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Ars Electronica 1996
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Festival 1979-2007
 

 

Kunst, Körperbewußtsein und das technische Weltbild


'Simon Penny Simon Penny

"Ich teile Ihre Nostalgie für den Körper nicht." So sprach ein Teilnehmer der Ars Electronica im Jahre 1995. (1) Unerklärlicherweise hat die Vorstellung, der Körper sei überflüssig, ausgerechnet unter Anhängern der Cyberculture besondere Popularität erlangt. In meinen Augen ist dieser Wunsch, den Körper mit Hilfe der modernen Technik zu transzendieren, nicht gar so abwegig. Ich halte diese Idee auch für weitaus weniger futuristisch, als ihre gegenwärtigen Verfechter glauben möchten. Die Vorherrschaft des Geistes über den Körper, des Abstrakten über das Konkrete, zieht sich als einflußreiche, unauslöschbare Idee durch die westliche Philosophie, ausgehend von Plato über die christliche Theologie bis zu Descartes und noch weiter. William Gibsons Cyberpunks verkündeten, der Körper sei "Fleisch", und übersahen dabei, wie sehr diese Ansicht der des hl. Augustinus ähnelt. In einer Zukunftsvision spricht der Robotiker Hans Moravec davon, daß wir unser Bewußtsein in digitale Datenbanken aus galaktischen Gaswolken laden werden, um als körperlose Wesen ewig zu leben. Auch er ist sich nicht im klaren darüber, wie sehr seine Vision der Vorstellung "in den Himmel zu kommen" gleicht. (2) Der australische Performancekünstler Stelarc schlägt vor, den Körper auszuhöhlen und auszutrocknen, eine synthetische Haut für ihn zu entwickeln bzw. den Körper überhaupt neu zu konstruieren, um ihn für die Symbiose von Technik und Biologie geeignet zu machen. (3)

Wann und wo wurde dieser Wunsch, den Körper zu transzendieren, mit "Technik" gleichgesetzt? Welche Auswirkungen hat diese Gleichsetzung auf den künstlerischen Umgang mit Mitteln der Technik? Ich werde versuchen, im Rahmen dieses Essays Licht auf diese Fragen zu werfen. Mein Anliegen ist es zu zeigen, daß das, was ich das Technische Weltbild nenne, nur die Fortsetzung der Kartesianischen Dualität ist und daß das zentrale Hilfsmittel unserer Kunst, der Computer, der Inbegriff eben dieser Weltanschauung ist.

Um zu vermeiden, daß Teile der folgenden Diskussion von Menschen, die sich beruflich mit Technik beschäftigen, als Provokation empfunden werden, möchte ich hier klarstellen, daß meine Kritik nicht einzelnen Personen, sondern der kumulierten und oft nicht klar ausgesprochenen Ideologie der Technik gilt, einer Ideologie, die uns allen in Fleisch und Blut übergegangen ist. Im Grunde genommen ist es eine innere Auseinandersetzung, die ich führe: Ich bin ein Teil dessen, was ich kritisieren werde. Wie die meisten westlichen Menschen habe ich die wissenschaftlichen Methoden ebenso wie das Technische Weltbild internalisiert. Da ich tagtäglich mit Technik zu tun habe, wäre es scheinheilig von mir, sie per se zu kritisieren. Sinn und Zweck dieses Essays ist es, die Grenzen ihrer Nützlichkeit zu erkunden. Die durchwegs interdisziplinäre Methode, nach der ich dabei vorgehen möchte, besteht darin, der "Technik" den Spiegel der Literatur- und Kritiktheorie und der künstlerischen Praxis vorzuhalten. (4)

DAS TECHNISCHE WELTBILD
Wissenschaft und Technik bilden keine homogene Einheit. Zwar ließe sich ein Gegensatz konstruieren zwischen der rein wissenschaftlichen Forschung und deren Anwendung zur effizienten Produktion von Waren, doch handelt es sich viel eher um ein Kontinuum mit verlaufenden Grenzen. Und dennoch kann man feststellen, daß der wissenschaftlichen Methodik, der Logik der industriellen Produktion und dem Kapitalismus gewisse gemeinsame Ideen zugrundeliegen. Hier gilt es an erster Stelle den Reduktionismus zu erwähnen. Er untersucht ein Phänomen, indem er es aus seinem Kontext herauslöst und isoliert betrachtet. So kann ein holistisches System auf einige ausgewählte Vektoren reduziert werden, auf Vektoren zur Maximierung von Output und Produktivität, mit anderen Worten, zur Maximierung des Gewinns in Abhängigkeit zum Input [Material, Energie, Kapital und Arbeit]. Dieses Streben nach Maximierung ist eine Art Glaubensbekenntnis der westlichen Zivilisation, und zwar aus einem sehr pragmatischen Grund – die Instrumentalisierung dieser Methode hat schließlich zur Industrialisierung beigetragen und damit den Wohlstand und die Macht unserer modernen Zeit geschaffen. Ich wage zu behaupten [auch wenn ich damit im Widerspruch zur vorherrschenden Meinung stehe], daß die Vorrangstellung des wissenschaftlichen Diskurses in unserer Kultur allein auf dessen Fähigkeit, Reichtum hervorzubringen, zurückzuführen ist. Noah Kennedy weist nachdrücklich auf die strukturellen Verbindungen zwischen dem Computer und der Logik der industriellen Produktion hin:
"In gewisser Hinsicht ist der Computer die Quintessenz des Kapitalismus. Im Bestreben, das menschliche Urteilsvermögen durch ein mechanisches zu ersetzen – nämlich die Logik der rationalen, profitmaximierenden Entscheidungen aufzuzeichnen und zu kodifizieren – offenbart sich jener Zug des Kapitalismus, der ihn zu etwas Besonderem macht: die Rationalisierung und Mechanisierung des Produktionsprozesses auf der Jagd nach Gewinnen. [...] Die moderne Gesellschaft ist an einem Punkt angelangt, wo die Industrialisierung sich gegen den menschlichen Intellekt zu richten beginnt." (5)
Körper und Geist sind zwei verschiedene Substanzen; der Beobachter beeinflußt das beobachtete System nicht; zum Verständnis eines Systems genügt es, es auf seine einzelnen Komponenten zu reduzieren und diese zu untersuchen; das Ganze ist die Summe seiner Teile [und nicht mehr]; das Verhalten eines komplexen Systems läßt sich vorhersagen: Alle diese Vorstellungen spiegeln den verwissenschaftlichten Zugang zur Welt im 19. und frühen 20. Jahrhundert wider. Mit ihrer Instrumentalisierung werden derartige Ideen zu einer Ideologie der effizienten Produktion – zu dem, was ich das "Technische Weltbild" genannt habe.

