www.aec.at  
Ars Electronica 1996
Festival-Website 1996
Back to:
Festival 1979-2007
 

 

Lautes Denken


'János Sugár János Sugár

FLÜSSE UND BRÜCKEN
Die Brücke, selbst als vorgegebenes Bild, ist eine recht allgemeine Metapher, deren Interpretation nicht schwerfällt in einer Welt, die nach Metaphern hungert. Neue Phänomene tauchen auf, verschlingen bestehende Metaphern, ohne ein Zeichen zurückzulassen; das Bemühen zu verstehen gleicht der zum Scheitern verurteilten Aufgabe, einen Damm zu errichten. Wir leben in einem Vakuum der Ideen, auf der Suche nach Synonymen, um vertraute Inhalte in einen neuen Kontext einzubetten und mit einer großartigen Geste sichtbar zu machen. Die Mittel, derer sich unser analoges Denken bedient, sind Wort-Bilder, die die Zeichen der Vergangenheit in den Ideen der Gegenwart abbilden. Wir versuchen, neuen Wörtern auf die Spur zu kommen, und stoßen auf Hinweise zur Aufdeckung der Mechanismen unserer Informationsgesellschaft, der globalen Rückkopplung, wo wir uns von bezugslosen, geschichtslosen und doch so effizienten Medien umgeben wiederfinden. Unser auf vielen Ebenen vernetztes Zeitalter schafft eine Welt voll potentieller Metaphern. Wir müssen den Versuch wagen, die Produkte unseres technologischen Höhenflugs von mystischen Erfahrungen durchdringen zu lassen.

Für mich hatte das Bild der Brücke überdies die Bedeutung eines immer wiederkehrenden Traumes. Ich träumte von einer Brücke, einsam und verlassen im Meer, das Nichts mit dem Nichts (1) verbindend. Wir kommen ständig in Situationen, in denen die Metapher von Brücke und Fluß zwei verschiedene, einander berührende Dimensionen beschreibt: eine natürliche Grenze und ein künstliches Bauwerk. Hindernisse der Natur werden mit Hilfe zivilisatorischer Techniken bezwungen; durch ein künstliches Bauwerk, ein Meisterwerk der Technik, wird es möglich, ein dynamisches, unaufhaltsames Wesen zu "überqueren". Jede Brücke hat ihren eigenen Namen und doch klingt er wie der Name eines Sündenbocks, wird doch das biblische Verbot zu lösen und zu binden gebrochen. Für den Techniker steht die Verlockung der Möglichkeiten als Mahnmal für diesen Gesetzesbruch. Man darf die strategische Bedeutung von Brücken nicht unterschätzen.

Sie kennzeichnen wichtige Plätze, außergewöhnliche Punkte, Grenzübergänge, Kontroll-punkte und ermöglichen es uns, trockenen Fußes alle Widersprüche zu überqueren. Schon immer kam dem Sprengen von Dämmen, dem Niederbrennen von Brücken symbolische Be-deutung zu; der Papst als Pontifex Maximus war der größte Brückenbauer. Während des zweiten Weltkrieges wurden in Budapest alle acht Brücken über die Donau in die Luft gesprengt, und die Wiedererrichtung dieser acht Brücken sollte, einem gigantischen Werk der Konzeptkunst gleich, ein deutliches Zeichen für die Geschwindigkeit sein, mit der wir uns von der Vergangenheit entfernen. Brücken erfüllen unser Bedürfnis nach unbegrenztem Zugang zum "Überall"; zwei eigenständige Wesen miteinander verbindend, erschafft eine Matrix von Brücken eine neue, auf diesen Verbindungen beruhende Dimension (2) . Brücken sind Korridore für Meme (3) , dies ist das Ende der Isolation – ein Virus [Multikulturalität] beginnt sich einzuschleichen. Die Brücke als bedenkliche Gefahrenquelle.

