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Die Brain Opera und aktive Musik


'Tod Machover Tod Machover / ' Medialab Medialab

Vor 30 Jahren veröffentlichte der große Pianist und Essayist Glenn Gould einen Artikel über die Zukunft der Musikaufzeichnung [High Fidelity, April 1966], in dem er feststellte: "In der besten aller denkbaren Welten wäre Kunst überflüssig. Die heilende, besänftigende Therapie, die sie bietet, würde um Patienten betteln müssen. Eine professionelle Spezialisierung als Voraussetzung für das Entstehen von Kunst wäre Vermessenheit [...] Das Publikum selbst wäre der Künstler und sein Leben wäre Kunst."

Als ich vor kurzem Goulds Artikel wiederentdeckte, war ich, selbst Künstler mit dem üblichen "professionellen" Background, überrascht festzustellen, daß sich meine eigenen Arbeiten im Bereich Musik und Technologie genau in diese Richtung entwickelt hatten. So bin ich zu der Überzeugung gelangt, daß der Schwerpunkt der nächsten ein, zwei Jahrzehnte auf der Bereitstellung musikalischer Umfelder und Erfahrungen liegen wird, die allen Menschen überall und jederzeit Zugang zu Ausdrucks- und Schaffensmöglichkeiten bieten. Dies zu erreichen, ohne betäubende Hintergrundmusik, aber mit Musik, die die Sinne schärft und den Geist stimuliert – darin liegt die eigentliche Aufgabe! Ich glaube, eine solche "aktive Musik" könnte zu einem unserer wirkungsvollsten Mittel werden, jener Geschlossenheit und Kohärenz, die dem Chaos und der Komplexität unseres täglichen Lebens zu Grunde liegen, auf die Spur zu kommen.

Ich war stets der Ansicht, daß Musik viel eher den Bedürfnissen der Menschen entgegenkommen sollte, als sie zu simulieren oder gar zu ersetzen, und aus diesem Grund begann ich 1985 im MIT Media Lab mit der Entwicklung von Hyperinstrumenten. Die erste Generation dieser Hyperinstrumente war für erstklassige professionelle Musiker, wie z. B. Yo-Yo Ma, entworfen worden. Diese Hyperinstrumente zeichneten viele Ausdrucksnuancen bei Auftritten auf, und diese Informationen dienten dann der Erweiterung und Verbesserung der Kapazität dieser Instrumente. Im Jahre 1991 begannen wir, Hyperinstrumente auch für nicht-professionelle Musikliebhaber zu bauen. Mit Hilfe zweier Joysticks für Videospiele wird es in unserem Joystick Music System möglich, ein Musikstück zu bearbeiten, zu steuern und zu verändern. Ein für die Zauberkünstler Penn & Teller konstruierter Sensor Chair nimmt mittels eines unsichtbaren elektrischen Feldes Bewegungen des Körpers wahr und verwandelt sie in Klänge. So leicht es ist, das Spielen solcher Instrumente zu erlernen, so schwer ist es, sie mit soviel Gefühl zu beherrschen, daß sie spielens- und entdeckenswert sind.

In den vergangenen beiden Jahren haben wir an unserem bislang größten Projekt, der Brain Opera, gearbeitet, bei dem das Musikstück unter Beteiligung des Publikums – live oder via Internet – entsteht und aufgeführt wird. Dank eines Labyrinths von eigens zu diesem Zweck konstruierten Hyperinstrumenten können die Menschen mit den verschiedenen Aspekten der Musik [Rhythm Tree, Harmonic Driving, Gesture Wall, Melody Easel etc.] spielen und anschließend der Aufführung der endgültigen Version dieses Stücks beiwohnen, das die eben geschaffenen Klänge in sich vereint.

Die interaktiven Erlebnismöglichkeiten im Foyer der Brain Opera umfassen:

  • 12 Speaking Trees: Sprechen Sie mit Marvin Minsky, zeichnen Sie Stimmen mit Gedanken, Erinnerungen, Reaktionen zu Texten und Bildern auf, die sich auf Musik, den Geist, Gefühle und das Gedächtnis beziehen. Diese Textproben werden unmittelbar in Aufführungen eingebaut.

