Wild Nature
'Mark Dery
Mark Dery
Eine der "Characteristics of the Emerging Network Economy", aus Kevin Kellys Out of Control: The Rise of Neo-Biological Civilization (1)
Odyssey of a Mad Genius hieß die TIME-Titelstory über den mutmaßlichen Unabomber Ted Kaczynski, in der uns seine Odyssee wie eine Verwandlungszene aus An American Werewolf in London vorgeführt wird. Fünf Großaufnahmen zeigen Kaczynskis Wandlung vom High-School- und Harvard-Mathematikfreak der 50er und frühen 60er Jahre, vorschriftsmäßig in Anzug und Krawatte, zum ungekämmten, hohlwangigen Einzelgänger auf dem Verbrecherfoto aus dem Jahre 1996. Dazu die typische Werwolfgeschichte von der Rache der "Wild Nature", der wilden Natur, an der Kultur. Eine Kombination von Darwin und Freud: der Alptraum von der Rückkehr des "Wilden in uns", des bestialischen Selbst, mühsam gezähmt von Evolution und Zivilisation. Die rachsüchtige Natur überwältigt die Kultur und verwandelt einen hageren Mathematikprofessor in einen haarigen, übelriechenden Wilden mit bluttriefenden Klauen und Zähnen.
Aber wie in An American Werewolf, wo – welche Ironie! – die Verwandlung vom Menschen zum Tier durch technische Mittel erzielt wird [aufblasbare Latexhaut usw.], steckt hinter "Wild Nature" – der utopischen Alternative des Unabombers zur modernen, hochtechnisierten Gesellschaft – "Wired Nature", die vernetzte Natur. Der Unabomber ist ein Pseudo-Wolfsmensch: In der Haut des behaarten Neo-Ludditen steckt ein "Technik-Freak" [Zitat Kaczynski]. Scheinbar absurderweise wird das Aushängeschild des neo-ludditischen Widerstands im Netz in den Status einer Anti-Ikone à la Charles Manson, eines lebendigen Symbols der Chaoskultur, erhoben. Im Netz ist Kaczynskis Manifest omnipräsent und wird in Usenet-Newsgroups wie alt.fan.unabomber oder der Unabomber for President-Web-Site des "Unabomber Political Action Committee" UNAPACK gepriesen.
Oberflächlich betrachtet, hat die im Netz herrschende Begeisterung für den Unabomber viel mit schwarzem Humor und zwanghafter Ironie zu tun, aber gleich unter der hauchdünnen Oberfläche nagt die Angst vor der übermenschlichen Geschwindigkeit technologischer Veränderungen und dem irritierenden, tödlichen weißen Rauschen der Informationsflut. Der Unabomber dient als Ventil für überkochende Ressentiments gegenüber den Anhängern der digitalen Revolution, den "Digerati", die den Rest der Menschheit bloß süffisant auffordern, die Haltegriffe zu benutzen, während sie unsere vernetzte Welt mit dem Joystick ins kommende Jahrtausend befördern. Obwohl er ein Psychokiller ist, spricht der Unabomber die Gedanken vernunftbegabter Mitmenschen aus, von denen viele Alvin Tofflers unerbittliche "Third Wave" und die überhebliche "You Will"-Werbung von AT&T ablehnen, weil dieser gebieterische Ton von vornherein Alternativen zu einer von Großkonzernen kontrollierten Zukunft ausschließt. In dem spöttischen Brief an eines seiner Opfer, den Computerwissenschaftler David Gelernter, spricht sich der Unabomber gegen die Behauptung des Futurologen Stewart Brand aus, Eliten seien der Motor der Zivilisation [ein Credo der Herausgeber von Wired und gleichgesinnter Digerati], und führt seinerseits an, daß "da draußen eine Menge Leute sind, die die Art und Weise, in der Technik-Freaks wie Sie die Welt verändern, zutiefst verabscheuen." (2)
