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Gibt es einen Ort im Cyberspace?


'John Perry Barlow John Perry Barlow

Es gibt keinen Ort dort.

Gertrude Stein (Zum Thema Oakland)

Dort drin geht's nicht zu wie bei 'ner Scheunendachgleiche in 'nem Amish-Dorf...

Bruce Sterling (Zum Thema Cyberspace)
Ich werde oft gefragt,wie es denn passiert ist, daß ich vom Viehtrieb auf einer entfernten Ranch in Wyoming zu meiner gegenwärtigen Beschäftigung (eines "Cyberspace-Kadetten", wie es das Wall Street Journal unlängst formulierte) gekommen bin. Eine kurze Antwort habe ich nicht parat, doch nehme ich an, daß ich in die virtuelle Welt gezogen bin auf der Suche nach menschlicher Gemeinschaft.

Anders als die meisten modernen Amerikaner,wuchs ich an einem wirklichen Ort auf, in einer gänzlich unbeabsichtigten menschlichen Gemeinschaft, einer Gemeinde namens Pinedale in Wyoming. Während ich mich fast eine Generation lang abmühte, unsere Ranch im Besitz der Familie zu erhalten, wurde ich bei dieser Tätigkeit durch den Glauben motiviert, daß solche Stätten die geistige Heimat der Menschheit bilden. Aber ich wußte, daß ihre Zukunft nicht sehr vielversprechend aussah.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verdienten noch 40 Prozent der arbeitenden Bevölkerung Amerikas ihren Lebensunterhalt auf dem Lande. Die meisten von uns lebten in Städten wie Pinedale. Heute beziehen weniger als ein Prozent ihren Lebensunterhalt aus der Landarbeit. Wir wurden einfach zu produktiv, als daß uns selbst zum Besten gereichte.

Natürlich zog die Bevölkerung den Arbeitsplätzen hinterher. Ackerbau und Viehzucht werden heute in Gemeinden betrieben, die prozentuell einen demographisch verschwindenden Anteil der Amerikaner beherbergen, von denen die meisten längst nicht mehr in Ranch-Häusern, sondern in mehr oder minder identischen zweistöckigen "Ranch-Wohnungen", in mehr oder weniger gleichartigen vorstädtischen "Gemeinden" wohnen. Man könnte sie Generica nennen, ein Amerika der Gesichtslosigkeit.

Meiner Ansicht nach handelt es sich dabei weder um Gemeinden noch um Wohnungen. Ich glaube, daß die Verbindung aus Fernsehen und vorstädtischen Besiedlungsmustern schlichtweg Gift für die Seele darstellt. Ich sehe vieles im gegenwärtigen Amerika, was dieser Ansicht Nachdruck verleiht.

Unterdessen schlug daheim auf der Ranch das Schicksal zu. Und während ich beobachtete, wie die Gemeinde in Pinedale an den gleichen wirtschaftlichen Problemen erkrankte, die die Ranch meiner Familie, die Bar-Cross-Ranch, in den Untergang trieb, schleppten Satellitenantennen die kulturelle Infektion des Fernsehens ein. Ich begann, mich nach Anzeichen dafür umzusehen, daß die Gemeinden in Amerika nicht gänzlich von der Bildfläche verschwinden würden.

Da sah ich einen Hoffnungsschimmer aufglimmen, in Gestalt der geheimnisvollen nomadischen Stadt der Deadheads, jener nahezu physischen Stadt, die den Grateful Dead durch das ganze Land hinterherreist. Die Deadheads besaßen keinen eigenen Ort, da sie sich nur jeweils kurzfristig in der betreffenden Ortschaft niederließen, in der die Band zufällig gerade spielte, und es ermangelte ihnen auch an einer Kontinuität in der Zeit, da sie jedesmal von neuem in die Diaspora entlassen wurden, wenn die Band in die nächste Stadt weiterzog oder den Heimathafen ansteuerte.

Aber sie hatten viele der anderen notwendigen Elemente einer Gemeinde, darunter eine gemeinsame Kultur, eine Art von Religion (welche, obschon ohne Dogma, doch die meisten anderen, eher seelsorgerischen Aspekte geistlicher Praxis wahrnahm), einen Begriff der eigenen Notwendigkeit und vor allen Dingen, ein Selbstverständnis als Schicksalsgemeinschaft.

