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Ars Electronica 1996
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Sub’tronic '96


'Wolfgang Fadi Dorninger Wolfgang Fadi Dorninger

Sub’tronic, das musikalische Nachtprogramm der Ars Electronica 96, bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen Unterhaltung und moderner "elektronischer Tonsetzkunst". Vom Zustand der Hyperventilation und der beschleunigten Audio-Alpha-Aktivitäten, von der Transformation der Gitarre in ein machine-type-of-thing und schweren hypnotischen Dub’sub-sonics’ bis zu einer Musik auf der Ebene von Makrostrukturen und komplexer Numerik in der Komposition können Sie alles erleben, in dem durch die Nacht geschützten Topf mit dem "Pickerl" Sub’tronic drauf.
Schlüsselwörter sind: Sub’bass, Sub’harmonics, Sub’culture, Sub’stance, Sub’sonic, Sub’versive

SUB’TRONIC, DAS EVENT
Das musikalische Nachtprogramm der Ars Electronica 96 findet auf drei räumlich wie thematisch getrennten Ebenen statt: in der Außenlandschaft, im Innenraum und an der Gesprächsbar.

Location 1:
In der Außenlandschaft rund um das Ars Electronica Center müssen sich die beteiligten Musiker und Tontechniker notgedrungen mit der architektonischen Situation auseinandersetzen, weil das flüchtige Medium Musik in Unterführungen, Glaskuppeln oder im Freien in seiner Ausbreitung gerichtet werden muß. Es werden drei Orte belegt, die sonst dem Verkehr dienen: Eine gesperrte Straße in einer Unterführung, Wartehäuser für Busreisende und ein adaptierter Zug. An allen drei Orten finden Live-Aufführungen statt, wobei die Musiker nicht mit thematischen Vorgaben konfrontiert werden, nur mit der Problemstellung, den Raum akustisch zu "bewirtschaften".

Location 2:
Der Innenraum im Lichthof der Stadtwerkstatt ist "Tanzboden", Labor, Tonstudio oder/und Workstation für Mixed-Media-Aufführungen. Er erschließt sich über zwei Etagen und ist von zwei Ebenen einzusehen. Der Innenraum wird von zwei unterschiedlichen Soundsystemen beschallt, wobei im Eingangsbereich der Stadtwerkstatt die Aufführung lediglich über Sub-Bass-Systeme und kleine Satelliten aufgehellt wird. Im ersten Obergeschoß werden sämtliche Signale von den Musikern unverfälscht übertragen. Ein und dasselbe Konzert ist gleichzeitig Environment [Eingangshalle] und Performance [Obergeschoß].

Location 3:
Ein Veranstaltungssaal wird zur Bar umfunktioniert. Diese Location befindet sich in der Stadtwerkstatt, nicht weit vom Ars Electronica Center. Die Bar als Kommunikationszelle wird von einem speziell ausgerichteten Soundsystem so beschallt, daß die Zwischenmenschlichkeit im Vordergrund steht. Kein DJ oder Musiker erzwingt die Aufmerksamkeit des Publikums. Das Publikum ist der Stern, und somit das Licht. Das musikalische Ambiente wird von Musikern der Sub’tronic Serie vorprogrammiert und vom Band eingespielt, frei nach dem Motto: Welche Musik kann man nach einem Tag beim Ars Electronica Festival in einer Bar noch ertragen? Die Bar wird in Zusammenarbeit mit der Stadtwerkstatt gestaltet und von einem perfekten Gastronomie-Team bis in die Morgenstunden geführt.
Live-Acts: Locust [R & S], Fennesz [Mego], Jim Plotkin [Earache], Alois Huber, Andreas Burger, Pomassl [alle Sabotage/craft & Laton Rec.], Autechre [Warp], Aural Screenshots [PDCD], Fuckhead [Gash/Intercord]
Mixed Media: Cheap Records Showcase mit Pulsinger, Tunakan, Elin u. v. m.
DJ’s: Kruder & Dorfmeister [Ninja Tunes], Kern & Wöginger...
The lineup is not yet definite.
DIE COMPUTERMUSIK IST TOT, ES LEBE DER COMPUTER UND DIE DAVON BEFREITE MUSIK
Der Terminus "Computermusik" definierte sich in der Geschichte des Festivals Ars Electronica und des Prix Ars Electronica zumeist via Geräte und deren Eigenleben, via eingesetzter Software und die Leistung mathematischer Prozessoren. Die Materialschlachten und der Elektro-Pomp aus der Frühzeit der Ars Electro-nica legen davon Zeugnis ab. In einer Vielzahl von Aufführungen kann man von mehr oder weniger gelungenen Kompositionsversuchen sprechen, aber sicher nicht von ästhetischen Erfolgen. Selbst Iannis Xenakis bemängelte die unzulänglichen Ergebnisse und sprach davon, daß "die Hoffnung auf einen außergewöhnlichen Erfolg durch außergewöhnliche Technologien ein fataler Betrug sei".

