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Schlaffe Maschinenstürmer


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In der gesamten ersten Welt gibt es nichts, was für den Null-Arbeit-Nihilismus emblematischer wäre als das Bild des Widerstands der frühen Maschinenstürmer, der Ludditen. Die lustvolle Zerstörung der Maschinen am Arbeitsplatz: gibt es irgend jemand, der sich nicht an solchen Phantasievorstellungen gelabt hätte? Wer hätte sich nicht schon einmal vorgestellt, die Festplatte an seinem Arbeitsplatz fallen zu lassen, Kaffee in einen Großrechner zu schütten oder in einem Firmenwagen den Rückwärtsgang einzulegen, während man mit Höchstgeschwindigkeit die Autobahn entlang saust? Für viele werden solche Phantasien zur Realität und sie selbst damit zu Neo-Ludditen. Aber, sind solche Handlungsweisen wirklich die Taten von Maschinenstürmern, oder stellen sie nur die Wiederaufführung einer historischen Erzählung dar, die als solche niemals wirklich existiert hat – eines Schwelgens in nostalgischen Schöpfungen? Aufgrund der profunden Unterschiede, die die Volkswirtschaften des frühen und späten Kapitals voneinander trennen, lassen sich die nihilistischen Impulse der Ludditen aus dem frühen 19. Jahrhundert qualitativ nicht mit jenen vergleichen, die jetzt im ausgehenden 20. Jahrhundert erstehen. Die Bezeichnung Maschinenstürmer kann nur mehr lose in der Gesellschaft des späten Kapitals angewendet werden. Oberflächlich besehen hat das Bild der Arbeiter aus dem frühen 19. Jahrhundert, die die Maschinen der Textilfabriken zerschlugen, eine expressive Kraft, die ausgesprochen relevant erscheint für die niederdrückende Entfremdung am zeitgenössischen Arbeitsplatz, aber die Motivationen und die Ideologie, die hinter der heutigen maschinenstürmerischen Aktivität stehen, haben wenig mit den Ludditen der Vergangenheit gemein.

Der Luddismus in der Frühphase der Kapitalentwicklung stellte die absterbenden Gedanken des feudalen Körpers dar, während die Angriffe auf die Textilfirmen die letzten Muskelzuckungen des feudalen Leichnams bildeten. Diejenigen, die zum Mitmachen motiviert waren, taten dies aus der Angst heraus, daß sie zu Anachronismen werden könnten. Es schien den Ludditen klar, daß die Maschinen sie ersetzen und ihnen ihren Lebensunterhalt wegstehlen würden, so arm sie selbst auch gewesen sein mögen. Jede politische Absicht hinter den ludditischen Aktivitäten war seiner Natur nach konterrevolutionär – ein Versuch, die Revolution in der Produktionsweise zu stoppen und den Wechsel der Macht vom Land zum Kapital (vom Adel zur Bourgeoisie) aufzuhalten. Das Ziel des Ludditen war es letztlich, den Status quo zu erhalten, da die Ludditen im Frühkapitalismus die personifizierte Verzweiflung darstellten in ihrer tödlichen Angst vor den Maschinen, vor der wirtschaftlichen Instabilität und vor der Zukunft. Aus einer kühlen intellektuellen Perspektive betrachtet, sind die Ludditen keine Gruppe, die man in der Geschichte des Widerstands gegen autoritäre Strukturen kanonisieren müßte. Wenn überhaupt, waren sie Dämonen in dieser Geschichte. Aber wir wollen nicht die Leidenschaften vergessen. Die Fabriken zu zerschlagen – das muß eine überwältigende libidinöse Entladung abgegeben haben. Solche Aktionen bezeichnen Momente eines frei-flottierenden Begehrens. Als Ersatz für diese Momente, derer es im Leben der Individuen im Spätkapitalismus nur allzuwenige gibt, wohnt der Mythos des Maschinenstürmers auch weiterhin in den Herzen all jener Menschen, die in sich einen Haß verspüren auf die Arbeit im allgemeinen und auf ihre Jobs im besonderen, und auf die repressive Atmosphäre, die in der Arbeitswelt allgegenwärtig ist.

