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Ars Electronica 1995
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Festival 1979-2007
 

 

Keep Him on the Phone
Der menschliche Körper im Reich der Technik

'Melita Zajc Melita Zajc

"Keep Him on the Phone" ist eine Musiknummer. (1) Sie ist aber auch Ausdruck zweier ausgeprägter Formen der zeitgenössischen Verwendung moderner Kommunikationstechnologie: zur Intensivierung der Erfahrung einerseits, zur Verhinderung derselben andererseits. Darum soll es in diesem Text gehen. Hat die moderne Technik den menschlichen Körper wirklich überflüssig gemacht, indem sie uns ermöglicht, Körper und Identitäten willkürlich zu wechseln? Oder ist das Gegenteil der Fall, daß der menschliche Körper nämlich der einzige Ort ist, an dem diese Identitätsverschiebungen stattfinden können?

SAFE SEX
Was hören wir, wenn wir uns "Keep Him on the Phone" anhören? Zunächst einmal Techno-Sound. Eigentlich eher House als Techno, aber immerhin typisch für die elektronische, computergenerierte Musik – Geräusche und Rhythmen, die direkt auf den menschlichen Körper eingestimmt sind, Musik, die man laut hören muß, über Kopfhörer, oder noch besser, auf eigens dafür bestimmten Parties, den Raves. Musik, bei der Rhythmen und Geräusche zählen, nicht Melodien, bei der das Nicht-Diskursive klar vor dem Diskursiven dominiert (daher die Bedeutung der DJs, die dafür sorgen, daß keine Nummer zweimal gespielt wird, und der Vinylplatten, die die Manipulation vorgegebener Aufnahmen ermöglichen).

Auf der Ebene des Diskurses, der Erzählung inszeniert die Nummer "Keep Him on the Phone" eine andere Verwendungsmöglichkeit der Technik, den Telefonsexdienst. Die typischen Geräusche und Stimmen werden in den Remix eingebaut. Der Anrufer wählt die Nummer, die Frau hebt ab, beschreibt zunächst ihren Körper in den höchsten Tönen und dann die gemeinsame sexuelle Aktivität bis zum simulierten Orgasmus. Wenn wir Rave-Parties zum Vergleich heranziehen, so funktioniert die Technik beim Telefonsex genau umgekehrt. Dabei sind die beiden Partner räumlich voneinander getrennt, aber miteinander über das Telefon verbunden. Das Telefon, die Maschine, verbindet die beiden bei dieser Form des Technikeinsatzes wirklich. Es ist aber auch klar, daß das Telefon – denn das ist ja das wichtigste Charakteristikum, der absolute Vorteil dieser Telefondienstleistung – jeden körperlichen Kontakt beim Geschlechtsverkehr verhindert. Hier besteht keine Gefahr, daß man sich mit AIDS ansteckt – der Telefonsex ist die perfekte Form des "safe sex".

Freilich ist das, was man beim Hören der Platte erlebt, keine eindeutige Form von Telefonsex, aber der Unterschied ist augenscheinlich:
  • Techno und – in einem noch größeren Maß – Rave-Parties ermöglichen direkte Erfahrung. Man spürt den Rhythmus, hört die Geräusche, sieht die Lichter, Bilder und Liveauftritte, riecht den Rauch und hat Spaß daran.


