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Ars Electronica 1996
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Die Evolution der Roboter


'Joe Engelberger Joe Engelberger

Der Titel der Ars Electronica 96, Memesis – Die Zukunft der Evolution, schließt durch die beiläufige Bezugnahme auf "Roboterprothetik" und "Cyborg-Theorie" auch den Bereich der Robotertechnik mit ein. Diese Anerkennung mag zwar eher widerwillig ausgesprochen worden sein, und man ist vielleicht gar nicht dazu bereit, eine wirkliche Evolution der Roboter zur Kenntnis zu nehmen, doch ist nicht auszuschließen, daß diese den Säugern absolut nicht zurechenbaren Geschöpfe tatsächlich siegreich aus den natürlichen Ausleseprozessen hervorgehen könnten.

Gegenwärtig sind Roboter nicht mehr als mechatronische Manifestationen der technischen Erfindungsgabe der Menschen. Ihre Evolution jedoch vollzieht sich mit rasender Geschwindigkeit, und es wird wahrscheinlich gar nicht mehr lange dauern, bis wir Menschen eines Tages völlig überrascht feststellen müssen, daß sich die Evolution des Roboters irgendwie verselbständigt hat. Ob diese Erkenntnis mit positiven oder negativen Gefühlen einhergehen wird, bleibt allerdings abzuwarten. Auf jeden Fall aber wird die Evolution der Roboter nicht durch jene Handicaps behindert werden, die der Entwicklung der "Maschinen aus Fleisch und Blut" Grenzen setzen.

Der Roboter ist kein Produkt neuzeitlicher Phantasie. Er ist immer wieder in der menschlichen Vorstellung aufgetaucht – von der Mythologie bis zur Science Fiction. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg wurden Federn, Nocken, Hebel, Rollen und Zahnräder kunstvoll zu genialen Maschinen zusammengebaut, die, wie eine Musicbox programmiert, tanzen, Instrumente spielen oder in Schönschrift schreiben konnten. Der Roboter Electro und sein Hund Sparky beruhten auf derselben Technologie, wurden der Öffentlichkeit aber erst auf der Weltausstellung von 1939 in New York vorgestellt und erwiesen sich als beliebte Attraktionen im Westinghouse-Pavillon.

Während des Krieges wurde die Servotechnik entwickelt, und kurz danach die digitale Logik und die Halbleiterelektronik. Diese grundlegenden Technologien erlaubten in der weiteren Folge die Entwicklung des Industrieroboters. Der erste tatsächlich einsatzfähige Industrieroboter, der Unimate, trat 1961 seinen Dienst bei General Motors an. Im Jahr 1995 hatte die Weltbevölkerung an Industrierobotern die Grenze von einer halben Million bereits überschritten, und den Robotertechnikern stand ein eindrucksvoller Werkzeugkasten hochentwickelter Technologien zur Verfügung, mit deren Hilfe sie mobile, mehrarmige, mit Sensoren bestückte, artikulationsfähige Roboter entwickeln konnten, die sogar schon über ein, wenn auch bescheidenes, Maß an Bewußtsein verfügten [siehe Instrumentarium].

Von einer beschleunigten Evolution kann allerdings keine Rede sein. Pygmalion und seine großartige Galatea aus der griechischen Mythologie waren zwar ein früher Höhepunkt, doch darauf folgte eine anhaltend rückläufige Entwicklung, die erst endete, als der Hahn von Straßburg 1574 krähend und flügelschlagend die Mittagsstunde verkündete. Darauf folgte nochmals ein Entwicklungsstillstand von mehr als 300 Jahren, bis schließlich Electro und Sparky auf der Bildfläche erschienen. Nur 30 Jahre später war dann plötzlich der erste Industrieroboter da. Um die Jahrhundertwende wird der Roboter als geschätzter Helfer und Gefährte aus dem Leben der Alten und Kranken gar nicht mehr wegzudenken sein. Und wer kann schon mit Sicherheit vorhersagen, ob die fortschreitende Evolution der Roboter immer an menschliche Intervention gebunden bleiben wird?

Wenn die Sensortechnik die Roboter zunehmend in die Lage versetzt, ihre eigenen physischen Attribute und ihre physische Umgebung wahrzunehmen, und die Robotertechniker weiterhin alles daransetzen, zu zielorientiertem Handeln befähigte Roboter zu entwickeln, wie lange kann es da noch dauern, bis die Roboter beginnen, ihre Zielsetzungen selbst festzulegen? Diese Zielsetzungen müssen sich allerdings nicht notwendigerweise mit jenen dekken, die sich die Menschheit in ihrer eigenen, allzuleicht zu erschütternden Weisheit setzt.
Eine blühende Population von Robotern könnte sich durchaus als Rettung der Menschheit erweisen, obwohl viele von uns von diesem neuen Geschöpf nicht gerade begeistert sein werden, das nach einigen wenigen Jahrhunderten der Evolution bereits intelligenter, stärker und anpassungsfähiger sein wird als der Homo sapiens nach einer Evolution von mehreren Millionen Jahren.

