Die Transformation des Gedächtnisses in die gewünschte Form
'Douglas Back
Douglas Back
Die Welt ist groß und voller Rätsel. Wenn jemand etwas nicht versteht, wird dies im allgemeinen als Zeichen geistiger Unterlegenheit angesehen. So müssen wir Filter konstruieren, um den Großteil des Unverständlichen von vornherein auszublenden. Was sich nicht erklären läßt, ist auch nicht glaubhaft. Wir schließen so lange aus, bis wir Antworten finden. Fragen sind nur etwas für Idealisten, Tüchtige produzieren Antworten auf Knopfdruck. Je verwirrender die Welt wird, desto undurchlässiger wird auch unser Filter.
Wir täuschen uns aber, wenn wir meinen, diese Filter – seien es nun Meme, Marotten, Computer, Theorien, Kunst oder Lebensanschauungen – umfaßten die gesamte Realität. In Wirklichkeit wird stark selektiert. Wir laufen permanent Gefahr, nur das zu sehen, was unsere Filter durchlassen, und dabei alles andere außer acht zu lassen. Die Kunst spielt eine wichtige Rolle, wenn es um das Öffnen solcher Filter geht. Der Künstler verwendet zwar dieselben Materialien wie ein Handwerker oder ein Programmierer, setzt sie jedoch auf eine Art und Weise ein, die ihrer Natur nicht entspricht. Der erste Mensch, der einen kalten, harten, brüchigen Stein ansah und dabei zu sich selbst sagte: "Ich möchte ihn wie warmes, weiches, geschmeidiges Fleisch aussehen lassen", hatte ein wichtiges Mem. Wenn man Kunst mit Computern machen möchte, muß man zunächst genug über sie lernen, damit man sie dann zu Zwecken einsetzen kann, die ihrer Natur eigentlich zuwiderlaufen. Wenn es ein Mem gibt, das mir absolut unerträglich geworden ist, dann ist es jenes, das die Menschen glauben läßt, daß "diese neue Technologie das Leben, die Arbeit und die Liebe völlig verändern wird".
Zugegeben, das Internet ist etwas Neues. Das Internet wird unsere Welt verändern. Das Internet wird sogar unsere Beziehung zu unserem eigenen Körper verändern. Wer sich aber den "Internet ist alles"-Filter vorschaltet, verwandelt sich damit in einen Techno-Positivisten, der wichtige Entwicklungen wie beispielsweise das papierlose Büro einfach übergeht, während er hartnäckig die papierlose Toilette fordert.
Ich bin alt genug, um mich an die Zeiten zu erinnern, als man glaubte, die Fotokopierer würden die Privatsphäre der Menschen beeinträchtigen, die Informationshierarchien in sich zusammenstürzen lassen, der grenzenlosen Verbreitung von Pornographie Tür und Tor öffnen, die Gerichte in einer Flut von Urheberrechtsklagen versinken lassen, jedermann die Möglichkeit geben, sich selbst als Verleger zu betätigen, den Künstlern eine Plattform abseits der traditionellen Firmenstrukturen bieten ... was schließlich auch geschehen ist – bis zu einem gewissen Grad jedenfalls. Doch sehen Sie sich die Kopiergeräte heute an. Sie sind überall – bei Ihnen zu Hause, im Laden an der Ecke –, und sie sind langweilig. Auch das Internet wird bald in einer Ecke landen und nur mehr langweilig sein. Aber machen Sie sich keine Sorgen, es wird schnell wieder etwas Neues auftauchen und das Internet ersetzen, so daß wir nicht in unserer stumpfsinnigen Gegenwart zu leben brauchen.
Die Kunst war mindestens 40.000 Jahre lang ein erfolgreiches Mem [oder ist sie ein Trägermedium?], und für mich ist sie auch heute noch alles andere als langweilig.
Ich vertrete die Ansicht, daß Meme aus freiem Willen angenommen werden und nicht invasionsartig über die Menschheit hereinbrechen, daß Meme Filter sind, die neue Kanäle in unserer Bandbreite erschließen, sobald etwas Neues in unserer Umgebung auftaucht. Damit etwas untersucht werden kann, muß es zunächst ins Gedächtnis gelangen. Wenn Sie Ihre Baseballmütze verkehrt herum aufsetzen, ändert das die Wahrnehmung. Meme sind – genau wie Gene – bloß eine andere Methode, mit Unbekanntem umzugehen.
