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Interaktive Kunst im Internet


'Eduardo Kac Eduardo Kac

Das Internet ist ein weltumspannendes Netz, das mehr als drei Millionen Computer in mehr als drei Dutzend Ländern www.w3.org/hypertext/DataSources/WWW/Servers.html und Millionen von Menschen aus den verschiedensten Bereichen, wie den Universitäten, der Geschäftswelt, dem Militär und der Kunst miteinander verbindet. Dieses riesige Netzwerk hat zu einer absolut neuen Konfiguration in der Kunstwelt geführt, durch die die Künstler den neu entstehenden sozialen und kulturellen Prozeß besser definieren und über seine Auswirkungen und sein Potential reflektieren können. Das Ziel dieses Essays ist es, einige aktuelle Entwicklungen im Bereich der interaktiven Kunst im Internet und die einzigartigen ästhetischen Studien aufzuzeigen, die durch dieses nahtlos integrierte,weltweite Computernetz ermöglicht werden. In diesem Essay beziehe ich mich auf Material, das über Internet direkt zugänglich ist. In diesem Sinne stellt der Essay ein Experiment dar, bei dem ich das Internet mit einem Printmedium verknüpfe. Ich lade den/die Leser/in dazu ein, den Essay im Schein des Bildschirms zu studieren,während er/sie sich über ein digitales System von einer Ecke der Welt in eine andere bewegen kann.

Was ist das Internet eigentlich für den Künstler? Ist es ein virtueller Katalog, oder die für elektronische Bilder am besten geeignete GaIerie? Manche sehen es als interaktives Medium, aber andere wiederum tragen die Interaktivität über den Bildschirm hinaus und integrieren sie in hybride Kontexte. Wenn man von der herkömmlichen Verwendung des Internet ausgeht, so erinnert es eher an ein Telefon- oder Postsystem, mit dessen Hilfe Interakteure über große Distanzen Botschaften austauschen können. Doch zeigt es auch gewisse Aspekte des Fernsehens und des Radios: Man kann Botschaften an eine größere Allgemeinheit senden. Das wohl aufregendste am Internet ist die Tatsache, daß es gleichzeitig all dies und noch mehr ist. Da es keine zentrale Stelle gibt, die den Inhalt und die Entwicklung kontrolliert, kann man sich dem Internet von vielen Blickwinkeln her nähern, und es wächst und transformiert sich unaufhörlich weiter, auch in diesem Augenblick, wo der/die Leser/in seine/ihre E-mail liest.

Wenn man erst einmal über ein Graphikinterface und ein Modem oder über Ethernet Zugang gefunden hat, kann man mittels Anklicken problemlos weiter bewegen. Durch einfache Tastenabfolgen kann man mit bemerkenswerter Geschwindigkeit von einem Kontinent zum andern reisen, sogarmit einem Standardmodem. Wenn man nun auf ein interessantes Thema stößt klicktman das entsrechende Wortoder Bild an, wodurch sich dem Verbindungen zu weiterenWörtern, Bildern und "Sites" öffnen. Es handelt sich dabei um einen endlosen Prozeß. In den meisten Fällen jedoch stellen die Gesten des Anklickens für sich alleine noch kein bedeutungstragendes Element dieses "Navigationserlebnisses" dar. Wenn man sich Kataloge traditioneller Medienwerke und Galerien elektronischer Bilder ansieht, dann "klicken" wir auch, aber mit der Absicht, an einem bestimmten Ziel anzukommen. Die rhizomorphe Struktur der Web-Server erleichtert dies, aber ist ihrerseits kein Schlüsselelement in der Herstellung von Bedeutung, da die Standbilder in einem entfernten Computer gespeichert sind und auf eine Abfrage warten. Genau wie in einer physischen Galerie entscheidet man sich, sich ein bestimmtes Bild zuerst anzusehen. Diese Wahl spielt aber keine Rolle für die Wertschätzung der Bilder selbst. Das heißt: Manche der im Internet verfügbaren Werke inkorporieren sehr wohl die hypermediale Qualität eines benutzerfreundlichen Interface, wie zum Beispiel Netscape. Vom Standpunkt der Werke ist das Internet keine Galerie, sondern ein interaktives Medium. Diese Werke basieren auf veränderbaren Strukturen und instabilen Verbindungen. Damit sie Bedeutung erlangen, muß der User On-line-Entscheidungen treffen, an der Entwicklung der Werke teilnehmen und die Erfahrung machen, die man erlebt, wenn man ein bestimmtes Stück steuert.