Aus der gegenwärtigen Sichtweise, nahezu zwei Jahrhunderte später, sollte es sehr deutlich sein, daß der Luddismus in seiner historischen Form im Spätkapitalismus keinen Platz mehr hat (einzig seine mythische Form trägt noch eine Bedeutung). Die Bedingungen haben sich allzu drastisch geändert. Und doch gibt es noch einige Kontinuitätsstränge. Befeuert von Bildern eines Anti-Technologie-Nihilismus leben Spurenelemente des ludditischen Mythos weiter, aber einzig als isolierte Fragmente, die nur noch gelegentliche Muster von Bedeutung aufweisen. Insbesondere ist die spezifische Furcht, die die ursprünglichen Ludditen motivierte, heute verschwunden. Obgleich technologische Entwicklungen vielen Menschen Angst und Sorge bereiten, glaubt eine immer geringere Zahl, daß die Technik einmal ihre Stelle einnehmen wird. Tatsache ist, daß die Angst genau umkehrt verläuft. In dem Maße, wie sich die Technik an den Körper hängt, wird die Beziehung zwischen Körper und Technik zusehends eine symbiotische. Die bürokratischen und technokratischen Klassen und Teile der Dienstleistungsklasse werden zu Cyborgs umgewandelt. Dies ist die neue ludditische Angst; die Angst, die eigene organische Reinheit zu verlieren, und übermäßig abhängig zu werden von der Technik, süchtig nach ihr.

Beispiele dafür, wie Leute zu Cyborgs umgewandelt werden, sind recht zahlreich; die offensichtlichste Stelle, an der dies geschieht, ist natürlich das Militär. In dieser Institution, die von dem Wunsch nach einer völlig uneingeschränkten Technologie beherrscht wird, wollen die Leute selbst zu Maschinen werden – zu Tötungsmaschinen. Je besser ein Soldat sich selbst in pure Technik verwandeln kann, umso besser werden seine Chancen, im Kampf zu überleben. Kopfhörer, Nachtsichtbrillen, automatische Waffen, Laser, Gasmasken usw. werden alle an den Körper angeschlossen, um seine Möglichkeiten zu erweitern. Dies ist ein Cyborg zweiter Ordnung, eine organische Infrastruktur mit einer vorübergehenden technischen Überstruktur. Die Frage ist, an welchem Punkt wird die übergelagerte Techno-Struktur zu einer permanenten, wann entsteht der Cyborg erster Ordnung?

Der Gedanke an den Cyborg erster Ordnung kann einem Angst einjagen, besonders wenn man bedenkt, wie gut die Mittelklasse bereits auf diese Entwicklung vorbereitet wird. Statt von Begriffen des Todes umrahmt zu werden, wird die Cyborg-Frage mit Leben, Begehrlichkeit und Unterhaltung in Zusammenhang gebracht. Vom Herzschrittmacher bis zur Kontaktlinse macht die Bio-Technologie den Körper lebensfähiger. Wer wird nein sagen zu einer Technologie, die das Leben verlängert, oder zu einer solchen, die dem Körper seine normativen Funktionen zurückgibt? Vergessen wir auch nicht die Möglichkeiten, das Erscheinungsbild des Körpers mit seinem erwünschten Idealbild in Einklang zu bringen. Alles, von Wangenimplantaten bis zu Geschlechtsumwandlungen, bietet die befreiende Erfahrung eines nomadischen, sich ständig transformierenden Körpers. Und schließlich, wie steht es mit all den Video- und VR-Spielen? Es macht Spaß, in diese künstlichen elektronischen Welten einzutauchen. Man stülpt sich einfach Helm und Datenhandschuh über, und schon ist der Sieg über den Tod nur noch einen Knopfdruck entfernt. Apokalypse und Utopie sind im Zeichen der Technologie mit solcher Macht implodiert, daß es nahezu unmöglich geworden ist, die beiden Möglichkeiten noch einmal voneinander zu trennen. Die Medienmaschine des Komplexes der Großkonzerne unterhält ein utopisches Spektakel, um die Bevölkerung in Richtung Cyborgexistenz in Bewegung zu halten. Dies ist teilweise ein Grund dafür, warum es so schwierig ist, in der Gegenwart Ludditen zu finden, die den gleichen Zerstörungseifer besitzen wie ihre Vorfahren. Heutige Ludditen verspüren keinen Haß auf die Technologie. Im Gegenteil: sie befinden sich mit ihr im Einklang. Zugleich wird die Technik nicht in dem Maße fraglos akzeptiert, wie es sich die Futurologen der Großkonzerne und die Public Retations-Leute wünschen würden. Die Beziehung zwischen dem Ludditen und der Technologie ist ein bißchen weniger eindeutig als sie einst war, und folglich hat sich auch der Anti-Tech-Nihilismus in Dunst aufgelöst. Was kann man mehr sagen? Verglichen mit den ursprünglichen Ludditen sind die heute gegen die Technik eingestellten Unzufriedenen bloß noch Schlaffis.

