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Ars Electronica 1996
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Nothing is Certain [Flesh, the Postbody, and Cyberfeminism]


' VNS Matrix VNS Matrix

INTERVIEWS: NOVA DELAHUNTY
In diesem Exklusivinterview für Ars Electronica 96 spricht die Kunstkritikerin und Kulturtheoretikerin Nova Delahunty mit drei Mitgliedern von VNS Matrix, einer Gruppe australischer Computerkünstlerinnen: gashgirl, Josephine Starrs und Julianne Pierce.

Nova: 1991 haben Sie das Bild Ein cyberfeministisches Manifest für das 21. Jahrhundert geschaffen. Das war eine der ersten Gelegenheiten, bei der der Begriff "Cyberfeminismus" überhaupt aufgetaucht ist. Wie hat sich der Cyberfeminismus Ihrer Ansicht nach als "Mem" entwickelt?
Julianne: Als wir den Begriff des Cyberfeminismus zu verwenden begannen, tauchte er gleichzeitig auch in anderen Teilen der Welt auf – wie ein spontanes Mem, das sich als Reaktion auf damals populäre Ideen wie zum Beispiel den "Cyberpunk" überall etwa um dieselbe Zeit herausbildete. Seit damals hat sich das Mem rasch verbreitet, und heute haben diesen Gedanken sicher schon viele Frauen aufgegriffen, die sich theoretisch oder praktisch mit Technologie beschäftigen. Das Großartige an diesem cyberfeministischen Mem ist die Tatsache, daß es absolut anpassungsfähig und flexibel ist. Mit dem Cyberfeministischen Manifest [URL: http//www.next.com.au/spyfood/geekgirl/001stick/vns/vns.html] wollten wir ganz sicher keine Doktrin vorschreiben – wir haben es vielmehr als Vehikel betrachtet, um etwas über unsere Arbeit zu sagen und eine Stellungnahme zur Technologie abzugeben. Mit der Weiterentwicklung der cyberfeministischen Ideen durch andere entfaltete sich der Begriff zusehends. Das Mem befindet sich in einer Art Fließzustand und ändert sich je nachdem, wie es von Künstlern, Schriftstellern, Theoretikern und sogar Verlegern geformt wird. Ich glaube auch, daß es als "Feminismus" wichtig ist. Nachdem der Feminismus in den letzten paar Jahren ziemlich unmodern geworden ist, wurde und wird er durch den Cyberfeminismus in eine zeitgemäßere Form gebracht. Der Feminismus muß wirklich dringend verändert und an das zeitgenössische Denken angepaßt werden, und der Cyberfeminismus hat jene Themen, die für Frauen wichtig sind, in die Technologiedebatte einfließen lassen. Für viele Frauen ist der Cyberfeminismus zwar ein nützliches Hilfsmittel, um sich mit Technologie auseinanderzusetzen und diese zu kritisieren. Doch sind Cyberfeministinnen nicht technologiefeindlich eingestellt. Ganz im Gegenteil, sie sind technophil und richtige Freaks, die von ihren Geräten gar nicht genug bekommen können.
Nova: Die zentrale Figur im Cyberfeministischen Manifest ist eine Hybridgestalt – halb Krustentier und halb Frau. Was sagt dieses Bild Ihrer Ansicht nach über die Evolution aus, und in welcher Art und Weise spiegelt es Ihre Zukunftsvision wider?
Julianne: Dieses Bild – wir nennen diese Frau übrigens "Krustenfrau" – ist eher metaphorisch als wörtlich aufzufassen. Ihr provozierender nackter Oberkörper geht in einen insektenähnlichen Unterleib über – sie ist beinahe eine Umkehrung des Minotaurus, mit dem Unter-leib eines Krustentiers anstelle des Pferdekopfes. Dieses Bild enstand aus einem Versuch, bildlich darzustellen, wie die "Frau der Zukunft" aussehen würde. Wir haben das Bild für ein Plakat gemacht, das einen Monat lang an einer der belebtesten Straßen Sydneys hing. Wir beschäftigten uns mit den Bildern in der Werbung, mit der typischen Art und Weise, die Frau an solchen Orten darzustellen, und versuchten insbesondere festzustellen, wie die Vision der "futuristischen" Frau von den Medien und in der Werbung dargestellt wird. Wir wollten das Bild der "fembot", der Roboterfrau mit ihrem perfekt gerundeten, chromglänzenden Hintern, unterlaufen. Deshalb ist unsere Krustenfrau sowohl eine Stellungnahme zur Konstruktion der fetischisierten weiblichen Figur als auch ein Versuch, ein kräftiges, aussagestarkes Bild der Frau der Zukunft zu schaffen. Unsere Krustenfrau ist darüber hinaus auch eine Stellungnahme zur genetischen Manipulation und allen möglichen widernatürlichen Kreuzungen, die in den Laboratorien verrückter Genetiker entstehen könnten. Durch genetische Veränderung und Splicing ist alles möglich. Warum also sollten wir beim Superschwein Halt machen? Warum sollten wir nicht seltsame und ungewöhnliche Kreuzungen erzeugen? Phantasie ist alles!
Nova: Glauben Sie, daß der Cyberfeminismus insofern erfolgreich war, als er der technologisierten Welt vor Augen geführt hat, wie wichtig die Rolle der Frau in der Entwicklung der neu entstehenden Technologien ist? Oder halten Sie den Cyberfeminismus für eine abtrünnige Philosophie bzw. Praxis, die gar nicht in das allgemeine Denken Eingang finden will?
Josephine: Ich glaube, daß Sadie Plant mit ihrer Aussage "Der Cyberfeminismus ist nichts anderes als die Erkenntnis, daß die Tage des Patriarchats gezählt sind" eigentlich schon alles gesagt hat.