Während aber von den Millionen Menschen off-line einige den Unabomber mittlerweile als Verkörperung krankhafter Ängste vor einer immer stärker vernetzten und technisierten Welt sehen, finden sich in der Cyberkultur die ersten, die ihn als einen der ihren erkennen – Yahoo Serious mit Animus. Er ist ein Hardware-Hacker und begann seine Karriere in bester Hacker-Manier als jugendlicher Bombenbastler im Hobbykeller. Nach der Lektüre von Industrial Society ließ der Wired-Chefredakteur Kevin Kelly selbst eine "Bombe" hochgehen. "Dieser Typ ist ein Freak," schrieb er, "einer von uns. Das [Manifest] ist aufgebaut wie eine Doktorarbeit oder wie eine computerwissenschaftliche Studie, mit numerierten Graphiken und allem. Sehr sauber. Wie seine Bomben." (3)
Tatsächlich sind die Unabomben für andere "Technik-Freaks" eindeutig Cyberpunk. Bevor das FBI ihm den Namen "Unabomber" verpaßte, nannten die Ermittler Kaczynski den "Sperrmüll-Bomber", da seine Zerstörungsmaschinen aus Lampenkabeln, Siphonen, Möbelteilen, gebrauchten Schrauben, Streichholzköpfen und Rohrteilen zusammengebaut waren. Die Unabomben zeugen von typisch hackermäßiger Liebe zur Neu- und Umfunktionierung und lassen Gibsons Cyberpunk-Motto "Die Straße findet ihre eigene Verwendung für die Dinge" in einem beunruhigenden Licht erscheinen.
Sogar die anti-technologische Öko-Topie "Wild Nature", Mittelpunkt der Ideologie des Unabombers, steht im Einklang mit dem Cyberpunk-Mythos. Das Manifest bietet eine Art Hobbes’sche Vision vom wiedergefundenen Paradies, wo die Menschen sich an der Erfüllung dessen erfreuen, was laut Kaczynski ein "[wahrscheinlich biologisch begründetes] Bedürfnis nach etwas, das wir "Machtprozeß" nennen wollen", ist. Er meint damit anscheinend die Befriedigung von Grundbedürfnissen im Gegensatz zum für unsere Gesellschaft typischen Warenkonsum. Unberührt von Fordismus, Taylorismus oder sonstigen Befehls- und Kontrollinstrumentarien der Industriegesellschaft, ist "Wild Nature" der wahre Hort der Freiheit. Laut Unabomber "hat man hier – entweder als einzelner oder als Mitglied einer kleinen Gruppe – die Dinge unter Kontrolle, die über Leben und Tod entscheiden: Nahrung, Kleidung, Wohnung und Verteidigung gegen Gefahren von außen."
Lebewesen werden auf ihre Körper, auf ihre unmittelbaren körperlichen Bedürfnisse reduziert. Freiheit wird definiert als Überlebenskampf. So hat die sozial-darwinistische Ökopolitik des Unafests mehr als nur flüchtige Ähnlichkeit mit der in Cyberpunk-Filmen wie The Road Warrior verherrlichten post-apokalyptischen Ursprünglichkeit. Als berauschendes Gebräu aus maskulinistischen Machtphantasien, frontier-Mythologie und dem amerikanischen Kult vom gesetzlosen Einzelgänger, zeugt derartige Science Fiction von der Sehnsucht nach einer körperbezogeneren Welt, einer Zeit, wo Fernsehen, Computer und andere Technologien uns noch nicht von der Realität abschirmten.