  • Beim Telefonsex hat man ebenfalls Spaß und Lustgewinn, aber außer dem Ton gibt es keine Erfahrung: man sieht kein "schönes blondes Haar", spürt keine Berührung der Haut, nimmt den Duft der Frau am anderen Ende der Leitung nicht wahr, alles, wovon die Frau am Telefon spricht, existiert nicht.
Was die beiden Formen des Technikeinsatzes (Rave-Parties und Telefonsex) in "Keep Him on the Phone" verbindet, oder – wie ich sie später nennen werde – die beiden Dispositive, das, was sie auf der Diskursebene zu einem Objekt verbindet, ist die männliche Stimme, die den Satz "Keep him on the phone" wiederholt. Was bedeutet das? Damit wird sichtbar gemacht, was der Telefonsex und die elektronische Musik voraussetzen – sie sind Ausformungen der Unterhaltungsindustrie. Um es ganz einfach zu sagen: es geht um Geld. Und um Macht. Der Mann, der "Keep him on the phone" wiederholt, also "sieh´ zu, daß er am Telefon bleibt", übt Macht über die Frau aus, die Frau wiederum über den Anrufer. Ich simplifiziere hier, aber man könnte auch leicht zu dem Schluß kommen, daß "Keep Him on the Phone" als Gegenstand der Techno-Musik durch Verweise auf andere Motive als der Lust am Konsum auf die "Wahrheit" der eigenen Produktion hinweist. Hier haben wir den Punkt erreicht, an dem einige begriffliche Klarheit erforderlich wird.
DIE TRAURIGEN FREUNDE DER WAHRHEIT
In einer Kultur, in der man vor allem seinen Augen traut, (2) sind Metaphern, besonders Metaphern für das Sehen, bei der Verdeutlichung von Begriffen sehr beliebt. John Milton, der britische Dichter des 17. Jahrhunderts, war blind; vielleicht konnte er die Dinge deshalb klarer sehen. In einer Denkschrift an das britische Parlament, in der er die Pressefreiheit verteidigte, beschrieb er "die Wahrheit" folgendermaßen:
Die Wahrheit war einst ein klares Bild. Als solche wurde sie auf die Erde herabgesandt, aber böse Menschen zerschluqen sie in tausend kleine Stöcke und verstreuten diese Stücke über die ganze Welt. Daher ist das einzige, was den Journalisten – und anderen, die nach der Wahrheit streben (Milton nannte sie "die traurigen Freunde der Wahrheit") – geblieben ist, die Suche nach den Wahrheitsstücken.
Dieser Gedanke hat zweierlei zur Folge:
Erstens können wir niemals "die ganze Wahrheit" wissen, sie steht uns nur stückweise zur Verfügung, jeweils in Einzelteilen.
Zweitens, beginnen wir mit der Frage nach dem WAS damit, zu entscheiden, WAS "die Wahrheit" oder sonst ein Phänomen ist, so bestimmen wir schon, WIE wir es angehen. Beantworten wir die Frage, WAS die Wahrheit ist, mit "eine eigene, in sich geschlossene Entität", dann werden wir sie suchen, und wenn wir etwas begegnen, was so aussieht, werden wir annehmen, daß es sich um die Wahrheit und nichts als die Wahrheit handelt. Anworten wir auf dieselbe Frage aber: "Die Wahrheit ist überall stückchenweise verstreut", so suchen wir überall nach diesen Stücken, aber wir sind nie zufrieden, immer zweifeln wir daran, daß diese Teilwahrheit noch dieselbe wäre, wenn wir andere, noch nicht aufgefundene Stücke daranfügten, und fragen uns, ob sie nicht völlig anders wäre. Mit anderen Worten, eine Entscheidung im Hinblick auf die Ontologie impliziert bereits einen gewissen Bezug zur Erkenntnistheorie.

Der erste, der auf dieses Merkmal der klassischen philosophischen Frage nach dem WAS hinwies, war der russische Sprachwissenschaftler Roman Jakobson. Er behandelte sie mit Hilfe der Grundeinheiten der Sprache, der Phoneme. Die klassische Frage war, WAS diese Grundeinheiten der Sprache nun seien: in der Kehle hervorgerufene Phänomene? Vom Gehirn generierte Phänomene? Jakobson versuchte nicht, zu antworten, er zeigte stattdessen, daß die Antwort auf diese Frage, auf das WAS (Ontologie), bereits den Ansatz, das WIE (Erkenntnistheorie) implizierte. Die, die die Grundeinheit der Sprache in der Kehle vermuteten, forschten in der Anatomie. Jene, für die sie im Gehirn begründet war, beschäftigten sich mit akustischer Forschung. Aber, so Jakobson, und das ist der wichtigste Beitrag des naturwissenschaftlichen Strukturalismus zu den Geisteswissenschaften, wenn wir mit dem WIE anfangen, anstatt mit dem WAS zu beginnen, wenn wir von der Erkenntnistheorie ausgehen statt der Ontologie, dann gibt es keine solchen Implikationen. Dennoch hält sich der Gedanke, daß es eine endgültige und definitive Wahrheit geben muß, hartnäckig. Hier erhalten auch die Mechanismen der Vermittlung, die Technologie, die Maschinen ihre entscheidende Rolle. Es ist einfach: wenn die Menschen, emotional. Voreingenommen, voller Vorurteile, wie sie nun einmal sind, nicht imstande sind, die ultimative Wahrheit zu erkennen, dann sollten die Maschinen an unserer Stelle dazu in der Lage sein. Daher wurde die Maschine als Modell für das Denken, für das Verstehen der Welt und auch des Körpers konzipiert. Hier stammen die Ideen der Weltmaschine und der Körpermaschine her. Dieser Gedanke nimmt eine klare Trennung zwischen dem betrachtenden Subjekt auf der einen und dem betrachteten Objekt auf der anderen Seite – oder dem kognitiven Subjekt und der Wirklichkeit – an. Zwischen den beiden wird ein Messungsmechanismus angenommen, der dem Subjekt hilft, das Wesen, die Wahrheit des Objekts zu erfassen.