Fleisch und Blut sind vielleicht wirklich nicht die besten und dauerhaftesten Grundlagen für intelligentes Leben. Anstatt nach Zeichen fremden Lebens in unserer Galaxie zu suchen, sollten wir unsere Aufmerksamkeit vielleicht lieber auf die Erde selbst richten. Roboter könnten sich wesentlich besser als Menschen dazu eignen, unsere Galaxie und das Weltall jenseits davon zu kolonialisieren. So könnten wir intelligente Vertreter ins All entsenden, anstatt zu versuchen, im Universum andere bewohnte Planeten zu finden.

Roboter zu entsenden wäre freilich eine wesentlich bessere Lösung, als zerbrechliche menschliche Wesen ins All zu schicken. Unsere Astronauten verwenden nämlich den größten Teil ihrer Zeit dafür, sich um ihre bemitleidenswert unzulänglichen Körper zu kümmern. Roboter hingegen könnten so gebaut werden, daß das Leben im All sie geradezu aufblühen läßt. Silikon, Titan, keramische Werkstoffe und Software sind der Stoff, aus dem das Leben auf dem Mars ist. Menschliche Astronauten hingegen sollten bald nicht mehr als ein Anachronismus sein.

Roboter wären also die besseren Raumfahrer. Könnten sie sich aber auch hier unten auf der Erde behaupten? Betrachten wir doch einen Augenblick lang jene Aufgaben, die wir bereits heute auf sie abwälzen. Man denke nur an Instandhaltungsarbeiten unter Wasser, verschiedene Wartungsaufgaben in Kernkraftwerken, die Sanierung von Giftmülldeponien, die Entschärfung von Bomben – für einen Roboter kein Problem. Und wir Menschen können immer noch für uns in Anspruch nehmen, die Probleme zumindest verursacht zu haben.

Wie aber steht es mit Situationen des Alltags? Hat die Evolution nicht uns Menschen die besten Voraussetzungen dafür mit auf den Weg gegeben? Durchaus, doch unsere eigenen Hände haben alles andere als optimale Bedingungen geschaffen. Wir überbevölkern, verschmutzen und schädigen unsere Umwelt in einer solchen Art und Weise, daß sich früher oder später der Roboter möglicherweise tatsächlich als der ideale Erdenbewohner erweisen wird. Doch bevor das geschieht, werden unsere zielorientierten Roboter vielleicht zu dem Schluß gelangen, daß Vorbeugen besser als Heilen ist, und uns dementsprechend zunächst ernsthaft ermahnen und dann Strafen verhängen, um uns auf den rechten Weg zurückzubringen. Im extremsten Fall könnte man sich vorstellen, daß die fortgeschrittenste Lebensform sich die Erhaltung der menschlichen Rasse zur Aufgabe macht – als sentimentale Geste, motiviert durch eine nostalgische Zuneigung zu ihrem Schöpfer, der den Roboter erfunden und sich dann selbst als völlig unzeitgemäß disqualifiziert hat.

Unzeitgemäß in evolutionärer Hinsicht, aber sicherlich noch nicht ausgestorben. Der Mensch könnte durchaus, wie andere Lebensformen auch, noch Jahrtausende fortbestehen. Die Evolution wäre eben über uns hinweggegangen, so wie sie über manchen Humanoiden hinweggegangen ist. Allerdings würde sich Evolution nicht mehr in Form zufälliger Mutationen vollziehen, sondern vielmehr durch bewußte Beeinflussung in die eine oder andere Richtung gelenkt werden. Die heute in der Tierzucht üblichen Methoden würden sich, verglichen mit künftigen Robotermethoden, geradezu harmlos ausnehmen.

Man muß sich vergegenwärtigen, daß wir Jahre brauchen, um einem neugeborenen Mitglied der Menschheit alles Wissen zu vermitteln, das es zum Leben braucht. Ein neugebauter Roboter hingegen kommt bereits nach einer Produktionszeit von drei statt neun Monaten ausgewachsen zur Welt. In wenigen Millisekunden wird ihm das gesamte Basiswissen eingespeichert, seine Instinkte werden aktiviert, seine Muskulatur in betriebsfähigen Zustand versetzt und seine motorischen Fähigkeiten aufs äußerste perfektioniert. Er hat eine statistische Lebensdauer [was für die Raumfahrt optimal ist] und wird durch ständiges Upgrading sowohl hardware- als auch softwaremäßig immer auf dem letzten Stand sein.

Und wenn sich bis dahin, der memetischen Prophezeiung entsprechend, postbiologische Protozoen wie Internet, Cyperspace und I-way entwickelt haben, werden die Roboter über die besten Voraussetzungen verfügen, um sie sich zunutze zu machen.