1987 hörte ich von einem Ort, wo sie regelmäßig zusammenkamen und wo ich mich unter ihnen bewegen könnte, ohne das Beobachtungsfeld allzusehr zu verzerren. Was noch besser war, ich brauchte dazu Wyoming gar nicht erst zu verlassen. Es handelte sich dabei um einen gemeinsamen Computer in Sausalito, Kalifornien, genannt Whole Earth 'Lectronic Link oder WELL. Nachdem ich mich reichlich mit Modems, seriellen Kabeln, Initialisierungsbefehlen und anderen Computer-Geheimnissen herumgeplagt hatte, die im Hinblick auf Vorstellungen wie die Deadheads oder kleine Städte vollkommen phasenverschoben wirkten, kam schließlich der Tag, an dem ich das glimmernde gelbe Wort anstarrte, jenseits dessen meine Zukunft liegen sollte – "Login":
"Innerhalb" des WELL befanden sich die Deadheads im Schoße ihrer Gemeinschaft. Es gab dort tausende von ihnen, die miteinander tratschten, sich beschwerten (meistenteils über die Grateful Dead), einander Trost spendeten oder auf den Nerven herumtrampelten, Tauschgeschäfte tätigten, Religion betrieben (oder zumindest ihre totemistischen Set-Listen austauschten), Liebesaffären anfingen oder beendeten, und gegenseitig für ihre kranken Kinder beteten. Es gab da, so schien es mir, nahezu alles, was man an Vorkommnissen in einer kleinen Stadt erwarten konnte, ausgenommen, daß man auf der Hauptstraße Autorennen fuhr oder sich in den dunklen Seitenstraßen zum Liebesgeplänkel einfand.

Ich war hingerissen. Ich hatte das Gefühl, daß ich den neuen Ort menschlicher Gemeinschaft gefunden hatte … unbeschadet der Tatsache, daß das Ganze in bloßen Worten ablief, innerhalb von Gehirnen, denen die Körper wegamputiert worden waren: daß all diese Leute taub, stumm und blind wie Pantoffeltierchen waren, und daß ihre Stadt weder Jahreszeiten noch Sonnenuntergänge noch irgendwelche Gerüche kannte.

Einstweilen waren jedenfalls die öffentlichen Versammlungsorte wiederentdeckt worden – oder doch etwas in der Art. Nun hatten auch die Leute in den Vorstädten wieder einen Ort, wo sie rein zufällig auf ihre Freunde treffen konnten, genau wie meine Mitbürger in Pinedale es im Postamt oder im Wrangler-Café taten. Sie hatten ein Plätzchen, wo ihr Herz verweilen konnte, während die Firmen, für die sie arbeitete, sie physisch durch ganz Amerika wirbelten. Sie konnten Wurzeln schlagen, die nicht durch die Kräfte der wirtschaftlichen Entwicklung ausgerissen werden konnten. Sie hatten ein kollektives Anliegen, und sie hatten eine Gemeinde.

Mittlerweile ist es sieben Jahre her, daß ich WELL entdeckte. In dieser Zeit habe ich eine Organisation mitbegründet, die Electronic Frontier Foundation, deren Ziel es ist, ihre eigenen Interessen und diejenigen anderer, ähnlichgelagerter virtueller Gemeinschaften vor dem physischen Zugriff durch Regierungsorgane zu schützen. Ich habe unzählige Stunden damit zugebracht, die Mitglieder der Organisation anzuschreiben, und ich habe zugesehen, wie der größere Zusammenhang, in den sie eingebettet ist, das Internet, mit einer solch explosiven Geschwindigkeit gewachsen ist, daß bis zum Jahre 2004 jeder Mensch auf dem Planeten eine email Adresse haben würde, wenn die Wachstumskurve nicht vorher abflacht. (Doch das wird sie.)

Meine Begeisterung für virtuelle Gemeinschaft hat sich abgekühlt. Tatsache ist, daß ich, wenn ich einmal absehe von der Interaktion mit der eher zu großen Gesellschaft jener, mit denen ich elektronische Post austausche, überhaupt nicht viel Zeit darauf verwende, mich mit der Virtualität zu beschäftigen. Viele der näherfristigen Vorteile, die ich mir dabei vorgestellt hatte, scheinen weiterhin soweit in der Zukunft zu liegen wie damals, als ich mich zum ersten Mal einloggte. Das wird vielleicht für immer so bleiben.

