Sound Lives
'Winfried Ritsch
Winfried Ritsch
Kommunikation ist ein Grundbedürfnis des Menschen und die Voraussetzung für Intelligenz (1) .
Das Material der Kommunikation ist die Information. Kommunikation ist der Austausch von Information, der im Zeitalter der Computernetzwerke zunehmend automatisiert gehandhabt wird. Damit kann es sein, daß Information sich zunehmend verselbständigt und nicht mehr vom Informationsgenerator kontrolliert werden kann. Wird die Automatisation von Entscheidungen der Benutzer zunehmends unabhängig, kann ein System sich verselbständigen, vorausgesetzt, es hat genügend lebenserhaltende Mittel zu Verfügung.
Mit SoundLives soll ein künstlicher Lebensbereich für Audiodaten geschaffen werden, der möglichst unabhängig vom direkten Eingriff seiner Quelle sein sollte. Es ensteht eine eigene Soziologie von Klängen, die vordefinierten Gesetzen ausgeliefert ist. Der Mensch wird zum Rezipienten dieser Welt. Ein Vergleich wäre ein Aquarium mit Fischen, welches einen abgeschlossenen Lebensbereich darstellt, an dem sich der Mensch erfreut. Er hat die Aufgabe des Pflegers und Betrachters.
Als Elemente werden Klänge gewählt, die ein "Gedächtnis" in Form von Attributen und Merkmalen besitzen. Diese zusammen ergeben eine Klangwelt, die in entsprechender Form rezipiert werden kann. Die Klänge als Information verselbständigen sich und damit auch die Kommunikationswege und -strukturen. Kommunikationsstrukturen verändern sich mit der Umwelt und lassen heutzutage verschiedene Kulturen verschmelzen. Damit ist SoundLives der multikulturellen Vermischung gewidmet.Das System Klänge, die auch repräsentativ für den jeweiligen Ort der Einspeisung sind [Realklänge aus der Umgebung oder Sprachelemente], befinden sich in einem Datennetz, in dem sie zu überleben versuchen. Je öfter sie angehört werden oder je öfter sie mit gleichartigen Klängen in Kontakt treten, desto größer wird ihre Chance, ein hohes Alter zu erreichen.
"The House of Sounds" ist ein Programm, das den Lebensbereich für diese Klänge steuert und kontrolliert. Für den Benutzer stellt dieses Programm ein Fenster in diesen Lebensbereich dar und ist das softwaremäßige Interface zur Realwelt.
Mit der Zeit können Klänge aus verschiedenen Orten in einen Computer, auf dem dieses Programm installiert ist, übersiedeln und somit die Klangvielfalt von "The House of Sounds" erweitern. Es bietet auch den Klängen die Möglichkeit, sich zu vermehren. Somit bekommen diese Klänge die Eigenheiten von Lebewesen, die sich in einer Lebensumgebung [dem Datennetz] bewegen können. Der Benutzer des Programms hat keine Möglichkeit, in die Wanderungen und "Lebensgewohnheiten" direkt einzugreifen; seine Rolle beschränkt sich auf die des Zuhörers respektive des Besuchers. Er kann "The House of Sounds" jeden Tag "besichtigen", um zu erkunden, welche Klänge noch vorhanden und welche neu angekommen sind oder erzeugt wurden.
Je mehr Host-Computer mit "The House of Sounds" sich daran beteiligen, umso interessanter wird jedes "The House of Sounds", und je verschiedener die Orte sind, umso "farbenreicher".DIE SPIELREGELN Klänge sind in der Welt der Datennetze in Dateien digital aufgezeichnete Signale. Diese können mit Soundeditoren erstellt und bearbeitet oder auch von Programmen erzeugt werden. Sie können als Mikrokompositionen betrachtet werden.
Es gibt mindestens einen Host-Computer (2) , in dem "The House of Sounds" installiert wurde. Dieser Host-Computer ist jener Ort, an dem Mikrokompositionen in das Datennetz ausgesetzt und angehört werden. Sind mehrere Host-Computer mit "The House of Sounds" vorhanden, so stellen sie die potentiellen Heime für die Mikrokompositionen dar und sollten untereinander vernetzt sein, damit die Mikrokompositionen zwischen den Host-Computern wandern können. [Dies bedeutet, daß immer eine Liste der umgebenden Host-Computer in einem Host-Computer als Klangpfade vorhanden sein muß.] Diese Verbindungen stellen den "Lebensbreich" der Klänge dar und bilden eine "Landkarte" mit verschiedenen Wege.