Bis ins Mark survivalistisch und anti-autoritär, suchen sowohl Unabomber als auch Cyberpunk Anlehnungen bei libertären Ideologien. Die Aussage des Unabombers in einem Brief an die Times, er wolle "die gesamte Gesellschaft am liebsten in kleine, völlig autonome Einheiten aufspalten", ist eindeutig vergleichbar mit der Cyberpunk-Vision von einer dezentralisierten Gesellschaft aus autarken, autonomen Zonen wie der Nighttown der Lo-Teks in Gibsons Johnny Mnemonic. (4)
Libertarismus ist die Behelfspolitik von Cyberpunks im wirklichen Leben, wie der japanischen Hacker-Subkultur "Otaku", die Technologien in ihrem eigenen manischen Interesse zweckentfremdet, obwohl sie laut Wired "die Apotheose der Konsumgesellschaft und ideale Humanressource des zeitgenössischen Kapitalismus" (5) darstellt. Die libertäre Vorstellung von kleinstmöglicher Regierung und größtmöglicher Freiheit des Einzelnen spricht auch den kreuz und quer in der Weltgeschichte umherreisenden Computerfachmann an. Weniger Staats- als vielmehr Netzbürger, ist er durch Handy, Fax und Modem direkt mit dem endlos zirkulierenden Informations- und Kapitalstrom verbunden, während er soziale Verantwortung und Kontakte immer weiter abbaut [viele von ihnen leben in bewachten, abgeriegelten Bezirken, die zu den am schnellsten wachsenden Siedlungsräumen des Landes zählen]. Diese beunruhigende Dynamik nennt Robert Reich "Abgrenzung der Erfolgreichen".
Die vom Unabomber postulierte radikal-libertäre Vision eines post-staatlichen Gemeinwesens aus einzelnen verstreuten Zellen ist das fehlende Bindeglied zwischen "Wild Nature" und "Wired Nature". Außerdem verbindet es den Unabomber mit Cyberpunk einerseits und Cyber-Kapitalismus andererseits. Gipfel der Ironie: Der Aufruf des Unabombers zur Zertrümmerung des Nationalstaates steht in perfektem Einklang mit der Rhetorik der Dezentralisierung, Kapitalzerschlagung und Desynchronisierung eines Toffler oder Gingrich, wie sie auch der Wired-Redaktion und den von ihr hochgejubelten Laissez-faire-Futurologen [George Gilder, Peter Drucker, Peter Schwartz und ihresgleichen] am Herzen liegt.
Obwohl sie nicht zerstören, sondern deregulieren wollen und offensichtlich seine Argumente gegen die moderne Technologie und die großen Konzerne ablehnen, verachten die Digerati ebenso wie der Unabomber Staat und Politik. "Das soll keine politische Revolution sein", schreibt Kaczynski in der Einleitung zu seinem Unafest. "Ihr Ziel ist es nicht, Regierungen zu beseitigen, sondern die wirtschaftlichen und technologischen Grundlagen der heutigen Gesellschaft." Schlau wie er ist, hat er bereits erkannt, daß die Nationalstaaten ihre politische Macht bald an multinationale Konzerne abgeben werden, in erster Linie an technologieabhängige, post-industrielle Körperschaften wie etwa Medienimperien.
Ins gleiche Horn stoßen die Wired-Redakteure, wenn sie in einer von Gründer und Herausgeber Louis Rossetto entworfenen und von Chefredakteur John Battelle veröffentlichten On-line-Stellungnahme schreiben: "Wir [bei Wired] haben bisher grundsätzlich Clinton, Washington und Politik im allgemeinen ignoriert. Die Revolution findet sicher nicht in den Sälen des Kapitols statt. Politik wird nicht nur zunehmend obsolet, sondern irrelevant [...] Die ganze Welt glaubt heute genauso an die freie Marktwirtschaft wie an die Schwerkraft [...] Heute gibt es andere, bessere Wege, die Gesellschaft zu verändern, als Kreuzchen auf einem Stimmzettel zu machen. Politik ist nicht die Lösung, sie ist das Problem – und vielleicht lehnt die Digitale Generation Politik bewußt ab [...], weil man logisch gefolgert hat, daß Politik und Regierung durch und durch unglaubwürdig sind, ... [Wired] berichtet von einer gewaltlosen Revolution, die auf der Basis einer Wirtschaft jenseits der Makrokontrolle neue, unpolitische Wege in eine bessere Zukunft eröffnet." (6) [Die Digerati, für die Battelle spricht, sind offenbar ebenso Revolutionsfanatiker wie der Unabomber und vertrauen wie er mit der unerschütterlichen Überzeugung der Rechtgläubigen darauf, Ziel und Zweck der Geschichte zu kennen.]