Der ganzen Diskussion liegt die Idee zugrunde, daß, ungeachtet allen futuristischen Geredes, der Computer die Krönung aller technischen Entwicklungen darstelle. Der digitale Rechner spiegelt am deutlichsten die für das 19. Jahrhundert so typische Verherrlichung der Technik wider. Es liegt eine gewisse Ironie darin, daß in den letzten Jahrzehnten ausgerechnet die Fähigkeiten des Computers einige Schlüsselaspekte des Technischen Weltbildes in Frage gestellt haben. Als Benoˆ¦t Mandelbrot in den 70er Jahren die Kapazitäten des Computers nutzte, um ein merkwürdiges mathematisches Problem aus dem 19. Jahrhundert zu untersuchen, entdeckte er geometrische Monster, die er "Fraktale" nannte. Auf ganz ähnliche Art und Weise erschütterten Crutchfield, Farmer, Packard und Shaw das wissenschaftliche Establishment in seinen Grundfesten, als sie darlegten, wie einfache, deterministische Systeme ein unvorhersehbares und zufälliges Verhalten hervorbringen können. Sie nannten dieses Phänomen "Chaos" und merkten an, daß es dem Determinismus prinzipiell Grenzen setzt. In jüngerer Zeit hat das zunehmende Verständnis von Komplexität und emergenten Ordnungen Zweifel an der Verläßlichkeit der reduktionistischen Methode aufkommen lassen. (6)

Wenn die Krönung der Technik der Computer ist, so ist die Künstliche Intelligenz die Krönung der Krönung. Als in den 60er Jahren klar wurde, daß die Kybernetik mit ihrem Versuch, organische Systeme und neuronale Netzwerke nachzubilden, gescheitert war, begann die Wissenschaft mit der Untersuchung von automatisierten logischen Systemen. Die Künstliche Intelligenz feierte anfänglich Triumphe bei rein logischen Aufgabestellungen, wie z. B. mit Newells und Simons "General Problem Solver".

Aber bei dem Versuch, diese Systeme auf Probleme der realen Welt auszudehnen, die keineswegs so scharf abgegrenzt sind, stieß man auf Schwierigkeiten. Computer brachten hervorragende Leistungen bei komplexen logisch abgegrenzten Problemen wie dem Schachspielen, versagten aber bei alltäglichen Aufgaben wie dem Überqueren einer Straße. Der Aufwand, alle Eventualfälle einzukalkulieren, führte zum Phänomen der "Sprödheit". Man mußte einsehen, daß zwar abstrakte, logische Denk-vorgänge leicht zu automatisieren sind, nicht aber der zugrundeliegende Lernprozeß, der sogenannte gesunde Menschenverstand. Abstraktes Denken scheint mir leicht zu automatisieren, weil dieses Denken selbst eine abstrakte Maschine ist.

Bei der Steuerung von Robotern mittels Techniken der Künstlichen Intelligenz zeichneten üblicherweise Sensoren die Daten auf, mit deren Hilfe dann ein Plan der Umgebung erstellt wurde. Auf diesem Plan wurde ein Weg für den Roboter berechnet und die entsprechenden Anweisungen an die Ausgabegeräte [meist Motoren] gegeben. Während der Robo-ter nun den berechneten Weg zurücklegte, wurde die Umgebung erneut ausgemessen, die Daten in den Plan eingezeichnet und dieser, wenn nötig, korrigiert. Diese Methode wurde als Top-Down-Paradigma bekannt. In der Praxis waren diese Roboter sehr langsam: Eine Küchenschabe meisterte das Überqueren einer Straße besser als der leistungsfähigste Computer! Dies führte zu der Erkenntnis, daß solche Situationen eine Form von Intelligenz erfordern, die die Anhänger der Künstlichen Intelligenz bis dahin ignoriert hatten. Der ketzerische Vorschlag, AI als Abkürzung für "Artifizielle Insekten" statt für "Artifizielle Intelligenz" zu verwenden, stammt von Rodney Brooks. Er widersprach der Vorstellung, daß eine Küchenschabe "eine Karte anfertigt", da keine Not-wendigkeit bestünde, die reale Welt in Form einer Karte zu kopieren, einem wandernden, platonischen Ideal gleich. Eine Reihe von Forschungsprojekten, die lose unter dem Begriff "Bottom-Up-Robotertechnik" zusammengefaßt wurden, war die Folge dieses Denkansatzes. Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß das Top-Down-Paradigma mit seiner Machtzentralisation die logische Fortsetzung panoptischer Modelle ist. Hinzu kommt, daß es traditionelle Dualismen wie Herr/Sklave, General/Soldat, Chef/Arbeiter und [auf einer abstrakteren Ebene] Natur/Kultur, Körper/ Geist, Form/Inhalt, Hardware/Software wiederholt und verstärkt. Im Gegensatz dazu stellen sich Bottom-Up-Theorien implizit autoritären Machtstrukturen entgegen und fördern horizontale und rhizomatische Machtstrukturen.
Über die Technik hinaus
Zahlreiche Autoren, von Neil Postman bis Manuel DeLanda, haben darauf hingewiesen, daß das Technische Weltbild über seinen angestammten Bereich hinaus zunehmend in soziale und kulturelle Bereiche unserer Gesellschaft eindringt. (7) Carolyn Marvin beschreibt, wie sehr die Technik im 19. Jahrhundert verherrlicht und der Techniker zum Helden erhoben wurde:
"Seit Generationen [...] wird die natürliche Verderbtheit den Pfarrern, Anwälten, Publizisten und Müttern überlassen, mit anderen Worten allen, nur nicht dem Techniker. Und genau hier macht die Gesellschaft einen Fehler. Der Techniker ist noch am ehesten imstande, an der menschlichen Verderbtheit etwas zu ändern. [...] Niemand sonst übt sich so streng und unablässig in Disziplin. Dies macht den Techniker mit seiner leidenschaftlichen Wahrheitsliebe und seiner Fähigkeit, klar zu denken, zum verläßlichsten aller moralischen Führer." (8)
Wenn technische Modelle ein getreues Abbild der sozialen Werthaltungen und des sozialen Milieus des Technikers sind, dann bekommen die Technologien, dank ihrer oben beschriebenen Fähigkeit, Macht und Reichtum zu kreieren, selbst die Funktion von Modellen. J. D. Bolter nennt diese Technologien "paradigmatisch". (9)

