst verliere und daheim die Welt. Unser Unglück ist heute von weitaus diffizilerer Beschaffenheit: Es scheint in der Tat notwendig, daß ich mich in die Zukunft begeben muß, um mich nicht in der Gegenwart zu verlieren. Die Kunst, als ein Dynamometer kultureller Bewegungen verstanden, empfindet dieses Unglück zuerst. Sie wendet sich nicht nur der Zukunft zu, sondern stellt sie dadurch, daß sie sich ihrer Unsicherheit aussetzt, auf die Probe.

Wenn wir also von der Zukunft als uns heute dominierenden Faktor sprechen, dann von einer Unsicherheit. Gewißheit käme der Ignoranz von allem außer der Gegenwart und der Interpretation dieser als etwas essentiell Statisches gleich; sie wäre im Popperschen Sinn in ihrer verführerischen Eigenschaft verfänglich, da sie dazu verleite, irreversible Entscheidungen zu treffen. Auf der Grundlage eines – Unsicherheit inkludierenden – Modells von Zukunft müßten Entscheidungen hingegen unter dem Gesichtspunkt ihrer Reversibilität getroffen werden. "Evolution der Zukunft", die wir oben angesprochen haben, vollzieht sich dann im kulturellen Organisationsprozeß, der an Reversibilität sich orientiert.

Die Welt ist chronisch geworden, und auch Kunst findet ihren Sinn darin nicht, ohne die Welt, wie sie vielleicht sein wird, in Betracht zu ziehen. Das Modell von Zukunft, das man durch Beobachtungen zu erstellen angehalten ist, ist natürlich das einer apparativ determinierten Kultur. Wir vermeinen die Tendenz des Ineinander- und Zusammenfallens der Sphären des Politischen und des Sozialen mit der informationellen Sphäre zur globalen Mediatisierung (3) durch die Ausbreitung der digitalen Kommunikations- und Datenräume zu beobachten. Und diese sphärische Diffusion scheint sich nicht allein in der Diffusion der Daten fortzusetzen, in die die Dinge unserer kulturellen Orientierung zerfallen, um eventuell fröhliche Urständ im Medialen zu feiern, sondern darüber hinaus in der Änderung der informationellen Prägung der Dinge.

Mit Dingen meinen wir längst auch Informationen, die wir erzeugen. Den Dingen/Informationen Sinn zuzuweisen, heißt, sie zu informatisieren. Das entspricht dem Selbstverständnis von Kultur und einem zutiefst humanistischen Verständnis von Kultur. Etwas in eine Form bringen, meint Gestaltung, eine Art, den Dingen eine neue Information [den Informationen einen neuen Sinn] einzuprägen. Informatisieren heißt, die Dinge/Informationen in ein Format setzen. Wir erzeugen Informationen natürlich längst über ihren spezifischen Inhalt hinaus durch die Form, in die wir sie zwängen, daß sie vermittelbar werden, und durch die wir sie empfangen; so definiert sich Mediatisierung. "Tageszeitung" ist ein Format, dem die Erscheinung und die Rezeption der Informationen entspricht, "Fernsehen", "Radio" sind andere Formate; ebenso das Internet. Entsprechend unterschiedlich gestalten sich Information und Rezeption. Im Datenraum (4) [des Netzes] jedoch lösen sich vertraute Bedeutungen endgültig auf. In dem Maß der sphärischen Diffusion wird der Sinn der Dinge zunehmend durch die Formate seiner Vermittlung determiniert, und diese Diffusion wird in dem Modell einer Welt konkret, deren Erscheinungen einer globalen Informatisierung unterliegen. Im Datenraum ist Musik nicht nur Musik, sie ist auch eine Ansammlung von Daten. Das Bild eines Auges repräsentiert nicht nur das Auge, sondern auch die Daten, auf denen es basiert. Diese Daten können nicht nur "Auge" bezeichnen, sondern auch einen Geldtransfer oder den Code für den Start einer Rakete. Der Unterschied zur Mediatisierung, der die mediengestützte Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt bezeichnet, ist die Indifferenz zwischen Mensch und Umwelt in den Formaten. Der Zustand der Mediatisierung ist noch kritisch erfaßbar; nicht so der Zustand der Informatisierung.