  • 3 Singing Trees: Singen Sie einen einfachen Ton ins Mikrophon; Musik wird erzeugt, um eine "Aura" rund um ihre Stimme zu erschaffen; "Reinheit" und "Ruhe" der Stimme werden gemessen und beeinflussen das Ergebnis. Die singenden Stimmen von Menschen aus dem Publikum werden aufgenommen, und diese Erfahrungen werden im Rahmen der Aufführung noch erweitert.

  • Rhythm Tree [320 Felder, 10-50 Spieler]: Mehrere Felder, Perkussion mit Stimmproben, die Wörter und Rhythmus produzieren. Das Gruppenverhalten wird gemessen.

  • Melody Easel [3]: Zeichnen Sie mit Ihrem Finger Melodien; Timbre, Artikulation und Verzierung ändern sich bei der geringsten Bewegung. Die Daten werden gesammelt, und die Melodien werden zu den melodischen Kernstücken der Brain Opera.

  • Harmonic Driving [3]: Ähnlich einem Videospiel, aber die Kernkomposition ändert sich je nachdem, wie Sie durch dieses Spiel "fahren". Harmonie, Struktur, Artikulation [ebenso wie die Entwürfe] werden durch Lenken kontrolliert.

  • Gesture Wall [6 Spieler]: Basiert zum Großteil auf Improvisationen. Sie steuern das Timbre und das "Wortmalen" mit zentralen Worten aus Minskys Texten.
Das Ziel dieser Erfahrungen – wie auch in den verschiedenen Teilen der Website der Brain Opera – ist nicht nur, das Publikum durch das Beisteuern von Klängen oder gesprochenen Texten, Gedanken, Erinnerungen und "Lieblingsliedern" einzubeziehen, sondern ein Nachdenken über deren jeweilige Wichtigkeit und tiefere Bedeutung auszulösen. Diese Integration diverser Klangquellen stellt den Versuch dar zu untersuchen, wie unser Gehirn Erfahrungsfragmente in kohärente Bilder der Welt umwandelt.

Fragmentiert man die Erfahrungen des interaktiven Foyers, das sich durch die individuelle Reise durch das dichte Sperrfeuer scheinbar zusammenhangloser Eindrücke und Erfahrungen [deren Ähnlichkeit mit der Vertrautheit entsteht] charakterisiert, dann stellt jede Aufführung der Brain Opera im angrenzenden Aufführungssaal den Versuch dar, ein neues Gleichgewicht zwischen Bachs geordneter Vielfalt und Cages brodelndem Chaos herzustellen – mit einem Hauch der jugendlichen Energie der Beatles [der frühen Beatles allerdings!]. Das Publikum steht direkt im Zentrum dieser Suche, was die künstlerische Erfahrung für jede einzelne aktive Person greifbarer und nachvollziehbarer werden läßt und zugleich die kollektive, auf Zusammenarbeit aufbauende Natur dieses Projekts betont.

Die Aufführung selbst wird durch drei erfahrene Künstler mittels speziell konstruierter Hyperinstrumente [Sensor Chair, Standing Chair, Digital Baton] "vermittelt" und ist in drei kontinuierliche Sätze geteilt:

1. Satz
  • Großes Maß an Freiheit und große Unterschiede zwischen den einzelnen Aufführungen;

  • die Klänge – Stimmen, gesammelte Klänge und Musik aus dem Lieblingsrepertoire – stammen zum Großteil aus dem "realen Leben";

  • Dieser Teil der Aufführung baut am häufigsten gesammelte Publikumsbeiträge ein;

  • Dieser Abschnitt ist gekennzeichnet durch eine allgemeine Progression vom Wort zum Klang und schließlich zur Musik, vom Alltagsleben zu veränderten Erfahrungen, von freier Assoziation zur Struktur;

  • Minskys Texte bzw. Stimme ziehen sich als roter Faden durch diesen Abschnitt;

  • Sammlung von Beiträgen des anwesenden Publikums, das im Mittelpunkt steht;

  • Einige Strukturen werden bereits vorkomponiert, ebenso wie ein Teil der Musik …, doch gibt es sehr viel Raum für Veränderungen durch konkrete, ausgewählte Sounds/Samples.
2. Satz
  • Nur sehr wenige Samples werden verwendet;

  • Der Schwerpunkt liegt auf der Integration und Verknüpfung von im Foyer entstandenen Musikfragmenten;