gashgirl: Der Cyberfeminismus als anarchistische Intensivierung der allgemeinen Techno- und Computerkultur bewährt sich ausgezeichnet, wenn es darum geht, diese Welten darauf aufmerksam zu machen, daß "Codekatzen" und "Betababies" mit den neuen Technologien bemerkenswerte, verrückte Sachen anstellen. Oft tun sie sogar Dinge, die ihren männlichen Kollegen nicht eingefallen sind. Ich weiß nicht, warum. Mir gefällt es jedesmal unheimlich, wenn eine von uns in diesen konservativen Nachrichtenmagazinen wie TIME oder Wired, in Murdochs Käseblättern, in "anständigen" TV-Shows, Kinder-Gameshows etc. zitiert wird. Gibt es einen besseren Beweis dafür, daß das infektiöse Mem sich im verfallenden Körper der postindustriellen Gesellschaft ausbreitet?

GashGirl ist ein arbeitsscheuer Netzfreak, der immer noch in der australischen Ausgabe von TIME zitiert wird, wenn es um Cyberporno geht … ist schon OK, spielt nur im Netz, Mädels, und ihr könnt wirklich gemein sein. Ein Abtrünniger kann man nur dann sein, wenn es etwas gibt, gegen das man sich wenden kann. Und mit den gesellschaftlichen Beziehungen und Machtverhältnissen in der Technologie ist vieles verkehrt. Ich sehe unseren Beitrag als grundlegenden Baustein der ethischen Forschung in diesem Bereich.
Nova: In Wired [April 1996] zitiert Pamela McCorduck [in ihrem Artikel über Sherry Turkle] Michael Joyce, der sagt: "Der in der Berichterstattung vielleicht am meisten vernachlässigte Aspekt unserer Zeit ist die Tatsache, daß der ernsthafteste und fesselndste Diskurs über neue Technologien und kulturelle Veränderungen von Frauen ausgeht." Was erwidern Sie auf diese Aussage? Vielleicht könnten Sie über einige der Leute berichten, die Ihre eigene Arbeit beeinflußt haben.
Julianne: Ich würde dieser Aussage zustimmen, insbesondere wenn es darum geht, daß Frauen sehr erfindungsreiche und kritische Diskurse über die Technologie entwickeln. Viele Frauen beschäftigen sich mit der Schaffung begrifflicher und analytischer Rahmenstrukturen, anhand derer man die neu entstehenden Technologien diskutieren und verstehen kann. Diese Tatsache findet wahrscheinlich deshalb kaum Berücksichtigung, weil es sich dabei eher um Entwicklungen auf der Begriffsebene als im Bereich der Technologie handelt. Ein Großteil der Berichterstattung über "neue Technologien" konzentriert sich eher auf die Hardware und Software als auf die Wetware. Würden die Fachzeitschriften öfter begriffliche Fragen aufgreifen, dann wären vielleicht auch die Frauen regelmäßiger auf den Seiten der Computerkulturmagazine vertreten. Ich bin in vielerlei Hinsicht gegen reduktionistische Argumente, die Männer und Frauen in separate Lager verbannen. Es gibt viele Männer, die wirklich interessante Arbeit leisten und enorm viel zu einem intelligenten Diskurs über die entstehende Technokultur beitragen. Allerdings