Mein Material als Künstler und Programmierer ist das Gedächtnis bzw. der Speicher. Und am meisten interessiert mich, was das für die Memetik bedeutet. Zunächst möchte ich die Behauptung aufstellen, daß das Gedächtnis bzw. der Speicher der Ort der Kunst und der Programmierung ist. Sowohl das Gedächtnis als auch der Speicher erfordern eine Art Behältnis, eine Art Schnittstelle zur Außenwelt und eine Methode für das Abfragen und Transformieren von Informationen.
Der Mensch hat einen großen Teil seiner evolutionären Bandbreite der Sprache gewidmet. Die Manipulation des menschlichen Gedächtnisses wird durch Sprache gesteuert. Die Sprache war die erste virtuelle Realität. Diese entstand, als wir die Namen der Dinge von den Objekten selbst lösten und sich frei in einer eigenen Welt bewegen ließen, in der man sie nunmehr zu surrealen, abstrakten, unnatürlichen Formulierungen kombinieren konnte. Die Sprache versetzte uns in die Lage, im Kopf eines Stiers den weiblichen Fortpflanzungsapparat oder in einem Stein ein Werkzeug zu sehen. Solche Gedächtnistransformationen haben mit einer Art Morphing oder Überlagerung zu tun. Eine Gedächtnistransformation nach dem Cut-and-paste-Verfahren erlaubt es uns, zu katalogisieren und eine Ordnung einzuführen, selbst wenn gar keine existiert. Cut-and-paste-Manipulationen laufen systematisch und seriell ab. Diese beiden Techniken definieren die beiden intellektuellen Kulturen meiner Gesellschaft: Wissenschaft und Kunst.Programmierung transformiert das Gedächtnis. Kunstwerke transformieren das Gedächtnis. Meme transformieren das Gedächtnis. Das Gedächtnis ist jener Ort, an dem die Kunst existiert, an dem Programme existieren, an dem Meme existieren, an dem Sex existiert ... Die Veräußerlichung des Gedächtnisses, wie es – soweit ich mich erinnere – Robert Adrian ausgedrückt hat, ist eine Stufe unserer Evolution. Meme, Programme und Kunst brauchen das Gedächtnis – sei es nun ein menschliches oder ein elektronisches – zum Überleben. Der springende Punkt ist, daß Meme sich nicht weiterentwickeln können, wenn es ihnen nicht gelingt, dieses Gedächtnis auf die eine oder andere Weise zu transformieren.
Wenn die vielen hundert Terabytes Speicherplatz im Internet eine Suppe sind, in der die Meme spontan entstehen, dann müssen die Meme über irgendeine Möglichkeit verfügen, diese Suppe zu beeinflussen. Ich habe große Probleme mit Memen in Computern. Ich glaube, daß die Meme im menschlichen Gedächtnis bessere Überlebenschancen haben.
Ich bin mir nicht sicher, ob Meme eine physische Präsenz haben oder nicht. In gewisser Weise muß ich Hans-Cees Speel widersprechen, wenn er sagt: "Meme bauen ebenso wie Viren keinen Organismus auf und sind auch nicht in dem Sinn lebendig, daß sie einen Stoffwechsel besitzen ..."
Dieses Jahr umfaßte mein Aufgabenbereich aufgrund von Budgetkürzungen auch die Tätigkeit des "Computerkursleiters für den künstlerischen Zweig" des Colleges, an dem ich lehre. Das aber ist eine Aufgabe, für die ich nicht sonderlich geeignet bin. Öffentliche Zuschüsse [für die Anschaffung von Geräten] ermöglichten es uns, zusätzliche Computer und Software anzuschaffen. Bis dahin hatten wir auf veralteten Geräten gearbeitet, mit denen wir nur billige Programmiersprachen unterrichten konnten. Diese Programmiersprachen wurden in Verbindung mit Elektronik unterrichtet, um die Studierenden in die Lage zu versetzen, interaktive Skulpturen zu schaffen.
Mit diesen zusätzlichen finanziellen Mitteln konnten leistungsstarke Geräte angeschafft werden, die nun auch die Bildaufbereitung in 3D und die Abhaltung von Multimedia-Kursen ermöglichen. Das bedeutete aber gleichzeitig, daß ich mehrere tausend Dollar für Upgrades ausgeben mußte, um über die entsprechende Software/Hardware für den Unterricht zu verfügen.