WELL hat sich erstaunlich wenig geändert, was man im allgemeinen in einer Kleinstadt als einen Vorzug betrachten würde. Pinedale hat sich auch nicht allzusehr geändert. Und die Mehrheit in beiden Orten scheint sich dem ländlichen Wahlspruch verschrieben zu haben: "Auch wenn's kaputt ist, repariert wird's nicht." (Nach meiner Erfahrung kann sich Pinedale, was hartnäckigen Konservatismus betrifft, nur noch mit Bolinas in Katifornien messen.)

Aber Pinedale funktioniert mehr oder weniger, wie es ist, und es gibt noch eine Menge, was in den Gemeinden des Cyberspace fehlt, ob es nun Einrichtungen seien wie WELL, die zänkischen Nachrichtengruppen des USENET, die schweigenden "Auditorien" von American Online, oder selbst die Enklaven des vielversprechenden World Wide Web.

Was fehlt? Nun, um Ranjit Makkuni von Xerox PARC zu zitieren, "Prana" fehlt – wobei Prana der Hindu-Ausdruck sowohl für "Atem" als auch für "Geist" ist. Ich glaube, daß er recht damit hat, und daß vielleicht die zentrale Frage des virtuellen Zeitalters die ist, ob Prana irgendwie dazu gebracht werden kann (oder nicht), durch jedwedes Medium hindurchzugleiten ohne den eigentlichen Akt des Schon-Dort-Seins.

Prana ist nach meiner Vorstellung das buchstäblich lebenswichtige Element in der heiligen und ungesehenen Ökologie der Beziehungen, das dichte Netzwerk des unsichtbaren Lebens, auf dessen Oberfläche das auf Kohlenstoff basierende Leben dahintreibt wie eine dünne Schaumschicht. Es ist das Herzstück des fundamentalen und profunden Unterschieds zwischen Information und Erfahrung. Es war Jaron Lanier, der gesagt hat, "Information ist entfremdete Erfahrung", und wenn das stimmt, dann ist Prana ein Teil dessen, was herausgenommen wird, wenn man solche leicht übertragbaren Abbilder der Erfahrung erschafft wie, sagen wir einmal, die Abendnachrichten.

Offensichtlich fehlen ebenso vollständig eine ganze Reihe anderer, weniger spiritueller Dinge, wie Körpersprache, Sex, Tod, Stimmklang, Kleidung, Schönheit (oder ihr Gegenteil), Wetter, Gewalt, Pflanzenwuchs, wilde Tiere, Haustiere, Architektur, Musik, Gerüche, Sonnenlicht oder gar der gute alte Vollmond zur Erntezeit im September. Kurzm es fehlt der Großteil jener Dinge, die mein Leben für mich real sein lassen.

Anwesend, aber in sehr viel geringerem Maße als in der physischen Welt, die ich den "Meatspace" ("fleischlichen Raum") nenne, sind Frauen, Kinder, alte Leute, arme Leute, und die wirklich Blinden. Ebenfalls zum Großteil abwesend sind Analphabeten und der afrikanische Kontinent. Es gibt nicht viel menschliche Diversität im Cyberspace, der nun einmal zumeist aus weißen Männern unter 50 mit reichlich Zeit für ihren Computer-Terminal besteht, mit großartigen Fähigkeiten im Tippen, guten Abschlußtestergebnissen in Mathematik, nachdrücklich vertretenen Meinungen zu allem Möglichen und eine geradezu schmerzhafte Schüchternheit im persönlichen Umgang, besonders mit dem andern Geschlecht.
Aber Diversität ist so unabdingbar für gesunde menschliche Gemeinschaften wie für gesunde Ökosysteme (die sich, meiner Ansicht nach, von menschlichen Gemeinschaften nur in Nebensächlichkeiten unterscheiden).

Ich glaube fest, daß der Hauptgrund für den Mißerfolg der zielgerichtet entstandenen menschlichen Gemeinschaften der 60er und 70er Jahre in einem Mangel an Diversität unter ihren Mitgliedern begründet lag. Es war selten, daß man in einer Kommune alte Menschen antraf, oder Menschen, die grundsätzlich andere weltanschauliche Ansichten vertraten als die Mehrheit.