Wie bei ihrem Seelenverwandten,dem "konservativen Futuristen" Newt Gingrich, – dessen "Progress and Freedom Foundation" von Wired unterstützt wurde – ist natürlich die von den Digerati bei Wired nachgebetete Toffler’sche Dezentralisierungs-Rhetorik nichts weiter als ein Deckmantel für eine äußerst Reaganomics-orientierte Wirtschaftskonzeption, die vordergründig auf die Beseitigung des ohnehin instabilen gesetzlichen Rahmens abzielt, der die Macht multinationaler Konzerne [gerade noch] einschränkt, um in weiterer Folge den Nationalstaat als Überwachungsorgan zu eliminieren und so der unkontrollierten Machtübernahme seitens der niemandem verantwortlichen Großkonzerne Tür und Tor zu öffnen.
Sie halten in ihrer Vision einer cyber-kapitalistischen, von der technokratischen Elite erdachten "Revolution" an einem sozial-darwinistischen Unterton fest und lassen der Masse der Second-Wave-Anhänger die Chance, auf den fahrenden Zug aufzuspringen [wenn sie wollen]. Durch sprachliche Anleihen bei Chaostheorie und Artificial Life geben die Digerati ihrer radikal libertären Wirtschaftsauffassung erfolgreich den Anschein eines Naturgesetzes.
Kellys Out of Control: The Rise of Neo-Biological Civilization, das laut Klappentext "unkontrollierte Managementstrategien für eine neue, vernetzte Weltwirtschaft" verspricht, beruft sich auf beide Disziplinen, um die Auffassung zu rechtfertigen, der Kapitalismus würde sich, uneingeschränkt von Second-Wave-Konzepten [wie der Notwendigkeit regulativer Maßnahmen seitens der Regierung], in etwas Neues, Interessantes entwickeln – in eine "vernetzte Wirtschaft" dezentralisierter, ausgelagerter "wirtschaftlicher Superorganismen", fähig, sich an die nonlineare Dynamik des weltwirtschaftlichen Ökosystems anzupassen.
Visionen dieses unkontrollierten Cyber-Kapitalismus spuken auch in den Köpfen von Managementgurus wie Tom Peters [Autor der Managementfibel Thriving on Chaos] herum, dessen Managementstrategie "verrückter", nichtlinearer Entscheidungsprozesse und ständiger Selbsterneuerung mit der These aus der Chaostheorie konform geht, daß dynamische natürliche Systeme, wenn sie weit genug vom Gleichgewicht entfernt sind, oft verblüffende neue Phänomene hervorbringen. Darüber hinaus ruft Peters’ Konzept der post-industriellen "zersprengten Betriebe aus lebhaften, oft recht kleinen Untereinheiten mit eigenem Charakter und unter eigener Leitung" Assoziationen zum aus der Chaostheorie bekannten Konzept selbstorganisierender Naturphänomene wie Hurrikans oder Amöbenkolonien hervor, demzufolge zuvor voneinander unabhängige Elemente plötzlich einen kritischen Punkt erreichen, wo sie zu "kooperieren" beginnen und ein komplexeres System bilden. (7)
Der darwinistische Cyber-Kapitalismus schmückt seine Philosophie auch mit Paradigmen aus dem Künstlichen Leben. "Das ist das Zeitalter biologischer, nicht mechanischer Organisationsmodelle", meint Peters. "Ich habe ein Faible für Firmen wie CNN, wo etwas Organisches geschaffen wird, etwas, das sich selbst immer wieder neu produziert, neu erfindet." (8)