  • Die Musik wird größtenteils im voraus komponiert; unterschiedliches Maß an Freiheit für die einzelnen Abschnitte;

  • Ein immer schneller werdender, kontinuierlicher Musikbogen;

  • Viele Melodien, einige ohne, andere mit Worten [Texte von Minsky];

  • Jeder Abschnitt ist mit einem der Ereignisse im Foyer verknüpft;

  • Viel Abwechslung "in der Interpretation" durch die drei Künstler, die Musik selbst jedoch variiert nur wenig.
3. Satz
  • "Urknall" zu Beginn, Internet-Spieler steuern Online Instrumente steuern;

  • Hier sind Internet-Spieler Solisten;

  • Schließlich das Finale, wo sich alle Elemente vereinigen: meine Grundkomposition, Internet-Künstler schaffen die Struktur; erneut Klangproben, Veränderungen durch Bewegungen des Publikums auf dem Sensing Carpet [mit zusätzlichem Doppler-Radar];

  • Überraschende Synthese und Zusammenarbeit aller Kräfte.
Dieses Finale gehört zu den einzigartigen Aspekten der Brain Opera. Zwar kenne ich viele Experimente, die Beiträge oder Reaktionen des Publikums auf musikalische Umgebungen einbauen [Gehlhaar, Rokeby, Dolby, Rundgren u. a.], doch ist mir bis jetzt kein Experiment bekannt, das den Versuch wagt, ein wirkliches "Stück" zu sein, eine kohärente künstlerische Erfahrung, deren Ergebnis mehr ist als bloß die Summe ihrer Teile. Ich habe versucht, eine Struktur zu finden, die es den Menschen ermöglicht, mit den einzelnen Elementen der Musik zu spielen, sie kennenzulernen, Neues hinzuzufügen und dann zu sehen, wie diese Fragmente sich wie in einem Puzzle ineinanderfügen.

Tatsächlich wird ein beträchtlicher Teil der Musik der Brain Opera im voraus komponiert. So basiert die Musik für die Melody Easel und das Harmonic Driving auf Komposition, kann aber vom Publikum verändert werden. Die Gesture Wall, der Rhythm Tree und die Singing Trees ähneln eher Improvisationssystemen, da wir zwar Klänge und Grenzen sowie die Spielbarkeit des Systems vorgeben, aber nicht festlegen, welche Musik letztendlich gespielt werden kann. Was die Speaking Trees betrifft, so geben wir im voraus komponierte Stimuli vor, die aufgezeichneten Reaktionen des Publikums jedoch hängen allein von diesem ab.

Der erste Satz der Aufführung enthält die meisten Improvisationen: Meine Komposition gleicht einem Schweizer Käse mit vielen Löchern darin – ein gewisses Maß an Musik und Kontinuität mit sehr viel Platz für neue Klänge, Gedanken, Texte etc.

Der 2. Satz ist vollständig vorkomponiert, läßt aber viel Raum für Interpretationen.

Der 3. Satz ist eine Mischung aus von mir vorkomponierten Grundelementen mit genügend Raum für alle möglichen Ergänzungen, Veränderungen, Durchmischungen, sodaß höchst verschiedene Versionen des Stückes möglich sind. Müßte ich Zahlen anführen, würde ich sagen, daß 60% der Musik vorkomponiert und sorgfältig geplant sind, 40% variieren in hohem Ausmaß [in Material und Struktur] von Aufführung zu Aufführung.

Wichtiger ist jedoch, daß sich die Art, wie vorkomponiertes und neues Material miteinander verknüpft wird, von Abschnitt zu Abschnitt ändert. Tatsächlich gibt es in der Brain Opera mindestens 20 unterschiedliche Modelle, bereits existierende Musik und Veränderungen durch das Publikum bzw. durch die Künstler zu verbinden. Wir setzen diese Modelle nicht nur ein, weil wir nicht wissen, welches das beste ist [wir wissen es bei einem so radikalen Projekt dieser Größenordnung tatsächlich nicht!], sondern weil jeder einen anderen Zugang dazu hat. Die Vielfalt dieser Modelle selbst erzeugt ein Gefühl von Kontinuität und Progression. Tatsächlich ist diese Methode der formalen Konstruktion mittlerweile seit vielen Jahren ein wesentlicher Faktor meiner Art zu komponieren [zumindest seit meiner IRCAM-Zeit ab 1978].

