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Die paranoide Rationalität des Golfmassakers


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Im "Golfkrieg" wurde Massenmord verübt und im Namen der Verteidigung der Werte einer zivilisierten Gesellschaft legitimiert. Es stellt sich die Frage, wie man sich dafür die Unterstützung der westlichen Kultur sichern konnte. Ich werde erläutern, daß die USA aufrührerisch agierten, primitive Ängste schürten und diese dann durch die symbolische Austreibung böser Dämonen bewältigten. In der Golfepisode hat sich auch eine moderne, hochtechnisierte Version des "Orientalismus" (in Analogie zu Rassismus) herauskristallisiert, die dem arabischen Nationalismus jede politische Basis abspricht, indem sie diesen als primitive Irrationalität, ja sogar als sexuelle Perversion darstellt. So hat man uns in die paranoide Rationalität des Golfmassakers einbezogen.

TECHNOLOGIE ALS IDEOLOGIE
Da es in diesem Symposion um die Ideologien der Technologie geht, möchte ich zunächst darauf eingehen, wie man Technologie begrifflich als Ideologie erfassen kann. In der kapitalistischen Gesellschaft stützt sich die herrschende Ideologie auf die Ware. Der rätselhafte Charakter der Ware wurde von einem verfemten Philosophen des 19. Jahrhunderts entschlüsselt, in dessen Analyse sie zum Fetisch und zur Vergegenständlichung wurde. Durch den Warenaustausch erscheinen die "gesellschaftlichen Charaktere" unserer Arbeit als "gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge", was bedeutet, daß wir so tun, als ob gesellschaftliche Eigenschaften und Macht Attribute wären. Auf diese Weise werden wir von den Instrumenten und Produkten unserer Arbeit beherrscht. Darüber hinaus erscheint auch den "Produzenten" das "gesellschaftliche Verhältnis … zur Gesamtarbeit als das, was es ist: d.h. ein außer ihnen existierendes Verhältnis von Gegenständen" (Marx 1872: 84. Schrägstellung vom Autor eingefügt[im Katalog 95 keine Schrägstellung vorhanden, d.Bearb.]). Deshalb sollte der Ausdruck "Ideologie" unsere gelebte Erfahrung beschreiben, unsere reifizierte Wirklichkeit, und nicht bloß ein Zerrbild dieser Wirklichkeit.

Marcuse hat den Marx'schen Ideologiebegriff auf die technologische Rationatität ausgedehnt. Er griff Max Weber wegen dessen Idealisierung der instrumentellen Rationalität als wertfreie und berechenbare Effizienz an, da eine solche Ideologie eine spezialisierte Verwaltungsform legitimiere, die Natur und Mensch beherrscht, indem sie Beziehungen als quantifizierbare Dinge sieht. Alles reduziert sich auf die Herrschaft über Gegenstände: die Reifizierung der Rationalität. Reifikation als Rationalität (vgl. Marcuse 1965).

Darüber hinaus bietet uns diese formale Rationalität durch die Abstraktion von Eigenheiten außerhalb ihres Kontextes nur reifizierte Objektteile (Marcuse 1964). Die Praxis der Dekontextualisierung durch formale Abstraktion verwandelt Herrschaftssubjekte, insbesondere Menschen, in bloße Mittel zu jedem sich anbietenden Zweck (Feenberg, 1990). Zygmunt Bauman (1989) meinte, der Holocaust sei ein Modellbeispiel für die rationelle, effiziente Behandlung von Menschen als Gegenstände. Eine ganze Gesellschaft distanzierte sich moralisch und psychologisch von den Opfern, deren Ausrottung mit einem gesellschaftlichen Hygieneprogramm gerechtfertigt und durch routinemäßige Arbeitsteilung ausgeführt wurde.