Computermusik wurde in diesen Tagen in erster Linie mit Instituten und Departments für Elektroakustik an Universitäten in Verbindung gebracht, akademisch verwaltet, aber sicher nicht in einem Pop-Kontext weitergesponnen.
"Die Musique Concrète, Dada-Gedichte, John Cage, Fluxus und die Graphismen von Bauhaus-Künstlern, allesamt heilige Kühe avantgardistischer Kunst dieses Jahrhunderts, sind vom DJ ohne Kenntnis, dafür aber mit mehr Selbstverständlichkeit und mit einer Leichtigkeit umgesetzt worden, die sie popkompatibel und damit massenverständlich macht"

[aus Techno von Anz/Waldner]
Es stimmt, daß die technologische Beschleunigung, der Preisverfall und die Kommerzialisierung der Unterhaltungselektronik einen neuen Typus MusikerIn geschaffen haben. Es steht nicht mehr das Werkzeug im Mittelpunkt des künstlerischen Schaffens, sondern vielmehr der Kontext, aus dem das Werk entsteht und in welchem es dargeboten wird. Die "Eigenwelt der Apparate-Welt" [Peter Weibel] ist ein weiteres Thema, wobei aber der "Techno-Unfall", das Fehlverhalten von Geräten unter veränderten technischen Bedienungen oder das Bedienen wider die Gebrauchsanweisung eine besondere Bedeutung erlangt haben. Modifikationen veralteter analoger Systeme sowie deren Verwendung und Erforschung erzeugten bei der jungen Musikergeneration mitunter auch jenes gesteigerte Interesse, das sie auf den Spuren der Kölner Schule, von Xenakis, La MonteYoung oder Steve Reich wandeln ließ – Der Computer als bloßes Werkzeug, um digitale Abstraktionen zu arrangieren, zu analysieren und zu transportieren. Die Computermusik ist tot, es lebe der Computer und die davon befreite Musik.

In weiterer Folge richtet sich das Augenmerk auf Interfacedesigns, wobei wir nicht nur auf technische, sondern auch auf neuronale oder kultursoziologische Interfaces Bezug nehmen müssen. Es ist erwiesen, daß beschleunigte Alpha-Aktivitäten mittels Musik ausgelöst werden können. "Die Formel besteht aus Musik, Klängen und Silben und spezifisch vibrierenden Pulsschlägen, deren Eigenschaften einem Konzentrationszustand förderlich sind, die psychische Felder öffnen und unter bestimmten Bedingungen eine temporäre Bewußtseinsveränderung bewirken" [Adi Newton – The Anti Group, 1990]. Angeregt durch spezielle Frequenzen aus Licht und Ton, können traumähnliche hypnotische Zustände erreicht werden. Mindmachines, die vor allem auf Lichtimpulse bauen [sie fördern die Alphawellen in der Cortex], lösten Anfang der 90er einen wahren Boom bei zivilisationsgestreßten Erfolgstypen aus. Technoshows konnten in optimaler Abstimmung von Ton und Licht ähnliche Phänomene in einem höheren Maß verstärken und schufen somit eine Basis für technologische Tranceinduktion, einer Form von High-Tech-Shamanism. Designerdrogen werden in nicht wenigen Fällen als Interfaces [Prothesierung des Bewußtseins] "zum Einklinken" verwendet.
ES GEHT NICHT UM DIE MELODIE

Was ich von der Analyse der Neuen Musik des 20. Jahrhunderts gelernt habe und was ich dann auf Techno angewandt habe, ist die Erkenntnis, daß Struktur, Klang und Konsistenz die Schlüsselelemente elektronischer Musik sind. Es geht nicht um Melodie. Ich denke, im Techno gibt es ganz bestimmte Klänge und Konsistenzen, die auf alle Leute in gleicher Weise wirken. Das ist ein psychoakustischer Effekt."