In der Kunst war dieser Messungsmechanismus die Perspektive der Renaissance. Die Codes für die Perspektive waren als Werkzeuge für die Messung der Außenwelt konzipiert, aber klassische Maler verwendeten oft zusätzliche, materielle Werkzeuge, wie die "Konstruktionen" bei Alberti und Dürers "Portillon".

In den Naturwissenschaften wurde angenommen, daß die Physik diesen Mechanismus lieferte; ihre Methoden und Werkzeuge ermöglichten es den Menschen, die Außenwelt zu messen, sie waren die Mittel, durch die das Subjekt zum Verständnis des Objekts gelangen konnte. Nehmen wir einen Tisch als Beispiel: wir sollten imstande sein, die Wahrheit seines Wesens zu begreifen, indem wir die Höhe und Breite abmessen, die Struktur des Materials untersuchen usw.

Diese ideale Vorstellung von Subjekt. Objekt und sicherem Beobachtungsabstand zwischen beiden, in dem sich die Meßmechanismen befinden, wurde in den Naturwissenschaften und den Geisteswissenschaften gleichermaßen heftig in Frage gestellt. In der Physik geschah das, als durch die Quantenmechanik die Messungsmechanismen in einem solchen Maß weiterentwickelt wurden, daß der Nachweis möglich war, daß – um bei unserem früheren Beispiel zu bleiben – der Tisch nicht existierte. Wir würden sagen, daß er aus einem Feststoff ist, aber die Distanz zwischen den Partikeln im Verhältnis zum Radius des Elektrons oder des Kerns eines der Atome, aus denen der Tisch besteht, ist immens.

In den Geisteswissenschaften wurden die Zweifel sogar noch früher artikuliert, z.B. durch einen britischen Philosophen des 18. Jahrhunderts, Jeremy Bentham. Er benutzte das Recht als Beispiel für die Bedeutung imaginierter unwahrer Entitäten. Er bezeichnete sie als Fiktionen und definierte sie so: "Man sagt, daß etwas existiert, was nicht existiert, und tut so, als ob es existierte."

Nun befinden wir uns in einer Situation, in der die Physik bewiesen hat, daß die als "real" angenommene Welt nicht existiert, es "reale Entitäten´ nicht wirklich gibt: sie sind nicht im mindesten real. Gleichzeitig haben aber die Geisteswissenschaften nachgewiesen, daß nicht-reale Entitäten, Fiktionen "realer" sind als sogenannte "reale Entitäten". Impliziert das aber tatsächlich – wie die meisten zeitgenössischen, d.h. postmoderen. Denker behaupten – daß es nur noch Fiktionen gibt, daß alles simuliert ist, virtuell, fiktiv, imaginär … ? Daß nichts real ist? Sollten wir nun bestreiten, daß es überhaupt Tische gibt,wie wir sie uns üblicherweise vorstellen? Ich glaube nicht. Wie ich bereits anhand von Miltons Metapher erklärte, gibt es die eine, definitive und endgültige Wahrheit oder Wirklichkeit nicht. Unsere Vorstellung von der Wahrheit, der Wirklichkeit ist immer bruchstückhaft, immer ein Konstrukt.

Wir können nun sagen: Es ist unmöglich, das betrachtende Subjekt vom betrachteten Objekt zu trennen, da das betrachtende Subjekt das betrachtete Objekt beeinflußt und umgekehrt. Alles hängt von dieser Vorstellung ab. Es gibt zumindest zwei zeitgenössische Theorien, die beweisen, daß diese Unterscheidung nicht möglich ist: Hillary Putnams "Theorie des inneren Realismus" und die "Theorie des inneren Beobachters" von Weibel und Roessler. In beiden sehen wir, daß die Fragestellung nicht auf das WAS abzielt, sondern das WIE. Das ist der Punkt, den ich im Hinblick auf die Technologie für entscheidend hatte: nicht die Unmöglichkeit, einen endgültigen Schluß über das Wesen der Dinge zu ziehen, sondern die spezifische Rolle des Ansatzes, der Methode, durch die man zum Verständnis der Welt gelangt, der Mechanismen der Vermittlung oder der Technologie im weitesten Sinn.

