Deep Blue
'Sam Auinger
Sam Auinger
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'Robert Adrian X
Robert Adrian X
Ein Kooperationsprojekt mit dem Offenen Kulturhaus, Linz.
Der Raum ist dunkel, manchmal mit einem schwachen blauen Licht in Bodennähe. Es sind Klänge im Raum. Die Klänge und das blaue Licht ändern sich mit Bewegung und Verhalten der Besucher. Sensoren in der Nähe des Ars Electronica Center übertragen den Lärm der Straßenbahnen, die über die Nibelungenbrücke fahren. Dieser erzeugt einen Hintergrundrhythmus.
Neue Technologien werden weder durch einen Geniestreich erschaffen, noch resultieren sie aus zielstrebiger Langzeitplanung. Wie Thomas Kuhn schon vor 30 Jahren in Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen betont hat, sind wissenschaftliche Paradigmenwechsel das Ergebnis einer langwierigen Metamorphose. Dasselbe gilt für Revolutionen in der Technik und der menschlichen Gesellschaft. Wissenschaftliche, technologische oder sozio-kulturelle Revolutionen finden nicht isoliert statt. Feuerwerke neuer wissenschaftlicher Ideen, bahnbrechende technologische Erkenntnisse, sozio-politische Revolutionen und das plötzliche Auftreten neuer Kunst-, Musik- und Literaturformen sind ohne nachweisbare gemeinsame Ursache fest in einen kontinuierlichen Prozeß kultureller Veränderung eingebunden.
Kuhns These betrifft den abrupten, zu einer Revolution anwachsenden Wandel, der dann stattfindet, wenn alte Theorien endgültig gestürzt und durch neue ersetzt werden, mit dem Resultat, daß alle Definitionen und Traditionen an die neue Situation angepaßt werden müssen. Kuhn sprach vom Phänomen des Paradigmenwechsels; es bestehen hier jedoch Parallelen zum Konzept abrupter Veränderung in Chaos-, Katastrophen-und Bifurkationstheorie. Diese Theorien befassen sich mit der Frage, wie Dinge, Moleküle, Ökosysteme und Kulturen zwischen Perioden der Stabilität und Instabilität hin- und herschwanken – zwischen Chaos und Ordnung, zwischen Kohärenz und Konfusion.
In der Kultur ist Veränderung, wenn auch abrupt im Verhältnis zum vorangehenden graduellen Spannungsaufbau, ein relativ langsamer Prozeß, der sich über einen Zeitraum von mehreren Generationen erstrecken kann. Das heißt, auf eine fundamentale Veränderung folgt in einer Kultur oder Zivilisation eine lange Anpassungsperiode. Die neuen Elemente werden in das tägliche Leben integriert, bis von der alten Kultur nur noch nostalgische Erinnerungen übrig sind. Die neuen Denk- und Arbeitsweisen müssen auf jeder Ebene der Gesellschaft assimiliert werden – man muß neue Metaphern schaffen, neue Lehrbücher drucken, die soziale Struktur neu organisieren, Ideologien erproben und verwerfen. Rückblickend erkennt man Ende des 20. Jahrhunderts, daß die vergangenen hundert Jahre eine solche Periode waren. Wir leben in einer neuen Ära; die Welt unserer Großeltern ist für uns so weit entfernt wie das Mittelalter.
Für den Künstler ist der Verlust der klassischen Traditionen besonders verstörend. Jeder Künstler, der eine auf den künstlerischen Traditionen des 19. Jahrhunderts basierende Kunstpraxis mit der durch die neuen elektronischen – und insbesondere die vernetzten – Medien verlangten Kunstpraxis verbinden wollte, wird das Problem der Inkommensurabilität kennengelernt haben: Er hat nämlich versucht, zwei Dinge zu kombinieren, die sich gegenseitig ausschließen. Bei der Arbeit mit flüchtigen, vergänglichen und immateriellen Technologien in Kategorien von Objekten, Produkten und "handwerklichem Können" zu denken, ist symptomatisch für ein Leben am Rande der kulturellen Veränderung, sozusagen ein Balanceakt zwischen den Paradigmen. Während sich die neuen Traditionen rund um Technologien wie digitaler Sound [Sampling], interaktive Systeme und virtuelle Realität formieren, verblassen die bekannten Traditionen der realen Welt der Produkte und Gegenstände und verschwinden ins Reich der Erinnerung.
Die Arbeit mit diesen neuen Medien unterscheidet sich grundlegend von der mit den alten. Erstens ist die Arbeit fast immer kollektiv und kooperativ. Das heißt, nicht nur die Kunst verändert sich und wird durch die neuen elektronischen Kommunikationsmittel neu definiert, sondern auch der Künstler selbst. Im Team erkennt er bald, daß die alten Hierarchien nicht mehr gelten. Der Künstler ist selbst als Initiator eines Projekts nur gleichrangiger Partner und Co-Autor einer Gemeinschaftsproduktion; nicht zuletzt, weil bei einem Kunstwerk in den elektronischen Medien so vieles unsichtbar bleibt, wie z. B. das Programmieren und die Hardware-Adaptierung etc. Der Name des Künstlers auf dem Werk – und auf dem Ansuchen für Zuschüsse – dient nur als das Element, das das Kunstwerk als solches kennzeichnet.
Kunstwerke in diesen Medien sind nie fertig. Das fertige Kunstwerk existiert ebensowenig wie das Original; es gibt nur eine unendliche Reihe von Variationen. Das Werk existiert als Programm und erzeugt Bilder, Klänge oder Ereignisse je nach Hardware/Software-Konfiguration – und Laune des Empfängers. Das heißt, jeder kann mit Hilfe des Materials seine eigene Version des Kunstwerks erzeugen, was wiederum bedeutet, daß natürlich auch das traditionelle "Publikum" als "Teilnehmer" neu definiert werden muß, ebenso wie zuvor der Künstler als "Mitarbeiter". Das trifft auf den Web-Surfer, der einsam und verlassen vor seinem Monitor kauert, ebenso zu wie auf den temporären Akteur in einer VR-Umgebung. Wir sprechen hier von einem Reintegrationsprozeß – vom Verschmelzen von Produzent und Konsument.
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