[Christian Vogel, Spex 1/95]
Im Sog von Techno verbreiteten sich Stilformen wie Ambient, Electronic-Dub, Trip-Hop, Bass & Drum, Jungle und Noise in allen erdenklichen Varianten zu einem nicht mehr kontrollierbaren Wildwuchs. Es ist anzumerken, daß in Zeiten der Datenautobahn die Protagonisten dieser Genres abseits der Popmetropolen leben, regional abgeschlossen ihren Stil entwickeln, aber via Medien und Netzwerke global zu agieren gewohnt sind. Anders als im Pop, wo der Kopf Ware ist und de facto moderne Ikonen für die Konsumgesellschaft und Freizeitgesellschaft geschaffen werden, agieren die meisten Protagonisten dieser elektronischen Sub’bereiche ohne Rücksicht auf herrschende Popgesetzmäßigkeiten und befruchten gerade so die auf der Stelle tretende Popindustrie [Beispiele: Tricky, Portishead, Aphex Twin ...].

Daß der sogenannte Underground Zulieferer neuer Tendenzen und ästhetischer Neuerungen ist, formuliert Dr. Smudits in Skug #26 wie folgt: "Denn im Gegensatz zum Kampf verschiedener Teilkulturen einer Gesellschaft, der sich durch das Ringen um Vorherrschaft auszeichnet, besteht zwischen der Transkultur und lokalen [regionalen, nationalen] Kulturen ein symbiotisches Verhältnis, die "Diffusion" ist grundsätzlich in beide Richtungen möglich. Für die "Transkultur" stellen lokale Kulturen ein Potential an unverbrauchten Formen und Inhalten dar." So erlangt die zur Standardisierung neigende, transkulturell ausgerichtete Vermarktungsmaschinerie neue Symbole und Zeichen, bei gleichzeitiger internationaler Plazierung bislang unbekannter Stile. Der anhaltende Boom von Techno führt in diesem Zusammenhang nicht nur zu einer Marktdominanz und inhaltlicher Aushöhlung, sondern schafft auch Raum für neue Zeichen und Codes im Underground. Die Diversifizierungen wirkt wider der Entropie und schafft Freiräume. Wenn Christian Vogel von empirisch belegbaren Auswirkungen bestimmter Klänge und Konsistenzen auf den einzelnen in der Masse spricht, versuchen andere Musiker, dem Sich-Gleiten-Lassen mittels Technologie entgegenzuwirken. Eine neue, wenn auch kleine Musique-Concrète-Bewegung zeugt davon, daß digitale Abstraktionen um neue Themen wie Raumextension vs. Microbereiche kreisen und alte Themen wie Musik als konstruiertes Rauschen durchaus wieder Themen sind. "Musik als strukturiertes Rauschen, Chaos, als heterogenes/partikulares Werden ohne Zentrum, als Organisation von Geräuschen, Impulsen, Bruch/Fund-Stücken, DJ-Tools, aber zum Glück fernab vom normierten Rauschen, das immer noch mit wiedererkennbaren Tonfolgen im Zentrum des Geschehens operiert" [Didi Neidhart, Skug]. In weiterer Folge geht es auch darum, daß Produktionsprozesse transparent gemacht werden, sowie um die Hervorhebung des Materialcharakters. Die Auswahl der Klang-Rohstoffe und deren Modulation, Transformation und Konstruktion erzeugen für den Künstler wie für den Zuhörer neue Rezeptionsmöglichkeiten. Diese "Improvisationen" mit akustischen Materialien, die Organisation von neuen Rezeptionsmustern in Rezeptionspattern und deren Archivierung zeugen erneut vom Willen, dem "Rauschen" einen "Instrumentenkörper" zu verleihen. Dieser Körper heißt dann Locust, Autechre, Alois Huber oder Pulsinger.