Heute wird die Reifikation durch Computer erleichtert, mit denen wir die Wirklichkeit auf digitale Einheiten reduzieren. Indem wir Computern gesellschaftliche Macht zuschreiben und elektronische "Information" wegen ihrer Genauigkeit und Allwissenheit zum Fetisch erheben, messen wir uns schließlich selbst an den mechanischen und kybernetischen Eigenschaften, die wir den Computern verliehen haben. Der Operator verhält sich wie ein virtueller Cyborg an einer Real-Time-Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine, die militärische Waffensysteme und andere, diesen nachempfundene Einheiten wie zum Beispiel Bildungsprogramme strukturiert (Noble, 1989; Gray, 1989: Gray, unveröfftl.). Tatsächlich entwerfen einige Pioniere der interaktiven Simulation sowohl militärische Programme als auch technologisch ähnliche Unterhaltungsversionen (Roster 1991: 56; Darley 1991: 85).

Durch solche Computersimulationen werden feindliche Bedrohungen – seien sie nun real oder imaginär, menschlich oder maschinell – zu genauen Positionen in einem Koordinatensystem, zu "Zielinformationen", die aus ihrem menschlichen Kontext abstrahiert wurden. Darüber hinaus erleben wir die Welt in einer Allmachtsphantasie der absoluten Herrschaft über die Dinge. Während Nintendo-Spiele solche Phantasien für den Privatgebrauch erzeugen, hat sie der Golfkrieg öffentlich beworben und damit sowohl aufgewertet als auch zum Allgemeingut gemacht. Die Allmachtsphantasie erfordert jedoch gleichzeitig die Eindämmung von Ohnmachts- und Verwundbarkeitsängsten gegenüber unsichtbaren Bedrohungen.

Was bedeuten diese Bilder für die Wahrnehmung unserer Realität? Werden die Techniken zur Erstellung von Computerbildern immer ausgefeilter, so kann ihre Simulationsfähigkeit die objektive Autorität von Bildern im allgemeinen mindern. Wir sollten uns aber weniger mit dem Wahrheitswert solcher Bilder befassen, sondern mit den Machtbeziehungen, die sie vergegenständlichen. Ihre politische Wirkung entfalten sie weniger aufgrund ihres technologischen Ursprungs als durch die gesamtkulturelle Rhetorik (Roster 1991: 61-63). Im Golfkrieg konnten heroische Bilder auf tödliche Weise überzeugend wirken, indem sie eine Reihe von Massakern als heldenhaften Kampf darstellten …
OPFER DER SADDAMIE
Nachdem behauptet wurde, der Irak hätte Kuwait "vergewaltigt", wurde dieses Schlüsselwort zum allgemein akzeptierten Ausdruck. Obwohl Berichte vorlagen, nach denen irakische Soldaten kuwaitische Bürgerinnen tatsächlich vergewaltigt hatten, bezog sich dieser Ausdruck eher symbolisch auf ein Land, das ein schwächeres unterwirft. Mit dieser Metapher ließ sich auch die tägliche Unterwerfung vor der Invasion unter den Tisch kehren: Einige Kuwaitis asiatischer Herkunft waren Sexsklaven ihrer kuwaitischen Arbeitgeber, und vielen Immigranten hatte man grundlegende Bürgerrechte verweigert, ganz zu schweigen von Ansiedelungsrechten (Glavanis 1991; Midnight Notes 1992: 2327). Statt uns mit diesen Langzeitopfern der Ölemirate zu identifizieren, wurden wir ermuntert, uns mit einer einheitlichen Abstraktion namens "das kuwaitische Volk" zu solidarisieren, das kollektiv von Saddam vergewaltigt wurde. Hier suggerieren uns die Nuancen Kuwait als weibliches oder als durch die Vergewaltigung verweiblichtes Opfer (vgl. Stam 1992: 121).