Beim Durchblättern des Lehrveranstaltungsverzeichnisses einer Universität konnte ich nicht umhin, Parallelen zu einem Kfz-Ersatzteilkatalog zu ziehen. Wenn man diesen Gedankengang verfolgt, bietet sich folgende Beschreibung einer geisteswissenschaftlichen Ausbildung an: Rohmaterial [der Student] trifft ein und wird auf seine Eignung hin überprüft. Verläuft der Test positiv, wird das Material in einer bestimmten Abfolge einer Reihe von numerierten Prozessen unterzogen. Jeder Prozeß schließt mit einer neuerlichen Prüfung ab, um zu sehen, ob die Behandlung erfolgreich war. Wenn ja, wird er dem nächsten Prozeß unterzogen. Wenn nein, muß der Prozeß entweder wiederholt werden oder das Rohmaterial wird entsorgt. Manche Prozesse bringen nur dann ein positives Ergebnis, wenn bestimmte andere vorangehen. Es handelt sich hierbei um modulare Prozesse, die auf verschiedenste Art und Weise miteinander kombiniert werden können, um die verschiedensten Produkte herzustellen: vom Kleinliefer-wagen bis zum Coupé, vom Psychologen bis zum Tänzer. Das Verhältnis von produziertem akademischem Abschluß je Dollar Input gilt als Gradmesser für die Effizienz dieser Fabrik.
Die paradigmatische Technologie in diesem Beispiel ist das Fließband. Man kann sich den modernen Computer mit serieller Verarbeitung als Fließbandproduzenten von digitalen Daten vorstellen. Der Computer ist zu einer strukturierenden Metapher, zu einer "paradigmatischen Technologie" für eine Vielzahl menschlicher Tätigkeiten geworden. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, daß die Mechanismen des Computers als strukturierende Metapher für das menschliche Verhalten übernommen werden. Vor allem auf einen bestimmten Zweig der kognitiven Wissenschaft, den Kognitivismus, trifft dies zu. Die Verwendung dieser Metaphern führt dazu, daß Bereiche, in denen sich menschliche Aktivitäten von denen des Computers unterscheiden, willkürlich wegfallen.
Wenn der Computer das Modell für die Bewertung und Definition von menschlichen Fähigkeiten ist und er zugleich auch ein Wertesystem verkörpert, das sich auf industrielle Kontroll- und Produktionsmethoden zur Sicherstellung von Profit und Effizienz begründet, wird das Individuum auf eben diese Kriterien reduziert: Die Produktivität bestimmt seinen Wert, der nach rein ökonomischen Gesichtspunkten berechnet wird.

Es hat den Anschein, als würden wir die Herrschaft der Disziplin, die die Technik uns aufzwingt, freiwillig akzeptieren. Ich beobachte an mir selbst, daß mein Verhältnis zur Zeit Züge des Technischen Weltbildes angenommen hat. Ich unterteile meinen Tag in Zeiteinheiten, die jeweils der Erledigung einer bestimmten Aufgabe zugedacht sind. Mein Tagesablauf ist nichts anderes als eine Abfolge solcher Zeiteinheiten. Ich unterwerfe mich selbst der strengen Disziplin von Effizienz und Optimierung.
INTELLIGENTES FLEISCH
Ich werde nun versuchen zu beweisen, daß das, was für uns eine unsere Art zu denken strukturierende Metapher wurde, überhaupt nicht existiert. Ich behaupte, daß es den "Geist" gar nicht gibt. Was will ich mit dieser absurden Behauptung sagen? Ich möchte zeigen, daß der Geist nichts als ein Konstrukt der Sprache ist, ein linguistisches Konzept. Nicht die bloße Existenz eines solchen Konzeptes ist problematisch, wohl aber die Tatsache, daß das Konzept des "Geistes" vergegenständlicht wurde. Die Idee, daß so etwas wie der Geist existiert, hat zur Bildung eines eigenen Begriffs- und Sprachgebäudes geführt. Für die Nicht-Existenz des Geistes einzutreten ist also eine schwer faßbare Aufgabe – nicht, weil der Geist ja doch existiert, sondern weil sich diese Trennung von Körper und Geist auch durch unsere Sprache zieht. Wir ringen um Worte, wir kämpfen gegen die Schwierigkeit, daß ein bestehendes Wort einer bestimmten Aufgabe zuwiderläuft. Aus diesem Grund werde ich in diesem Aufsatz Begriffen wie "Empfindungsvermögen", "Bewußtsein" und " Wissen" den Vorzug geben gegenüber Wörtern wie "Denken" oder "Geist".

Meine Kritik zielt nicht daraufhin ab, daß wir den "Geist" zu sehr in den Mittelpunkt stellen, auch nicht darauf, daß wir den Körper ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit rücken sollten. Dies würde nur die Perpetuierung des dualistischen Modells zur Folge habe. Ich trete gegen diesen Dualismus ein. Wie ich schon früher ausgeführt habe, führt dieses Bestreben in eine philosophische Sackgasse. Das Gedankengebäude der westlichen Philosophie wurde auf der Idee des Dualismus und der Vorherrschaft des Abstrakten und Transzendenten über das Konkrete und Körperliche errichtet. Dies macht es nahezu unmöglich, das dualistische Weltbild in Zweifel zu ziehen bzw. die hierarchische Beziehung zwischen Körper und Geist ändern zu wollen. Hier drängt sich mir der Gedanke auf, daß es gerade die Widersprüche der Theorie sind, die der Künstler praktisch untersuchen möchte.

