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Mysterien der Information


'Florian Rötzer Florian Rötzer

I. BEING WIRED

"Gesellschaft kann nur durch das Studium der Nachrichten und der zugehörigen Kommunikationsmöglichkeiten verstanden werden, und Nachrichten von Mensch zu Maschine, von Maschine zu Mensch und von Maschine zu Maschine sind berufen, in der zukünftigen Entwicklung der Nachrichten und Kommunikationsmöglichkeiten eine immer größere Rolle zu spielen."

Norbert Wiener: Mensch und Menschmaschine
Immer mehr Informationen kreisen um die Welt oder lagern in Archiven. In der Welt digitaler Information gibt es mindestens vier Imperative: Erzeuge stets neue Informationen! Erfasse, sammle und verteile alle Informationen, die nur irgendwie zugänglich sind! Verschaffe dir Zugang zu Schnittstellen mit allen möglichen Informationen! Informationen müssen sofort verfügbar und sofort manipulierbar sein! "Being wired" ist die Voraussetzung dafür, im Strom der Online-Informationen jeder Art baden und eintauchen zu können, sich von ihm treiben zu lassen, in die Nischen der abgekapselten Speicher einzudringen, alles öffentlich zu machen und in den virtuellen Welten präsent zu sein. Mit einer bis zum Letzten gehenden Entschlossenheit wird die Vernetzung in jeder Spielart vorangetrieben. Dabei sein ist alles. Wer nicht angeschlossen ist, ist schon verloren, vergessen, abgehängt, versinkt im schwarzen Loch oder in die ausgegrenzten Bereiche der Informationsgesellschaft, die bestenfalls noch den Charakter von Reservaten besitzen, während sich das Leben auf den Autobahnen, Plätzen und Städten des allmählich kolonialisierten virtuellen Raumes abspielt.

Die Zellen des räumlich verteilten, dezentral organisierten Netzes gleichen die Distanz durch immer mehr Schnittstellen für den Input und Output in Echtzeit aus, werden zu bewegten sensomotorisch agierenden "Körpern" und "Gehirnen" in der elektronischen Umwelt. Die Notwendigkeit wird immer größer, daß die Menschen sich mit ihren biologischen Körpern direkt mit dem Netz verbinden, daß das Netz in ihren Körper einwandert, der sich zu einer bio- und neurotechnologischen Schnittstelle verwandelt, um mit der Geschwindigkeit und Komplexität der in den Netzen und über Satelliten zirkulierenden Informationsströme noch mitzukommen. Der künftige "Homo Cyber Sapiens" ist ein Cyborg, da es keine Zeichen dafür gibt, daß das menschliche Gehirn weiter wächst, also daß es, wie in der biologischen Evolution des Homo sapiens, komplexer und damit intelligenter wird, was die Verarbeitung von Informationen angeht. Nur durch biotechnologische Schnittstellen zwischen Gehirn und Computern, d.h. beispielsweise durch die Implantation von Brainchips oder andere Plug-in-Möglichkeiten von technischen Systemen, kann das menschliche Gehirn sich hinsichtlich seiner Verarbeitungs- und Speicherkapazität verbessern und effektivere Zugänge zu neuen technischen Sensoren und motorischen Extensionen erhalten, womit sich zumindest vorerst verhindern ließe, daß autonome und intelligente Roboter den Menschen überholen. Nur der direkte Anschluß an den Cyberspace könnte so für Luc Steels, Direktor des Robotik-Instituts an der Universität Brüssel, die Evolution des Menschen noch weiter vorantreiben:

"Menschen, die bereits zwei Augen haben, könnten beispielsweise mit zusätzlichen Kameras ausgerüstet werden, um die Reichweite des Sehens zu vergrößern oder direkt das Verhalten von Fortbewegungsmotoren zu kontrollieren. Wenn direkte Verbindungen zwischen dem Gehirn und der elektronischen Datenautobahn eingerichtet werden könnten, dann gäbe es die verführerische Möglichkeit, daß das Gehirn Zugang zu riesigen Informationsmengen erhält und dadurch auch Handlungen auf Entfernung durch die Vermittlung von elektronischen Geräten ausführen könnte. Diese Idee ist noch so weit entfernt, daß wir uns nur schwer ihre Konsequenzen vorstellen können. Werden wir in Zukunft ohne die Vermittlung unseres normalen sensorischen Apparates oder vielleicht sogar ohne die Vermittlung von Sprache direkt elektronische Post "lesen" oder Botschaften an andere Gehirne "senden"?

Hans Moravec sieht einen ähnlichen evolutionären Druck auf die Menschen wirken, die immer mehr in den Cyberspace einwandern und sich dieser neuen, explosiv sich verändernden Umwelt anpassen müssen. Neben möglichen gentechnischen Eingriffen in jene Bereiche des Genoms, die die Morphogenese des Gehirns steuern, wird es in den nächsten Jahrzehnten vorwiegend um die Möglichkeiten eines perfektionierten Interface gehen, das die Umwege über sensorische und motorische Systeme durch direkte Kopplung verkürzt und schließlich darin münden könnte, daß die kognitiven Strukturen eines Menschen auf einen Computer in einem Roboter übertragen werden, der auch in seiner Hardware unmittelbarer Bestandteil, ein Knoten des Netzwerkes ist.