Zwar mag Zukunft vorderhand erst in Form einer Anerkennung technologischer Entwürfe als ein Reales begonnen haben, doch erweckt diese Anerkennung den Eindruck, daß sich mit ihr ein Phänomen einstellt, das die Psychologie mit "selbsterfüllender Prophezeiung" beschreibt. So etwa teilten sich Kunst, Technologie und Gesellschaft das thematische Spektrum der Ars Electronica seit Anbeginn; durch Memesis wird die Problemstellung komprimiert: der Wirkungszusammenhang dadurch in erster Linie angesprochen. Intendiert ist offenbar, daß er indessen weniger ein Problem akademischer Betrachtung und des ästhetischen Diskurses von Format als in der Tat von technologisch geprägtem Format ist – ein Problem des Software-Designs. Gerade darin (5) , glaube ich, ist eine Chance der Kunst zu erkennen, die sie bislang nie hatte.

Kunst – wie sie seit ihrer Befreiung in der Romantik unsere Vorstellung von ihrer Freiheit auch in der Moderne definiert – hatte in der Gesellschaft neben dem monetären bestenfalls pädagogischen Wert – propagiert und exekutiert durch den "Humanismus" [hier in bezug auf Prinzipien verwendet, die, unabhängig von seinem disziplinärem Denken, im Alltag etwa durch Schule und Politik wirksam geworden sind]. Der Humanismus hat zwar Anspruch auf den Sinn der Kunst erhoben, der Kunst war es jedoch nie beschieden, auf ihn – seine Grundzüge – zurückzuwirken. In dieser Ohnmacht die Ursache des Auseinanderdriftens beider Wertsysteme zu vermuten, ist, denke ich, legitim. Kunst als Sinnstifter ist gescheitert; durch die Zuschreibung von Sinn, die sie erfuhr, wurde sie als Projektion mißbraucht. Dieser Vereinnahmung mußte sich Kunst entziehen. Sie mußte besinnungslos werden. Die Wiederkunft von Expression und Authentizität, Autonomieanspruch und entsprechender retrospektiver Konzepte, nothing und anything goes, waren bezeichnend.