Statt weiterhin die häufig sensationell behandelten Aspekte der Technologie zu untersuchen, wollen wir uns nun wieder dem Alltagsleben der Bürokratenklasse zuwenden. Es ist die Umwelt der Bürokratie, die einige Spurenelemente des Luddismus am Leben erhält. Egal, wie groß das Smiley-Gesicht sein mag, das die Futurologen der Großkonzerne auf die Technologie und die Cyborg-Alternative malen, man braucht sich nur einige Momente lang an einem Computer-Arbeitsplatz hinzusetzen und in einen Bildschirm hineinzustarren, um zu erkennen, daß dieser Situation etwas anhaftet, was einen wirklich fertigmacht. Oder, wenn man im Büro den Blick über all die anderen Arbeitsplätze schweifen läßt und dabei den organischen Scherbenhaufen all der Fahrerflucht-Opfer auf der digitalen Autobahn betrachtet. Es ist gelinde gesagt ein unangenehmer Anblick, aber vielleicht noch schlimmer ist das Gefühl, daß die Technologie beginnt, an der Haut zu haften. Dieses Gefühl führt zu der Erkenntnis, daß die bürokratische Produktion umso besser funktionieren wird, je größer die Effizienz der Schnittstelle zwischen Mensch und Technologie ist. Die elementarsten Taktiken des schlaffen Maschinenstürmers haben sich entwickelt, um dieser lähmenden Repression zu begegnen. Manche darunter sind altehrwürdiger Natur, wie die zahlreichen Besuche auf dem stillen Örtchen. Andere sind neueren Datums, wie das Zusammenkommen mit Arbeitskollegen zu gemeinsamen Tratsch- und Meckersessions am Photokopiergerät. Diese Taktik gehört zu einer höheren Taxonomie als die vorige, weil die Arbeiter nicht nur nichts tun, sondern auch noch für ihre unproduktiven Gespräche bezahlt werden – die Unterscheidungen zwischen den Klassen der Maschinenstürmer-Schlaffis folgt zu einem späteren Punkt in diesem Essay. Diese Taktiken verlangsamen nicht allein die Produktionsrate, sie verhindern auch vorübergehend die Bio-Tech-Synthese. Leider wird dies auch vom Management auf einer höheren Stufe erkannt, wodurch es zu größeren Anstrengungen inspiriert wird, die für eine maximale Ausbeutung notwendige Synthese zu beschleunigen.

Gegenwärtig können Angestellte durch Vorrichtungen überwacht werden, die an ihre Computer angeschlossen sind, sodaß der Aufseher genau weiß, wie lange ein Arbeiter an seiner Arbeitsstelle zugebracht hat, und sogar die Tastendruckfrequenz messen kann, aber Überwachung allein ist noch nicht genug. Die schlaffen Maschinenstürmer wissen, wie sie um diese Überwachungstechniken herumkommen. Wenn jedoch einmal das Organische und das Technische zusammengefügt worden sind, werden die Arbeiter ihre Arbeitsplätze nicht mehr verlassen können. Sie werden sich von einem Ort zum anderen bewegen, aber nicht mehr den Stecker ziehen können. Die tragbaren Computer der NEC Corporation sind beispiethaft für diese Science-fiction-Phantasie der Großkonzerneliten. Es besteht wenig Zweifel, daß die Aufgabe, den maschinellen und den organischen Raum (die Arbeitsstelle und den Körper), zu einer einzigen kompakten Einheit zu komprimieren, bereits weit fortgeschritten ist.