werden die Frauen, wie Michael Joyce sagt, zu oft in ihrer Eigenschaft als Lieferanten wichtiger und prägender Beiträge zum kulturellen Wandel vernachlässigt. Solange nach diesen Regeln gespielt wird, werden die Frauen sich selbst und ihre Standpunkte mit Nachdruck artikulieren müssen, um gehört zu werden. Glücklicherweise gibt es viele Frauen, die sich in diesem Bereich beachtliches Ansehen erworben haben – Frauen wie Sherry Turkle, die grundlegende und total vernünftige Theorien über die Technokultur aufstellen. Unglücklicherweise ist ihr neues Buch in Australien noch nicht erhältlich, aber die Auszüge, die ich daraus gelesen habe, lassen darauf schließen, daß Turkle unser Verhältnis zur Technologie und die Auswirkungen, die diese Technologie auf unsere Lebensweise, unser Verhalten und unsere Kultur haben wird, sehr realistisch ergründet.

Sie möchten wissen, wer uns beeinflußt hat? Naja – die französische Theoretikerin Julia Kristeva war ein sehr früher Einfluß, ihre Schriften über das Lacan’sche Denken haben zweifellos einige unserer früheren Ideen geprägt. Sadie Plant aus England hat uns ebenfalls beeinflußt, ebenso wie die Ideen von Donna Haraway, Sandy Stone und Zoe Sofoulis. Es gibt so viele Leute, die uns inspiriert haben – ich möchte hier nur einige wenige nennen: Virtual Valerie, River Phoenix, Graham Harwood & Matt Fuller, Linda Wallace, Leopold von Sacher-Masoch, de Sade und Stelarc [der in Gastrollen auch in unserer Arbeit vorkam].


gashgirl: Da unsere Arbeit viele verschiedene Medien und Strategien benutzt, z. B. Video, Film, Musik, Sound, Installation, Text, Skulptur etc., bringen wir natürlich auch Meme aus der Arbeit und den Ideen der in diesen Bereichen tätigen Künstler mit ein. Ich bin von vielen Überträgern infiziert worden – Dumb Type, o[rphan] d[rif>t] Bataille, Angela Carter, Cavafy, Brett Easton Ellis, Portishead, Biosphere, machine hunger, Gomma, Atom Egoyan, Hal Hartley, Murasaki Shikibu, Marguerite Duras, Linda Dement, Chris Marker, Antonioni, Madonna, Urban Exile, Xray Specs. Ihre Viren sind durch mich hindurchgegangen, haben aber dauerhafte Male hinterlassen. Können Sie die Spuren in meiner Arbeit sehen? Diese Meme lauern rund um das Bewußtsein, hallen wider, mutieren und vermehren sich. Ich will alles und nichts. Das Mem ist alles und nichts. Es gibt keinen Raum mehr für weitere Entwicklung. Es gibt nur den Tod – und das Netz.
Nova: Glauben Sie, daß das Geschlecht als Thema heute überflüssig geworden ist, oder sollte Ihrer Meinung nach das Geschlecht als eine Art "Kontrollmechanismus" in der Entwicklung des Diskurses über "Die Zukunft der Evolution" beibehalten werden?
gashgirl: Der Schriftsteller Doug Rice erklärte mir kürzlich in einer E-mail: "Für mich ist die Dystopie der Geschlechter ein Kampf zwischen Gedächtnis, Sprache, Fleisch, Kleidung."

