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Ars Electronica 1996
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Liquid Cities


'Michel Redolfi Michel Redolfi

Liquid Cities [Flüssige Städte] ist eine Serie von Soundinstallationen, bei der Schwimmbecken in dreidimensionale, flüssige und interaktive Räume verwandelt werden. Die im Medium der Schwerelosigkeit schwimmenden Teilnehmer erforschen eine transparente Stadt, die nur durch die von ihr erzeugten Töne besteht. Jede Liquid City wird nach dem Schwimmbecken, das für den jeweiligen Anlaß benützt wird, benannt. In diesem Fall ist es das Parkbad in Linz.

Die Besucher der Liquid Cities schwimmen oder tauchen im Wasser und nehmen dabei mit ihrem Körper direkt die Klänge unter Wasser auf [Übertragung von Klängen durch die Knochen]. Sie steuern ihre akustische Umgebung, indem sie sich in den drei Dimensionen des Beckens bewegen, das durch die den Bewegungen aus der Ferne folgenden Kameras und digitalen Synthesizer interaktiv wird. Die Technologie ist transparent, der Körper steuert nackt.

Der so erzeugte harmonische Austausch, der nur unter Wasser zu vernehmen ist, ist nicht die einzige akustische Komponente der Installation: Am Boden des Beckens vernimmt man ständig die Geräusche der "Bewohner" des Parkbads, hervorgerufen durch die laufende elektronische Verarbeitung der Namen aller Teilnehmer, die sich über Internet eingetragen haben und das Wasserbecken akustisch bevölkern.

Die Web-Seite für die Anmeldung bietet den Teilnehmern die Möglichkeit, sich bereits ab Juli 1996 die Zone auszusuchen, in der sie im Becken akustisch präsent sein wollen [das Parkbad umfaßt fünf Klangareale].
Ab dem 3. September [Eröffnung der Liquid City Parkbad] gibt die WWW-Seite die in der akustischen Landschaft von allen Teilnehmern erzeugten Unterwasserechos live wieder. Die akustisch wahrnehmbaren Bewegungen der im Parkbad schwimmenden Gäste und die Polyphonie der Bürger des Cyberspace haben sich sozusagen vokal im Becken niedergelassen.

Liquid Cities ist eine über das Internet durchgeführte Wiederaneignung eines realen Zeitraums, der in einen wirklichen dreidimensionalen Raum projiziert wird. Die Installation vermittelt den physisch Teilnehmenden Wartezeit, zukünftige Zeit, gespeicherte Zeit und Erinnerung an die Vergangenheit. Es handelt sich um eine Zeit des Nachdenkens, die im Gegensatz zur Ideologie der Interaktivität in Echtzeit steht.

DA UND DORT [INTERNET]
Über Internet etwas zu schreiben [E-mail] heißt, von der Geographie zu abstrahieren [die Adressen des Absenders und des Empfängers sind virtuell] und eine Botschaft, die nicht materialisiert gelesen wird [selten werden Mitteilungen ausgedruckt], auch nicht-personifiziert zu verfassen [ein einziger Font weltweit].

Eine der herausragendsten Eigenschaften der Electronic Mail ist, daß die Nachricht immer da ist [sie ist jederzeit auf allen Computern weltweit verfügbar] und gleichzeitig auch dort [sie wurde auf irgendeinem Computer der Welt, ohne Ortsangabe, geschrieben]: Dieses Verschwimmen des Zeitbegriffs und dieser Verlust an realem Raum bringen eine Nation von "Phantomen" hervor, die Tag und Nacht im elektronischen Vakuum Monologe führen.

Letzten Endes hat der Internaut nicht nur Uhr und Kompaß für immer verstaut, er ist im lautlosen Raum auch taub geworden: Denn "Foren", die vor dem Zeitalter des Internet noch öffentliche Diskussionen waren, bei denen es lautstark und emotional zuging, sind heute stille Abläufe von Texten auf Bildschirmen.

Aber diese Kritik muß auch relativiert werden: Denn das Internet bietet andererseits auch Zuflucht in einer Welt der politischen Zerrissenheit, in einer Welt der Bevormundung, Verschmutzung und Überbevölkerung. Diese "wirkliche" Welt, die an einer Überdosis Hyperrealismus zu ersticken droht, ist um nichts besser ...
DAS VOLUMEN DER ZEIT
Die Liquid Cities werden dem Internauten also nicht vorschlagen, in der realen Welt zu landen, sondern richten ihm ein Territorium dazwischen ein, in dem er eine fiktive Körperlichkeit und eine neu organisierte Zeit vorfindet. Die Teilnehmer nehmen den Status "Bürger des Parkbads" an, indem sie von einer WWW-Seite aus ihren Namen und einen Text über E-mail senden. Ihre Anmeldungen werden ab Juli 1996 registriert und bis zur Realisierung der Installation gespeichert. Vom 2. bis 5. September werden ihre Texte durch Vokalsynthese in Linz aktiviert und unter Wasser in der Zone ihrer Wahl im Becken des Parkbads übertragen [es gibt fünf Projektionszonen, die als "Klangareale" bezeichnet werden].