Doch all diesem Terror am Arbeitsplatz zum Trotz, so lange die Technologie dem Individuum Dienstleistungen anbietet, gilt ihr gegenüber die utopische Unschuldsvermutung. Sie ist ebenso nützlich wie vergnüglich. Durchaus üblicherweise kehrt ein schlaffer Maschinenstürmer, der es haßt, an seiner Arbeitstelle am Computer zu arbeiten, nach Hause zurück, nur um dort wieder am Computer zu sitzen und das Layout für sein eigenes Magazin zu erstellen. Diese Situation ist das Gegenteil des originären Luddismus. Der schlaffe Luddit scheut oder zerstört Technologie nicht aus Haß oder Furcht vor ihr, sondern aus einem Haß auf die Arbeit, während die ursprünglichen Ludditen an Arbeit gewöhnt waren, aber die Technologie haßten und fürchteten. Der schlaffe Luddismus ist eine Hybridform der späten Kapitalentwicktung, ein perfektes Beispiel einer rekombinanten Kultur. Er synthetisiert die Taktiken des originären Luddismus mit der Null-Arbeit-Ethik der zeitgenössischen Schlaffis.

Selbst eine Idee wie die der Null-Arbeit beginnt den Prozeß der Entpolitisierung. Null-Arbeit wird im allgemeinen assoziiert mit radikaler linker Aktion, aber das ist keineswegs die Absicht des schlaffen Ludditen. Während Null-Arbeit vordem eine Strategie war, die in der Vorstellung eines Generalstreiks spezifische Form erhielt, einer Anstrengung also, die den Kollaps des kapitalistischen Systems erzwingen sollte, betrachtet der schlaffe Luddit die Null-Arbeit als einen persönlich wünschenswerten Zustand. Grandiose Ziele einer sozialen und politischen Umstrukturierung sind dabei nicht involviert. Unter der Rubrik "Schlaffi" wird Null-Arbeit zu einer therapeutischen Strategie transformiert, einer Möglichkeit, wie man sich ein gutes Gefühl über sich selbst verschafft. Der schlaffe Luddit bewegt sich zwischen individuellem Heldentum und politischer Naivität.

Die Situation des schlaffen Ludditen wird auch direkt beeinflußt von seiner politischen Klassenlage. Anders als in der Vergangenheit ist der schlaffe Luddit mit größerer Wahrscheinlichkeit ein Bürokrat, Technokrat oder Angestellter im Dienstleistungsbereich. Eher unwahrscheinlich, daß er ein Arbeiter im eigentlichen Wortsinn sein wird, denn die gegenwärtigen Bedingungen in der Arbeiterklasse sind so, daß ein Nachlassen des Arbeitsausstoßes äußerst schwer zu erreichen ist. Da solche Bedingungen in der Frühzeit des Kapitals entstanden, sind die damals entwickelten Strategien des Widerstands verbreiteter und auch praktischer. Beispielsweise läuft das Fließband mit einer festgelegten Geschwindigkeit, so daß die Bemühungen der Schlaffis, die Produktion zu verlangsamen, im allgemeinen zu einer raschen Entlassung führen dürften. Die einzigen reellen Optionen sind ein Generalstreik (eine aussichtslose Strategie) oder (nach dem Vorbild der Taktiken der frühen Ludditen) Maschinenzerstörung zum Zwecke der vollkommenen Schließung der Fabrik. Keine von diesen beiden Taktiken ist heute mehr besonders in Mode, und sie sind beide sehr riskant, was potentielle Repressalien von Seiten des Staates betrifft. "Schlaff" ist keine besonders treffende Beschreibung dieser Vorgangsweisen. Was die letztgenannte Taktik des Schraubenschlüssel-in-die-Maschine-Werfens betrifft, so ist der Technokrat besser ausgerüstet. Indem er Viren in die Kommunikationssysteme der Großkonzerne oder Behörden einschleust, kann der individuelle Widerständler wesentlich mehr Schaden anrichten, als wenn er die Produktion punktuell unterbricht – er kann die Kommando- oder Kontrollstelle eines komplexen Herstellungsbetriebes mit mehreren Standorten attackieren.