Zu literarischen Werken, die in einem Hypertextmedium geschaffen werden, gibt es im Printbereich kein Gegenstück. Sie existieren sowohl innerhalb und außerhalb des Internet, vorausgesetzt, daß man sie von ihrem ursprünglichen Format (z.B. Hypercard und Storyspace) in Html (die Hypertext-Symbolsprache), die Web-Schreibschrift, übersetzt. Wegen des immanenten interaktiven Charakters der Hypertextstücke verschwindet,wenn sie im Net öffentlich präsentiert werden, die herkömmliche Unterscheidung zwischen Schreiben und Veröffentlichen. Diese Unterscheidungen werden schon seit den frühen Zwanzigerjahren von Dichtern wie E.E. Cummings kritisiert, der in seiner Schreibmaschine das Medium zur Festlegung der endgültigen visuellen Struktur seiner Gedichte sah, anstatt dies dem Verleger und dem Drucker zu überlassen. Cummings schrieb seine Gedichte auf der Schreibmaschine, um schwarze und weiße Räume zu schaffen, die horizontal und vertikal angeordnet waren. Hypertextautoren verwenden eine Software. mit der es möglich ist, Information nicht hierarchisch anzuordnen, was absolut kompatibel mit dem Interaktiv-Interface ist, das gegenwärtig im Internet dominiert. Die Hypertextautorin Judy Matloy, die sich selbst als "pop conceptualist" bezeichnet, bietet nun "lOveOne" (www.eastgate.com/~malloy/) über die Web-Seite von Eastgate (www.eastgate.com/~ eastgate/Minihome.htmlan. Über E-mail hat sie ihr "lOveOne" als "eine kontinuierliche narrative Schilderung beschrieben, die vom Kommen und Gehen, deutschen Hacker-Künstlern, Computerkultur und von Hardware- und Softwareliebesbeziehungen handelt, die schiefgegangen sind". Es kommen immer neue Bildschirmseiten hinzu, und das Ganze liest sich wie Auszüge aus Sarahs Tagebuch, während dazwischen im Zuge der On-line-Entwicklung dieses "Work-in-progress" konzeptuelle Verbindungen hergestellt werden. Wenn man die unterstrichenen Wörter anklickt, kommt man auf eine vielschichtige Ebene mit kleinen oder großen Mengen Wortmaterials, das die Form von narrativen Sätzen oder Verszeilen annehmen kann. Durch das Anklicken der unterstrichenen Wörter in der Mitte eines Absatzes, neben anderen Wahlmöglichkeiten, wird man auf eine andere Seite geführt,wo es noch mehr unterstrichene Wörter, die meiner Wahl harren, gibt:

Es ist noch nicht so lange her,
daß ich durch die Straßen von Washington ging.
Ich trug weiße Handschuhe.
Jene seltsamen Handbedeckungen aus Wolle,
die die Einheimischen trugen,
obwohl es August war,
und der Schweiß aus den Achselhöhlen durchtränkte mein kurzes schwarzes Kleid, als ich an der Bushaltestelle stand
und einen Umschlag mit mühevoll geschriebenen Bewerbungen umklammerte.
Wenn man Malloys On-line-Hyperfiktion und "File Room", ein Installationsprojekt (1994) des in New York lebenden spanischen Künstlers Antonio Muntadas (fileroom.aaup.uic.edu/FileRoom/documents/homepage.html) vergleicht, sieht man auf der einen Seite eine nicht lineare Erzählung und auf der anderen den Einsatz einer Datenbank als Element einer kulturellen Intervention. Mit seinen physischen Installationen will Muntadas normalerweise kulturell und politisch mächtige Institutionen kritisieren. Sein "Board Room" aus dem Jahr 1987 zum Beispiel bestand aus Tischen und Sesseln, die die Unternehmensidentität der organisierten Religion darstellten. Dabei wurden Fotos von dreizehn Fernsehpredigern und religiösen Führern gezeigt, zum Beispiel von Papst Johannes Paul II, und dem Ayatollah Khomeini, die an Stelle des Mundes eine Bildschirmröhre hatten. Muntadas zeigte damit, daß die Fernsehsendungen, die spirituelles Wohlergehen kommerzialisieren, persönliche Gefühle vermarkten und heiligen Kriegen Vorschub leisten, ihren Ursprung in gemütlichen Privaträumen haben. Die Kontrolle der Politik, Religion und Kommunikation liegt in einer Hand. Das "File Room"-Projekt von Muntadas, eine Zusammenarbeit von Dutzenden Künstlern, Kuratoren, Programmierern und Aktivisten, verleiht seiner Installation Kontinuität. Doch in diesem Fall ermöglicht ein dynamisches Internet-Archiv den Web-Zugang zu Informationen über die Geschichte der Zensur und ihrer Auswirkungen. Im Erdgeschoß des Cultural Center in Chicago wurde eine Umgebung aus 138 schwarzen, metallenen Aktenschränken, niedrighängenden Lichtinstallationen und sieben Computermonitoren (an einen zentralen Server gekoppelt) aufgebaut. Die Besucher konnten die verschiedensten Zensurfälle nach Ort, Datum, Zensurgründen und Medium abrufen. Mittels eines weiteren Computers konnte man eigene Beispiele für Zensur in das Archiv eintragen. Zum Beispiel der Fall des urugayischen Darstellungskünstler Clemente Padin (fileroom.aaup.uic.edu/FileRoom/documents/Cases/38padin-Per.html), der 1975 wegen "Verunglimpfung und Verspottung der Streitkräfte" eingesperrt wurde – um nur einen zu nennen.