Das ist in der Tat das übliche Problem, wenn wir versuchen, etwas aufzubauen, was eigentlich nur organisch wachsen kann. Natürliche Systeme, wie z.B. menschliche Gemeinschaften, sind einfach zu komplex, um sie nach technischen Prinzipien aufzubauen, die wir hartnäckig immer wieder an sie anlegen. Wie Doktor Frankenstein bemerkt die westliche Zivilisation jetzt, daß ihre rationalen Fähigkeiten zur Bewältigung der Aufgabe, Leben erstehen zu lassen und es zu steuern, nicht ausreichen. Wir täten besser daran, zu einer Art ackerbauerlichen Geisteshaltung zurückzukehren, in der wir demütig versuchen, diejenigen Bedingungen wiedererstehen zu lassen, aus denen zuvor schon einmal das Leben entsprang. Und den Rest Gott zu überlassen.

Angesichts dessen, daß er bislang nahezu ausschließlich von Leuten mit Ingenieursdiplomen aufgebaut wurde, ist es nicht allzu überraschend, daß der Cyberspace jene überdesignte Qualität besitzt, welche alle möglichen Elemente ausschließt, die die Natur unbemerkt von selbst bereitgestellt hätte.

Was ebenfalls beim Cyberspace wie bei den Kommunen der 60er Jahre fehlt, sind zwei Elemente, die ich für sehr wichtig halte, wenn nicht sogar für grundlegend für den Aufbau und die Erhaltung einer wirklichen Gemeinschaft. Es sind dies das Fehlen von Alternativen und das Gefühl eines echten Mangels, der von allen gleichermaßen geteilt wird. Wie sieht es damit aus?

Es ist schwierig, das Argument zu vertreten, daß der Verlust eines Modems für irgend jemand buchstäblich schwer zu überleben wäre, wohingegen viele Menschen in kleinen Städten ausgeharrt, deren verschiedene Arten von Intoleranz erduldet und sich Unterhaltungen geschaffen haben, um ihr kulturell ausgedörrtes Leben zu beleben, einfach deshalb, weil es keine andere Wahl für sie gab, als an Ort und Steile zu bleiben. Es gibt manches an geistigen und materiellen Aufwendungen, und auch an Zeit, das man in einen Heimatort investiert, den man nicht verlassen kann. Menschliche Gemeinschaften sind häufig die Nutznießer solcher einigermaßen unfreiwilligen Investitionen.

Hingegen, wenn es hart auf hart geht im Cyberspace, ist es sogar noch leichter, von dort wegzuziehen als aus den Vororten, wo – wenn man bedenkt, daß der Durchschnittsamerikaner in seinem Leben etwa siebzehn Mal umzieht – das Wegziehen ziemlich einfach sein muß. Man kann sich nicht bloß eine andere BBS-Mailbox oder eine andere Newsgruppe suchen, mit der man seine Zeit verbringt, man kann auch, mit nur sehr wenig Mühe, seine eigenen Systeme aufziehen.

Und dann gibt es da das Band des gemeinsamen Leidens. Ich glaube, daß Gemeinschaft meistenteils eine kulturelle Wehrburg ist, die gegen einen gemeinsamen Feind errichtet wurde, der mancherlei Gestalt annehmen kann. In Pinedale ertrugen wir gemeinsam, mit einem Verständnis, das kaum der Erklärung bedurfte, die Tatsache, daß das obere Green River-Tal, gemessen an seiner jährlichen Durchschnittstemperatur, der kälteste Fleck in den unteren 48 Staaten ist. Wir wußten, daß jemand, der am Straßenrand steckenblieb, in den meisten Winternächten dort wahrscheinlich erfrieren würde, sodaß der Umstand, daß wir den Betreffenden möglicherweise nicht ausstehen konnten, keinen ausreichenden Grund darstellte, um einfach an seinem defekten Pritschenwagen vorbeizufahren.

In ähnlicher Weise haben die Deadheads mit der Drogenbehörde zu rechnen, die danach strebt, ihnen für das Austeilen des ziemlich harmlosen Sakraments ihres Glaubens Haftstrafen von 20 Jahren ohne Bewährung aufzubrummen. Sie haben ein zusätzliches einigendes Band in der Tatsache, daß, wenn ihre Kleinbusse am Straßenrand dahinsterben, was häufig der Fall ist, wahrscheinlich niemand außer einem anderen Deadhead anhalten wird, um ihnen zu helfen.