Bevor wir uns mit der Begriffsbestimmung auseinandersetzen, mit der Methode der Konzeptualisierung des zeitgenössischen Technologieeinsatzes, müssen wir noch eine andere Frage stellen. Welchen Platz nimmt nun der Körper ein? Eines ist aus unserer Alltagserfahrung klar: wie der Tisch ist auch der Körper nicht einfach verschwunden. Gehen wir aber genauer auf diese Frage ein.

In seiner Theorie der Ideologie behauptet Louis Althusser, daß das Imaginäre Auswirkungen auf die Materie hat. Als Beispiel nennt er den Glauben an Gott: Gott ist imaginär, aber die, die an ihn glauben, führen Handlungen in der materiellen Welt aus – sie gehen zur Kirche, wohnen Messen bei, bekreuzigen sich, beten auf Knien usw.

Der Unterschied zwischen dem Christentum und anderen. "primitiveren" Religionen liegt in der Tatsache, daß in der christlichen Religion die Kontrolle über den Körper vermittelt ist und nicht direkt ausgeübt wird. Unter den Christen schreiben nur die Tiefstgläubigen, wie etwa die Angehörigen der katholischen Gruppe Opus Dei, ihren Glauben in ihren Körper ein, indem sie sich täglich geißeln, Keuschheitsgürtel tragen und ähnliches mehr.

Dasselbe zeigt sich in der Manifestation eines weiteren, ja des häufigsten imaginierten Phänomens, dem Zustand, der als "ewige Liebe" bekannt ist. "Kultivierte", "zivilisierte" Menschen tauschen Eheringe. Tätowierungen mit den Namen der Geliebten auf der Haut sind die Attribute der Menschen aus den Randgruppen der Gesellschaft. Im Kommerzfilm wird Liebe immer durch mehr oder weniger stereotype Metaphern wie Vögel und sentimentale Musik wiedergegeben. Filme, die Liebe durch die Transformation des Körpers porträtieren – wie Tod Brownings "Freaks" oder "Unknown", R.W. Fassbinders "Das Jahr mit den dreizehn Monaten", Nagisa Oshimas "Im Reich der Sinne" oder "Boxing Helena" von Jennifer Lynch – werden zumindest als bizarr aufgefaßt.

All das – und die verbreitete Interpretation, daß die Entwicklung der Technologie die physischen Schwächen des menschlichen Körpers ausgleichen soll – zeigt klar, daß wir dazu tendieren, die Zivilisation als dauernde Befreiung vom Körper zu betrachten. In seinem Essay über Kontextkunst zeigt Peter Weibel aber auch, wie Bentham auf gewisse Weise ein Vorläufer von Jacques Lacan war. Lacan sah die Wirklichkeit nicht als Einheit von Objekt und Subjekt, sondern als durch das Imaginäre, Symbolische und Reale strukturiert. Das Reale ist hier nicht mit der Realität gleichzusetzen, es ist nicht wahrheitsgetreu oder realistisch. Es ist dort lokalisiert, wo es keine Worte gibt: im Sex, in der Gewalt und im Tod. An welchem Ort können diese Erfahrungen aber gemacht werden? Dieser Ort ist der Körper.
"LES MOTS ET LES CHOSES"
Was den Begriff der Zivilisation anbelangt, so können wir verstehen, warum heute die Behauptung so populär ist, unsere Kultur, die zeitgenössische Kultur sei ein weiterer Schritt im Prozeß der Befreiung vom Körper. Und doch können wir jedesmal, wenn wir ins Kino gehen oder den Computer einschalten, deutlich erfahren, daß die moderne Technologien alle den Einzelnen in seiner Körperlichkeit voraussetzen und verlangen.