In meinem Jahresbericht heißt es unter anderem: "3D-Studio und MacroMind Director werden mit ihren gezielten Weiterentwicklungsbestrebungen Jahr für Jahr sämtliche verfügbaren finanziellen Ressourcen verschlingen. Unser Computerzentrum sieht mittlerweile wie ein Stück Meeresboden aus: übersät mit Computerwracks, die ausgemustert wurden, weil diese Programme die alten Schutzhüllen, aus denen sie herausgewachsen sind, abschütteln und ihre Stimme immer lauter und fordernder erheben, während sie mit jeder neuen Version noch stärker von der Studentenschaft Besitz ergreifen können. Wir werden jedes Jahr beträchtliche finanzielle Mittel benötigen, um leistungsstärkere Geräte und immer neue Upgrades anzuschaffen, um zu verhindern, daß diese Programme uns mit Haut und Haar verschlingen."
Man kann aber nicht so einfach den Studenten die Schuld in die Schuhe schieben. Eine der vorrangigen Strategien im Computermarketing besteht darin, eine Paranoia nach Darwin’schem Prinzip hervorzurufen: Der Anwender muß permanent in der Angst leben, mit der Entwicklung nicht Schritt zu halten, den Anschluß zu verlieren, untauglich zu werden, schon längst veraltete Technologien zu benutzen. Andererseits habe ich nicht das Gefühl, daß Meme im Körper des Computers jemals spontan zum Leben erwachen könnten. Ich möchte Ihnen nicht das Gefühl geben, in einer Einführungsvorlesung für Computerprogrammierer zu sitzen, doch lassen Sie mich bitte kurz klarstellen, was Computer können und was nicht.
Computerprogramme sind komplex, weil sie Prozesse, die vom Menschen als ein Schritt aufgefaßt werden – z. B. das Addieren von Zahlen, das Schreiben eines Gedichts, das Bewegen eines Bilds auf dem Monitor – in eine lange und komplexe Reihe von Einzelschritten zerlegen.
Jeder Computer hat in seinem Inneren riesige, grobe Kupfertunnel, durch die wir gewaltige Mengen kaum kontrollierbarer Elektronen hin- und hersausen lassen [wobei eigentlich ein einziges Elektron wirklich genug sein sollte]. Eine bestimmte Anzahl von nebeneinanderliegenden Tunneln ist an einige der Beinchen eines Mikroprozessors angelötet. Jedesmal, wenn man nun eine Formation von Elektronen durch diese Tunnel preschen und in die Transistoren des Mikroprozessors donnern läßt, führt dieser eine spezifische Reaktion aus. Dieser Vorgang läßt sich mit dem Gummihämmerchen vergleichen, mit dem der Arzt Ihre Reflexe prüft: Die Transistoren stoßen eine bestimmte Reihe von Dominosteinen an, die eine spezifische Operation durchführt. Und das alles vollzieht sich im Rhythmus eines Haupttakts.
Auf einem IBM-Mikroprozessor führen acht Tunnel zum Mikroprozessor. Wenn man die Bitfolge 00010110 sendet, bedeutet dies:keine Elektronen durch Tunnel 1 keine Elektronen durch Tunnel 2 keine Elektronen durch Tunnel 3 Elektronen durch Tunnel 4 keine Elektronen durch Tunnel 5 Elektronen durch Tunnel 6 Elektronen durch Tunnel 7 keine Elektronen durch Tunnel 8 Diese Bitfolge stellt einen Befehl dar; es handelt sich dabei um Sprache. In diesem speziellen Beispiel wird der Computer angewiesen, eine Subtraktion auszuführen. Der Befehl ist in den Transistoren auf dem Chip selbst festgelegt. Der Chip muß bei dieser Bitfolge jedesmal eine Subtraktion durchführen – sonst würde ihn schließlich niemand kaufen.
Das ist die EINZIGE Sprache, die der Computer versteht. Befehle dieser Art definieren die EINZIGEN Operationen, die ein Computer ausführen kann, und diese wenigen Befehle definieren ALLES, was Computer können. Computer funktionieren kniereflexartig. Die Reflexe des Computers werden durch diese Sprache [Befehlsvorrat] gesteuert. Die Computer der IBM-Familie verfügen über ein Vokabular von nur 118 Wörtern. Und letzten Endes wird jeder Vorgang, den der Computer ausführt, nur von diesen 118 Wörtern gesteuert, von denen 50 nur ganz selten zur Anwendung kommen.