Doch was sind die gemeinsam ausgestandenen Widrigkeiten des Cyberspace? Miese Schnittstellen zwischen den Usern? Die bösen Nachrichten mit den wüsten Beschimpfungen? Blöde Witze? Das alles kann man doch sicher auch ohne den Schutz seiner Mit-Leidenden überstehen.
Es steht einem schließlich jederzeit frei, den Stecker zu ziehen, so wie ich es meistens getan habe. Für mich bietet die physische Welt weit mehr Möglichkeiten für Prana-versehene Verbindungen mit meinen Mit-Lebewesen. Selbst dafür, daß ich jemand bin, dessen Körper ständig in Bewegung ist, habe ich das Gefühl, daß ich im allgemeinen mehr Gemeinschaft unter den Noch-Körperverhafteten finden kann.

Und zu guter Letzt gibt es da dann noch diesen Schüchternheits-Faktor. Nicht genug, daß wir versuchen, hier eine Gemeinschaft aufzubauen unter Leuten., die (nach meinem Verständnis des Begriffs) nie eine solche erlebt haben, wir versuchen, eine Gemeinschaft zwischen Menschen zu errichten, die selten das Wort "wir" in einer von Herzen kommenden Weise benutzen. Es ist ein riesiger Club, dessen Mitglieder häufig, wie Groucho Marx einmal gesagt hat, keinem Club beitreten würden, der sie als Mitglieder aufnimmt.
Und doch …

Wie rasch doch die physische Gemeinschaft sich immer weiter zersetzt. Selbst Pinedale, das wirtschaftlich die Seuche der Ranchuntergänge überlebt zu haben scheint, erweckt das Gefühl, als sei es zusehends von sich selbst abgeschnitten. Viele der Ranches gehören jetzt Eigentümern vom Typus Spitzenmanager, die mit ihren Gulfstreams zum Fischen einfliegen, aber selten über die vielen Monate, wenn die Flüsse und Bäche einfrieren und man Nachbarn bitter nötig hat, hierbleiben. Die Firmen haben also die Ranches finanziezt, am Leben erhalten, aber sie halten auch ihre Manager aktiv davon ab, gerade jene gegenseitige Abhängigkeit zu pflegen, die meine Kollegen und ich benötigen. Sie lassen die Landwirtschaft an der Infusionsflasche hängen, sodaß sie zwar am Leben bleibt, aber ohne funktionstüchtiges Herz.
Und die Stadt selbst ist überlaufen von den Vorstadtbewohnern, die hierher fliehen, und alle ihre Schrecknisse und ihr Mißtrauen mit sich bringen. Sie verbringen ihre Abende wie schon in Orange County mit Fernsehen, oder kommen in hermetischen kleinen Enklaven fundamentatistischer Christlichkeit zusammen, die sie scheinbar von uns und – in Anbetracht ihrer sektiererischen Feindseligkeiten – auch voneinander trennt. Die Stadt bleibt bestehen. Die Gemeinschaft ist großteils ein nostalgisches Gespenst.

Also: wo sonst sollen wir hinschauen auf der Suche nach der Verbindung, die nötig ist, um zu verhindern, daß wir weiter in jenen Zustand der Absonderung stürzen, den Nietzsche als Sünde bezeichnete? Was kann es anderes geben, als weiter in jenes Gewirr der Information hineinzutauchen, das in Form des Rundfunks so viel dazu beigetragen hat, uns auseinanderzureißen?
Der Cyberspace, trotz all seiner gegenwärtigen Mängel und unerfüllten Versprechen, bietet bereits einen nicht geringen Trost.

Vor einigen Monaten fiel die große Liebe meines Lebens, eine lebhafte junge Frau, mit der ich den Rest meiner Tage zu verbringen beabsichtigte, einer nicht diagnostizierten virusbedingten Herzmuskelschwäche zum Opfer -zwei Tage vor ihrem dreißigsten Geburstag. Ich hatte das Gefühl, als sei mein eigenes Herz ebenso zerrissen worden wie das ihre.

Wir hatten in New York City zusammengelebt. Von meinen Töchtern abgesehen, hatte niemand in Pinedale sie jemals kennengelernt. Ich brauchte eine Gemeinschaft, die ich um mich scharen konnte zum Schutz gegen diesen Wind, der mich scheinbar kälter anblies, als alles, was das Schicksal jemals auf mich losgelassen hatte. Und ohne danach zu suchen, entdeckte ich, daß ich bereits eine solche Schutzgemeinschaft besaß – in Gestalt der virtuellen Welt.