Managment-Theoretiker wie Peters leben bereits in William Gibsons Cyberpunk-Zukunft, wo multinationale Konzerne – hochentwickelte Lebensformen, deren DNS "siliziumkodiert" ist – "die vorherrschende Intelligenzform auf der Erde" sind. (9) Hinter den jüngsten Versuchen, Gesetze durchzusetzen, die den Großkonzernen den rechtlichen Status von Einzelpersonen zugestehen und so z. B. Firmenwerbung als Redefreiheit schützen, steckt die Auffassung von Konzernen als komplexen Organismenkolonien. Auch der Weltmarkt wird immer mehr im darwinistischen Sinne interpretiert; die Verwüstung, die die Multis in Gesellschaft und Umwelt anrichten, wird als der Überlebenskampf betrieblicher Lebensformen in einem wirtschaftlichen Ökosystem erklärt. In Bionomics: The Inevitability of Capitalism argumentiert der Wirtschaftsberater Michael Rothschild, daß "das, was wir Kapitalismus [oder freie Marktwirtschaft] nennen, kein Ismus ist, sondern ein natürliches Phänomen" [und daher scheinbar über jeden Vorwurf erhaben].
Die Digerati mit ihrem darwinistischen Konzept eines von betrieblichen Lebensformen bevölkerten Marktes und der Unabomber mit seiner unberührten, von bekehrten Neo-Luddisten bevölkerten Wildnis haben also zwei entgegengesetzte Weltbilder auf einem gemeinsamen Eckpfeiler errichtet: auf der Annahme, man könne die Natur als Rechtfertigung für Theorien über kulturelle Phänomene hernehmen.
Natur ist, wie Andrew Ross in The Chicago Gangster Theory of Life bemerkt, "die absolute Menschenfreundin, deren guter Name gar von denen ausgeliehen und mißbraucht werden darf, die sie zerstören." (10) Untersuchungen in dieser Richtung lassen erkennen, daß die unbestrittene Autorität der Natur"gesetze" im Laufe der europäischen Geschichte immer wieder bemüht wurde, um die Unterjochung oder Ausrottung von Frauen, Farbigen oder anderen Minderheiten ebenso zu rechtfertigen wie die Ausbeutung der Natur selbst. (11) In Nature’s Body: Gender in the Making of Modern Science deckt Londa Schiebinger auf, wie Anatome, Anthropologen und Naturhistoriker im 18. Jahrhundert "unter dem Banner wissenschaftlicher Neutralität arbeiteten" und dabei die angeblich affenähnliche Anatomie der Afrikaner als Rechtfertigung dafür anführten, sie in der Reihe der Lebewesen am unteren Ende zu plazieren. Ebenso wurden die wie bei Kindern "zusammengepreßten Schädeldecken" von Frauen aller Rassen als Beweis für impulsive, emotionale und intellektuell minderwertige Eigenschaften angeführt. (12)
Die wilde Öko-Topie des Unabombers und die Freie-Markt-Ökologie der Digerati sind nur die neuesten Beispiele dafür, daß die Natur als Marionette im Dienste einer Reihe von Gesellschaftskonzepten herhalten muß, von denen nur wenige sympathisch erscheinen: Herbert Spencers Sozialdarwinismus [zu seiner Zeit bei Monopolisten wie John D. Rockefeller oder Andrew Carnegie ebenso populär wie Kevin Kellys neo-biologischer Kapitalismus bei Tom Peters und seinen Management-Schäfchen]; die amerikanische Eugenik-Bewegung der 20er Jahre, die in mehr als zwei Dutzend US-Staaten Gesetze zur Zwangssterilisation von Personen mit "sozialem Defekt" durchsetzte; und in jüngerer Vergangenheit die Voodoo-Soziologie Richard J. Herrnsteins und Charles Murrays Studie The Bell Curve: Intelligence and Class Structure in American Life.