Die Flucht derer, die eine prospektive Idee von Kunst aus der Besinnungslosigkeit heraus leitet, sollte jedoch nicht in der Utopie enden. Sie erwiese sich dann als Trug – wie das Bild, das ein Museum böte, das sich [wie das Ars Electronica Center] "Museum der Zukunft" nennt und natürlich keine Kunst aus einer wie weit auch immer entfernten Zukunft, dafür nur Werke mit dem Anspruch, auf Zukunft zu verweisen, ausstellen würde, wenn es nicht eine dem künstlerischen Möglichkeitsfeld gemäße neue Organisationsform darstellte. Da nicht gewiß ist, was Kunst bringen wird, organisiert sich die Institution Museum auch als Arbeitsfeld der Kunst, nicht mehr als ihr Endlager. Der Sinn der Institution erfährt so, und nicht zuletzt durch den notwendigen Anschluß an die Welt, eine radikale Veränderung, er verkehrt sich in das Gegenteil seines ursprünglichen. Zukunft als theoretisches Konstrukt einer im Datenraum sich neu organisierenden Kultur als Fluchtpunkt vor Augen, müßte Kunst, um nicht ihr eigenes Verschwinden zu inszenieren, sich dahingehend organisieren, daß sie für die Organisation des Datenraumes Wirksamkeit entfaltet. Gesetzt, die Sphäre der Informatisierung etabliert sich in einer etwa analog zum Geldsystem vorausgesagten Weise, würde sich Kunst aus dem Wahrnehmungszusammenhang befördern und die Chance endgültig verwirken, je mehr als ein pädagogisches Anliegen darzustellen. In der Gesellschaft, wie gesagt, allenfalls als pädagogisches Anliegen einer Minorität etabliert, existiert Kunst gleichsam nur durch den erzogenen Betrachter [oder auch durch die Ablehnung, die er ihr entgegenbringt]. Für ihn organisiert, ist ihre gesellschaftliche/kulturelle Relevanz von den Bedingungen der Wahrnehmung abhängig. Pädagogisch organisiert, impliziert sie eine vom Rezipienten gesonderte Wahrnehmung; so kann sie im Alltag auch gut übersehen werden. Im Hinblick auf eine programmatische Qualität im Programm der Kultur organisiert, implizierte ihre Wahrnehmung die Eigenwahrnehmung des Rezipienten und wäre sie schwerer, vielleicht gar nur dann zu übersehen, wenn der Rezipient selbstvergessen und ein völliger Ignorant seiner Umwelt wäre [was zugleich seinen Rezipienten-Status in Frage stellte]. Im Vertrauen auf eine ihr eigene Kraft, im Datenraum zu überdauern, also nicht auf eine der Informatisierung gemäße Wirksamkeit hin neuorganisiert, ist zu befürchten, daß sie sich – analog dazu, wie die der Kunstgeschichte und -verwaltung eigene Methode der Kunsterfassung [durch Konzentration auf den Gegenstand der Kunst und nicht ihre Struktur, ihre strukturelle Organisation] Kunstgegenstände generiert [und also absorbiert], die der Methegenadäquat sind – diesem Absorptionsprozeß erneut aussetzt und als bloßes Datum [generierter Images, Sounds, Texte, all ihrer traditionellen Formate] vom Datenraum absorbiert, d. h. indifferent wird.

Was diesen vorausgesagten Datenraum, den wir mit dem Zustand der Informatisierung gleichsetzen, jedoch bereits jetzt auszeichnet, ist zum einen seine parasitäre Nutzungsmöglichkeit, das heißt, seine Struktur eignet sich für andere Zwecke als sie Provider damit verbinden. Zum anderen ist gerade diese Grundstruktur ihrer Umwidmung zugunsten des künstlerischen Handelns und durch das künstlerische Handeln gegenüber offen. Wenn sich der Zustand der Informatisierung [im Unterschied zur Mediatisierung] durch die Indifferenz zwischen Mensch und Umwelt auszeichnet, er [der Zustand] also nicht mehr auf herkömmliche Weise kritisch erfaßt werden kann, dann wäre es Sinn der Kunst, das Element der Kritik in Form der Organisation ihrer Erscheinung in den Datenraum hineinzutragen. Mitbestimmung und Kritik sind eine Frage des Software-Designs. Ein Virus [ein dem Programm angepaßtes Programm], der seine Wirkung im Programm entsprechend der Daten beispielsweise über den [katastrophalen] Zustand der Biosphäre entfaltet, könnte sich als eine weitaus effizientere Wahrnehmungsqualität erweisen als die bloße Information über den Zustand (6) . Differenz ist mithin eine Frage des Interface-Designs. Das Format der Differenz wäre in der Funktion der Meme in der kulturellen Informationsvermittlung zu sehen: im Sinne von Kunst als Kulturtechnik zur Wahrnehmung des Programmes der Kultur. Kulturtechnik wäre so nicht mehr nur etwas, das dem Verständnis, der Orientierung [in] unserer Kultur dient, wie das Lesen und Schreiben [rezeptiv und affirmativ], sondern eine in ihrem eigentlichen Wortsinn tatsächlich operative Qualität. Sie erschiene [wenn auch vorübergehend] als Kunst der Differenz der Sphäre ihres Erscheinens. Diese Differenz ist eine operative Qualität, keine pädagogische.