Der fundamentale Fehlschluß der "guten altmodischen Künstlichen Intelligenz", so argumentierte Hubert Dreyfus vor einigen Jahren, bestehe darin, daß wir die Welt mit Hilfe unseres Körpers wahrnehmen und begreifen. Eine Maschine, die keinen Körper besitzt, könne infolgedessen die Welt niemals in derselben Weise begreifen wie wir. Hubert Dreyfus stellt fest, daß unser menschlicher Geist das Ergebnis unseres menschlichen Körpers ist. Ich möchte noch einen Schritt weitergehen und behaupten, daß jeder Versuch, Körper und Geist voneinander zu trennen, falsch ist und daß wir uns irren, wenn wir den Geist allein im Gehirn lokalisieren. Warum glauben wir, daß das Bewußtsein seinen Sitz ausschließlich im Gehirn hat? Warum widerspricht diese Annahme der Volksweisheit? Warum sind uns die "Gefühle aus dem Bauch" so wichtig? Und warum sprechen wir von inneren Gefühlen? Warum sehen alte indische Yogis ebenso wie chinesische Kampfsporttraditionen den Bauch [das "Dantian"] als Zentrum des Willens an?

Ich möchte allen Ernstes behaupten, daß ich mit meinen Armen und mit meinem Bauch "denke/weiß": Es zeugt von Torheit, an der Meinung festzuhalten, daß das , was wir "Wissen" nennen, sich auf einen kleinen Teil unseres Körpers beschränken läßt. Wie komme ich zu dieser Behauptung? Erstens verstärkt die Neudefinition menschlicher Fähigkeiten im Sinne der Computertechnik die Trennung von Körper und Geist erheblich. Und zweitens sind Tanz, Bildhauerei, Malerei und eine Vielzahl anderer Richtungen der darstellenden und der bildenden Kunst einfach unvorstellbar ohne Körperbeherrschung und Körperbewußtsein, was implizit den Dualismus von Körper und Geist leugnet. Wir glauben, mit unserem Gehirn zu denken, weil uns dies so beigebracht wurde. Was, wenn wir anders dächten? Wie würde sich unser Leben verändern?

Zur Untermauerung meiner Gedanken zitiere ich nun einige Beispiele aktueller neurologischer Forschungen. So hat man beispielsweise beobachtet, daß bei manchen körperlichen Tätigkeiten, die höchste Geschicklichkeit erfordern [wie z. B. Geige spielen], die Bewegungen so schnell ablaufen, daß den Nervensignalen unmöglich die Zeit bleibt, über den Arm und das Rückgrat ins Gehirn und wieder zurück zu gelangen. Motorische "Entscheidungen" werden nicht im Gehirn, sondern im Körperglied selbst getroffen. Ein geschlossener neuraler Kreislauf: Die Hand denkt selbst!

Sten Grillner gelang es, zumindest am Beispiel eines Fisches, zu beweisen, daß die für Bewegung notwendige Muskelkoordination nicht im Gehirn selbst, sondern im Rückenmark sowie in den angrenzenden Muskeln entsteht. Er bemerkt:
"Auch wenn einigen Säugetieren [etwa gewöhnlichen Laborratten] das ganze Vorderhirn entfernt wird, sind sie noch in der Lage zu gehen, zu laufen und – bis zu einem gewissen Grad – das Gleichgewicht zu halten." (10)
Der menschlich Magen ist neural weitaus komplexer als bisher angenommen wurde. (11) Der Magen könnte durchaus einige Entscheidungen selbst treffen. Wenn der Magen fähig ist zu denken, warum dann nicht auch Leber und Niere? Und wenn der Arm ein geschlossener neuraler Kreislauf ist, warum sollten die Organe dann nicht miteinander kommunizieren? Diese "Körperdemokratie" stellt eine Antithese dar zum Top-Down-Modell mit seiner panoptischen Kontrolle, die der Technik und ihren verwandten Disziplinen zu eigen ist, und zu der gängigen Vorstellung, das Gehirn regiere unseren Körper. Diese Gedanken stehen nicht nur im Einklang mit der Idee der dezentralen Informationsverarbeitung und dem Konzept der emergenten Komplexität, sondern verleihen auch vorwissenschaftlichen physiologischen Theorien, etwa der Lehre von den Körpersäften, neue Glaubwürdigkeit.

Sehr früh in der Entwicklung des Embryos teilt sich eine Ansammlung von Nervenzellen in zwei Hälften: Eine Hälfte wird zur Basis für das Gehirn, die andere Hälfte entwickelt sich zum Nervensystem der inneren Organe. Unter dem übermächtigen Einfluß kartesianischen Gedankengutes ging die Medizin davon aus, daß die Verdauungsorgane, wie der restliche Körper auch, eine Art fleischlicher Marionetten, Sklaven des Gehirns seien. Nun stellt sich heraus, daß der Darm mehr als 100 Millionen Neuronen besitzt [mehr als das Rückenmark]. Der gesamte Darm ist in zwei konzentrische Hüllen von Nervengewebe gebettet, die durch eine der Blut-Gehirn-Schranke ähnliche isolierende Schicht getrennt werden. (12) Wir wissen natürlich nicht genau, was der Darm denkt. Aber ich bin davon überzeugt, daß er an unserem Bewußtsein teilhat und daß sich dies mit einem PET-Scanner nachweisen läßt. Physiologisch gesehen ist das Bewußtsein wahrscheinlich über den ganzen Körper verteilt. Wenn diese Vermutung zutrifft, muß die grundlegende Prämisse des Kognitivismus – man könne durch die Analogie des Computers das Gehirn, das Bewußtsein etc. verstehen – falsch sein.