"Stellen Sie sich ein'Gehirn in einem Tank' vor, das von einem Versorgungssystem am Leben erhalten wird und durch wunderbare elektronische Links mit einer Reihe von künstlichen Leihkörpern an entfernten Orten und von simulierten Körpern in Virtuellen Realitäten verbunden ist. Obwohl es durch ein optimales materielles Umfeld über seine natürliche Lebenszeit hinaus erhalten werden kann, ist es unwahrscheinlich, daß ein biologisches Gehirn, das für die menschliche Lebensdauer gemacht wurde, auf ewig effektiv arbeiten wird. Warum sollte man nicht fortgeschrittene neurologische elektronische Links verwenden, die es mit der Außenwelt verbinden, um die graue Hirnsubstanz zu ersetzen, wenn sie zu versagen beginnt? Unser versagendes Gehirn kann Bit für Bit durch überlegene elektronische Äquivalente ersetzt werden, die unsere Persönlichkeit und unsere Gedanken klarer als jemals machen werden, obgleich nach einer bestimmten Zeit keine Spur unseres ursprünglichen Körpers oder unseres Gehirns übrigbleiben wird.

Das Ziel der Informationsgesellschaft wurde in den Kriegs- und Nachkriegsjahren entwickelt, als die Computer, die Kybernetik, die Genetik, die Informations- und Spieltheorie und ihre biotechnologischen Implikationen entstanden sind. Es geht darum, den Transport von materiellen Dingen und Botschaften zwischen räumlichen Orten durch die Übermittlung von Informationen zwischen vernetzten und räumlich verteilten Sender/Empfängern weitestgehend zu ersetzen, um Gleichzeitigkeit zu erreichen, was voraussetzt, möglichst alles als Information und Informationsverarbeitung beschreiben und codieren zu können. Der Einflußbereich des Menschen reicht so weit wie seine sensorischen und motorischen Systeme. Ein über Techniken der Telepräsenz und Telemotorik in Echtzeit gesteuerter Roboter ist eine Extension des Körpers, der nicht mehr an der Haut aufhört oder organisch ist. Das auf den Menschen bezogene Ziel besteht darin, dessen kognitives System der Informationsaufnahme, -verarbeitung und -erzeugung aus der biologischen Hardware zu lösen und es als Software zu beschreiben, die auch auf einer anderen Hardware laufen könnte. Ließe sich das kognitive System als digitalisierte Information beschreiben, dann wäre die Voraussetzung dafür erfüllt, daß Menschen nicht nur Nachrichten senden oder empfangen, sondern daß sie selbst zu einer Nachricht werden, die man codieren, senden, decodieren und vor allem in einer anderen, jedenfalls nicht identischen Hardware implementieren kann. Für das Paradigma der Information ist der Funktionalismus daher ein zentrales Dogma. Allerdings hat der Funktionalismus bereits eine lange Geschichte, die zumindest bis in die Diskussion der Möglichkeit der Transsubstantion während der Eucharistie zurückreicht. Hier wurde ernsthaft und mit weitreichenden Folgen, die schließlich zum Protestantismus und zum Dreißigjährigen Krieg führten, erörtert, wie etwas, in diesem Fall der Leib Christi, als identische Information in eine ganz andere Erscheinung, in diesem Fall die Hostie oder ein Laib Brot, verwandelt werden kann. "Auf jeden Fall", versichert Norbert Wiener als Fanal zur Digitalisierung des Körpers apodiktisch, "ist eines klar: Die körperliche Identität eines Individuums beruht nicht auf der Identität der Substanz, aus der es gemacht ist. … Die biologische Individualität eines Organismus scheint", so leitet Wiener aus den permanenten Veränderungen des Körpers auf der Ebene seiner Zellstruktur und des Metabolismus ab, "in einer gewissen Kontinuität der Umsetzungen und im Erinnerungsvermögen des Organismus an die Tatsachen seiner vergangenen Entwicklungen zu bestehen. … Die Individualität des Körpers ist eher die einer Flamme als die eines Steines, eher die einer Form als die eines Teilchens Materie. Diese Form kann übermittelt oder abgeändert und verdoppelt werden. … Die Tatsache, daß wir das Schema eines Menschen nicht von einem Ort zu einem anderen telegrafieren können, liegt wahrscheinlich an technischen Schwierigkeiten und insbesondere an der Schwierigkeit, einen Organismus während solch einer umfassenden Rekonstruktion am Leben zu erhalten. Sie liegt nicht an der Unmöglichkeit der Idee." (1) Das Projekt ist, gestützt durch das Theorem der DNA als Code und durch die molekulargenetische Beschreibung des biologischen Nachrichtenwesens, den Menschen als Nachricht zu realisieren, die beliebig übermittelt, implementiert und geändert werden kann.
II. REINE INFORMATION GIBT ES NICHT
Informationstechnologien stellen, so wird häufig gesagt, eine Extension des selbst als Computer verstandenen Gehirns dar, weswegen vernetzte Computer dann gewissermaßen ein parallel prozessierendes und verteiltes globales Superhirn bilden, an dem sowohl die menschliche Gehirne als auch die "Elektronengehirne" sowie virtuelle Agenten oder andere Geschöpfe des Künstlichen Lebens, die im Bereich der digitalen Technosphäre ihren Lebensraum finden, teilhaben.