Der Unabomber und die Digerati sind nicht die einzigen, die sich hinter der Natur verstecken. Ross behauptet, wir seien Zeugen einer "umfassenden Bewegung, die erneut an die Autorität von Natur und Biologie appelliert [...] Naturgesetze dienen wieder als Beurteilungskriterium und werden für politische Zwecke bemüht. Biologismus und Sozialdarwinismus kehren zurück als treibende Kraft hinter einer neuen, revolutionären Weltsicht aus dem Biochemie- und Gen-Labor." (13) The Chicago Gangster Theory of Life enthält die düstere Warnung des Autors, "die Autorität der Natur, und daher des Status quo, wird diktatorisch zur Beschneidung von Rechten und Freiheiten mißbraucht." (14) Davor warnte Roland Barthes schon vor knapp vierzig Jahren, als er in Mythologies schrieb, es sei eine der heimtückischsten Eigenschaften jeder Ideologie, konstruierte Gesellschaften und die darin herrschenden Machtbeziehungen als unschuldige, unveränderliche "Natur" darzustellen. Ideologie, schrieb er, "hat die Aufgabe, historischen Absichten eine natürliche Rechtfertigung zu verpassen und Eventualitäten unvergänglich erscheinen zu lassen". (15) "Wild Nature" und "Wired Nature" sind fatal, weil sie genau das tun: Sie vermeiden Diskussionen, indem sie das Künstliche als gottgegeben tarnen.
(1) Kevin Kelly, Out of Control: The Rise of Neo-Biological Civilization, Addison-Wesley, Reading MA 1994, S. 200zurück
(2) Steven Levy, The Unabomber and David Gelernter, in The New York Times Magazine, May 21, 1995, S. 50zurück
(3) Kevin Kelly [kk], Topic 283 [fw]: The UNABOMB Manuscript in Cyberspace, in the WELL, 21. September 1995zurück
(4) Quoted in Tom Morganthau, Who is He?, in Newsweek, 8. Mai, S. 40zurück
(5) Karl Taro Greenfeld, The Incredibly Strange Mutant Creatures Who Rule the Universe of Alienated Japanese Zombie Computer Nerds, in Wired, Erstausgabe, S. 69zurück
(6) John Battelle [jbat], Topic 129 [wired]: New Republic Slams Wired!, in the WELL, 14. Januar, 1995zurück
(7) The Nine "Beyonds", Vintage Books Presseaussendung für Peters’s Crazy Times Call for Crazy Organizations, 1994zurück
(8) Thomas Kiely, Unconventional Wisdom, in CIO, 15. Dezember, 1993 – 1. Januar, 1994, Bd. 7, Nr. 6, S. 26zurück
(9) William Gibson, Neuromancer, Ace, New York 1984, S. 203; Gibson, New Rose Hotel, Burning Chrome, Ace, New York 1987, S. 107zurück
(10) Andrew Ross, The Chicago Gangster Theory of Life: Nature’s Debt to Society, Verso, New York 1994, S. 4zurück
(11) Das heißt nicht, daß der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik und andere Naturgesetze durch einen Akt postmodernen Willens fortgewünscht wurden; nur, daß "Natur" für den nackten Affenmenschen zuallererst einen durch Sprache vermittelten Wissensgegenstand darstellt. Angesichts der im Laufe der Geschichte im Namen der Natur verübten Verbrechen, ist Vorsicht vor jenen angebracht, die vorgeben, im Namen der Natur zu sprechen.zurück
(12) Londa Schiebinger, Nature’s Body: Gender in the Making of Modern Science, Beacon Press, Boston 1993, S. 5, 7zurück
(13) Ross, The Chicago Gangster Theory of Life, S. 5, 15zurück
(14) Ross, ebda., S. 12zurück
(15) Roland Barthes, Mythologies, The Noonday Press, New York 1972, S. 142zurück
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