Jeder Besucher eines Host-Computers kann sich nun die Mikrokompositionen mittels "The House of Sounds" anhören und feststellen, welche Mikrokompositionen gerade in diesem Host-Computer vorhanden sind. Dies geschieht in Form einer automatischen Komposition, die wie ein Radio die Mikrokompositionen als Klänge "endlos" abspielt. Zusätzlich hat der Hörer die Möglichkeit, gezielt Mikrokompositionen abzuhören und sie damit [in ihren Attributen] zu beeinflussen. Systembetreuer hingegen erhalten die Möglichkeit, neue Mikrokompositionen einzuspeisen, um somit eine Vielfalt von Ausgangsklängen zu erhalten.
Jede Mikrokomposition besitzt verschiedene Merkmale und Attribute, die ihr eigen sind, unter anderem die Art der Mikrokomposition, ihr Geburtsdatum, wie oft sie gespielt wurde und an welchen Orten sie sich befunden hat. Werden Mikrokompositionen mittels "The House of Sounds" angehört, übergibt das Programm den Mikrokompositionen diese Information. Ab einer bestimmten Zeit "sucht" eine Mikrokomposition nach einer anderen, die sie hinsichtlich ihrer Merkmale am besten ergänzt, sie kann sich mit ihr vermischen und dadurch eine neue Mikrokomposition erzeugen. Finden Mikrokompositionen andere mit ähnlichen Merkmalen, so können sie mit ihnen eine Gruppe bilden; nach einer gewissen Zeit können sich Mikrokompositionen auch wieder von Gruppen abspalten. Erreichen Mikrokompositionen oder Gruppen von Mikrokompositionen ein bestimmtes Alter und wurden sie genügend versorgt [angehört], so gehen sie auf die Reise und suchen sich einen anderen Host-Computer; wurden sie zuwenig gepflegt [angehört], so sterben sie bzw. löschen sich.DIE IMPLEMENTIERUNG Die Entwicklung des Systems erfolgt auf einem Computer, der gleichsam das Netz simuliert. Die Implementiereng von "The House of Sounds" wird dann für entsprechende Computer vorgenommen, kann je nach Aufstellungsort variieren und ist somit erweiterbar. Hier wird nun eine mögliche Implementierung aufgezeigt, die speziell für die Aufstellung an öffentlichen Orten konzipiert wurde.HARDWARE FÜR INSTALLATION Sie besteht aus einem Computer, der für Audiodaten eingerichtet wurde [Soundsystem], und einer entsprechenden Tonanlage. Weiters ist ein Anschluß an ein Datennetz – am besten an das Internet – notwendig.
Der Computer wird in einem Kasten mit Monitor montiert; entsprechende Bedienungselemente [Taster, Schalter usw.] ermöglichen eine intuitive Handhabung.
"The House of Sounds" liefert zwei Arten von Tonsignalen:- Eine Komposition der Klänge, die sich gerade im Computer befindet.
- Klänge, die gezielt von den Benutzern abgerufen werden.