Die Eingangs- und Ausgangskanäle unseres Gehirns haben allerdings eine beschränkte Durchsatzrate für Informationen. Es kann nicht mehr und nicht schneller erfaßt, verarbeitet und weitergeleitet werden, als die Kapazität der Zellen zuläßt. Reize werden erst ab einer bestimmten Schwelle von Zellen "bemerkt", die in einer binären "Alles-oder-Nichts"-Entscheidung darauf reagieren; ab einer bestimmte Höhe der Reizfrequenz wird die Erregung nicht mehr abgeleitet, und die Zelle adaptiert sich an eine konstante Reizintensität, so daß ihre Antworten immer schwächer werden, wenn nicht neue Reize oder eine Veränderung der Reizintensität registriert werden. Das schnellste Ereignis in den Nervenzellen ist das Aktionspotential, das ungefähr eine Millisekunde dauert, dann kann die Zelle erst wieder nach drei bis vier Millisekunden reagieren. Schon an den Pforten der Wahrnehmung finden sich also neben der sowieso existierenden Selektion der rezipierbaren Signale Schleusen oder Filter, die den Umfang möglicher Informationen ausdünnen oder aussortieren. Erkennen oder Wahrnehmen ist zunächst Reduktion von Komplexität, ist die Suche nach komprimierten Algorithmen oder nach Konstanz. Erkennen heißt Unterdrücken, Übersehen, Vernachlässigen, Weglassen, Kürzen, Streichen, Komprimieren von Information. Es ist eine Arbeit, die der Selektion in der biologischen Evolution vergleichbar ist, denn sie setzt Redundanz und Vielheit voraus, die dann stromlinienförmig eingeschmolzen werden. Dieser Vorgang wiederholt sich offenbar, wie neuere Theorien über den neuronalen Darwinismus behaupten, auch auf den höheren Levels, wo verschiedene Neuronenverbände verschiedene Versionen aus den sensorischen Daten herstellen, sie mit anderen Informationen abgleichen und sich schließlich durch eine interne Auslese eine Version durchsetzt, während andere unterdrückt werden.

Kritiker wie Enthusiasten der Informationsgesellschaft beschäftigen sich in aller Regel nur mit der Informationsmenge, die potentiell "draußen" vorhanden ist und aufgenommen werden kann. Ähnlich beschäftigt sich die Informationstheorie vor allem mit der Menge und Übertragungszuverlässigkeit der von einem Sender stammenden "Information", die auf einem Kanal als reproduzierbare Zeichenkette transportiert werden kann, die aber auch purer Unsinn sein kann. Gemessen wird der Informationsgehalt einer Nachricht allerdings nicht nur durch die Zahl der binären Zeichen, die unbedingt nötig sind, um sie zu codieren, sondern vor allem auch durch die Wahrscheinlichkeit ihrer Abfolge, die abhängig ist vom Vorwissen und Erwartungshorizont des "Empfängers". Es gibt keine "objektive" Information. Ist jemand des Deutschen nicht mächtig, so kann er wohl, vorausgesetzt er kennt die lateinischen Buchstaben, die Buchstaben des Wortes "Gehirn" unterscheiden, aber weder deren Bedeutung noch den Wahrscheinlichkeitswert ihrer Abfolge. Kann jemand nicht schreiben und weiß nicht, daß es sich um ein Wort handelt, so ist das Wort nur eine Folge von grafischen Zeichen, ein Muster, das ganz zufällig entstanden sein kann, wobei die Menschen gerade aus solchen, oft selbst erzeugten Zufallsmustern geheime Botschaften einer ihnen unverständlichen Sprache für ihre Entscheidungen herauszulesen suchten. Man könnte sogar davon sprechen, daß, worauf Stephen Jay Gould hingewiesen hat, unser Gehirn gerade in zufälligen Verteilungen eher geordnete Muster "sieht" als in solchen, die durch ein Schema entstanden sind. (2)

Hinter der Idee der Informationsgesellschaft steht aber noch immer oft das naive realistische Bild, daß eine größere Menge an Informationen über irgendeinen Sachverhalt auch die Erkenntnis vergrößert, also etwa daß wir ein Bild desto besser erkennen, je höher es aufgelöst und je mehr Detailinformationen wir davon über unsere Sinneskanäle erhalten. Aber für diese Spielart des Abbildrealismus gibt es offenbar nur eine untere Schwelle, in der die Auflösung der Umwelt der der Sinnesorgane einigermaßen entsprechen sollte, um ein gewohntes oder erwartetes Bild hervorzubringen, obgleich die sogenannten Sinnestäuschungen zeigen, daß das Gehirn stets fehlende Informationen ergänzt, was vermuten läßt, daß jede Wahrnehmung in erheblichem Ausmaß aus der Überlagerung der rezipierten Informationen durch simulierte Informationen besteht, eingeschlossen jene Simulation der Gleichzeitigkeit, die das Gehirn fortwährend produziert, um im subjektiven Erleben den zeitlichen Abstand zum Verschwinden zu bringen, der zwischen dem Eintritt einer Reizung an den Sensoren und der bewußten Wahrnehmung entsteht. Ins Bewußtsein dringt wegen der notwendigen Transport- und Verarbeitungszeit der Reiz erst eine halbe Sekunde später, doch wird er normalerweise listig zurückdatiert.