Reversibilität, die wir eingangs als notwendige Orientierung im kulturellen Organisationsprozeß eingeführt haben, muß freilich nicht erst durch Kunst in diesen Prozeß hineingetragen werden. Der Datenraum, in dem sich der Prozeß vollzieht, macht nicht nur die Daten, sondern auch die Erzeugung von Daten/Information zu einer öffentlichen, zu einer für Kritik und Diversifikation offenen Angelegenheit. Reversibilität ist so ohnehin eine seiner bestimmenden Eigenschaften. Ausübung von Kulturtechnik als Kunst der auf Digitalisierung beruhenden Informationssphäre, der Informatisierung, ändert [zumindest in ihrer Anlage] das kulturelle Gefüge, in dem sich auch Darstellung und Wahrnehmung von Kunst ereignen. Der Raum, der die Sphäre der Informatisierung heute repräsentiert, ist solange als offen zu betrachten, als Viren darin zu existieren vermögen. Die viröse Idee der Offenheit, die jedoch gewiß nicht netzimmanent ist, in eine wahrnehmbare Form zu bringen, wäre eine Orientierung zur künstlerischen Organisation in der Datensphäre. Zu diesem Zweck nämlich formatisierte sich Kunst zugleich im Sinne ihres ureigenen Anspruchs, ein offenes Möglichkeitsfeld zu sein. Ihre Ungebundenheit [zumindest ihrer Anlage nach] macht sie zu etwas, das sich durch Reversibilität auszeichnet. Und Kunst als Idee von Reversibilität könnte die Probe auf das Exempel Zukunft sein. Auch Unsicherheit würde, in Kunst formatiert, operabel.

Meme, in Analogie zu Genen, sind wie diese ja nur dann als für Entwicklung [der Zukunft] maßgebliche Informationseinheiten relevant, wenn sie einen Unterschied vermitteln. In diesem Sinn organisiert sich Kunst im Hinblick auf den und im Datenraum implizit als temporäre Differenz zur Organisation des Raumes. Memetisch organisiert ändert sie das System in ihrem Sinne, da sie ein kognitiver Reiz im Feld der globalen Wahrnehmung ist. Implizit kritisierbar, d. h. prozessierbar, erscheint sie reversibel. Wie auch immer das Szenario zuletzt aussehen wird, es entwickelt sich mit Kunst. Diese deponiert Reversibilität als Reiz-Eigenschaft, daß das Szenario sich als reversibles gestalte.

Zum ersten Mal hätte Kunst bereits jenen Platz eingenommen, auf den der Zugriff all der gestalt-, informations- und wahrnehmungsprägenden Instanzen unserer Kultur noch nicht restlos erfolgt ist. Für morgen mag das schon Schnee von gestern sein. Doch das wäre in der Geschichte der Moderne die Chance der Kunst, sich dort zu etablieren, wo auch die Strukturen ihrer Verwaltung in der Tat noch nicht ihr Revier bezogen haben. Sie wäre daher so zu organisieren, daß sie sich auch in Zukunft dem verwaltungstechnischen Zugriff zum Zwecke ihrer Informatisierung in seinem Sinne zu entziehen vermag und als davon unabhängige Erscheinung kulturelle Relevanz erhalten kann. Zum ersten Mal könnte sich Kunst, die aus den Fesseln der Auftraggeber in der Romantik sich befreite, um sich in die Fesseln der Konzepte der Moderne und der modernen Verwaltung zu legen, in einer Sphäre etablieren, deren Etablierung aller Voraussicht nach die Neuorganisation des Programmes unserer Kultur darstellt.

Als sphärische Differenz organisiert, scheint ein wiederholtes Scheitern wenig wahrscheinlich. Die Crux der ganzen schönen Theorie ist natürlich die soziale Organisation der Künstler, Kulturtechniker. Sie liefen einmal mehr Gefahr zu verhungern, wenn es nicht gelingt, im Programm der Kultur Kunst-Arbeit/ Kulturtechnik als für den Prozeß der kulturellen Organisation bedeutend einzuschreiben. So öffnet sich ein weiteres Orientierungsfeld für die Organisation künstlerischen Wirkens in der Kultur der Informatisierung. Denn verkaufen, sprich verwalten, läßt sich angewandte Kulturtechnik nicht mehr.