Die erstere kann in eine öffentliche Lautsprecheranlage gespeist werden und würde so eine Klanginstallation für diesen Bereich darstellen. Gedacht ist an die Verteilung durch Lautsprecher in einem Park, an einem Platz, in einer Eingangshalle usw. Die zweitere wird direkt über Lautsprecher beim Computer abgespielt.SOFTWARE Die Implementierung der Software besteht aus dem Programmpaket "The House of Sounds", welches automatisch eine algorithmische Komposition aus den vorhandenen Klängen erzeugt. Diese Software kann an schon vorhandenen multimediafähigen Computern verwendet werden und könnte für verschiedene Plattformen zur Verfügung stehen.DIE VERBREITUNG Es bedarf einer Verwaltung für die Addressen der einzelnen Teilnehmer. Wünschenswert wäre ein dezentrales System, so daß jeder Anwender von "The House of Sounds" einfach seine Adresse weitergibt und Adressen anderer als Klangpfade einträgt. Somit könnte sich auch die Ausbreitung des Programms verselbständigen. Es sollte jedoch ein Computer existieren, an dem das "The House of Sounds" seine Existenz meldet, um eine Statistik und Beobachtung des Systems zu ermöglichen.EXPERIMENTSTATUS Da SoundLives ein Experiment im Datenetz zur Erforschung der Lebensfähigkeit unabhängiger Datenmengen in Form von Klangdateien darstellt, wäre es angebracht, regelmäßig statistische Daten aller Host-Computer auszuwerten. Die Ergebnisse könnten [in einer "The House of Sounds"-Zeitung] veröffentlicht werden.NO COPYRIGHT Die Abspielprogramme und Klangdateien sind No-Copyright-Dateien! Die dadurch entstehende Musik kann beliebig angehört, weitergegeben und weiterverarbeitet werden, wenn sie dadurch ihren No-Copyright-Status behält.GESTEUERTE EVOLUTION Prinzipiell scheint es mir problematisch, mit dem Begriff "Evolution" zu hantieren, da dieser historisch sehr negativ behaftet ist und auch noch die Gefahr birgt, das Endprodukt der Evolution als positiv zu rechtfertigen, egal, wie diese Evolution vonstatten ging oder wie groß der Beobachtungszeitraum war.
Die ursprüngliche Bedeutung von "Evolution" ist obsolet, da die Rahmenbedingungen der Evolution [ursprünglich durch Naturgesetze definiert] nicht konstant bleiben. Durch die Möglichkeit, sich die Umwelt selbst zu gestalten – also Gesetze, Moral, technische Hilfsmittel usw. zu entwickeln – ergibt sich die Möglichkeit, damit die Rahmenbedingungen der "Evolution" zu gestalten und zu steuern.
Um "Evolution" zu betrachten, ist es außerdem notwendig, die betrachteten Elemente beziehungsweise das, worauf "Evolution" angewendet wird, zu definieren.
Bilden die Computer und deren Serversoftware die Rahmenbedingungen von Informationstransport, so erkennen wir, daß die Entwicklung der Computer auch wieder einer Evolution unterworfen ist, da sie so entwickelt werden, um den Informationstransport optimal zu gewährleisten. Sind es die Menschen, die die Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Computer festlegen, oder legen die Computer die Rahmenbedingungen für die Entwicklung des Menschen fest? Hier haben wir eine klassische Rückkoppelung, die uns zeigt, daß die Theorie der Evolution nicht mehr funktioniert. Wer doch noch an ihr festhalten will, kann ja von einer Evolution der Evolution oder der Evolution der Evolution der Evolution sprechen, was sich jedoch bald ins Endlose fortsetzt.
Sehr wohl sind Systeme möglich, die konstante Rahmenbedingungen für evolutionäre Prozesse, also eine Evolution im Labor, schaffen. Daher erscheint es angebracht, dem Begriff "Entwicklung" den Vorzug zu geben und den Begriff "Evolution" auf Systeme anzuwenden, die konstante Rahmenbedingungen für bestimmte Betrachtungszeiträume aufweisen, bzw. für Methoden zur Generierung gewisser Strukturen zu verwenden, die aufgrund ihrer Rahmenbedingungen gezielt vorherbestimmbar sind. Ein Beispiel dafür wäre ein Algorithmus, der in der Simulationstechnik sehr gut funktioniert.
Die Frage bleibt, ob ein System ein anderes relativ abgeschlossenes System mit eigenen Regeln oder "Lebensinseln" akzeptiert; und wenn, ob diesem dadurch eine weitere Entwicklung ermöglicht oder ob es fürderhin fremdbestimmt wird.
(1) siehe Francisco J. Varela, Kognitionswissenschaft-Kognitionstechnik [suhrkamp S. 111] "Der Begriff Intelligenz ist nicht mehr als die Fähigkeit des Problemlösens zu verstehen, sondern als die Fähigkeit in eine mit anderen geteilte Welt einzutreten."zurück
(2) Ein Computer, der als Verwalter von Daten und Programmen eingesetzt wird und unter einer bestimmten Computeradresse in einem Datennetz zu erreichen ist.zurück
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