Unablässig sind wir, auch wenn wir uns weit entfernt von der Zivilisation und den Datennetzen befinden, in gewaltige Informationsströme eingetaucht, wobei allerdings nur ein spärliches Rinnsal bis in unser Bewußtsein gelangt, das gerade ein paar Bits pro Sekunde verarbeiten kann. Unsere Sinnesorgane transportieren in jeder Sekunde Millionen von Bits zu unserem Gehirn. Dort werden sie parallel von hundert oder gar tausend Milliarden von Nervenzellen, deren jede bis zu 10000 Verbindungen mit anderen hat, verarbeitet. Man vermutet, daß einige Nervenzellen in der Hirnrinde sogar mit 200000 anderen kommunizieren. Es gibt also ungefähr eine Million Milliarden Verbindungen zwischen Nervenzellen, was gigantisch ist, vergleicht man das Gehirn mit dem globalen Telefonnetz, bei dem es nur etwa eine Milliarde Anschlüsse gibt, die überdies weit weniger miteinander verbunden sind.

Unterhalb der bewußten Oberfläche werden vermutlich viele hundert Milliarden Bits pro Sekunde prozessiert, weit mehr als bei jedem Supercomputer. Zunächst scheint es daher so zu sein, als würden die zu jeder Sekunde im wachen Gehirn eingehenden Datenströme noch einmal multipliziert, denn den ein paar hundert Millionen sensorischen Rezeptoren, die Erregungen von außen ans Gehirn weiterleiten, stehen die vielen Milliarden von untereinander verbundenen Synapsen gegenüber, in die diese Erregungen eingespeist werden und die intern miteinander in einer ungeheuer komplexen vernetzten Struktur kommunizieren. In der Tat haben sich in der Evolution weder die Anzahl der sensorischen Rezeptoren großartig vermehrt noch ist die Übertragungsrate des neuronalen Netzes beschleunigt worden. Was sich vermehrt hat, sind hingegen die Nervenzellen im Gehirn, also die sekundären und tertiären Verarbeitungsareale und die interne Kommunikation: "Anstatt die Umwelt mit einer Steigerung der Kapazität der Sinnesorgane immer exakter zu erfassen, hat das Gehirn in seiner Stammesgeschichte sozusagen die entgegengesetzte Richtung eingeschlagen, nämlich das interne Bewertungssystem ungeheuer zu steigern und wirksamer zu gestalten." (3)
III. DER EMPFÄNGER SCHAFFT INFORMATION
Das ist angesichts der gegenwärtigen Euphorie im Hinblick auf den Ausbau der information highways und der gleichzeitigen Sorge, von den immer umfangreicheren und immer schneller zirkulierenden Datenströmen erdrückt zu werden, eine erstaunliche Tatsache. Komplexere Wahrnehmung und höhere Erkenntnisleistungen entstanden in der biologischen Evolution nicht durch die Rezeption von mehr und detaillierten Primärinformationen, sondern durch eine ansteigende Komplexität der Auswertung und Nachbearbeitung, durch eine extrem große Reduzierung der Datenmenge auf der Stufe des Bewußtseins, durch die Erfindung des Schlafs und möglicherweise auch durch die des Traumzustandes, den es nur bei den Säugetieren gibt und in dem das Gehirn gewissermaßen off-line die in ihm vorhandenen Daten völlig selbstreferentiell prozessiert, die neuen mit den gespeicherten abgleicht, Verbindungen verstärkt und Überflüssiges löscht.

Natürlich würde jeder Neurobiologe gleich hinzufügen, daß das Gehirn sowieso nicht erst Daten aufnimmt und sie dann interpretiert, sondern daß die von den Sinnesrezeptoren erfaßten Veränderungen in der Umwelt des Organismus – oder auch in seinem Körper – bereits vom Organismus selektiert und, grob gesagt, nach Lust oder Unlust/Schmerz, bewertet werden. Das Paradox bewußter Wahrnehmung scheint darin zu liegen, daß wir zwar den Eindruck besitzen, wir würden etwa mit den Augen die Umwelt sehen, also durch sie wie durch Fenster oder Objektive hindurchblicken, daß aber das vom Gehirn erzeugte Bild keineswegs dem entspricht, was die Rezeptoren der Retina registrieren, denn das sind nur polymorphe und daher wie bei den Kippbildern verschieden interpretierbare Verschiebungen von Helligkeits- und Farbwerten. Von Information zu sprechen, hat aus der Perspektive der Hirnforschung also nur hinsichtlich eines "Empfängers" einen Sinn, der keineswegs passiv ist, sondern der nach subjektiv bedeutsamen Veränderungen sucht, um Informationen für sich zu erzeugen, während konstant bleibende Reizkonstellationen nicht registriert, sondern durch Simulationen ersetzt werden, um gewisermaßen den Arbeitsspeicher nicht zu überlasten. In diesem Sinn erzeugt also der Pseudo-Empfänger selbstreferentiell Botschaften auch aus "Sendungen", die weder an ihn gerichtet noch überhaupt irgendwohin gerichtet sein müssen und die tatsächlich, was immer das auch heißen mag, aus "zufälligen" Daten, aus Rauschen bestehen. Ein "Sender", der irgendeine Botschaft für einen "Empfänger" codiert, ist für Wahrnehmung ebensowenig notwendig wie ein Abbildrealismus. Es muß nicht einmal ein Bit an Information an einen Empfänger übermittelt werden, denn auch das Fehlen oder Ausbleiben von Information kann in einem von diesen geschaffenen Kontext, einem Erwartungshorizont, eine wichtige und komplexe Information darstellen. Und wenn über längere Zeit die Sensoren des Gehirns keine relevanten Daten liefern, wie in einer Situation der Sinnesdeprivation oder der Reizüberflutung, dann erzeugt es selbst Informationen, die man dann als Halluzinationen bezeichnet, die aber, wenn das Gehirn sie nicht mehr mit anderen abgleichen kann, nicht als solche mehr erkannt werden können. Information wird also erst durch einen Kontext und durch einen "Empfänger" geschaffen, der sie intern nach Schemata aus an sich polyvalenten Daten konstruiert (und dessen Modelle sich ontogenetisch und phylogenetisch durch evolutionäre Selektion als viabel erwiesen haben, ohne deswegen der äußeren Realität gleichen zu müssen).