Das ist kein einfaches univalentes oder auch bivalentes Mem. Solange es soziale Unterschiede aufgrund von Geschlechterdiskriminierung gibt, können wir das Thema Geschlecht aus diesen Diskursen nicht einfach streichen. Die Meme des Cyberfeminismus und des Geschlechtsterrorismus infizieren sich in einem fort gegenseitig.


Josephine: Wie könnte das Geschlecht jemals überflüssig sein?

Julianne: Eine interessante und komplexe Frage, Nova! Wo soll man da beginnen? Ich habe das Gefühl, daß die Frage des Geschlechts zum Gegenstand eines intelligenten und kontextualisierten Diskurses gemacht werden muß, da die Kultur immer komplizierter wird. Poststrukturalistische und dekonstruktivistische Theorien haben ein neues Licht auf die Konstruktion von Identität und Geschlecht geworfen. In diesen Diskursen wurde zum Ausdruck gebracht – und da kann ich nur zustimmen –, daß das Geschlecht durch die Kultur konstruiert ist und daß grobe Definitionen wie männlich und weiblich neu überdacht werden müssen. In Theorie und Praxis der neuen Technologien zeigen sich diese Definitionen wie unter dem Mikroskop. Die Faszination der neuen Technologien scheint darin zu bestehen, daß Räume wie das Internet Möglichkeiten zu Gender-Hacking oder zum Spiel mit der Identität bieten. Ich glaube, daß das Internet deshalb so wichtig ist – die Menschen können sich neu definieren und sich allen möglichen interessanten und seltsamen Fantasien über sich selbst hingeben. Dem eigenen Geschlecht zu entkommen, andere Möglichkeiten, die eigene Identität, das eigene Selbst zu gestalten, scheint ein jahrhundertwendetypisches Bestreben zu sein. Diese Fragestellungen haben Einfluß auf die Art und Weise, wie Identität in der realen Welt entsteht. Die traditionellen Vorstellungen von "männlich" und "weiblich" haben sich gewandelt, und ein Großteil des Ballasts, der diesen Attributen anhing, wurde über Bord geworfen. Sie möchten wissen, ob "männlich" und "weiblich" überflüssig werden und ob die Menschheit als Spezies in der Zukunft nur mehr aus männlich-weiblichen Hybridwesen bestehen wird? Das ist schwer zu sagen. Vielleicht wäre dann vieles besser – ungeschlechtliche, nichtbiologische Vermehrung etc. Doch wo wäre da der Spaß, Nova? Was ist mit sexueller Anziehungskraft? Ich bin fest der Meinung, daß das Geschlecht in den Diskursen über "Die Zukunft der Evolution" weiterhin ein Thema bleiben sollte. In vielerlei Hinsicht scheint es, daß dieser Diskurs jeden Gedanken an das Geschlecht hinter sich lassen möchte, daß der große Sprung vorwärts, den uns die Technologie ermöglichen wird, mit dem Wegfall des Fleisches verbunden sein wird. Solange wir aber Körper haben, wird das Geschlecht immer ein Thema bleiben. Der springende Punkt jedoch ist, wie das Geschlecht als definierender Begriff im nächsten Jahrtausend aussehen und hinterfragt werden wird. Doch vielleicht sollten wir uns auch fragen, welche Auswirkungen die Themen Geschlecht und Identität auf künstliches Leben, künstliche Intelligenz und Roboter haben werden?
Nova: Es scheint in der gegenwärtigen Diskussion über Technologie und Evolution mehrere Tendenzen zu geben: "Die Computertechnologien werden die Evolution replizieren und die Rolle der Natur übernehmen und diese damit überflüssig machen." "Der menschliche Phänotyp muß sich den sich rasch weiterentwickelnden Technologien anpassen, um überleben zu können." "Die historischen Auswirkungen der Technologie und die Art und Weise, in der diese die evolutionären Prozesse verlagert und geändert haben". Dies sind einige ziemlich vereinfachende, zusammenfassende Darstellungen, doch möchte ich trotzdem gern wissen, wie Sie zu diesen Ideen stehen.
Josephine: Nova, was wollen Sie mit diesen langweiligen Theorien? Die lenken doch nur von den wirklichen Themen ab!