Als Watson und Crick in den sechziger Jahren die DNS als genetischen "Code" bezeichneten und die Eizelle mit einem Lochstreifen verglichen, verwendeten sie explizit Begriffe aus der Welt des Computers. Künstliche Intelligenz ist eine noch extremere Version dieser Denkrichtung. Chris Langton spricht sich dafür aus, den Informationsgehalt des Lebens von seinem "materiellen Substrat" zu trennen. Obwohl dieses Paradigma noch immer dominiert, läßt sich auf allen [biologischen] Ebenen ein Trend weg von reduktionistischen und dualistischen Vorstellungen beobachten. Neue Forschungen an Embryos lassen den Schluß zu, daß die Fähigkeit zur Selbst-Organisation von großen Molekülen [zumindest] die strukturellen Voraussetzungen für die Arbeit der DNS schafft. Das bedeutet, daß ein Teil der Information für Fortpflanzung und Evolution nicht in der DNS, sondern im materiellen Substrat enthalten ist. Alvaro Moreno vertritt die Ansicht, die explizite genetische Information und die implizite Fähigkeit der Organismen zur Selbstorganisation (13) seien durch eine sehr verwickelte Beziehung mit einander verbunden.
SIMULATION UND DAS ENDE DES KÖRPERBEWUßTSEINS
Bill Buxton brachte einmal folgendes Beispiel: Würde die menschliche Gesellschaft bis auf ein Computergeschäft vollkommen ausgelöscht werden, so würden Archäologen vom Mars zu dem Schluß kommen, alle menschlichen Wesen seien einäugig gewesen und hätten eine Hand mit 29 Fingern gehabt. (14) Alle übrigen Sinne und körperlichen Fähigkeiten sind für die Computer-Schnittstelle irrelevant und gehören zu jenen Teilen unseres Empfindungsvermögens, die die Schnittstelle amputiert. Wenn die Intelligenz durch die Leistungsfähigkeit des Computers definiert wird, geht die [körperliche] Intelligenz, beispielsweise eines Malers, verloren.

Die Entwicklung von Simulationssoftware hat die große Vielzahl unserer körperlicher Fähigkeiten auf eine einzige reduziert, doch dieser Aspekt der Computerrevolution findet kaum Beachtung. Der Computer erweitert unsere Fähigkeiten in vielerlei Hinsicht. So genügt zum Beispiel ein einziger Arbeitsplatz, um eine Publikation vorzubereiten, von der Plazierung der Bilder bis zum Seitenlayout. Aber dieser Prozeß birgt den Nachteil einer "Monokultur des Körpers". Er zerstört die komplexe Ökologie des Körperbewußtseins, die kognitive Vielfalt.

Die in der bildenden Kunst traditionell erforderlichen Fertigkeiten [im Gegensatz zum Wissen] ruhen auf dem Fundament der Körperintelligenz. Der Trend zur Simulation von körperlichen Tätigkeiten führt letztendlich zum Verschwinden dieser Art von Intelligenz, die sich nur unter großen Schwierigkeiten formalisieren läßt – wahrhaftig ein ernstzunehmendes Problem. Die Grundlage der traditionellen künstlerischen Fähigkeiten ist in Gefahr, im Wettlauf um die totale Simulation unterzugehen. (15) Zur näheren Erklärung: Bisher war es notwendig, bestimmte körperliche Tätigkeiten zu erlernen, um eine maschinelle Drehbank bedienen zu können; andere Tätigkeiten waren für das Schriftsetzen erforderlich, und das Zeichnen eines Bildes oder das Schreiben eines Textes verlangten die Beherrschung vieler Fertigkeiten. Genau dieselben Tätigkeiten lassen sich nun erledigen, indem man auf eine Tastatur einhämmert und aus nächster Nähe auf einen Bildschirm starrt. (16) Diese Entwicklung bringt nicht nur eine drastische Reduktion unseres Körperbewußtseins [unserer Körperintelligenz] mit sich [der Körper ver-lernt seine Fähigkeiten], auch der Prozeß, der von der Entstehung einer Idee zu ihrer physischen Umsetzung führt, wird zerstört.

Man könnte einwenden, daß einige unserer digitalen Hilfsmittel analoge Prozesse simulieren, andere hingegen nicht. Meine Antwort auf diesen Einwand lautet, daß alle digitalen Techniken auf vordigitalen Techniken beruhen. [Wie sonst sollten sie entstanden sein?] Der Umgang mit abstrakten, symbolischen Größen basiert auf körperlichen, physiologischen Erfahrungen. Warum bezeichnen wir einen hohen Ton als "hoch"? Könnte der Grund vielleicht darin liegen, daß wir das Singen eines hohen Tons physiologisch gesehen im Kopf und nicht in der Kehle oder im Brustkorb spüren? Mark Johnson untermauert diese These: "Beim Analysieren abstrakter mathematischer Eigenschaften [wie z. B. der "Gleichheit von Größen"] vergessen wir manchmal, daß sowohl das Verständnis solcher Abstraktionen als auch deren Ursprung und Entwicklung auf ganz profanen Erfahrungswerten beruhen. [...] Man könnte also sagen, daß das Gleichgewicht die körperliche Grundlage für den mathematischen Begriff der Äquivalenz ist". (17) Wie schon Dreyfus sagte: Wir haben einen menschlichen Geist, weil wir einen menschlichen Körper haben.