Daten sind noch keine Informationen. Es sind einfach Zeichen oder Funktionen, deren Code der "Empfänger" entweder weiß oder denen er einen Code unterstellt, durch den sie von ihm mit geeigneten Inputkanälen erfaßt und als Information gedeutet und verarbeitet werden können. Die Interpretation von Daten muß keineswegs einen irgendwie gearteten semantischen Aspekt besitzen, der Code muß vom Empfänger keineswegs richtig decodiert werden können, ja es ist überhaupt nicht nötig, daß es "wirklich" codierte Datenketten sind, die ein Empfänger erfaßt. Irgendwelche Ereignisse, die von einem Empfänger erfaßt werden können, so daß er irgendwie darauf reagiert, sind Daten und deswegen, weil sie dann immer schon vom Empfänger als Anlaß irgendeiner Handlung bedeutungsvoll sind, die dann von der Umwelt oder von internen Instanzen wiederum "bewertet" wird, auch Informationen.

Nun könnte man aber sagen, daß doch im Gehirn Informationen zwischen den Nervenzellen in Form von elektrischen Erregungen zirkulieren, wenn man sich einmal auf das neuronale Modell beschränkt. Vielleicht hat man die neuronale Sprache noch nicht entschlüsselt, doch bislang geht man davon aus, daß es eine unspezifische Einheitssprache oder einen Universalcode gibt, der in einer elektrophysiologischen Impulssalve lediglich Erregung weiterleitet und dabei aktivierende oder hemmende Signale aussendet. Die Sinnesorgane bestehen aus Zellen, die zwar spezifisch für bestimmte Reize oder für deren Abwesenheit aus der Umwelt ausgelegt sind, aber sie übersetzen diese Reize in einen unspezifischen, neutralen Code. Für einen äußeren Beobachter, der nur die Impulsfolgen erkennen kann, läßt sich daher nicht erkennen, welche Signale übermittelt werden, ob also beispielsweise visuelle, taktile oder auditive Signale weitergeleitet werden. Das ist ganz ähnlich wie bei der Prozessierung des digitalen Codes in einem Computer, dessen Zeichenfolgen als solche ebenfalls nichts bedeuten, man also ohne Vorwissen über Zweck, Programm und Kontext auch nicht "objektiv" wissen kann, wenn man an einer bestimmten Stelle durch eine Elektrode ein bestimmtes Bitmuster ableitet, ob dies einem Textverarbeitungsprogramm zugehört, einen Ton codiert, ein Befehl zur Steuerung eines Roboters ist oder überhaupt eine Information darstellt. Ähnlich sind sich Gehirn und Computer darin, daß ein äußerer Beobachter, der nicht weiß, welche Informationen prozessiert werden, aus den von ihm gemessenen Signalfolgen nicht ableiten kann, was sie bedeuten oder repräsentieren. Und kontextuelle Information heißt im Gehirn schlicht, daß "Informationen" der neuronalen Einheitssprache nicht durch ihre Bitfolgen, sondern durch den Ort definiert werden, an den sie gelangen. Exakt dieselben Stromstöße, die man als "Information" durch eine Elektrode an Nervenzellen Input gibt, können bekanntlich, je nachdem, wo sie erfolgen, ganz verschiedene Empfindungen, Wahrnehmungen oder motorische Befehle auslösen. Zusätzlich "weiß" ein tausendfach vernetztes Neuron gar nicht, welche Daten es von welchen anderen Neuronen erhält, weil sich die Dendritenverzweigungen der Axone überlappen. (4)
IV. BEMERKUNGEN ZUR GENETISCHEN INFORMATION
Information hat sich als Grundbegriff nicht nur durch den anfänglichen Vergleich zwischen Computer, dem "Elektronengehirn", und Gehirn sowie durch die Informationstheorie ausbreiten können, sondern wohl vor allem deswegen, weil die Entdeckung des genetischen Codes die Erzeugung, Speicherung, Übermittlung und Reproduktion von Information als grundlegenden Prozeß im Leben selbst anzusiedeln scheint. (5) Leben ist gemäß dem genetischen Paradigma bereits auf seiner molekularen Schicht Verarbeitung von Information, die universell codiert ist. Wie beim Computer und Gehirn gibt es also auch hier eine Einheitssprache. Leben wird durch jene Information gesteuert, die von den vier Bausteinen der genetischen Molekularsprache DNA definiert wird. Sie wird nach dem genetischen Dogma übersetzt in die RNA und schließlich in die Proteine, aber nicht umgekehrt. Deswegen sagt man auch, daß das Genom, die DNA-Datenbank, den Bauplan für eine molekulare Maschine enthält, die eine nahezu identische Kopie erstellt, sich reproduziert und wiederum nur dazu dient, diesen Bauplan weiterzugeben. Das Genom, so die Behauptung, sei der komplette Satz von Instruktionen für den Bau eines Organismus aus zunächst identischen Zellen, die sich später ausdifferenzieren.