Im Falle der Facharbeiter, etwa bei den Bauarbeitern, wird durch die Verwendung unabhängiger Vertragsfirmen die ludditische oder schlaff-ludditische Aktivität stark eingeschränkt. Profite steigen mit erhöhter Produktivität für Facharbeiter und unabhängige Vertragspartner, und die Technologie ist eine große Hilfe, um die Produktionsrate hoch zu halten. Da im weiteren auch die Arbeitsgeräte, die von diesen Arbeitern verwendet werden, zumeist ihnen selbst gehören, wäre es eine ziemliche Albernheit ihrerseits, wenn sie ihr eigenes Eigentum zerstören wollten. Folglich ist dies keine sehr wahrscheinliche Stelle für die Ortung ludditischer Ideologie oder Aktivität.

Für die Bürokraten allerdings sind die Bedingungen perfekt, unter denen der Luddismus blühen und gedeihen kann. Die Arbeit ist gerade eben esoterisch genug, um die Festsetzung angemessener Produktionsraten stark zu erschweren. Rechnet man diesem Faktor die niedrige Bezahlung hinzu, die unter allen Arbeitsbedingungen am stärksten die Entfremdung fördert, sowie die allgemeine Ideologie "minimale Bezahlung, minimale Arbeit", so rücken bereits alte möglichen schlaff-luddistischen Verhaltensweisen sehr viel stärker in den Bereich des Wahrscheinlichen. Die Arbeit selbst ist relativ gesichert, somit ist die Situation weniger verzweifelt, als sie für Arbeiter ist. Diesem Unterschied kommt eine Schlüsselstellung bei der Unterscheidung zwischen dem schlaffen Ludditen und seinen Vorgängern zu. Anders als in der Frühzeit des Kapitals ist die Maschinenstürmerei nicht mehr eine Überlebensfrage. In gewisser Weise erfordert der schlaffe Luddismus tatsächlich einen bestimmten Grad an Luxus. Gleichzeitig ist dies ironischerweise genau der Punkt, an dem einer der stärksten Kontinuitätsstränge zwischen den Ludditen und den schlaffen Ludditen sichtbar wird. In beiden Fällen bildet der Wunsch, die Kontrolle über die Arbeitssituation zurückzugewinnen, eine primäre Motivation. Es ist der Widerstand gegen die Instabilität, der die Generationen der Ludditen verbindet.

Das Problem der Instabilität kann nicht losgelöst von der sich stets weiter beschleunigenden Geschwindigkeit der Kommunikation, der Produktion und des Konsums im Zeitalter des Kapitals betrachtet werden. Die Gefahren einer nomadischen und rekombinanten Kultur sind am bedrohlichsten für diejenigen, die versuchen, sich ein Gefühl einer Ortszugehörigkeit aufzubauen. Es besteht kein wirkliches Gefühl einer Kontinuität, womit die Erinnerung ohne feste Verknüpfungspunkte mit der Welt der Phänomene bleibt. Objekte in der Welt treten unablässig dem Individuum entgegen, und lassen ihm keine Zeit zur Reflexion oder Interaktion mit ihnen, geschweige denn Zeit, um sich umzudrehen und nachzusehen, wo man gerade eben gewesen ist. (Dies ist ein weiterer Grund, warum es bei den Großkonzernen und beim Militär einen Bedarf für die Cyborg-Lebensform gibt. Arbeitende Maschinen brauchen keine Zeit zum Nachdenken.) Vielleicht ist das Problem sogar noch größer und tiefergehend als die Festmachung eines Ortes, da es fraglich ist, ob überhaupt noch irgendeine stabile Vorstellung vom Raum als solchem bestehen bleibt. In welchem Raum befinden wir uns, während wir telefonieren? In welche Welt blicken wir hinein, während wir auf eine Computer-Bildschirm oder einen Video-Monitor starren? Das ist sehr schwer zu sagen. Kann der Raum in sich selbst zusammengefaltet werden, so daß es möglich wäre, durch den Gebrauch der Kommunikationstechnotogie überall gleichzeitig zu sein? William Gibson beschrieb den Cyberspace als eine "konsensuelle Halluzination". Wenn dem so ist,wie entscheiden wir dann, welchen Halluzinationen wir uns verschreiben wollen und wie vertrauenswürdig sie sind? Wichtiger noch: basiert die Halluzination überhaupt auf einem Konsens? Die intensive Konfusion und der Skeptizismus, die aus der Zersetzung des physischen Raums erstehen, erwecken oft eine nostalgische Sehnsucht nach einer Rückkehr zur Hegemonie des physischen Raums, oder zumindest inspirieren sie eine Sehnsucht nach Mitteln, mit denen die unmittelbare Umwelt zeitweilig stabilisiert werden könnte.