Die ständige Beschäftigung mit Computern, Videospielen und Fernsehern schadet kleinen Kindern offenbar bei der Ausbildung des gesunden Menschenverstandes und beeinträchtigt die Entwicklung verschiedener motorischer Fähigkeiten. Ich habe gehört, daß gewisse Versicherungsgesellschaften [in Deutschland] die Finanzierung von Sommerkursen übernehmen, in denen Kindern beigebracht wird, daß eine offene Flamme und glühendheiße Gegenstände Schmerzen und Verbrennungen verursachen können, daß es weh tut, wenn man vom Rad fällt usw. (18) Die Vermutung liegt nahe, daß die Versicherungsgesellschaften solche Kurse nicht allein aus Menschenfreundlichkeit fördern, sondern daß sie sich Geld ersparen, wenn sie Kindern beibringen, wie man einfache Unfälle vermeidet. In dieser Erosion des gesunden Menschenverstandes durch den Gebrauch des Computers spiegelt sich auf sonderbare Art und Weise das "Problem des gesunden Menschenverstandes", das auch die Künstliche Intelligenz in ihre Grenzen verwies. (19)
PROTHETISCHE SKLAVEREI UND MECHANISTISCHE MIMESIS
Wenn der Künstler den Computer als Hilfsmittel bei seinen Aktivitäten einsetzt, muß er sich des Konfliktes bewußt sein, der zwischen dem Wertesystem, das sich in der Architektur des Computers bzw. der Logik der Software ausdrückt, und seinen künstlerischen Interessen besteht. Im Kontext dieser Ideen muß allein die Tatsache, daß der Computer in der Kunst Verwendung findet, als eine Art "Eingriff" gesehen werden, der solche Fragen aufwirft, wie ich sie eben diskutiert habe: Konflikte zwischen verschiedenen Weltbildern, die sich beim Umgang mit digitaler Kunst unweigerlich ergeben, Ende des Körperbewußtseins etc.

Befreiung und Freiheit sind Schlagworte der Cyberspace-Anhänger, aber mit welchem Preis müssen wir die Freiheit in der virtuellen Realität bezahlen? Mit der Versklavung unseres Körpers! (20) Um den Cyberspace erobern zu können, sitzen wir mit verkrampftem Nacken und festgebundenen Armen vor einer Tastatur und fixieren mit dem Blick eine kleine Fläche 50 cm vor unseren Augen. Je beweglicher die Bilder werden [VR], desto unbeweglicher wird der Betrachter. Diese Fesseln aus Gurten und Kabeln verleihen der Frage "Sind Sie ein Mann oder eine Maus?" neue Bedeutung.

Als Künstler, die mit digitalen Medien arbeiten, werden wir ständig daran erinnert, daß wir beim Schaffen digitaler Kunstwerke eigentlich virtuelle Maschinen bauen. Jedes Hilfsmittel [egal ob "soft" oder "hard"] ist eine mechanistische Nachahmung eines kleinen Bereichs des menschlichen Verhaltens. Die Aufgabe, mit der wir uns Tag für Tag konfrontiert sehen, besteht darin, die unaufhörlichen kognitiven Prozesse, die unsere Interaktionen mit der Umwelt begleiten, der normierenden und normativen Sprache der Maschine anzupassen. Ob wir einen Code entwickeln oder eine Waschmaschine bauen wollen – das Dilemma ist immer dasselbe. Der Computer ist, wie jede andere mechanische Vorrichtung, pedantisch und eng an Regeln gebunden. Einfache Aufgaben, die ein Mensch auf vielfältige Art und Weise erledigen kann, müssen genau spezifiziert und in eine bestimmte Struktur gezwungen werden, wenn sie von einer Maschine ausgeführt werden sollen.

Jede Art von Technik ist eine Art Prothese, da sie durch die mechanische Nachahmung spezifischer Aufgaben entwickelt wurde, um eine bestimmte Funktion zu optimieren. Am Beispiel einer Kettensäge ist das leicht zu erkennen: Sie ist zwar dazu geeignet, schnell Holz schneiden, aber für jede andere Aufgabe ist sie unbrauchbar. In dieser Hinsicht ist auch ein Elektronenmikroskop eine Kettensäge, obwohl es das menschliche Sehvermögen erhöht. Kognitive Prothesen wie die visuellen Wahrnehmungssysteme bei Robotern sind im Gegensatz zum menschlichen Sehvermögen mehr oder weniger aufgabenspezifisch. Computerprogramme sind virtuelle Maschinen. Tatsächlich werden sie unter Computerwissenschaftlern manchmal als "Motoren" bezeichnet. Es handelt sich um denselben Prozeß der Aufsplitterung und Reduktion. Eine solche Methode ist niemals imstande, die holistische körperliche Erfahrung zu reproduzieren, sie ist eine Ansammlung von Teilen, nicht mehr. Im Gegensatz dazu vereinen gewisse menschliche Tätigkeiten, wie z. B. die Schaffung von und die Auseinandersetzung mit Kunst, verschiedenste menschliche Fähigkeiten auf eine Art und Weise, die sich einer reduktionistischen Aufsplitterung widersetzt. (21)

Maschinen, egal ob "hard" oder "soft", sind die Kodifizierung von Problemlösungen. Doch wie oft kommt es vor, daß die Probleme, mit denen sich ein Künstler beschäftigt, noch nicht kodifziert wurden oder gar nicht kodifiziert werden können! Es gibt Beobachtungen, daß der Einsatz von CAD-Systemen in der Architektur zwar die raschere Abwicklung von Konstruktionsprojekten möglich macht, daß CAD zugleich aber auch die Zahl der Variationsmöglichkeiten verringert. Dasselbe trifft auch auf jedes Software-Paket zu. Ich glaube, die Frage "Wie schränkt der Einsatz des Computers die Phantasie und die Verwirklichung eines künstlerischen Projektes ein?" hat noch immer ihre Berechtigung.