Bakterien, die einfachsten Lebewesen, verschlüsseln ihre genetische Information in vier Millionen Nukleotiden oder Bits, Menschen in mehr als einer Milliarde. Nur, und das ist ein Trost für die Surfer der in den Netzen kreisenden Information, scheint auch der größte Teil des Genoms eines Organismus, das man als "Sender" der biologischen Information versteht, aus Redundanz, aus Abfall, Unsinn, Gestammel, Überbleibsel oder Schrott zu bestehen. Jedenfalls kennt man die Funktion vieler Sequenzen nicht, und die "sinnvollen" Informationen heben sich wie Inseln aus dem Meer von Schrott heraus. Daher erzeugen nur manche Abweichungen im Genom meist fatale Veränderungen im Organismus, und die meisten wirken sich überhaupt nicht aus (vermutlich ist das nicht anders, wenn es bald Hunderte von Fernsehkanälen geben wird, die jeder anschauen kann). Es ist mithin keineswegs so, daß die gesamte Menge an Information, die in einem Genom gespeichert ist und die man gemäß der Informationstheorie durch Sequenzierung messen kann, Aufschluß über die Komplexität des Produkts gibt. So haben beispielsweise Amphibien mehr Basen, d.h. mehr "Information", in ihrem Genom als Säugetiere, was zumindest der üblichen Hierarchie hinsichtlich Komplexität widerspricht. Kann man, was der Traum hinter dem Genom-Projekt ist, also der totalen Erfassung der genetischen Information ist, einen dreidimensionalen, funktionierenden Organismus auf der Grundlage rekonstruieren, wenn man den gesamten genetischen Text und seine Funktionen kennt? Speichert das Genom tatsächlich die gesamten Informationen für die morphologische Struktur, die Funktionen und sogar Verhaltensweisen eines Organismus? Läßt sich also aus der im Genom gespeicherten Information ein Dinosaurier ebenso herstellen wie auf der Hardware eines Computers aus irgendeinem Algorithmus ein komplexes Muster?

Bekanntermaßen kann bereits rein rechnerisch das Genom nicht die Information für das Wachstum, die Lage und die Funktion jeder einzelnen Zelle oder der in ihr produzierten Proteine enthalten. Das Genom ist als Datenspeicher daher nicht mit einer Blaupause oder einem Programm zur Realisierung einer räumlich organisierten Struktur zu vergleichen. Die in einem Gen enthaltene Menge an Instruktionen verschlüsselt nicht vollständig die Menge an Informationen, die in einer Zelle, einer Hand oder einem anderen Körperteil vorhanden ist. Wäre das so, dann müßte man aus der genetischen Information ablesen können, welche Funktion sie besitzt oder was sie erzeugt. Ähnlich wie beim digitalen Code eines Computers oder bei der neuronalen Einheitssprache des Gehirns können identische Zeichenfolgen des genetischen Codes entweder ganz Verschiedenes bedeuten oder es können verschiedene Zeichenfolgen zu gleichen Ergebnissen führen. Gensequenzen können überdies einmal Steuer- und Kontrollfunktionen ausüben, also beispielsweise angeben, wann welche andere Gene eingeschaltet werden, sie können aber auch Anweisungen zur Herstellung von Proteinen darstellen. Menschen und Schimpansen haben zu 99% identische Gen-Stränge. Warum sind sie dann doch so verschieden? Jede Zelle eines Organismus besitzt, die Geschlechtszellen ausgenommen, denselben Satz genetischer Information. Warum sind die Zellen eines Organismus aber verschieden? Ist das Genom tatsächlich ein Programm, das auch positionale Informationen, sogenannte Morphogene, für die Zellen enthält?

Ganz analog zum Gehirn spielt offenbar für die Morphogenese der Kontext eine erhebliche Rolle, der die im Genom enthaltenen Daten erst zu Informationen, zu einer Nachricht macht. (6) Das Genom, der "Sender", schafft sozusagen nur die Randbedingungen und teilweise die Anfangsbedingungen für die Selbstorganisation einer komplexen Struktur, aber sie wird von diesem nicht direkt generiert. Es gibt zumindest kein lineares, vermutlich aber überhaupt kein direktes Abbildverhältnis zwischen Genom und Organismus. Das Phänomen der Konvergenz weist darauf hin, daß verschiedene Ursachen ähnliche Wirkungen haben können, daß also für die Existenz von Flügeln bei Insekten oder Fledermäusen oder von Flossen bei Fischen oder Walen keineswegs auch eine ähnliche genetische Information zugrundeliegen muß. Bei Fröschen wird beispielsweise die Entwicklung der Kaulquappen von der Temperatur des sie umgebenden Wassers bestimmt (deswegen brauchen sie vermutlich auch mehr Gene als Menschen). Axolotl werden in ihrer normalen Umgebung nie erwachsen, obgleich die genetische Information dazu vorhanden wäre. Bei manchen Tieren bestimmt erst der Kontext, welches Geschlecht sie erhalten und damit auch welche völlig verschiedenen Körperformen sie annehmen. Die Eier der meisten Tiere beginnen zunächst ohne die Beteiligung des Genoms zu wachsen. Erst in einer späteren Phase der Entwicklung steuern die Gene des Embryos den weiteren Fortgang. "In zahlreichen Experimenten", so Cohen/Stewart, "hat man den natürlichen Zellkern einer Zygote durch den einer anderen Art ersetzt, und die Entwicklung ging genauso weiter, wie sie mit dem ursprünglichen Zellkern verlaufen wäre. Erst wenn der Embryo einen bestimmten Organisationsgrad erreicht hat, beginnen seine Zellen, spezielle Gensequenzen in ihrem eigenen Kern zu mobilisieren. Der genetische Inhalt der Zelle schließt viele möglichen Verhaltensweisen ein, doch der Kontext entscheidet darüber, welche Potentialitäten realisiert werden." (7)