Die Theoretiker, die behaupten, daß alles simuliert sei, gründen ihre Vorstellung auf den Gedanken, daß die zeitgenössische Kultur eine Kultur der Bilder ist, daß wir von der Kultur der Schrift zur Kultur der Bilder übergegangen sind. Im Gegensatz dazu möchte ich den Begriff des Dispositivs ("le dispositif") als gleichzeitige Präsenz beider, der Worte und der Bilder, ins Spiel bringen. "Le dispositif" ist ein von Michel Foucault geprägter Begriff, der in "Les mots et les choses" behauptete, daß "was wir sehen, nie in dem vorhanden ist, was wir sagen". Aus diesem Grund führte Foucault in seinem Werk den Begriff des Dispositivs ein, der es ermöglicht, die gleichzeitige Präsenz dessen,was wir sagen, und dessen,was wir sehen, als spezifische Organisation des Diskursiven und Nichtdiskursiven immer unter Einbeziehung des Subjekts, zu denken.

Dieses spätere Merkmal des Dispositivs, die Einbeziehung des Subjekts, ist vor allem für das Denken des Technologieeinsatzes von Bedeutung. Es wird durch Foucaults Analyse des Gemäldes "Las Meninas" von Diego Velasquez eingeführt: für ihn wird das Gemälde zum Dispositiv, und erweist darauf hin, wie es deutlich den eigenen Betrachter einschließt. Dieser Gedanke wurde von Jean Baudry in seinen Essays über den Film aufgegriffen und weiterentwickelt. Bei Baudry wird der Begriff des Dispositivs auf die Situation angewendet, in der die Filmtechnik eingesetzt wird: in ihrer gleichzeitigen Wirkung auf den Apparat und den Adressaten. Dabei gelangte Baudry zu dem historischen Schluß, daß "die wirklichkeitsnahe Wirkung" des Films nicht davon abhängt, was im Film dargestellt wird. Der Film simuliert nicht die Wirklichkeit, er simuliert das Subjekt. "Tout le dispositif cinématographique´ (also alles, worüber der Film an Mitteln verfügt) wird aktiviert, um diese Simulation hervorzurufen: es handelt sich um die Simulation eines Zustands des Subjekts, einer Position des Subjekts, eines Subjekts, nicht der Wirklichkeit."

"Le dispositif´ betrifft also" – mit anderen Worten – "die Projektion und (…) schließt das Subjekt, an das die Projektion adressiert ist, ein."

Wir könnten bereits schließen, daß sich Baudrys Begriff auf beides bezieht, eine hypothetische Subjektposition und die eigentliche Person, auf (imaginäre) Zuschauer und das (wirkliche) Publikum, oder im Sinne der Ideologiekritik, auf das Subjekt und den einzelnen. Der Begriff des Subjekts ist jedoch in erster Linie der Schlüssel zu Baudrys Vorstellung vom "dispositif" und in zweiter Linie auch der kontroversiellste Punkt an diesem Gedanken, wie er sich in der wichtigsten Interpretation des Baudry-Konzeptes findet, der "Theorie des Apparats". Betrachten wir diese Interpretation näher. Einerseits liegt es an der englischen Übersetzung, die "l´appareil" und "le dispositif" gleichsetzt und mit apparatus wiedergibt, auch wenn Baudry ausdrücklich darauf hinweist, daß "le dispositif" – im Gegensatz zu "l´appareil" – "das Subjekt einschließt".

Andererseits ist das Hauptargument gegen die "Theorie des Apparats", daß sie das Subjekt als Wirkung versteht, als strukturelle Funktion der Ideologie, daß sie daher die aktive Rolle konkreter Individuen, wirklicher Zuschauer, von Menschen aus Fleisch und Blut, nicht anerkennt und damit inadäquat, ja sogar irrelevant ist.

Man kann diese Interpretation daher nicht einfach als falsche Auffassung zurückweisen. Im Gegenteil, die Übersetzung mag zwar falsch sein, aber die Interpretation ist richtig, denn sie betrachtet den Apparat als etwas, das das Subjekt einschließt. Auch der Begriff des Subjekts ist zutreffend, soweit sich Baudrys Essay auf den Kontext der Ideologiekritik Althussers bezog, in der der einzelne "immer schon" in das Subjekt der Ideologie interpoliert ist.