Um welche Art von Vergewaltigung handelte es sich? Wie es ein Journalist so trefflich formulierte, wurde das Irakische Volk das erste Opfer der "Saddamie" – unter Anspielung auf die antiquierte Verwendung des Begriffes "Sodomie" für Homosexualität und Analverkehr – bevor der irakische Staatschef die Kuwaitis "saddamisierte". Die "Vergewaltigung" Kuwaits symbolisierte die drohende Schändung des Westens selbst. Kurz nach dem Angriff der USA äußerte ein britischer Öllieferant seine Ängste vor den Irakern: "Ich möchte nicht von ihnen bombardiert werden und eine Exocet in den Hintern geknallt bekommen" (Guardian. 29. 1., S.3. alle Zeitungsquellen 1991) …

Im Bild der Massenmedien wurde Saddam Hussein zur personifizierten Bedrohung durch Schändung. Ein Autor hat das vom Fernsehen vermittelte Bild der westlichen Geiseln in Bagdad später so beschrieben: "In unserer orientalistischen Vorstellung wird jener Saddam Hussein, der Kindergeiseln im Fernsehen über den Kopf streichelt, sofort zum üblen Päderasten." (Wark 1991: 9). Besonders,wenn sie mit einer imaginären Unterwerfung vor der dritten Welt verbunden ist, wird die unterbewußte Angst des westlichen Mannes vor analer Vergewaltigung auf diese Weise leichter geschürt.

Saddam rief eine universelle Angst vor Verstößen gegen die Moral, ja sogar vor moralischem Chaos hervor. Als hätten seine früheren Akte der Barbarei im Irak nicht genügt, publizierten die Massenmedien eine Geschichte über irakische Soldaten, die kuwaitische Babies aus den Brutkästen warfen – was sich später als frei erfunden herausstellte. Eine Zeitung nannte die irakischen Soldaten "Vampire", die sich buchstäblich am Blut der Zivilisten ergötzten. Es war die Rede von "Greueltaten, die jenseits der Vorstellungskraft einer zivilisierten Gesellschaft" lägen (Daily Star. 2.3., S.2-3).

Derlei Geschichten gaben den Massenmedien die Möglichkeit, das Verhalten des Iraks von den Greueltaten abzuheben, welche jene Länder begangen hatten, die uns vor ihm zu retten versprachen. (Abgesehen vom Genozid und Ökozid in Vietnam verweise ich auch auf deren Komplizenrotte in der langen, brutalen Besetzungspolitik Israels und Indonesiens). Wie in früheren imperialistischen Kriegen boten Vergewaltigungs- und Kindesmordgeschichten "zwei Abbilder des reinen Bösen" um die Öffentlichkeit zu mobilisieren. Der Name Saddams wurde oft falsch ausgesprochen, um Assoziationen mit Satan, Sadismus, Sodom und Verdammnis zu erwecken (Kellner 1992: 66-71).

Beim Heraufbeschwören des neuen Hitler ergänzten derlei irrationale und sadistische Bilder die oberflächlichen Vergleiche mit dem Nationalsozialismus. Saddam wurde zur Bedrohung durch eine "mittelalterliche" Gewaltanwendung, die fast naturgemäß der Irrationalität entsprang …

Das waren die Hauptmerkmale jener kulturellen Rhetorik, die diesen videospielartigen Krieg politisch definierte. Als der westliche Angriff klar die Grenzen der offiziellen Mission der "Befreiung Kuwaits" überschritt, wurden die darauffolgenden Zerstörungen vom Wunsch des Volkes begleitet, die Ursache seiner Urangst zu beseitigen – selbstverständlich nur mit zivilisierten Mitteln.
KASTRATIONSMETAPHERN
Einige Bilder der Massenmedien gaben Aufschluß über seelische Schutzmechanismen gegen sexuelle Ängste. Als die Zeitung The Sun einen "Golfkriegsklub der einsamen Herzen" ins Leben rief, druckte sie Strickanleitungen für Peniswärmer, die die weiblichen Leser "unseren Jungs am Golf" schicken sollten. Eine Firma brachte neue Süßigkeiten unter dem Namen "Saddams Eier" auf den Markt und spendierte den Truppen eine große Lieferung. Eine Lokalzeitung brachte daraufhin ein Photo, das einen britischen Soldaten und einen Fabriksaufseher zeigte, die gerade in diese Süßigkeiten bissen (Newcastle Evening Chronicle, 23.2). Ungefähr zur gleichen Zeit zeigte man Saddam in einer satirischen Montage, die Hände schützend vor seine empfindlichsten Teile haltend, von einem in chirurgischer Manier scherenschwingenden Doktor George Bush verfolgt. Der Bildtext dazu lautete: "Jetzt schneiden wir dem Hurensohn die Eier ab!" (Guardian Weekend Magazin, 23.-24.2., S. 7).