Cohen/Stewart begründen ihre Attacke auf den Begriff der biologischen Information vor allem durch ein grundsätzliches Gedankenexperiment. Man könnte sich vorstellen, daß durch die Anwesenheit eines von der Mutter stammenden Proteins eine bestimmte Entwicklung in Gang gesetzt wird, während dann, wenn dieses in der Umwelt des Eies nicht vorhanden wäre, sich bei exakt derselben genetischen Information eine ganz andere Art, nicht nur ein anderer Phänotypus, entwickeln könnte. Selbst wenn dies nur als Realisierungsmöglichkeit denkbar ist, weist das Gedankenexperiment auf die Brüchigkeit des im Paradigma der biologischen Information wurzelnden Generierungs- und Abbildungsbegriffs hin. Information bedeutet, daß von einem Sender eine Nachricht codiert wird, die vom Empfänger wieder entschlüsselt wird und bei ihm ein bestimmtes Verhalten auslöst. Wenn aber dieselbe Information, z.B. exakt dasselbe Genom, zu ganz verschiedenen Wirkungen führen kann, so läßt sich von Information eigentlich nicht mehr sprechen, wie dies bereits beim Gehirn diskutiert worden ist, denn dann "bedeutet" eine Datenmenge erst in Abhängigkeit eines Empfängers oder eines Kontextes etwas Bestimmtes. Auch wenn daher bestimmte isolierbare Gene bestimmte Wirkungen haben, so wird vermutlich doch für die komplexeren Organisationsprinzipien, die unter "normalen" Umweltbedingungen vom Zusammenwirken vieler Gene reguliert werden, diese eindeutige Rückführung scheitern. Auch wenn sich dies, abgesehen vom Startproblem, durch das Konzept der Selbstorganisation, der Synergetik oder der Emergenz erklären ließe, also etwa daß das Genom durch seine Aktivität sich seine eigene Umwelt schafft, auf die es wieder durch spezifische Aktivitäten reagiert (welche Gene angeschaltet oder abgeschaltet werden bzw. inaktiv bleiben), so kehrt sich damit zumindest teilweise die Kausalität um, die man im genetischen Paradigma voraussetzt. Schneidet man beispielsweise einen Süßwasserpolypen in der Mitte durch, so entwickelt sich an der Kopfhälfte wieder ein Fuß und umgekehrt an der Fußhälfte wieder ein Kopf, wobei die Zellen jeweils aus der gleichen Region kommen und daher ihre Gene nicht im vorneherein "wissen" konnten, zu was sie sich entwickeln sollen. Man erklärt dieses Verhalten so, daß eine lokale Konzentration von chemischen "Signalen" die Zellen darüber informieren, wie sie sich ausdifferenzieren sollen, was eben hieße, daß plötzlich nicht mehr die Gene die Blaupause sind, sondern das chemische Milieu, in dem sie sich befinden, zum Signalgeber wird, der an sich nicht bedeutungshaltige genetische Information steuert. Die Gene wären dann wiederum als Randbedingung für einen informationsgenerierenden Prozeß zu verstehen, der ebenso egoistisch ist wie das bekannte egoistische Gen von Richard Dawkins. Man bewegt sich also permanent im Kreis, wenn man Sender, Empfänger und die informationsgenerierende Instanz bestimmen will. Deutlich wird aber nur wieder, daß das einfache Schema der Kommunikation von Information nur dann stimmt, wenn der Kontext von außen, vom Beobachter, determiniert wird.