Julianne: Der Gedanke, daß die Natur einmal Geschichte sein könnte, ist beängstigend. Wenn das der Fall ist, besteht die Zukunft unserer Evolution sicher im Aussterben. Die Einstellung der Maschinenstürmer ist in gewisser Hinsicht nicht ganz falsch. Sie könnten, wie die Küchenschaben, die großen Computercrashs der Zukunft überleben, während wir bis zu den Hüften mit unseren Computern verwachsenen Technophilen innerhalb von Nanosekunden in Massen von Gigabytes explodieren werden. Natürlich geht es um das Überleben der Geeignetsten, und natürlich muß sich der menschliche Phänotyp anpassen, um überleben zu können. Aber das war doch bei jeder neuen Technologie der Fall – wir sind unglaublich anpassungsfähig und nicht unterzukriegen. Andererseits sieht es so aus, daß diejenigen, die sich tatsächlich anpassen und gedeihen, dies auf Kosten vieler anderer tun, d. h. der Fortschritt einer Gesellschaft kann sich nur auf Kosten einer anderen vollziehen. Insofern als ich mich für die zeitgenössischen Theorien über die Zukunft der Evolution interessiere, denke ich auch an jene, über deren Zukunft wir sprechen. Neben Mediamemory, Robotertechnik und Cyborgkultur gibt es klarerweise viele andere Folgewirkungen der Technologie, die eingehend diskutiert werden sollten – zum Beispiel die Natur der Arbeit, die Lebensmittelproduktion, die Trinkwasserversorgung usw. Ich habe das Gefühl, daß wir so sehr von den entstehenden Technologien und der Zukunft besessen sind, daß wir die wirklichen, tatsächlichen Probleme, unter denen die verschiedenen Kulturen unserer Welt leiden, aus den Augen verloren haben.
Nova: Wie gehen Sie in Ihren eigenen Kunstwerken mit dem Begriff der "Zukunft der Evolution" und den Memen um? Ist das ein Bereich, der Sie interessiert?
Josephine: Ich persönlich interessiere mich eher für das, was heute passiert. Mich beschäftigt die Tatsache, daß speziell wir in der westlichen Welt unsere Erfahrungen zunehmend von neuen Technologien vermittelt bekommen, und ich frage mich, welche Auswirkungen das auf unser Leben hat.

Julianne: Ich glaube, daß wir uns in unserer Arbeit immer auf diese Themen bezogen haben – und jetzt auf einmal passen wir in den "Memesis"-Trend. Als visuelle Künstler hinterfragen wir insbesondere, wie die Zukunft wahrgenommen und gestaltet wird, und in unserer Arbeit ist es darum gegangen, wie die verschiedenen Auffassungen von der Zukunft ihrerseits das zeitgenössische Denken bzw. die zeitge-nössische Kultur verändern. Ich persönlich finde nihilistische und konservative Zukunftserwartungen sehr besorgniserregend – ebenso wie die Tatsache, daß durch das Abstecken dieses Terrains schon wieder Erwartungen darüber, wie wir leben und wie wir mit unserer Umgebung interagieren werden, erzeugt werden. Ich glaube, wir sollten die Zukunft nicht auf eine Möglichkeit beschränkt sehen, sondern vielmehr als breite Palette verschiedener Möglichkeiten. Wir sollten davon ausgehen, daß der Niedergang der Ideale der Moderne gleichzeitig einen Fortschritt in Richtung pluralistischer, vielfältiger Kulturen bedeutet. Die gegenwärtigen Debatten über "Die Zukunft der Evolution" scheinen sich hauptsächlich um die Entwicklung von künstlicher Intelligenz, Robotertechnik, künftige Kulturen etc. und deren Auswirkungen auf den Evolutionsprozeß zu drehen. VNS Matrix interessiert sich für diese Probleme, wenn auch vielleicht aus einer radikaleren Position. Wir stehen außerhalb der akademischen Welt der AI-Forschung, wo heute das große Geld fließt. Wir fühlen uns selbst eher mit dem aufständischen Untergrund verbunden und formulieren unseren Standpunkt aus dieser Perspektive.
Nova: Die Gruppe VNS Matrix verwendet für ihre Arbeit Low-end-Technologien und kombiniert mehrere verschiedene Disziplinen. Wie fügt sich angesichts der gegenwärtigen Besessenheit von High-end-Technologien wie Robotertechnik und Künstlichem Leben Ihre Arbeit in dieses Milieu ein? Glauben Sie immer noch, daß der Begriff ebenso wichtig [wenn nicht sogar wichtiger] ist als die Maschine?
Josephine: VNS Matrix sind die besten, wenn es um intelligente und kritische Vapourware geht, und deshalb können wir [zumindest hypothetisch] jede High-end-Technologie verwenden, die wir wollen.