Obwohl diese Bilder einen humoristischen Grundton hatten, drückten sie doch unterschwellige Ängste vor analer Vergewaltigung aus, wobei sie den imaginären "bösen Penis" des Vaters/Täters symbolisch zerstörten. Das Versprechen von George Bush, Saddam "in den Hintern zu treten" beinhaltete einige dieser unterschwelligen Botschaften.

Kastrationsmetaphern tauchten in Verbindung mit technologischer Macht auch im militärischen Sprachgebrauch auf. Britische Journalisten und Politiker sprachen von der Notwendigkeit, die irakischen Streitkräfte zu "verschneiden". Militärstrategen betonten die Wichtigkeit des Gewinnens der "Lufthoheit", statt des strategischen Vorteils in der Luft, da alles andere als die totale Unterwerfung der dritten Welt inakzeptabel war. Generalmajor Julian Thompson sagte "Es ist lebenswichtig, daß die irakische Luftwaffe impotent ist, bevor die Bodenkämpfe beginnen" (Observer. 20.1., S. 11).

In manchen Aussagen wurden stärkere phallische Untertöne laut. Sir David Craig, der Chef des britischen Verteidigungsstabs, warnte vor Saddams "sehr großer mititärischer Ausstattung", und daß es "einige Zeit dauern wird, sie zu demontieren" (Guardian. 23.1., S. 2). Bei der Ankündigung seiner Angriffspläne meinte General Colin Powell: "Wir werden sie [die Iraker] zunächst abschneiden und dann töten." (Guardian, 24.1., S. 1). Als die Videobilder der Präzisionstreffer in eine Techno-Euphorie mündeten, gab es ebenfalls phallische und anale Untertöne. Der amerikanische Oberst Alton Whitley prahlte damit, daß "man sich sein Ziel ganz genau aussuchen kann – die Herren- oder die Damentoilette" (Observer. 20.1. S. 10) …
ELEKTRONISCHER ORIENTALISMUS
Der Golfkrieg erneuerte die rassistische Darstellung des Arabers auf eine Weise, die Edward Said in Orientalism vorausgesehen hat. Standardisierung und kulturelle Stereotypen haben in unserer elektronischen, postmodernen Welt die aus dem 19. Jahrhundert stammende dämonische Vorstellung vom "mysteriösen Orient" verstärkt (Said 1978: 26).

In seinem Buch analysiert er das westliche Konstrukt eines einheitlichen "Orients", der nur vom Westen richtig dargestellt werden kann und dessen Wesen in der Geschichte unverändert bleibt. Bis vor kurzem beschränkten sich die sexuellen Untertöne auf das Bild des aufgeklärten westlichen Mannes, der die zaudernde Jungfrau penetriert, also sozusagen den Araber zur Modernisierung verführt. Ohne eine derartige Erleuchtung bleiben Araber eigentlich nur biologische Einheiten mit einem undifferenzierten Sexualtrieb. Als der arabische Nationalismus aufkam, stellte man revolutionäre Aktivitäten eher als eine Art böse Sexualität, als inkohärenten Sex dar, anstatt sie politisch zu sehen (ibid. 309-313).

Im Golfkrieg reichten diese traditionellen Stereotypen für die Dehumanisierung des Iraks nicht aus, da dieser der weltlichste und technologisch fortschrittlichste Staat der arabischen Weit war und zudem noch über die beste Bildungsstruktur verfügte. Wie wir gesehen haben, wurden die alten sexuellen Anspielungen überarbeitet. Saddam wurde zur einzigartigen Bedrohung durch irrationale Gewalt und einen undifferenzierten, sogar sadistischen Drang. Als Symbol der Sodomie stellte er eine – jetzt gut bewaffnete – perverse Sexualität dar.