Heute stellt die Brücke einen Link dar, eine einzelne Verknüpfung, Mahnmal eines zufälligen, flüchtigen Gedankens, Bindeglied zwischen zwei isolierten Datenteilchen im Informations-universum. Die Menge der Links ist gleichbedeutend mit Popularität, also ein Mittel der Auslese. Es sind diese Links, die die Hypermedien entstehen lassen, wo alles, außer Metakommunikation, möglich wird.
DIE REVOLUTION DES HÖRENS
Multikulturalität, als fortgesetzte Erfahrung, ist Teil unseres Alltagslebens, unserer täglichen Routine. In einer Situation, in der ich über die Identität meiner Kommunikationspartner nicht genau Bescheid weiß, kommt der Kultur- und Sprachgrenzen überschreitenden Kommunikation besondere Bedeutung zu. Um uns in einem Zeitalter, in dem alles und jeder ständig in Bewegung ist, zurechtzufinden, brauchen wir eindeutige, unmißverständliche Zeichen. Das kann nur eine demokratische Sprache sein, die von allen verstanden wird: die Sprache der symbiotischen Kooperation. Visuelle Kommunikation ist die einfachste aller Kommunikationsmöglichkeiten, orientieren wir uns doch in erster Linie mit Hilfe unserer Augen. Bilder sind allgemein verständlich. Sehen wird zunehmend zu einem rein kognitiven Prozeß, der Vorgang des Verstehens unterliegt der bewußten Kontrolle. Visualität wird zu einem einseitigen Kommunikationsmittel, zugleich wird unsere Umwelt mit visuellen Zeichen überladen. Multikultureller Horror Vacui macht sich in unseren sozialen, visuellen und akustischen Lebensräumen breit. Jeder zieht die Kommunikation mittels Bildern dem gesprochenen Wort vor. Wenn wir zwischen uns und "den anderen" eine Brücke schlagen wollen, überschwemmen Zeichen, Symbole, Logos und Piktogramme unseren visuellen Raum.

Die gesprochene Sprache bedient sich auch weiterhin des weltumspannenden Englischen: love, stop, go, feeling, new etc. gehören zu den 500 wichtigsten Wörtern der Bewohner dieses Planeten. Seiner Leistungsfähigkeit entsprechend ist das Bild nicht mehr nur bloßes Schauspiel, sondern zugleich auch Oberfläche und Schnittstelle. Es bedarf einer interaktiven Beziehung, wollen wir die Domäne des Unbekannten erobern. Aus diesem Grund war es von revolutionärer Bedeutung, als Ivan Sutherland im Jahre 1962 seine Sketchpad-Software vorstellte – die Sensation direkt freihändig gezeichneter Linien auf dem Computerdisplay, Input mittels Gesten, assoziativ zur visuellen Kommunikation. Das Verhältnis zur Maschine hat seither anthropomorphe Züge angenommen, auf der Basis physischer Erfahrungen lassen sich alle Operationen leicht ausführen.

Was unseren zweiten hoch spezialisierten Wahrnehmungsapparat betrifft, so scheint gerade das Gegenteil zuzutreffen: Um das Hören hat sich keine Kommunikationsindustrie vergleichbaren Ausmaßes gebildet. Hören ist ein linearer Vorgang, an den Ablauf der Zeit gebunden, so wie wir an die unumkehrbare Richtung der Zeit gebunden sind. Für das mediale Design bietet das [Zu]Hören, als direkter Kanal für unterschwellige Manipulationen, den schnellsten Zugang zum Unterbewußtsein.

Infolgedessen füllen uns aufgezwungene Klänge und Töne ohne Unterlaß unseren akustischen Lebensraum aus, Raum-Geräuschinformationen und eine unfaßbare Menge an künstlich erzeugter Musik und ebensolchen Signalen werden bewußt mit unserem jeweiligen geistigen und seelischen Zustand amalgamiert. Dank immer besser werdender Aufnahmetechniken kommt der Musik eine Hintergrundfunktion zu, wir schenken ihr keine Aufmerksamkeit [durch bewußtes Zuhören], denn alles bleibt unseren Augen verborgen [Musik aus der Konserve]. Seit der Erfindung des Tonfilms leben wir in einer Welt nie endender musikalischer Berieselung. Wir haben gelernt, unsere musikalischen Vorlieben ebenso wie unsere Wahrnehmung diesem Los anzupassen [Verhältnis von aufgezeichneter zu Live-Musik]. Nur selten richten wir unsere Konzentration auf das Zuhören, da dieses Zuhören reale Zeit des Individuums in Anspruch nehmen würde und dies in einer Gesellschaft, die ständig unterwegs ist. Mit der Aufzeichnung von Musik geht das Besondere an ihr verloren. Wenn wir jedoch diesen hochgradig sensiblen Wahrnehmungsapparat [bewußt] einsetzen, wird er zu einem außergewöhnlichen, feierlichen, beinahe heiligen Sinnesorgan [Live-Konzerte, Raveparties etc.]. Andernfalls sind die Klänge nichts als Hintergrund, Berieselungsmusik für die Arbeit am Fließband.