Wir haben am Anfang Unsicherheit in Zusammenhang mit dem Begriff Zukunft als dessen zentrale Eigenschaft positioniert und vom Verlust des Trostes absoluter Sicherheiten gesprochen, den auch die Naturwissenschaftler hinnehmen und mithin damit leben müssen, daß sich vielleicht ihre schönsten Theorien einmal als falsch erweisen. Die Botschaft hat selbstredend auch ihren Autor erreicht. In diesem Sinne sollte natürlich auch sein Text mit Vorsicht genossen werden.

(1)
Das ist ein Witz! [Man weiß ja nie ...]zurück

(2)
Mit Kultur meine ich die durch informationelle Prägung erfolgende Umwidmung von natürlich Beschaffenem in Kulturgüter mit eigenem Bedeutungskanon. Wasser beispielsweise wird von seinem natürlichen Zustand in eine neue Form [Information] gedrängt, und der so erzeugte Strom und seine Erzeugung wird als Gut der Kultur etabliert. Auch die ökologische Misere, die daraus resultiert, unterliegt diesem Prinzip. Subsumierend bezeichnet dies Methoden der Umwidmung, des Gebrauchs und in einem gewissen Sinn auch deren kritischer wie affirmativer Rezeption, infolgedessen neue Methoden entworfen werden. Mit Rezeption verbinde ich in diesem Zusammenhang jedoch die gesellschaftliche Ausprägung von [der Organisation der Orientierung am Gut der] Kultur.zurück

(3)
Wir sollten uns vergegenwärtigen, daß bereits ein künstliches System vom Programm unserer Kultur restlos adaptiert wurde: das Geldsystem. Die heute vermeintlich realen Probleme, das ökologische Überleben, der Crash der Biosphäre, basieren auf diesem virtuellen System, das Politik als organisierte Instanz der Entscheidung über Geld oder Leben, darauf läuft es zu schlechter Letzt ja hinaus, bestimmt. Sie liefert uns tägliche beste Beispiele und steht längst als System zur Frage, wie die Wahrung ihres Scheins Bedingungen, wiederum künstliche Systeme, erzeugt, die ihrerseits Politik beeinflussen; als Modell einer Wirklichkeit, das eine Wirklichkeit generiert, die das ursprüngliche Modell hinfällig macht und am Festhalten daran jedoch die Mechanismen der Simulation konstituiert. Wie anders wäre denn das klägliche Versagen bei Entscheidungen über die Umwelt noch zu verstehen. Dietmar Kamper hat es pointiert formuliert: "Was geschehen muß – um zu retten, was an elementaren Lebensressourcen wie Wasser, Luft, Erde noch zu retten ist –, kann nicht geschehen, ohne "lebenswichtige" Produktionszweige zum Absterben zu bringen. Die Alternative lautet strikt: Geld oder Leben – wobei jeder weiß, daß man zum Leben Geld braucht." [suhrkamp 1994] In Verbindung dieses Simulationen von Entscheidung konstituierenden Systems mit der heraufdämmernden Mediatisierung [deren Schein den Datenraum beleuchtet], dürfte sich die Komplexität der Probleme noch steigern. Ohnehin ist es heute bereits so, daß die Katastrophe quasi solange nicht stattfindet, solange über sie in den Medien berichtet wird und diese nicht von ihr ereilt werden.zurück

(4)
Der Datenraum als heraufdämmernde Sphäre der Informatisierung wird natürlich immer auch im Sinne der Sphäre der Wahrnehmung von Daten angesprochen.zurück

(5)
Auch im Design von Interfaces zwischen verschiedenen, sich hin zur Deckungsgleiche verschiebenden Sphären.zurück

(6)
vgl. [3] , letzter Satzzurück