Der vorsichtige militärische Vorstoß des Iraks wurde überdies entsprechend dem alten Bild des zurückgebliebenen Arabers als kokette Jungfrau dargestellt. Als sich Saddam entschloß, einer direkten Konfrontation mit den Luftstreitkräften der Allianz aus dem Wege zu gehen, meinten die Medien, er habe einen "Bückling" gemacht und so beinahe die Überwachungssysteme im westlich-rationalen Spielplan getäuscht: "Saddams Armeen haben letzte Woche anscheinend die arabische Kunst der Verschleierung und des Verbergens parodiert … [Saddams] geheimnisvolle Aura versprüht nur billigen Glanz" (Time Magazine, 4.2., S. 12-13).

Diese rassistischen Bilder wurden nach dem Massaker an Zivilisten im Luftschutzbunker von Amariya noch deutlicher. In diesem Fall zeigte uns das Fernsehen ausnahmsweise hunderte von verhüllten Leichen. Die US-Behörden bestanden darauf, daß sie einen genauen Treffer eines "eindeutig identifizierten militärischen Zieles" verzeichnet hatten. Sie warfen Saddam sogar vor, Zivilisten in einen Bunker gebracht zu haben (Kellner 1992: 297-309). Die einzige moralische Legitimierung, die die USA vorbringen konnten, war ihre chirurgische Präzision, obwohl genau diese die Ursache dafür war, daß eine Fernlenkrakete einen Luftschacht treffen konnte und alle Menschen im Bunker verbrannten.

Doch die Reaktion der Vereinigten Staaten hatte ihre eigene Logik: Jeder Versuch, sich nicht vom hochtechnisierten Panoptikum des Westens penetrieren zu lassen, wurde einfach als Bestätigung der Schuld und der Irrationalität des verirrten arabischen Feindes gesehen. Jedes visuelle Verbergen wurde zu einer allgegenwärtigen, unsichtbaren Bedrohung des Unbekannten, die vernichtet werden mußte. Diese paranoide Logik begleitet die Tendenz der USA, die aus der Zeit des Kalten Krieges stammenden Leitprinzipien für ihre Überwachungssysteme und Waffenarsenale fallenzulassen und durch neue zu ersetzen, die die dritte Weltt zum Angriffsziel machten (Klare 1991). Reagans verantwortlicher Beamte für Abrüstung feierte den Golfkrieg als Beweis dafür, daß "SDI-Raketen funktionieren, besonders wenn sie gegen eine Bedrohung aus der dritten Welt eingesetzt werden, die ohnehin wahrscheinlicher ist als ein großräumiger sowjetischer Raketenangriff" (Adelmann 1991). Wieder wird das psychopolitische Bedürfnis nach einem Feind auf hypothetische, fremde Bedrohungen projiziert.
NEUE WELTUNORDNUNG
Die Analogien und Anknüpfungspunkte zum Kalten Krieg sind vielfältiger, als man glaubt. Wie schon zuvor bleibt das wichtigste Ziel des Westens die Herrschaft über die Ressourcen der Welt, wobei sämtliche Bewegungen oder Regierungen destabilisiert werden, die sich nicht beugen wollen. Wie zuvor gehen die USA dabei über bloße Störaktionen hinaus. Die neue Weltordnung verspricht, uns vor Bedrohungen zu schützen, die die USA mitgeschaffen haben.