Die ersten Ludditen verkörperten die vage Vermutung, daß die Volkswirtschaft im Begriff stand, in eine Ära rasanter Beschleunigung einzutreten. Die Fähigkeit der Maschinen, effizienter als der Mensch zu arbeiten, sei es individuell oder in Gruppen, erschien als eine Materialisierung des Prozesses, in dem die Geschwindigkeit zum Fetisch wurde. In dem Maße,wie die alten Methoden des Arbeitsprozesses sich in Nichts aufzulösen begannen, reagierten die Ludditen, indem sie den Fetisch – d.h. die Maschine – zerstörten. Es war ein Versuch, wie fehlgeleitet er auch immer gewesen sein mag, das alte Regime des Alltagslebens wiedereinzusetzen. Obwohl die Technik als Übel angesehen wurde, das es zu fürchten galt,war das wahrhaft Furchteinflößende die Unfähigkeit, das Selbst und den Ort festzuhalten. Es war altes dabei, zu verschwinden.

Schlaffe Ludditen wünschen sich auch ein Gefühl der Stabilität, was sie selbst und was einen Ort betrifft; allerdings ist dieser Wunsch nicht genau der gleiche wie der ihrer Vorgänger. Tatsache ist, daß viele unter ihnen wahre Geschwindigkeitsfreaks sind, nur sind sie Schnelligkeitsfanatiker, die ihre Dosierung gerne selbst wählen wollen. Wie erwähnt, wird die richtige Dosis abgemessen im Verhältnis zum persönlichen Wohlbehagen. Schlaffis betrachten die Erfahrung adrenaler Hormonschübe durch gesteigerte Angstzustände weder als nützlich noch als wünschenswert. Ein Verständnis für das Bedürfnis, ihre Reisegeschwindigkeit zu steuern, sodaß sie selbst und ihre Umgebung sich niemals vollständig in Nichts auflösen, ist der Schlüssel zum Verständnis der Taktik der schlaffen Ludditen.

Eine andere Idee, die für das Verständnis der ludditischen Taktik zentral ist, ist die bereits erwähnte Assoziation des Neoluddismus mit Null-Arbeit. Sie wissen, daß eine gewisse Produktion erreicht werden muß, und daß, obgleich sie Widerstand üben mögen, ihnen nicht die Wahl offensteht, überhaupt nicht zu arbeiten. Allerdings glauben sie, daß niemand mehr Arbeit erledigen sollte als absolut notwendig. Wenn erst einmal das Wort "Arbeit" fällt, weiß der schlaffe Luddit bereits, daß Probleme am Horizont auftauchen. Tatsächlich sollte dieses Wort aufgegeben und ersetzt werden durch das, was das Wort wirklich bezeichnet: entfremdetes Handeln. Freizeit ist um keinen Deut besser. Es sind zwei Seiten der gleichen Münze. Ersteres ist Produktionszwang, zweiteres Konsumzwang. In der utopischen Welt des schlaffen Ludditen gibt es keinen Unterschied zwischen Arbeit und Freizeit: es gibt nur die wünschenswerten Reaktionen auf die Welt.

Teil der Mission des schlaffen Maschinenstümers ist es, sich den Arbeitsplatz von neuem anzueignen – d.h. ihn von seinen entfremdenden Eigenschaften zu befreien. Dies geschieht oft dadurch, daß er personalisiert wird, womit ein Ort geschaffen wird, wo der oder die Betreffende alles Erwünschte erreichen kann. Schlaffe Ludditen bemühen sich, ihren Arbeitsplatz erfreulich zu gestatten, d.h. nicht als Arbeitsplatz. Zum Beispiel bestehen die niederen Ordnungen der Schlaffheit primär in Varianten des "Herumtrödelns". Dies sind Versuche, sich von der Maschine zu trennen und damit wenigstens zeitweilig die Identität als Cyborg zu zerstören. Die einfachste Maschine, die sich eliminieren läßt, ist die eigene. Ist man erstmal von der Maschine losgelöst, folgt eine relative Stille, die das Nachdenken und sogar den mitmenschlichen Kontakt zuläßt.