Im Gegensatz dazu postuliert das Argument, Baudrys Begriff des Apparats beziehe sich auf das imaginäre Subjekt und den wirklichen Zuseher, daß der einzelne nicht immer schon das Subjekt (der Ideologie) ist und daß die einzelnen nicht als Subjekte interpoliert sind, sondern in das Subjekt. Kurz gesagt, die ideologische Interpolation ist nicht unbedingt erfolgreich. Dies zeigt Rastko Moènik in seinem Essay "Ideologie und Phantasie": der Akt der Identifizierung ist unmöglich, wenn keine Unterstützung für das idiosynkratische "Wunschdenken" des einzelnen da ist.

Wenn die Ideologiekritik den Einzelnen nicht ausschließt, dann können wir den bereits erwähnten Schluß ziehen. Der Apparat ist eine Situation und eine Umgebung ("metaphorische Beziehungen zwischen Orten und Beziehungen zwischen metaphorischen Orten", topographisch und relational zugleich): er
  1. konstituiert das Subjekt, indem er ihm eine imaginäre Subjektposition zuordnet, einen simulierten Standpunkt, den man einnehmen muß, um die Repräsentationen zu erkennen, und der allen Zuschauern eigen ist;


  2. schließt das Subjekt mit ein, weil immer eine Beziehung zum einzelnen, zur konkreten lebenden Person besteht, der ein bestimmter Platz in der Umgebung eingeräumt wird.
Die heutige Technologie der Bildproduktion nimmt tatsächlich einen festen Platz für den Körper des Zuschauers an, einen Ort, an dem jedes Individuum auf die eine oder andere Weise von den anderen isoliert ist. Im Kino kauft der Zuschauer eine Karte, die ihn zur Benutzung eines bestimmten Sitzes im Saal berechtigt. Das Fernsehen bringt die Menschen auf die Wohnzimmersofas. Cyberanzüge, Datenhandschuhe und Bildschirmhelme sind so gestaltet, daß jeweils eine Person sie benutzen kann, dasselbe gilt für Telefone. Letztlich ist es auch unmöglich, zu Techno-Musik mit einer anderen Person auf Tuchfühlung oder in klassischer Tanzhaltung zu tanzen wie bei einer Polka, einem Walzer oder auch einem Rock´n´Roll. Wahrscheinlich ist das das beste Beispiel: auf Rave-Parties ist die Berührung mit anderen unerträglich.

Kurz und gut, nicht nur MANCHE, sondern ALLE zeitgenössischen Kommunikationstechnologien isolieren den einzelnen dadurch, daß sie ihn an der physischen Erfahrung der körperlichen Nähe anderer Individuen hindern.
DER TOD KOMMT LIVE
Was läßt sich nun zum zweiten Merkmal des zeitgenössischen Gebrauchs der Kommunikationstechnologie sagen, der intensivierten Erfahrung? Es ist offensichtlich – aus der Kunst, der Entwicklung neuer Technologien, dem Fernsehen – daß die Intensivierung der Erfahrung als eines der Hauptziele gilt. In der Kunst gibt es die ehrenvolle Tradition der KörperkünstlerInnen, von Valie Export über Marina Abramovic und Christ Burden bis zur berüchtigsten unter den zeitgenössischen VertreterInnen der "Body Art", Orlan. Virtuelle Realität und Cyberspace sind für die Vervielfachung der angesprochenen Sinnesreize bekannt – Sehen, Tastsinn, Hören, sogar der Geruchssinn wird einbezogen. Was die überwältigendste Medientechnotogie anbelangt, das Fernsehen, so ist uns allen bewußt, daß Reality-Shows und Serien nach wahren Begebenheiten etc. alle darauf abzielen, dasselbe zu erreichen.

Anstatt diverse Besonderheiten aufzuzählen, möchte ich meine Argumentation anhand eines einzigen Beispiels untermauern: die Darstellung des Sterbens in der Fotografie, im Film und im Fernsehen. André Bazin, der große Theoretiker des filmischen Realismus, betrachtete die Fähigkeit, das Sterben abbilden zu können, als den großen Vorteil des Films gegenüber der Fotografie. Die Fotografie kann laut Bazin "den Menschen im Kampf mit dem Tod oder seine Leiche abbilden, nicht jedoch den unzugänglichen Übergang vom Leben zum Tod".