Die neueren PowerPCs basieren auf der RISC-Technologie, bei der der Grundbefehlsvorrat reduziert wird, weil logischerweise eine geringere Zahl von Möglichkeiten eine raschere Abarbeitung ermöglicht. Beim Programmieren in C++, Java, UNIX etc. wird diesem Grundbefehlsvorrat nichts hinzugefügt. Vielmehr werden einige der Fähigkeiten des Computers ausgeschaltet. Höhere Programmiersprachen wie die zuvor erwähnten verfügen über einen umfangreicheren Wortschatz, doch besteht ihre Funktion lediglich darin, ihr "englischer" klingendes Vokabular in lange Sequenzen der 118 Wörter zu übersetzen. Aus diesem sehr beschränkten Vokabular ergeben sich sehr komplexe, aber sehr beschränkte Systeme. Der Art, wie wir uns die Welt erklären, nicht unähnlich.
Ich weiß das, weil ich mich Ende der 70er Jahre von einem sehr mächtigen Mem bewußt dazu bringen ließ, mir einen Computer zu wünschen. Ich baute mir also einen Computer mit acht Schaltungen und programmierte ihn, indem ich den Schaltungen Muster [Befehle] zuteilte und diese eines nach dem anderen in den Speicher eingab. Vielleicht ist das der Grund dafür, daß Computer für mich keine Geheimnisse mehr bergen. Die Möglichkeit, daß eine fremde Lebensform aus diesem reduzierten Bestand an Befehlen entsteht, ist äußerst unwahrscheinlich.
Obwohl der binäre Code, 1 und 0, dem genetischen Code, CGAT, analog ist, ist der "Befehlsbestand" in der Genetik wesentlich größer als bei jedem Computer. Die Programmierer, die sich der Schaffung künstlichen Lebens verschrieben haben, werden noch viele Jahre harter Arbeit investieren müssen, um überhaupt feststellen zu können, ob künstliches Leben möglich ist oder nicht. Ich habe mittlerweile gelernt, sie zu bewundern, denn diese Menschen stellen sich die Frage: "Was ist Leben?"
Wir fragen uns vielleicht, ob unsere Computer leben, da eigentlich kein einzelner Mensch mehr versteht, wie unsere Computer oder Programme wirklich funktionieren. Der letzte Computer, den ein einzelner Mensch noch verstehen konnte, war wahrscheinlich der Apple II. Ich hatte zu diesem Gerät immer ein besonderes Nahverhältnis, so als ob ich mit einem anderen Menschen zusammenarbeitete. Dieses Gefühl habe ich bei keinem der neuen Geräte mehr. Heute sind unsere Computer eine schizophrene Kakophonie verschiedener Stimmen und Sprachen – aber auch das genieße ich.
Computer und Software werden heute von Teams produziert, die jeweils an separaten Komponenten arbeiten. Sobald dann die Marketingabteilung zu dem Schluß kommt, daß ein neues Produkt auf den Markt kommen muß, werden die entwickelten Komponenten "zusammengekleistert". Dieses Zusammenkleistern ist immer chaotisch und zeitraubend und wird immer in letzter Minute erledigt. Die Programme und die logischen Schaltungen enthalten viel von der Persönlichkeit des Menschen, der sie geschaffen hat. Beim Programmieren und Entwickeln von Schaltungen ist der "logischste" und methodischste Ansatz niemals der "richtige Weg". Die Techniker, die diese Produkte entwickeln, haben sehr persönliche Tricks entwickelt, um aus ihrem Material das Letzte herauszuholen, und machen sich oft sogar Fehler ihrer Vorgänger zunutze. Unorthodoxe Tricks, mit denen ein oder zwei Maschinenbefehle übersprungen werden können, werden mit Bewunderung betrachtet.