Zentraler Bestandteil der Idee zur Brain Opera ist die Arbeit Marvin Minskys, eines meiner Kollegen im MIT Media Lab, den ich bereits seit meiner Studentenzeit in Juilliard Mitte der 70er Jahre kenne. Auf allen Ebenen bestehen Ähnlichkeiten zwischen der Brain Opera und Minskys Philosophie des Geistes – so besteht das "Libretto" der Oper aus Interviews, die ich mit ihm in den letzten zwei Jahren machte. Aber die Verbindung zu Minsky ist tiefer und subtiler. Marvin Minsky war der erste Mensch, den ich kennenlernte, der es wagte, grundlegende Fragen über Musik zu stellen, die naiv, zugleich aber auch so scharfsinnig schienen, daß sie bis heute niemand beantwortet hat. Warum mögen wir Musik? Warum verbringen wir soviel Zeit mit einer Tätigkeit, die wenig oder gar keinen praktischen Nutzen bringt? Warum läßt uns Musik fühlen? Und denken? Und sind Denken und Fühlen dasselbe? Ist es Musik, die unser komplexes Selbst am tiefsten vereint?

Für Minsky führen solche Fragen zu einem Wirbelwind an Spekulationen darüber, woher Musik kommt und was sie über uns als Menschen aussagt. Vielleicht gehört Musik zu den jüngst erworbenen und daher "chaotischsten" Fähigkeiten unserer Evolution, mußte sie doch ihre Entwicklung mit zahlreichen anderen, bereits fest verankerten geistigen Funktionen teilen. Vielleicht ist das der Grund, warum Musik nicht in einem eigenen Gehirnzentrum lokalisiert ist, sondern mit einer großen Anzahl anderer geistiger Funktionen ["Gefühle aus dem Bauch", Geschichtenerzählen, Mathematik, Bewegung, Verarbeitung von Sprache etc.] in Beziehung steht und diese irgendwie synthetisiert/zusammenfaßt. Vielleicht erlaubt uns Musik, mit dem Denken zu experimentieren, und zwar auf eine sehr freie Art und Weise, da die Ergebnisse dieses "musikalischen Den-kens" keine Auswirkungen auf unsere "reale" Welt haben. Vielleicht ist Musik – wie John Cage gesagt hätte – eine Möglichkeit, unseren Geist und unsere Persönlichkeit vorzubereiten, um letztendlich der Musik gänzlich zu entsagen und die Welt direkt zu erleben.

Es war unsere Absicht, mit der Brain Opera das Publikum zum Nachdenken anzuregen über solche Fragen und über die Frage, wie durch das Verbinden voneinander unabhängiger Musikfragmente und Klangschichten ein komplexes und doch einheitliches Klangbild entsteht. Und eine unserer größten Hoffnungen ist, daß die Brain Opera die Menschen ermutigt, sich sowohl von ihrem eigenen Geist faszinieren zu lassen als auch von dem Wunsch, "nach innen zu schauen und zu hören, was passiert" [Minsky].

Es ist diese Form der Einbindung des Publikums – und nicht das bloße Spielen der Hyperinstrumente –, die die Brain Opera zu einer wirklichen "Oper" werden läßt. Das Werk ist an keine lineare Erzählstruktur gebunden [was ich in jeder Phase des Entstehungsprozesses zu vermeiden suchte], und doch enthält es sehr viele Stimmen – professionelle und amateurhafte, singende und sprechende, individuelle und kollektive – und die ganze Gestalt der Oper ist ge-kennzeichnet durch sehr viele vokale, ja "opernhafte" Elemente. Noch bedeutsamer aber ist, daß sich durch die Brain Opera eine bedeutende dramatische Entwicklung zieht, nämlich die Reise jedes einzelnen Zuhörers durch das Labyrinth von Fragmenten, Gedanken und Erinnerungen hin zu einer kollektiven und kohärenten Erfahrung. Das Szenario jedes Instrumentes – wie es gespielt wird und was es bedeutet – zu verstehen und die Umwandlung in vollständige musikalische Strukturen im Zuge der Aufführung zu beobachten, ist für sich genommen schon eine sehr reiche Erfahrung.