Der Ex-CIA-Mann Philip Agee verglich in einem unmittelbar nach der Invasion Kuwaits geschriebenen Artikel die Golfkrise mit der Koreakrise 1950. In beiden Fällen gab es Grenzstreitigkeiten, die nur darauf warteten, zu eskalieren. Die Regierung der USA erhöhte zunächst die Wahrscheinlichkeit einer Invasion, indem sie zu erkennen gab, daß sie keine Truppen zur Abwehr der Invasoren entsenden wolle. Später wurde den Vereinigten Staaten relativ rasch das Mandat erteilt, genau das Gegenteil zu tun, und sie benutzten diese Erlaubnis, um eine Invasion des ursprünglichen Invasoren durchzuführen. Präsident Truman rechtfertigte Korea mit den folgenden Worten: "Unser Heim, unsere Nation, altes, an das wir glauben ist in großer Gefahr". Analog dazu erklärte George Bush, daß er im Golf unseren "Lebensstil" verteidige (Agee 1991: 24) …

Die USA schüren Unruhe, um ihre globalen Interventionen und fortlaufenden Verteidigungsausgaben zu rechtfertigen. Im Gegensatz zur Ära des Kalten Krieges kann nun sogar ein ehemaliger Verbündeter wie Saddam oder Noriega plötzlich als größte Bedrohung der westlichen Zivilisation verteufelt werden, und der Westen muß mit neuen Kreuzzügen reagieren …
HOCHTECHNISIERTE BARBAREI
In der Vergangenheit konnte man Bedrohungsängste auf das "Rote Reich" konzentrieren, doch mittlerweile hat sich die erlebte Bedrohung aufgrund einer panoptischen Paranoia erweitert. Als der sowjetkommunistische Teufel Ende der achtziger Jahre verschwand, rechtfertigte das amerikanische Heer den Kauf seiner neuesten Spielsachen durch die Behauptung, uns vor Unsicherheit zu bewahren. Aber bloße Unsicherheit erscheint als nur schwacher Ersatz für die allgegenwärtige Bedrohung durch die kommunistische Internationale. Jedes Land kann jedoch mittels Videobildern und großräumiger Überwachungstechnologie zu einem simulierten Feind gemacht werden, der digital auf eine "Umgebung, die reich an Zielen ist" reduziert wird (Robins & Levidow 1991). Auf diese Weise machen wir Menschen zu Dingen. Deren hygienische Vernichtung ermöglicht es, daß wir uns von den menschlichen Konsequenzen moralisch distanzieren können.

Durch den Vergleich Saddams mit Hitler leugnet unsere Gesellschaft die echten Wurzeln des Nazismus, die vor allem in der faustischen Technikverehrung des Westens zu suchen sind. Statt dessen projizieren wir das rassistische, mörderische Erbe Europas auf die Dritte Welt (Stam 1992: 119). Wir erweitern die bürokratisch-technologische Rationalität, die die Nazimorde kennzeichnete, indem wir vorgeben, die Zivilisation vor neuen Hitlers zu bewahren.

Ebenso wie in früheren Massakern versuchen wir, uns psychologisch von den Opfern zu distanzieren. Die sexuellen Metaphern als Ausdruck primitiver Ängste lassen jedoch hinter den Schein blicken. Durch symbolische Kastration des analen Vergewaltigers waren wir in der Lage, die Furcht vor Unterwerfung durch eine perverse Sexualität und sogar vor einem seelischen Chaos zu bewältigen. Wir konnten unsere verleugneten destruktiven Züge auf reifizierte Feinde projizieren.

Obwohl diese paranoiden Phantasien allein keine Erklärung für Kriege darstellen, zeigt doch ihre Mobilisierung, wie bereitwillig wir auf kindliche Entwicklungsstufen zurückfallen, den Wunsch nach einem Retter verspüren und unsere Aggression als Selbstverteidigung sehen. Als Zuschauer können wir an der hochtechnisierten Barbarei teilhaben, als ob es sich dabei um einen ehrenvollen Kampf handelte. Wir können uns sogar vorstellen, daß wir selbst mit klinisch sauberen Händen die Raketen steuern. Wenn wir hier nicht zu Komplizen werden wollen, müssen wir uns jener paranoiden Realität stellen, die unsere Ängste hervorruft und eindämmt.