Im Jahre 1990 schlug Marvin Minsky vor, wir sollten "über diese VR-Geräte hinausgehen und einen kleinen Computer in das Gehirn implantieren, um so Signale aus dem Gehirn und in das Gehirn senden zu können. Dies würde uns in die Lage versetzen, mit Hilfe unserer Motivation und inneren Signale die Dinge in der Welt außerhalb zu beeinflussen." Obwohl diese Ansicht unter Technikern ziemlich weit verbreitet ist, ist und bleibt sie sonderbar: Ich dachte, dafür hätten wir Arme und Beine und Augen und Ohren! Minsky erläutert seine Idee der Implantation weiter: "Vielleicht würden die meisten von uns, die jetzt keine Künstler sind, zu Künstlern werden, wenn sie ihre unbewußten Wünsche aussprechen könnten." (22) Ich muß zugeben, diese Äußerung beleidigt mich sehr! Minsky nimmt sich hier das Recht heraus, zu Dingen Stellung zu nehmen, die außerhalb seiner Sachkenntnis liegen. Es ist interessant, von ihm zu erfahren, daß Kunst nur eine Sache des Ausdrucks von Unbewußtem ist, daß weder bestimmte Fähigkeiten noch der Intellekt vonnöten sind! Aus der Perspektive der traditionellen künstlichen Intelligenz ist es offenbar möglich, komplexe körperliche Prozesse und die Sensibilität des Körpers, die die Kunst erst zur Kunst werden lassen, als unbedeutende motorische Fähigkeiten, als Hardwareprobleme, abzutun. Wenn man diesem populär-psychoanalytischen Gedankengang Glauben schenkt, könnten wir unsere unbewußten Wünsche nach ihrer Umwandlung in digitale Daten mit Hilfe einer mechanischen Prothese in die Tat umsetzen. Das Ergebnis wäre, zumindest nach Minsky, Kunst! [Ich wage zu bezweifeln, daß Minsky der Behauptung zustimmen würde, mit einem ähnlichen Implantat könnten wir alle zu berühmten Experten der Künstlichen Intelligenz werden.]
TECHNIK UND KUNST
In diesem Rahmen ist es nicht möglich, alle diese Ideen erschöpfend zu diskutieren. (23) Ich hoffe aber, daß es mir gelungen ist, einige Themen anzuschneiden, die weitere Beachtung verdienen.

Das Technische Weltbild dringt nachweislich in viele Aspekte unseres kulturellen Lebens vor. Die Digitalisierung der Kunst läßt das Kunstwerk zu einem flüchtigen Objekt werden und eliminiert grundlegende Dimensionen der Körperlichkeit. (24) Während die wissenschaftliche Vorgehensweise danach strebt, "verborgene" abstrakte und zugleich grundlegende "Gesetze" in der natürlichen Ordnung zu entdecken, um sie mit Hilfe einer generalisierten logischen Sprache zu formulieren, geht es der Kunst um sensorische Kommunikation. Kunst ist nicht dem Laden von Rohdaten gleichzusetzen. Das Schaffen von Kunst und die Auseinandersetzung mit ihr sind traditionellerweise sowohl kinästhetisch weitgefächerte als auch synästhetisch komplexe Vorgänge. Die reduktionistische Methode, deren Inbegriff sowohl hinsichtlich Hardware als auch Software die Architektur des Computers ist [einer Maschine, die ursprünglich nicht für die Produktion von Kunst konstruiert wurde], wird vielleicht das Ende für eine ganze Reihe von Intelligenzformen bedeuten, die aus dem künstlerischen Prozeß bisher nicht wegzudenken waren.

Das Konzept der Trennung von Körper und Geist ist ein entscheidender Bestandteil des aufgeklärten Weltbildes und strukturiert unsere Vorstellungen von uns selbst und von der Welt. Der Computerdiskurs ist ein direkter Abkömmling dieser Weltanschauung, der durch die Pragmatik der Technik noch extremer wird. Die verschiedenen Computersysteme und der Computerdiskurs, beide quasi die Verkörperung der Aufspaltung von Physis und Intellekt, haben dieser Idee zu einem neuen Aufschwung verholfen. Aber die gegenwärtigen Diskussionen in vielen Bereichen der menschlichen Gesellschaft lassen an vielen Grundannahmen der Computerwissenschaft Zweifel aufkommen. Wir müssen alles daran setzen, um der Trennung von Körper und Geist den Anschein von Naturgegebenheit zu nehmen und uns wieder bewußt zu machen, daß Subjektivität nicht einer reduktionistischen Analyse unterworfen werden kann. Subjektivität begründet sich auf den Körper. Das, was wir "Geist" nennen, durchdringt den ganzen Körper und kann nicht in einem bestimmten Organ lokalisiert werden. Wer dies nicht glaubt, leugnet die traditionellen Intelligenzformen der Kunst.

(1)
Der diese Worte sprach, war Mc Kenzie Wark, als Reaktion auf einen Beitrag von Steven Kurtz vom Critical Art Ensemble beim Ars Electronica Symposion, Linz 1995 [persönliche Aufzeichnungen]zurück

(2)
Ebenso wie in der Geschichte des Christentums waren auch in der Geschichte der Technik die meisten Protagonisten männlichen Geschlechts. Neueste Forschungen über das Leben von Mystikerinnen des Mittelalters legen den Schluß nahe, daß ihre mystischen Erlebnisse sehr stark mit ihrem Körper verbunden waren – ganz im Gegensatz zu den Erfahrungen ihrer männlichen Kollegen. Simone de Beauvoir hält fest, daß männlich dominierte Kulturen "die Frauen mit Körperlichkeit gleichsetzen und den Männern das Privileg der Körperlosigkeit, der rein geistigen Identität zugesteht." [Aus Homeless/global: scaling places, Neil Smith, in Bird, Curtis et al [Hrg.], Mapping the Futures: local cultures, global changes, Routledge, 1993]. Kein Wunder, daß die Vision des virtuellen Körpers ihre Anhänger fast ausschließlich unter Männern zu finden scheint.zurück

(3)
siehe Stelarc: Redesigning the Human Body, Stanford Conference on Design, Juli 1983. Stelarc: Beyond the Body: Amplified Body, Laser Eyes and Third Hand, NMA#6, 1986[?]. Stelarc: Prosthetics, Robotics and Remote Existence: Post Evolutionary Strategies, Statement for SISEA Grongingen, 1990 etc.zurück