Obwohl die Brain Opera das Ergebnis der natürlichen Entwicklung meiner Arbeit während der letzten fünf Jahre und sogar noch früherer Werke wie VALIS darstellt, waren es ganz bestimmte Bereiche meiner Tätigkeit, die mich dieses Stück schaffen ließen.

Erstens bin ich davon überzeugt, daß es zum gegenwärtigen Zeitpunkt wichtig ist, klar und deutlich Stellung zu nehmen zur Möglichkeit, ein allgemeines, nicht spezialisiertes Publikum aktiv in die künstlerische Erfahrung einzubeziehen. Dies muß sich nicht in einem vorsichtigen, halbherzigen Projekt erschöpfen, sondern kann kraftvolle, spannende und vollkommene künstlerische Arbeit sein. Das Ergebnis solcher Modelle sind verständigere, interessiertere und sensitivere Zuhörer – zum Vorteil aller. Zweitens fasziniert mich seit Jahren die Frage, wie aus der Komplexität und dem Chaos unserer Welt Einheit und Geschlossenheit entsteht (oder von uns wahrgenommen wird). Die Brain Opera beschäftigt sich über weite Strecken mit dieser Frage. Drittens war es schon lange mein Wunsch, mit einem Werk der Welt etwas von der neuen Kultur näherzubringen, die das MIT Media Lab zu entwerfen sucht. Eine Kultur, wo Kunst/Wissenschaft/Erkenntnis/Theorie sich zu etwas wirklich Neuem vermischen. Das wird, so meine ich, für jeden spürbar, der in die Brain Opera geht.

Und schließlich war einer meiner stärksten Beweggründe für dieses Projekt der Wunsch, eine ganze Menge Fragen zu stellen, auf die wir keine Antwort wissen – in der Hoffnung, daß das Stück sich zu etwas entwickelt, das jenseits unserer derzeitigen Vorstellungen liegt, aber auch, daß sich uns viele neue Möglichkeiten eröffnen werden.

Es ist schwer vorherzusagen, was wir durch das Beobachten der Besucher der Brain Opera lernen und welche Wege wir in Zukunft am ehesten beschreiten werden. Ich prophezeie jedoch, daß sie uns noch näher an jene Vision heranführen werden, die Glenn Gould 1966 in seinem Artikel beschrieb. Ich stelle mir Musikinstrumente vor, die in unsere Umgebung – in unsere Möbel, Kleidung, Wände, Dinge, die wir in die Hand nehmen – eingebaut werden und so unsere bewußten und unbewußten Absichten auf unsere Umgebung projizieren. Dann wäre ein Konzert nicht mehr ein besonderes Ereignis, sondern permanentes Erleben. Ein bedeutungsvoller Klang, der auf unsere unmerklichsten Befehle reagiert, unsere Einstellungen widerspiegelt, in manchen Momenten unsere Aktivitäten erhöht, den Widerspruch anderer erregt. In fünf oder zehn Jahren gibt es vielleicht eine "Heimoper", mit der Absicht entwickelt, Musik an jenem Ort erleben zu können, wo man sich am behaglichsten fühlt, ein höchst lebensvolles und theatralisches Stück und doch durch und für das Individuum mit einer persönlichen Note versehen.

Gould ging sogar noch weiter und sagte voraus, daß "im elektronischen Zeitalter die Kunst der Musik noch viel stärker zu einem Teil unseres Lebens werden, viel von ihrer Ornamenthaftigkeit verlieren und infolgedessen viel tiefgreifendere Veränderungen bewirken wird." Unser Ziel ist es, herauszufinden, wie Goulds wunderbare Vision Wirklichkeit werden kann [in technologischer, musikalischer und menschlicher Hinsicht].

In der Zwischenzeit werde ich mich mit der folgenden Aussage von John Cage zufriedengeben: "Man kann sich ein Musikstück als Spiegel der Gesellschaft vorstellen, in der man zu leben gewillt wäre." Marvin Minskys "Society of Mind" ist ein solches Modell für eine zukünftige menschliche Gesellschaft [nicht nur des Geistes], und so hoffe ich, daß die Brain Opera dem Publikum zumindest einen kleinen Einblick gewährt in diese wunderbare und reizvolle Möglichkeit.

Das Ars Electronica Center ist Co-Produzent des am MIT Media Lab realisierten Projektes Brain Opera.