Nehmen wir ein altbekanntes Beispiel aus der Fotografie. Jenes Bild, das Eddie Adams 1968 in Saigon vom vietnamesischen Polizeichef Nguyen Ngoc Loan machte, als dieser einem Zivilisten seine Waffe an den Kopf hielt und abdrückte. Wenn wir das Foto mit dem 16-mm-Film vergleichen, der vom selben Zwischenfall aufgenommen wurde, erkennen wir deutlich den Unterschied. Im Film sehen wir das Ereignis in seiner gesamten Dauer: der Gefangene wird irgendwo auf der Straße aufgegriffen, auf den Platz geführt, der Schütze nimmt die Waffe in die Hand, bedeutet den anderen, daß sie zurücktreten sollen, zielt und schießt, der Gefangene fällt um, und mehr als zehn Sekunden lang sehen wir, wie eine Blutfontäne aus dem Loch im Schädel des Toten schießt.

Bewegte Bilder sind deutlich wirkungsvoller als statische, aber das ist noch nicht alles. Beim heutigen Einsatz des filmischen Apparats, beim "location-based entertainment" (LBE), wird die Darstellung noch wahrheitsgetreuer. Der Ort ("location") ist der Ort der Erzählung: der Zuschauer ist an seinen Sitz gefesselt und über den Sitz an die Maschinerie, die ihm zeigt, was die Filmemacher "subjektive Kameraeinstellung" nennen. Im LBE wird der Zuschauer zu Harrison Ford in "Indiana Jones", und zu Kathleen Turner in "Auf der Jagd nach dem grünen Diamanten". Wir können hier auch einen Vergleich zum IMAX-Kino ziehen, hier bezieht der Apparat den Zuschauer jedoch viel stärker ein. Als Beweis für die Wirksamkeit dieser Form der Unterhaltung bemerkte ein Journalist, alles sei so lebensecht gewesen, daß ihm fast das Herz stehengeblieben wäre. Einer der LBE-Betreiber sagte darauf ungerührt: "Ein Herzanfall ist Ihr Problem." Die Frage ist hier nicht die Darstellungsfähigkeit, sondern das Fehlen der Darstellung. Das Sterben wird nicht durch die Darstellung erfahren, sondern – zumindest potentiell – live erlebt.

Nicht nur die Isolation des einzelnen Konsumenten, auch die Erweiterung der Erfahrung ist ein Merkmal, das auf alte, nicht nur manche der heute eingesetzten Kommunikationstechnologien zutrifft. Eingangs habe ich sie als zwei deutlich voneinander verschiedene Formen des Technikeinsatzes vorgestellt: ENTWEDER als Mittel zur Intensivierung der Erfahrung ODER als Mittel, das den einzelnen an der physischen Erfahrung hindert. Nun muß ich zu dem Schluß kommen, daß diese beiden Formen einander nicht ausschließen, sondern simultane Prozesse sind, Prozesse, in denen der einzelne isoliert wird, um eine Erfahrung zu machen, und in denen eine Form der Nähe, der Erfahrung, durch eine andere ersetzt wird.

Der Begriff des Apparates ermöglicht es uns, diese Simultaneität zu denken, die reale Person muß ihre körperlichen Fähigkeiten einschränken (muß "einen Platz einnehmen", als Individuum isoliert sein), um die imaginäre Subjektposition übertragen zu erhalten, die sie zu dem vom Apparat gelieferten Vergnügen berechtigt. Ist hier aber auch der Umkehrschluß zulässig? Sollten wir die körperliche Erfahrung als eine Art Widerstand gegen den Einsatz der Technik betrachten?

Die Antwort liegt im dritten Beispiel, das ich zur Darstellung des Sterbens bringen möchte – Sterben im Fernsehen. Die Liveübertragung ist das wesentlichste Merkmal des Fernsehens. Es besteht kein Zweifel, daß sogenannte Live-Einspielungen in Fernsehsendungen ebenso vorausgeplant und gesteuert sind wie Material aus der Konserve. Als Eigenschaft des Apparates Fernsehen ist die Liveübertragung jedoch der Mechanismus, der beide Räume, den (Alltags-) Raum des Zuschauers und den (imaginären) Raum des Fernsehens, miteinander verbindet. Sie ist ein Werkzeug, das beide Räume in die selbe Zeit versetzt. Die Liveübertragung kann als solche nicht wiederholt werden – genauso wie man, um es mit Bazin zu sagen, nicht zweimal sterben kann. Wenn also die Liveübertragung die ultimative Leistung des Fernsehen ist, dann wäre die ultimative Leistung für die Maximierung der Erfahrung im Fernsehen die Liveübertragung des Sterbens.