Aus all dem hier nur Angedeuteten könnte man schließen, daß der gegenwärtige Informationswahn, der uns zum weiteren Ausbau der Kanäle und Sender treibt und uns nahelegt, sich an diese bei Strafe des Untergangs anzuschließen, nichts weiter als ein Fake ist. Nur die "Empfänger" entscheiden subjektiv, was Information ist. Freilich, auch wenn erst der Kontext und ein nach Information suchender "Empfänger" selbstreferentiell Information erzeugt, so geschieht dies doch auf der Basis von Randbedingungen und von einer Vielheit, aus der durch Auswahl und Eliminierung Information geschaffen wird. Noch viel einschneidender jedoch ist, daß Verschaltung und Information einander bedingen. Sind die Verschaltungen oder Kanäle einmal gelegt, so kommt es zu Katastrophen, wenn diese entweder zerstört werden oder die erwarteten Signale (= Informationen) in einer gewissen Toleranzbreite nicht mehr eintreffen bzw. allzusehr verrauscht sind. Natürliche und soziale Umwelten – die "Sender" – haben überdies die Eigenschaft, Träger von Signalen zu sein, die wahrgenommen werden müssen, um überleben zu können, wie immer selbstreferentiell der Empfänger diese verarbeitet. Man muß sie nicht richtig deuten, aber angemessen darauf reagieren. Und was wiederum angemessen bedeutet, darüber entscheidet auch der Kontext, in den der Empfänger eingebunden ist.
V. AUSBLICK AUF DIE NULL-INFORMATION
Man nimmt an, daß für die Bewertungsmechanismen des Gehirns synchrone Aktivitätszustände von vielen Zellensembles und Arealen entscheidend sein könnte, damit sich der Übergang von bedeutungslosen zu bedeutsamen Zuständen vollzieht. (8) Schwingen sich derart Zellensembles synchron ein, setzt sich also ein Parameter durch, der zunächst aus der Aktivität einzelner entsteht und durch Interaktion die anderen "versklavt" (9) , so heißt dies auch, daß Zellen in anderen, asynchronen Zuständen nicht mit ihrer Version zum Zuge kommen und, wenn dies wiederholt geschieht, möglicherweise ihre Funktion verlieren, inaktiv oder anderen Funktionen zugeordnet werden bzw. synaptische Verbindungen absterben. Das könnte auch ein ungemütliches, weil darwinistisches Modell für die gesellschaftliche Dynamik sein, die stets ein Effekt der Kommunikation ist. Kommunikation aber heißt, den anderen als Sender zu verstehen und Information generieren zu können. Weil es aber Information ohne materiellen Träger nicht gibt, wird die nächste Zukunft davon bestimmt sein, wie weit sich diese Träger und Kanäle gegen Attentate sichern lassen, denn die gesellschaftliche Kommunikation und die Steuerung von Maschinen und Systemen wandert immer mehr in die Computernetze ab. Am 1. Februar dieses Jahres hat eine Gruppe mit dem paradigmatischen Namen "Keine Verbindung e.V." nur mit Bolzenschneidern mehrere Galsfaserkabel am Frankfurter Flughafen durchschnitten und so erhebliche Kommunikationsstörungen in diesem Raum hervorgerufen. Die Gruppe hat bezeichnenderweise keine weitere Botschaft als ihren Namen hinterlassen, also etwa in einem der bislang üblichen Bekennerschreiben ausgeführt, warum sie dieses Attentat durchgeführt hat, auch wenn man annehmen kann, daß sie dies eine neue Aktionsform im langjährigen Kampf gegen den Flugplatz gewesen ist. Bomben auf Rechenzentren oder Einspeisen von Computerviren dienen einem ähnlichen Zweck: blindlings Verbindungen zu unterbrechen, Löcher in die Netze zu reißen, Informationen zu vernichten.

Wenn das Medium die Botschaft ist, so zielen die heutigen Avantgarden darauf, die Medien zu zerstören, was ihre einzige Botschaft ist. Noch richten sich, wie jüngst der Giftgasanschlag in der U-Bahn von Tokyo und dann in Yokohama oder Bomenanschlag auf das World Trade Center in New York oder auf das Bürogebäude in Oklahoma die meisten Anschläge (und Militäraktionen: Beirut, Kabul, Sarajewo, Grosny) auf die Städte und Metropolen, auf den letztlich nicht zu sichernden verdichteten Raum, in dem sie mit geringen Mitteln und vor allem ungerichtet die größten und spektakulärsten Schäden anrichten können. So fördern sie indirekt die weitere Dezentralisierung der Institutionen und der Lebensformen durch den Ausbau der Netze. Doch selbst wenn bei diesen Attentaten immer weniger ein irgendwie geartetes sinnvolles Ziel vorhanden ist, sie ohne Erklärungen und gegen jedermann geschehen, bringen sie noch immer Informationen hervor. Die Anschläge auf die Netze hingegen sind radikaler, weil sie sich gegen die Information selbst richten, weil sie schwarze Löcher der Kommunikation schaffen, weil sie der Einsicht folgen, daß im Reich der global zirkulierenden Information, das gleichzeitig das der Indifferenz ist, das größte Ereignis das Fehlen oder Ausbleiben der Information ist. Vielleicht ist die Erzeugung eines solchen kleinen Nichts in einer gesättigten Lösung aus Information, wie Jean Baudrillard sagt, die einzige, wenn auch fatale Hoffnung, daß noch etwas, allerdings ohne jede Finalität, geschehen kann.


(1)
Norbert Wiener: Mensch und Menschmaschine. Berlin 1958, S. 88-90 zurück

(2)
Stephen Jay Gould: Erleuchtung durch den Glühwurm, in ders.: Bravo, Brontosaurus, Hamburg 1994 zurück

(3)
Gerhard Roth: Erkenntnis und Realität, in: S. J. Schmidt (Hg): Der Diskurs des radikalen Konstruktivismus. Frankfurt/M. 1987, S. 246 zurück

(4)
Vgl. zum Thema Information und Gehirn die Bücher von Gerald Edelman: Unser Gehirn – ein dynamisches System, München 1993, sowie: Göttliche Luft, vernichtendes Feuer. Wie der Geist im Gehirn entsteht, München 1995 zurück

(5)
Vgl. Bernd-Olaf Küppers: Der Ursprung der biologischen Information, München 1990 zurück

(6)
Vgl. Jack Cohen/Ian Stewart: Chaos – Anti-Chaos. Ein Ausblick auf die Wissenschaft des 21. Jahrhunderts, Berlin 1994 zurück

(7)
ebd., S. 379 zurück

(8)
Wolf Singer: Hirnentwicklung und Umwelt, in: Gehirn und Kognition. Heidelberg 1990 zurück

(9)
Hermann Haken: Die Selbstorganisation der Information in biologischen Systemen aus der Sicht der Synergetik, in B.-O. Küppers (Hg): Ordnung aus dem Chaos. München 1987 zurück