(4)
Da die zur Diskussion stehenden Fragen das Ergebnis eines neuen soziokulturellen Technikkomplexes sind, sind konventionelle disziplinäre Ansätze unbrauchbar. Die durch und durch interdisziplinäre Methode, nach der ich dabei vorgehen möchte, besteht darin, der "Technik" den Spiegel der Literatur- und Kritiktheorie und der künstlerischen Praxis vorzuhalten. Durch diese Vorgangsweise wird es mir möglich, die künstlerische Praxis "von außen" zu reflektieren. Das beste Argument zugunsten einer interdisziplinären Methode ist die Tatsache, daß der Blickpunkt von außen Aspekte einer Disziplin sichtbar macht, die den Insidern verborgen bleiben. Selbstverständlich erhält man nur selten Dank für solche Beobachtungen. Wissenschaftliche Disziplinen sind bei weitem nicht so dauerhaft, wie ihr institutionalisiertes Erscheinung vermuten läßt. Die Frauenforschung ist nur ein Beispiel von zahlreichen neuen Disziplinen. Die Kognitive Wissenschaft hingegen scheint an Bedeutung zu verlieren ...zurück

(5)
Noah Kennedy, The Industrialization of Intelligence: Mind and Machine in the Modern Age, Unwin Hyman, London 1989, S. 6zurück

(6)
Wie Frank Durham und Richard Purrington bemerkten: "Vielleicht ist die bemerkenswerteste Eigenschaft des Universums, daß es linear erscheint. Liegt der Grund darin, daß wir 300 Jahre Indoktrination mit Newton’scher Dynamik hinter uns haben? Oder liegt es daran, daß der Mensch das Universum mittels Zeit und Frequenz erlebt, die annähernd linear beschrieben werden können? Wird Quasi-Linearität obsolet?" Siehe Frank Durham und Richard Purrington, Newton Nonlinearity and Determinism, in: Frank Durham und Richard Purrington [Hsg.], Some Truer Method, reflections on the heritage of Newton, Columbia University Press 1990, S. 221zurück

(7)
Siehe Postman, Technopoly and DeLanda War in the Age of Intelligent Machineszurück

(8)
Aus The Mental and Moral Influence of an Engineering Training in Electrical World, 13. Aug. 1898, S. 158/9, zitiert in Carolyn Marvin When Old Technologies were New, Oxford 1988, S. 32zurück

(9)
Siehe J.D. Bolter, Turing’s Man, North Carolina University Press, 1984zurück

(10)
Sten Grillner, Neural Networks for Vertebrate Locomotion, in Scientific American, Jän. 1996, S. 64zurück

(11)
Untersuchungen von Dr. Terrence Powley u. a., Purdue University, in Discover, Mai 1995, S. 26zurück

(12)
Siehe Complex and Hidden Brain in the Gut, in New York Times, 23. Jän. 1996, S. B5zurück

(13)
Bill Buxton, ISEA Konferenz 1988, pers. Notizenzurück

(14)
Bill Buxton, keynote address, ISEA conference 1988, personal noteszurück

(15)
Interview mit Harold Cohen, 18. April 1995, persönliche Aufzeichnungenzurück

(16)
Gäbe es einen Wettbewerb für das technisch schlechteste Interface zum Zeichnen und Malen am Computer – eine schlechtere Lösung als Tastatur und Monitor würde wohl kaum jemand einfallen.zurück

(17)
M. Johnson, The Body in the Mind, University of Chicago Press, S. 98. Dieses Zitat macht mich sehr nachdenklich, da ich mir bereits unabhängig davon die Frage gestellt hatte, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen meiner Legasthenie und dem Gefühl der Desorientierung, das ich angesichts abstrakter mathematischer Probleme verspüre, für die inverse und reziproke Beziehungen der Schlüssel sind.zurück

(18)
Helen Michaelson, ZKM Museum [Karlsruhe], Interview, persönliche Aufzeichnungenzurück

(19)
Vor einigen Jahren hielt ich auf einem Symposion ein Referat. Nachdem ich geendet hatte, kam eine Frau auf mich zu und erzählte mir folgende Geschichte: Ihre Tochter war gerade dabei, das Schreiben zu erlernen. Wenn sie während des Schreibens der Meinung war, einen Fehler gemacht zu haben, suchte sie in ihrem Heft vergeblich nach der Löschtaste! Sie geriet außer sich, wenn der "böse" Buchstabe nicht sofort verschwand! Auch meine Studenten scheinen sich so an ihren Computer gewöhnt zu haben, daß sie bei der Entstehung einer Idee sofort erwarten, diese werde Gestalt annehmen, so als hätten sie die Option "Drucken" gewählt.zurück

(20)
Diese Knechtschaft ist Teil einer historischen Entwicklung. Während wir uns im Kino auf virtuelle Reisen begeben, ist unser Körper gezwungen, sich ruhig und still zu verhalten. Das Subjekt, das mittels eines perspektivischen Gitternetzes die Welt erobern möchte, ist monokular, durch sein offenes Auge zur Unbeweglichkeit verdammt.zurück

(21)
Ob wir künstliches Leben oder die Konstruktion von digitalen Prothesen untersuchen – der interessanteste Aspekt an diesem Wunsch, das Leben mit einer Maschine zu simulieren, ist die Tatsache, daß dieser Wunsch überhaupt existiert und so hartnäckig aufrechterhalten wird. In der westlichen Kultur ist dieses Verlangen nach einer "mechanischen Braut" ein ebenso anhaltendes Bedürfnis wie der Wunsch, seinen Körper los zu werden! Siehe meinen "Essay", Scientific American, 150. Jubiläumsausgabe, Sep. 1995 und Anthropomorphism as a cultural virus, SISEA-Veranstaltung 1990zurück

(22)
Marvin Minsky, Ars Electronica 1990, zitiert von Catherine Richards in Virtual Bodies, Publ. 11: Throughput, Toronto 1995zurück

(23)
Dieser Aufsatz ist ein Auszug aus einer langen noch unveröffentlichten Arbeit: Body Knowledge, Digital Prostheses and Cognitive Diversityzurück

(24)
Es ist eine Ironie der Geschichte, daß dieser Trend zur Flüchtigkeit in der bildenden Kunst seinen Anfang nahm, noch bevor Computer allgemein erhältlich waren. Siehe auch meine Diskussion der Konzeptkunst als kulturelle Software in Consumer Culture and the Technological Imperative in Simon Penny [Hsg.], Critical Issues in Electronic Media, SUNY Press, USA 1995zurück