Im Golfkrieg strukturierte die Paranoia die instrumentelle Rationalität der Militäraktionen. Rassistische, reifizierende Sprache entlarvte das Ziel der Errettung vor der Barbarei als Lüge. Obwohl die Befürwortung des Krieges Wünsche nach sozialer Kollektivität ausdrückte, blieb sie doch psychopathologisch, da sie unserer eigenen mörderischen Aggression eine engelhafte Qualität verlieh. Deshalb ist es ein Fehlschluß, zu glauben, daß die öffentliche Befürwortung den "Wunsch nach gemeinschaftlicher Solidarität mit anderen Völkern" ausdrückte (Stam 1992: 122). Diese moralische Qualifizierung trifft eher auf die Antikriegsbewegung zu.

Die Befürworter des Krieges wollten häufig keine Informationen über die Opfer der USA zur Kenntnis nehmen. Es geht hier nicht so sehr darum, daß Menschen der offiziellen "Wahrheit" der Propagandabilder Glauben schenken, sondern daß sie der Unsicherheit entfliehen wollen. Die Gefahr besteht, daß "die Menschen sich für die Phantasie und die imaginäre Identifikation mit der Macht entscheiden, um einer bedrohenden oder verwirrenden gesellschaftlichen Wirklichkeit zu entfliehen" (Roster 1991: 63). Solche Phantasien erscheinen jetzt besonders attraktiv, da man uns sagt, der Westen habe den Kalten Krieg gewonnen, und wir uns fragen, welche Vorteile sich für uns eigentlich daraus ergeben. Wir befürchten, daß wir in der neuen Weltunordnung viel zu verlieren haben.
JENSEITS DER PARANOIDEN RATIONALITÄT
Das Golfmassaker illustriert die Rolle hochtechnisierter Systeme in der Massenpsychopathologie. Eine paranoide Rationalität, die im maschinengleichen Ich ihren Ausdruck findet, verbindet Allmachtsphantasien der Selbstbeherrschung mit Ängsten und Aggressionen, die sich gegen die emotionalen und körperlichen Beschränkungen der gewöhnlichen Sterblichkeit richten (Levidow & Robins 1989: 172). Dieser Vorgang erweitert eine warenartige Reifizierung über die Grenzen des Marktes hinaus bis in unser Selbstverständnis. Eine solche Dynamik entlarvt die Naivität der Hoffnungen derer, die elektronische Information als demokratisches Instrument, als sozialen Ersatz oder sogar als Widerstand gegen die Güterform idealisiert haben (siehe Computergurus zitiert v. Druckrey 1991: 22-23).

Elektronische Information stellt in ihrer Eigenschaft als materielle Ideologie vielmehr eine paranoische Umgebung dar. Sie strukturiert objektartige Beziehungen zwischen Menschen und gesellschaftliche Beziehungen zwischen Dingen. Wenn wir einer solchen Reifizierung unserer kollektiven Gesellschaftsarbeit widerstehen wollen, müssen wir die Technologie irgendwie de-reifizieren, um ihr Potential für gesellschaftliche Vermittlerprozesse einzusetzen. Dabei müssen wir einen spielerischen Umgang mit unseren Urängsten erlernen, die jetzt von technologischen Systemen manipuliert werden. Anderenfalls bleiben wir emotionale Krüppel und Mittäter: Gefangene einer paranoiden Rationalität.

DANKSAGUNGEN

Mein Dank geht an die folgenden Personen: Kevin Robins für die interessanten Diskussionen, die zu unseren gemeinsamen Artikeln und später zum hier vorliegenden geführt haben; Maureen McNeil für ihre redaktionellen Kommentare zu einer früheren Version dieses Essays; John Broughton für seine Kommentare zu dieser Version; dem Personal des Dia Centre für die Gelegenheit, bei der Konferenz über "Ideologien und Technologien" meinen Vortrag am 22. April 1992 zu halten. Bei der Überarbeitung des Vortrages zu Veröffentlichungszwecken habe ich gerne die themenverwandten Argumente von John Broughton (1991, 1993) und Robert Stam (1992) miteinbezogen.

(Extract from: 6. Bender & T. Druckrey: Ideologies of Technology, Seattle 1994)


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