Sogar auf der untersten Ebene bieten Hardware und Befehle Auswahlmöglichkeiten. In unserem Subtraktionsbeispiel müßten wir etwa angeben, was wovon abgezogen werden soll, und natürlich würde der Computer auch wissen wollen, was er mit dem Ergebnis tun soll. Das erste Problem wird durch Variationen des Subtraktionsbefehls gelöst, wobei etwa sieben solcher Variationsmöglichkeiten zur Verfügung stehen [je nachdem, was man als Subtraktion betrachtet, denn jeder einzelne Befehl weist den Mikroprozessor an, Zahlen aus dem Speicher zu holen und die Differenz auf jeweils geringfügig unterschiedliche Art und Weise zu berechnen].
Die Zahlen, mit denen gearbeitet werden soll, können sich an drei verschiedenen Orten befinden, d. h. in einem der Register des Mikroprozessors, im normalen RAM oder im Code des Befehls selbst. Das Ergebnis wird immer in einem Register gespeichert. Wenn die zu bearbeitenden Informationen sich auf einer Platte befinden, müssen sie zuerst ins RAM transferiert werden. Andere Befehle weisen den Chip an, Zahlen zur späteren Bearbeitung in seine Register aufzunehmen und Informationen aus einem Register nach anderswo, z.B. in den Speicher oder durch einen Ausgangsanschluß auf ein Speichermedium außerhalb des Computers, auf den Bildschirm, ins Internet etc. zu transferieren. Der Befehl in unserem Beispiel weist den Mikroprozessor an, eine Zahl vom Akkumulator, einem besonderen, vor allem Berechnungzwecken dienenden Register des Mikroprozessors, abzuziehen.
Der Mikroprozessor führt also bloß eine Reihe schrittweiser Instruktionen aus. Die einfache Subtraktion zweier Zahlen kann Dutzende von Schritten und Dutzende von Methoden umfassen, wobei die Reihenfolge der Schritte und die Methode ausschließlich von der bevorzugten Vorgangsweise des Programmierers abhängen, die wiederum von seinen persönlichen Vorlieben beeinflußt wird.
Die meisten schreiben in höheren Programmiersprachen, d. h. ihre persönlichen Vorlieben sind selbst von den Vorlieben jener Leute, die den Code, der Ihren Code interpretiert, geschrieben haben, geprägt. Die höhere Programmiersprache, die Sie zum Schreiben Ihres Codes verwenden, wurde selbst von mehreren verschiedenen Teams geschrieben. Diese Teams arbeiten jeweils auf der Basis ihrer eigenen persönlichen Vorlieben, bis ihr Code schließlich mit einem anderen Code "zusammengeklebt" wird, wenn die Marketingabteilung beschließt, daß ein brauchbares Produkt auf den Markt gebracht werden muß. Anwendungssoftware wiederum wird von Teams unter Verwendung dieser höheren Programmiersprachen geschrieben.
Computer werden in ähnlicher Art und Weise durch Teams von Hardwaretechnikern entwickelt. Und für die Verwendung eines logischen Chips gibt es genauso viele verschiedene Möglichkeiten wie beim Schreiben eines Codes. Fügen wir dieser bunten Mischung nun noch ein riesiges Betriebssystem hinzu und wir haben eine virtuelle Babuschka, wo jede Schicht in einer unverständlichen und nicht nachvollziehbaren Wechselwirkung mit den angrenzenden Schichten steht. Unsere besten Computerfreaks wissen auch nur, wie sie nicht funktionieren.
Carl Hamfelt und ich haben einmal in einem Experiment versucht, unter Anwendung eines Cut-and-paste-Verfahrens ein Kunstwerk aus Materialien zu erzeugen, die wir entweder im Laden gekauft oder aus dem Netz heruntergeladen hatten. Zu diesem Zweck haben wir die Amateurversion einer PC-Wetterstation und ihren "C"-Quellcode gekauft, uns ein "C"-Shareware-Kommunikationspaket aus dem Netz geholt und eine Maschinensteuerungskarte, wie sie in der Industrie verwendet wird, samt Quellcode angeschafft. Die Wetterdaten wurden bei mir zu Hause gesammelt und per Modem an das Künstlerhaus in Graz geschickt, wo eine kommerzielle Steuerungskarte mit Hilfe des "C"-Softwarepakets einen Servomotor und einen großen, starken Ventilator betreiben sollte, mit denen die Wetterbedingungen bei mir zu Hause simuliert werden sollten. Ursprünglich hatten wir vor, einfach Teile der verschiedenen Codes zu kombinieren, doch schließlich mußten wir uns bis kurz vor der Eröffnung mehrere Nächte lang als Hacker betätigen, auf Beutezug gehen und alles neu programmieren. Es stellte sich nämlich heraus, daß die von der Industrie gelieferten Meme ausschließlich für den industriellen Einsatz gedacht und für Leute wie uns, die sich über die Grenzen der industriellen Anwendung hinauswagen wollten, einfach nicht geeignet waren.