Die Hang zur Zurückgezogenheit und Passivität ist allerdings eine neuartige Schlaffi-Technik. Der Lohn ist von zu kurzer Dauer, und es ist zu leicht, dabei erwischt und mit Ermahnungen und Zurechtweisungen bedacht zu werden. Der Schlaffi am oberen Ende des Spektrums personalisiert den Cyborg selbst, was dessen letztendliche Zerstörung mit sich bringt. Er transzendiert das Herumgeblödel. Dieser Schlaffi verbringt seine Zeit am Arbeitsplatz mit Videospielen, mit Plauderein mit Freunden über das Internet, mit Reiseplänen und ähnlichem mehr. Der Computer registriert die am Terminal zugebrachte Zeit, womit die Überwachung abgelenkt wird. (Glücklicherweise ist der Computer bislang noch nicht in der Lage, aufzuzeichen, ob die Arbeitskraft in einer für den jeweiligen Arbeitsgeber nützlichen Art und Weise verwendet wurde.) Doch am besten von allen ist jener Schlaffi, der die Zeit am Arbeitsplatz zur Erledigung beruflicher Nebenarbeiten einsetzt. Dieser Schlaffi wird bezahlt für eine Arbeit, die er machen möchte, und dafür, daß er die Zeit, das Equipment und die Materialien einer feindlichen Institution benutzt.

Der schlaffe Luddit freut sich am meisten an der Veruntreuung der Technologie und an der Umkehrung der autoritären Codes des Arbeitsplatzes. Seine Mission ist nicht die Zerstörung der materiellen Aspekte der Arbeit – dies wäre ebenso fehlgeleitet wie die Aktionen der ursprünglichen Ludditen – sondern in der Zerstörung der symbolischen Ordnung, die den Einzelnen einschränkt und von sich selbst entfremdet. Das heißt nicht, daß ein absichtliches Einfrieren oder Zerstören der Technologie nicht doch gelegentlich vorkommt oder daß solche Handlungsweisen nicht von Interesse sind. Jedoch sind diese Taktiken,wenn sie unter dem Banner der Schlaffheit durchgeführt werden, nur das Mittel zu einem sehr beschränkten Zweck. Alle Schlaffis am oberen Ende des Spektrums wissen, daß es die Halluzination des Arbeitsplatzes ist, die zerstört werden muß, nicht das, was die Halluzination transportiert.

Entfremdung und Elend sind integrale Teile der Ökonomie des Begehrens. Arbeit muß eine so wenig befriedigende Erfahrung wie nur möglich sein, denn nur durch die Folter der Menschen, tagaus und tagein, werden sie aus dem Gefängnis der Produktion hervortreten mit dem hingebungsvollen Eifer, all das zu konsumieren, worauf sie ein künstlich gesteigertes Verlangen verspüren. Der verzweifelte Akt des Konsumierens – der Einkauf als Mittel zur Kompensation eines fundamentalen Mangels – kann nur von den wahrhaft Ausgebeuteten als eine überlebensfähige Strategie zur Überwindung der Krise des Spätkapitals angesehen werden. Strategien, die diesen obszönen Kreislauf unterbrechen, gibt es wenige. Wenn die Ludditen uns etwas gezeigt haben, so ist es, daß der Arbeitsplatz eine Hauptansatzpunkt des Widerstandes ist, und daß der Widerstand äußerst effektiv ist, wenn er als Angriff aus dem Inneren der Institution selbst kommt. Ihre Methoden mögen jeder vernünftigen Subtilität entbehrt haben, aber ihr Nihilismus dient noch immer als Aufruf zum Handeln. Wenn die schlaffen Ludditen uns etwas gezeigt haben, so ist es der Wert, der darin liegt, die Codes des ideenbildenden Ortes zu sprengen, nicht den Ort selber. Solange der Arbeitsplatz weiterhin eine Umgebung bleibt, die uns unsere Autonomie raubt mit der Absicht, Arbeit so wenig inspirierend wie möglich sein zu lassen, wird es weiterhin Spurenelemente der Maschinenstürmerei geben, und was es mit Sicherheit ebenfalls immer geben wird, sind – Schlaffis.