Im WELL erschien die Nachricht über ihren Tod in der Tagungsliste einer der Konferenzen, an die ich die Grabrede geschickt hatte, die ich an ihrer Seite verlesen hatte, bevor ich sie in ihrer eigenen kleinen Stadt, Nanaimo in British Columbia, begraben hatte. Das schien einen Saite zu berühren unter diesen körperlosen Lebewesen des Netzwerks. Die Leute kopierten die Grabrede und schickten sie einander zu. Im Verlauf der nächsten paar Monate erhielt ich nahezu ein Megabyte an elektronischer Post von überall her auf dem Planeten, meistens von Leuten, deren Gesichter ich nie gesehen habe und wahrscheinlich nie sehen werde.

Sie erzählten mir von ihren eigenen Tragödien und was sie getan hatten, um darüber hinwegzukommen. Wie es Menschen getan haben, seit Worte erstmals geäußert wurden, nahmen wir Teil an der zweithäufigsten menschlichen Erfahrung, dem Tod, mit einer offenen Herzlichkeit, die schweres Unbehagen ausgelöst hätte im physischen Amerika, wo das Thema so sehr verleugnet wird, als wäre es obszön. Jene Fremden, die keine Arme hatten, die sie um meine Schultern legen konnten, keine Augen, die mit meinen weinen konnten, halfen mir gleichwohl, das Ganze zu überstehen. Wie Nachbarn eben.

Ich habe keine Ahnung,wie weit wir in diesen merkwürdigen Ort hineinversinken werden. Anders als bei früherem Neuland gibt es hier keine Grenze. Es ist auf so mannigfaltige Weise unbefriedigend, daß ich den Verdacht hege, daß wir hier noch ruheloser nach einer Heimstatt suchen werden als bei all unseren früheren Erkundungen. Und das ist auch ein Grund, warum ich denke, daß wir schließlich doch eine finden könnten.
Aber wenn man dort zu Hause ist, wo das Herz zu Hause ist, dann kann man bereits einen Teil dieser Heimat im Cyberspace finden.

Also: funktioniert die virtuelle Gemeinschaft, oder nicht? Sollten wir alle abwandern in den Cyberspace oder ihm widerstehen – als einer noch dämonischeren Form von symbolorientierter Abstraktion? Ersetzt er das Wirkliche oder gibt es dort, in ihm, die Wirklichkeit selbst?

Es tut mir leid. Wie so viele wahre Dinge läßt sich auch dieses nicht in Schwarz oder Weiß sehen. Es ist auch nicht Grau in Grau, sondern, wie das übrige Leben, Schwarz UND Weiß. Beides UND keines. Ich suche hier nicht nach Ausflüchten, verharre nicht absichtlich in Wischiwaschi-Aussagen. Wir müssen einfach über unsere manichäische Einstellung hinwegkommen, daß alles entweder gut oder böse sein muß, und die Grenze zum Cyberspace scheint mir ein guter Ort zu sein, um diesen alten Satz von Filtern zurückzulassen.
Aber es ist wirklich alles nicht so wichtig. Wir gehen dorthin, ob wir wollen oder nicht. In fünf Jahren wird ein jeder, der diese Worte liest, eine e-mail Adresse besitzen … es sei denn, man ist ein so entschlossener Maschinenstürmer, daß man auch das Telefon und elektrischen Strom meidet.

Wenn wir erst einmal alle zusammen im Cyberspace sind, dann werden wir sehen, was der menschliche Geist und das elementare Verlangen nach Verbindung dort erschaffen können. Ich bin überzeugt, die Resultate werden menschenfreundlicher sein, wenn wir mit offenen Sinnen dorthin gehen, mit offenem Herzen, aufgeregt über das neue Abenteuer, anstatt uns wie ins Exil dorthin schleppen zu lassen.
Und wir müssen uns daran erinnern, daß bei der Reise in den Cyberspace, anders als bei früheren großen Wanderungen in neue Grenzbereiche, kaum von uns verlangt wird, den Ort zu verlassen, an dem wir uns befinden. Viele werden finden, wie ich es getan habe, daß sie die physische Realität sehr viel reichhaltiger zu schätzen lernen, nachdem sie etliches an Zeit in der Virtualität verbracht haben.

Trotz seiner gegenwärtigen (und vielleicht, auf manchen Gebieten, permanenten) Unzulänglichkeiten, sollten wir den Cyberspace voller Hoffnung betreten. Wobei grundlose Hoffnung, ähnlich wie bedingungslose Liebe, die einzige Art von Hoffnung sein mag, auf die es hier letztlich ankommen dürfte.