Im Code gab es zumindest drei Stimmen, die sich einfach nicht zum Sprechen bringen ließen. Wir mußte diese drei stummen Kollegen nun zur Zusammenarbeit bewegen. Drei separate Denkprozesse zu einem funktionierenden Ganzen zu morphen, erwies sich als sehr problematisch. Das lag aber nicht etwa daran, daß die Codes inkompatibel waren, sondern an der Schwierigkeit, drei unterschiedliche Philosophien miteinander in Einklang zu bringen.
Das ähnelt sehr dem anderen Speichersystem, mit dem ich arbeite. Denn auch im Falle des menschlichen Gedächtnisses funktioniert die Ausschneide/Einfüge-Methode nicht, und ich als Künstler verlasse mich deshalb auf das "Morphing".
Das Großartige an der Öffentlichkeit ist die Tatsache, daß jeder einzelne ein Gehirn besitzt. Die Gehirne sind so verkabelt, daß sie in der Welt nach Mustern suchen, diese mit den bereits im Gedächtnis gespeicherten Mustern vergleichen und daraus einen Sinn ableiten. Wenn in der Umgebung etwas Neues auftaucht, das Sprache und Gedächtnis nicht zuordnen können, wird das Gehirn neuen Mustern gegenüber empfänglich, die vielleicht eine Erklärung liefern könnten. Wir sind irritiert, wenn wir uns etwas nicht erklären können. Die Sprache scheint unseren Mustererkennungsprozessor – nennen Sie ihn, wie Sie wollen, Unterbewußtsein, die Geisteswelt, das Gehirn des präverbalen Kindes, die dunklen sokratischen Dämonen oder auch Meme – überschrieben zu haben. Unsere innere Sprache war entweder immer schon "fuzzy" oder ist es mittlerweile geworden. Wer als Künstler erfolgreich sein will, muß einen irritierenden Faktor in der Umwelt erkennen und dafür die eine oder andere Art von Erklärung liefern. Normalerweise verlassen wir uns auf die Sprache, doch wenn etwas Neues in unserer Umgebung auftaucht, hören wir auf die Stimme in unserem Inneren.
Welches Medium man verwendet, ist eigentlich unwichtig. Ein schlechter Musiker denkt, er spiele ein Instrument, ein einigermaßen annehmbarer Musiker erzeugt einen Reiz für das Trommelfell, doch ein wirklich guter Musiker manipuliert das Gedächtnis. Doch warum sollen wir uns mit einem Zwischenmedium plagen? Warum sagen wir den Menschen nicht einfach, was wir zu sagen haben? Wäre das nicht auch wesentlich kosteneffizienter?
Meine neueste Theorie besagt, daß die Künstler eine Art besonderer Verbindung zu jenem Teil des Gehirns haben, das keine Sprache spricht. Dieser Teil des Gehirns möchte kommunizieren, doch die meisten Kommunikationskanäle sind nur für Sprache ausgelegt. Um den Kommunikationsfluß herzustellen, muß das sprachunkundige Gehirn den Künstler anleiten, in der realen Welt eine Art von Modell zu erzeugen. Die Kommunikation erfolgt über die Hände, und sobald wir das fertige Produkt vor uns sehen, verstehen wir – ein wenig besser.
Das ist ein sehr langsamer Prozeß. Wir können nur hoffen, daß das Modell für den stummen Teil des Gehirns unseres Publikums Sinn macht. Letztendlich kommen dann die Kritiker und Theoretiker und erzeugen die nötige Sprache, um das Mem zu bezwingen und artikulierbar zu machen. Vielleicht besteht die Rolle der Postmoderne darin, diese Phase zu überbrücken. Oder vielleicht hat die staatliche Subventionierung mit ihrer Forderung, der Künstler müsse sein Werk in Worten rechtfertigen, sowohl die Kunst als auch die Wissenschaft dem Ausschneide/Einfüge-Modus verpflichtet: Was nicht in Worten erklärbar ist, ist ungreifbar und selbstzentriert.
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