In den Anfangstagen des Fernsehens waren in Slowenien (ich bin nicht darüber informiert, ob es in anderen Regionen ähnliches gegeben hat) Liveübertragungen von Operationen aus dem örtlichen Krankenhaus äußerst beliebt. Die Leute von TV Ljubljana testeten auf diese Weise ihre ersten Farbaufzeichnungsgeräte und Farbfernsehkameras. Einer der Protagonisten dieser Ereignisse erinnerte sich:
"Dann fragte mich Prof Lavriè, der am anderen Patienten operierte, ob der Brustraum gut zu sehen war, ansonsten würde er den Schnitt für die Kamera etwas vergrößern".

Das war 1958. Im August 1967 übertrug JRT für die Eurovision – selbstverständlich live – die Herzoperation, die der damals berühmte Herzchirurg DeBakey in Belgrad durchführte. TV Ljubljana brachte keine Liveübertragung. Anstatt dessen sendete man am folgenden Tag eine gekürzte Fassung der Operation. Das Publikum war wütend, aber die Mediziner lieferten das Argument für das Verbot: Es hätte Probleme geben und der Patient hätte sterben können. Es sei wie im Zirkus, sagten sie, aber "das Eindringen in den menschlichen Körper ist kein Zirkus".

Später setzte sich diese Interpretation auch bei anderen Fernsehsendern durch. Anfang der siebziger Jahre entwarf Peter Weibel für das Österreichische Fernsehen zwei Projekte für Liveübertragungen. Eines sollte wie die "Kurze Pause"-Inserts aus den Kindertagen des Fernsehens ein Aquarium zeigen, nur daß hier das Wasser langsam daraus abfließen und der Fisch ohne Wasser schließlich eingehen sollte. Das andere Projekt sah die Aufnahme eines Terrariums mit Schlangen vor, zu denen Mäuse geworfen werden sollten. Die Schlangen sollten die Mäuse dann vor den Augen der Fernsehzuschauer fressen. Der ORF setzte das erste Projekt um, allerdings nur bis zu dem Moment, zu dem man den Fisch gerade noch retten konnte. Das zweite Projekt wurde im öffentlichen Fernsehen nie realisiert.

Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Im November 1994 jagte die deutsche Polizei zwei flüchtige Strafgefangene, die Geiseln genommen hatten. Die Medien wurden von den Schauplätzen ferngehalten. Der Grund: Angst vor einer Wiederholung des sogenannten "Geiseldramas von Gladbek" vor einigen Jahren; damals wurde eine Geisel vor laufender Fernsehkamera getötet.

Entgegen den Behauptungen, daß es nichts gibt, was das Fernsehen nicht zeigen würde, entgegen den kritischen Stimmen, die eine "Entbrutalisierung" der Medien fordern, gibt es also doch Dinge, die das Fernsehen nicht zeigen würde. Ich will damit nicht sagen, daß das Fernsehen sie zeigen sollte. Ich halte es aber eben aufgrund der Tatsache, daß es diese Grenzen gibt, für sinnvoll, darauf hinzuweisen, daß die zeitgenössischen Medien uns bestimmte Erfahrungen vorenthalten. Diese Erfahrungen gibt es in unseren Gesellschaften und unserem Leben, daher sollten wir sie als Formen des Widerstandes gegen die Veränderung unserer Erfahrung durch die Technologien betrachten – unabhängig davon, wie wir den Begriff "Widerstand" auffassen, welchen Wert wir ihm beimessen – ob positiv oder nicht.

LITERATUR:

Jean-Louis Baudry, Cinéma effets idéologiques produits par l'appareil de base, Cinéthique 7–8 (1970).

Jean-Louis Baudry, Le dispositif: approches métapsychologiques de l'impression de réal, Communications 23 (1975).

Roman Jakobson, Lingvistini in Drum Spisi (Studia humanitatis, 1989).

Rastko Monik, "Ideology and Fantasy," in: The Althusserian Legacy (Verso, 1993).

Peter Weibel, "Intelligent Beings in an Intelligent Universe," in: Ars Electronica 94 (PVS, 1994).

Peter Weibel, "Kontextkunst," in: Kontext-Kunst (DuMont, 1994).


(1)
Erschienen auf der LP 1-900. Strictly Rhythm, produziert von Speropagos. Remix von George Morel. 1995. zurück

(2)
Anm.d.Ü: Englisch "seeing is believing". zurück