Die Stimmen der Bürger mischen sich dann mit den anderen akustischen Erscheinungen, die elektronisch von den zur selben Zeit im Becken schwimmenden Besuchern ausgelöst werden. Mittels einer Rückkoppelung können die von den Bürgern und den Besuchern des Parkbads erzeugten Geräusche live an das World Wide Web zurück übertragen werden: Zum ersten Mal ist im Cyberspace – in einer wirklichen Akustik – so etwas wie eine Menschenmenge zu vernehmen.

Diese Installation wird als "City" bezeichnet, um einerseits ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu wecken und andererseits die Nomaden des Netzes für einige Tage seßhaft werden zu lassen. Hier wird einer nostalgischen Idee nachgegangen, die aus der alten Welt stammt und im Gegensatz zur Ideologie der zeitlich-räumlichen Komprimierung der Echtzeit steht. Die Zeit der Liquid City ist voll mit vorausgesagten Faktoren, gespeicherten Daten und gegenwärtigen Resultaten von Aktionen, die in der Vergangenheit stattgefunden haben. Die Liquid Cities wollen der Echtzeit Echtheit verleihen oder "die Zeit greifbar machen" [Paul Virilio].
VERSCHWOMMENE GRENZEN
Liquid Cities weisen, da sie flüssig sind, nicht die territorialen Merkmale von wirklichen Städten auf. Brücken erübrigen sich, Straßen sind nicht möglich und in den Innenhöfen spielen keine Kinder. Sie sind Phantomstädte mit schiefer Geometrie, aus Molekülen und verschlungenen Vibrationen gebaut, in denen eine paradoxe Bevölkerung umherstreift. Die Bewohner des Internet sind unsichtbar, aber man kann sie hören. Die wirklichen Besucher sind zwar sichtbar, aber nicht hörbar.

In dieser rätselhaften Stadt sind die physischen Parameter verschwommen, aber dennoch auf radikale Art sinnlich wahrnehmbar: Der Schall bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von 1450 m/s fort [viermal so schnell wie in der Luft], die Raumtemperatur beträgt 33° und die schwimmenden Besucher nehmen den Schall direkt durch Knochenleitung in einem Frequenzbereich zwischen 400 und 9000 Hertz auf.
ZEITPLAN
Die Liquid City Parkbad wird am 3. September 1996 installiert und am 6. September wieder aufgelöst werden. Sie kann tagsüber und in bestimmten Nächten besucht werden. Potentielle "Bewohner" können sich ab dem 21. Juli über die Homepage der Ars Electronica anmelden.
TECHNISCHE DATEN
Die Musik wird unter Wasser mit Hilfe von 22 Schallwandlern [Unterwasserlautsprechern] übertragen, welche die von den körperlich Anwesenden und über das Internet Teilnehmenden erzeugten Laute verbreiten.
  • Der Schall erreicht im Wasser eine durchschnittliche Geschwindigkeit von 1450 m/s, d. h. er ist viermal so schnell wie in der Luft. Er ist nur hörbar, wenn man im flüssigen Medium untertaucht. Die externen Ohren funktionieren nicht mehr; nur das interne Nervensystem wird durch die Resonanz der Knochen aktiviert. Das Hören wird radikal verändert und es kommt zu zahlreichen paradoxen psycho-akustischen Empfindungen [Verlust der Raumwahrnehmung, spektrale Färbungen etc.].

  • Die multimedialen Schnittstellen
    Das Bild wird Ton: Zwei digitale Kameras nehmen die Bewegungen der Teilnehmer [der Besucher] auf und übersetzen sie in MIDI-Code. Die von Luc Martinez konzipierte Schnittstelle [Innersys] analysiert die Bewegungen jedes einzelnen Teilnehmer mittels eines Leuchtspurensensors, der die Farben der Badehauben der Teilnehmer aufnimmt und mitverfolgt. Jeder Teilnehmer hat eine andere chromatische Identität und spielt somit eine unabhängige Rolle in der gesamten MIDI-Partitur.
Der Ton wird wieder Bild: Die von Eric Wenger konzipierte Schnittstelle [MIDI Kaleido] ermöglicht es, die MIDI-Codes, die aus den Bewegungen der Besucher hervorgehen, aufzunehmen, um eine Animationsoftware in Echtzeit zu steuern. Diese Visualisierung wird insbesondere als Feedback an die WWW-Seite zurückgeschickt.

Das Projekt der Liquid Cities geht aus einer 17-jährigen Forschungsarbeit im Bereich der elektroakustischen Unterwassermusik hervor. Nach mehr als 70 Konzerten in Schwimmbecken und im Meer stellt das Projekt in Linz den ersten Versuch einer Permanent-Installation dar.