Das Radio zählt zu den ältesten "neuen Medien". Abhängig von einer aufwendigen und schwerfälligen Infrastruktur, wurde es nach dem Aufkommen neuer "neuer Medien" [die, wie das Fernsehen, Ton und Bild miteinander vereinen], zu einem Medium zweiter Wahl degradiert. So wird es maximal als Hilfsmittel im Multimediabereich eingesetzt, wo der Ton zur Entlastung der Augen die Funktion der Illustration übernimmt. In den Schaltzentralen der Macht wurde diese Bedeutung schon früh erkannt und dort ist man daran interessiert, es in dieser Form als einseitiges Kommunikationsmittel zu erhalten und somit einen Präzedenzfall für weitere technologische Entwicklungen zu schaffen. Das Radio ist das einzige Medium, das zur Inspiration unserer Fantasie auf unsere Ohren angewiesen ist. Eine kleine Handbewegung – das Drehen eines Knopfes – genügt, und der Cyber-Ozean verschiedener Radiosendungen steht uns zur Erkundung offen. So wird Unhörbares hörbar.
ZIELE
Multi-minus-ein-Medium. Einsatz der Ohren. Ferien für die Augen.
  • um den Prozeß des Zuhörens zu verbessern, um der audio-akustischen Umwelt im selben Ausmaß gewahr zu sein wie der visuellen; um den passiven Wahrnehmungsprozeß des Hörens zu aktivieren, eine Weiterbildung für das Ohr, die Wiederentdeckung der Dunkelheit; lautes Denken, mit geschlossenen Augen.

  • Aufbau einer Brücke des Dialoges zwischen institutionalisierten traditionellen Anbietern und nicht-institutionalisierten unkonventionellen Benützern des Mediums Radio, Piratensender, Web-Radio; Erleicherung des Übergangs zu technologisch neuen Versionen dieses Mediums.

  • Schwerpunkt auf praktischen akustischen Aktivitäten [Chance für Künstler, Sendungen zu gestalten, akustische Performances]; im Reich der Medientheorie als grundlegendster Ausgangspunkt die gesprochene Sprache.
IDEEN
  • Sammeln von visuellen Elementen [reale Brücken, Flüsse, Architektur, Zeichnungen, Fotos etc.] von textuellen Referenzen und Klangdokumenten, um eine Datenbank im Internet zu schaffen.

  • Bauen einer kleinen hölzernen Brücke, wo man zu jeder vollen Stunde die Zwölf-Uhr-Nachrichten, jeweils von einer anderen Zeitzone hören kann.

  • Veröffentlichung von Informationen zum Aufbau eines unabhängigen Radiosenders, technische Informationen [zum Bau von Piratensendern], Beispiele, Transkriptionen.
FORM
Ich stelle mir ein Hörspiel vor, ein homogenes 24-Stunden-Live-Programm, einen ganzen Tag mit Live-Sendungen. Sprecher und Gäste, die den ganzen Tag über wechseln. Als roter Faden sollte sich eine Geschichte, ein Drama, eine Erzählung – eine globale Erzählung, auch in Form einer einfachen [mythischen] Geschichte – durch das Radioprogramm ziehen. Die Zeit würde den einzelnen Sprechern nicht nach einem egalitären, gleichmachenden Verteilungssystem, sondern nach der Qualität des Inhalts zugeteilt. Es sollte ein globales Hörspiel für ein globales Publikum sein, das sich ohne Unterbrechung über einen ganzen Tag erstreckt – zusammengestellt von lokalen Radiostationen aus lokalen öffentlichen Veranstaltun-gen: Live-Aufführungen von Stimm- und anderen akustischen Performances, Live-Theater etc. Im Idealfall sollte dies über die eigentliche globale Sendung hinausgehen. Die Einbindung der Öffentlichtkeit wäre einerseits durch die Teilnahme an lokalen Veranstaltungen und andererseits durch das Verfolgen der Radio-sendungen gegeben – es sollten so viele Radiosender wie möglich eingebunden sein [der Empfang sollte überall möglich sein]. Es sollte ein "vielzüngiges" [kein vielsprachiges (4) ] Zusammentreffen von Muttersprachlern und Nicht-Muttersprachlern, von schlechten und weniger schlechten Dolmetschern sein. Seit Rilke und Heisenberg wissen wir ja, daß auch der Beobachter selbst beobachtet wird. Kurzum, ein Original gibt es nicht, jeder gehört einer Minderheit an.

Das Thema des Hörspiels sind Brücken und Flüsse und die Idee der Übersetzung könnte durch verschiedene lokale Moderatoren, Fachleute und Amateure eingebracht werden, die an diesem globalen Live-Programm teilnehmen, die Veranstaltungen kommentieren, dolmetschen und sich miteinander unterhalten.

(1)
Jonah-Modell, 1987, Videoinstallationzurück

(2)
1982 hatte der ungarische Künstler Balint Bori die Idee zu einem Computermodell, bestehend aus einem Raum mit einem Wasserbecken und vielen kleinen Inseln darin. Zwischen diesen Inseln sollten Ameisen verkehren, sich bewegenden Informationsbits gleich, und die Verbindungen mittels Honigspuren sichtbar machen.zurück

(3)
Glenn Grant, Memetic Lexicon 3.2zurück

(4)
Peter Lamborn Wilson, Against Multiculture, Autonomedia, NYCzurück