gashgirl: Low-end/High-end
Begriff /
Maschine

Ist das nicht genau die Art reduktionistischer binärer Paradigmen, gegen die wir mit unserer Arbeit angehen wollten? Sicher, wir verwenden und verteidigen die Technologien der unteren Preisklasse – teils aufgrund unser eigenen Entscheidung und teils aus Notwendigkeit. Doch wer von uns möchte wirklich seinen PowerPC gegen die Geister der früheren Computer eintauschen? So etwas wie einen exquisiten CPU-Leichnam gibt es nicht. Beta ist besser als der Teufel, wissen Sie.
Wenn wir ganz ehrlich wären – aber verzichten wir darauf! Lügen macht viel mehr Spaß. Ich glaube, alle Cyberschlampen würden gern die leistungsstärksten Geräte haben, die sie nur bekommen könnten. Ich habe ungefähr zehn Jahre lang davon geträumt, welchen Schaden ich der NASA zufügen könnte, wenn ich einige Zeit dort arbeiten würde. Je größer die Boys, desto schlauer ihr Spielzeug – und umso mehr Schaden kann man anrichten – sowohl an den Computern als auch an den Systemen, die sie schaffen.

Suck my code, General!
M’am, yes M’am.

Nun aber mal abgesehen von diesen langweiligen binären Gegenüberstellungen – es wäre exakter, zu sagen, daß wir auf und zwischen verschiedenen Linien arbeiten … philosophisch, politisch, kreativ, sogar spirituell … und auf unserem Weg suchen wir uns die Computer aus, stehlen sie, manipulieren an ihnen herum.

Was das Künstliche Leben angeht, kann ich nur sagen, daß auch mein Billigkühlschrank ständig neue Formen hervorbringt. Ich weiß nie, was in dem Ding zum Vorschein kommen wird.
Nova: Zum Schluß möchte ich noch wissen, woran Sie gegenwärtig arbeiten und wie Ihre Pläne für die "Zukunft" aussehen …
gashgirl: Wir haben das vergangene Jahr damit verbracht, den Prototyp für ein richtiges Computerspiel mit dem Namen Bad Code zu entwickeln. Der Kerncode wurde unheilbar vom cyberfeministischen Mem infiziert, und wir lehnen jegliche Verantwortung für die Auswirkungen ab, die dieses Virus auf jene haben könnte, die unser Spiel spielen werden. Wir sind jetzt auf der Suche nach einem Investor und/oder Multimedia-Verleger, damit dieses Mem sich ausbreiten und vermehren kann. Wir würden es nächstes Jahr gern neben Mortal Kombat, Cyst und Street Hooker III im Geschäftsregal stehen sehen.

VNS selbst als Einheit befindet sich in einem Stadium des "Morphing" und der Aufspaltung; wir suchen neue Wege in Forschung und Produktion. Wir haben unser kollektives Exoskelett, aus dem wir mittlerweise herausgewachsen sind, abgestreift und teleportieren unsere Gedanken in parallele Universen, wo die Meme des Cyberfeminismus zu bizarren Formen mutiert sind.


Josephine: Wir möchten gern Themenparks auf Planeten in fernen Galaxien einrichten!