Das Internet als "Stimme und Gedächtnis" steht im Gegensatz zur Zensur. Dieser Antagonismus spiegelt die Kontraste zwischen öffentlich und privat, alter Funktionen und neuer Verwendung, individueller und kooperativer Arbeit wider und dominierte auch die physische Installation in Chicago. Elisabeth Subrin, Künstlerin und Forschungskoordinatorin des Projekts, erklärte es so: "Der File Room" wurde von Künstlern geschaffen und hat daher nicht die Funktion einer Bibliothek oder einer Enzyklopädie im traditionellen Sinne. Statt dessen will man mit diesem Projekt alternative Methoden für Informationsbeschaffung, -verarbeitung und -verteilung anbieten, um so den Dialog und die Diskussion über Probleme der Zensur und Archivierung anzuregen" (fileroom.aaup.uic.edu/FileRoom/publication/subrin.html). Das Web-Archiv ist noch immer on-line und kann vom User jederzeit erweitert werden.

Während einige Institutionen und Einzelpersonen das Net zum Informationsaustausch über Kunst und Kunstwerke nützen, experimentieren einige Künstler on-line mit interaktiven Konzepten. Im Fall der Installation von Muntadas konnten die Besucher in einem kafkaesken Raum ein Archiv über Zensur erforschen und wurden dazu angeregt, kritische Überlegungen bezüglich des Gebäudes, in dem die Ausstellung stattfand, anzustellen: Es handelte sich um eine Bibliothek, die zu einem Kulturzentrum umfunktioniert wurde. Die Funktion des Buches und die soziale Rolle der Bibliothek sind im Zeitalter der Information Themen von immenser Wichtigkeit, ebenso wie die komplexe Beziehung zwischen dem Internet und der Architektur. Manche Künstler erweitern das Internet und hybridisieren es mit anderen Räumen, Medien, Systemen und Prozessen und erforschen ein weiteres neues Gebiet für Experimente.

Internet-Hybriden zeigen die Hinfälligkeit von Einweg- und stark zentralisierten Distributionsformen, zum Beispiel dem Fernsehen, und tragen zur Erweiterung der kommunikativen Möglichkeiten bei, die es nur bei dieser immateriellen, instabilen und telematischen Form von künstlerischer Handlung gibt. Mit Hilfe dieser Hybriden können Künstler in ihrer Kreativität über die aufkommenden Design- und konzeptuellen Standards des Internet hinausgehen und so verhindern, daß ihre Werke einen Wiederholungscharakter aufweisen. Abseits des Kunstmarktes gibt es nun eine neue internationale Generation von Medienkünstlern, die oft zusammenarbeiten und dieselbe idealistische Energie und denselben radikalen Innovationsgeist an den Tag legen wie die moderne Avantgarde. Wenn wir die innovative Kunst der Gegenwart nicht mehr als avantgardistisch bezeichnen wollen, dann müssen wir ihre kritische und experimentelle Dimension inner- und außerhalb des Internet anerkennen, obwohl (oder weil) man sie keinem "-ismus", mit dem man für gewöhnlich die Abschnitte eines kunstgeschichtlichen Abrisses bezeichnet, zuordnen kann.

Eine solche Gruppe, die nicht darauf wartet, daß die übrige Welt sie einholt, ist das europäische Labor für Medienkunst von Ponton, das 1986 gegründet wurde und seit 1989 in Hamburg angesiedelt ist. Es umfaßt fünfzehn Mitglieder, aber je nach Projekt gibt es noch einmal doppelt so viele Mitarbeiter. Zu dieser unabhängigen Gruppe gehören Künstler und Techniker aus Deutschland. Italien, Frankreich, Österreich, Kanada und den USA. Das bis jetzt ehrgeizigste Projekt war das interaktive Fernsehereignis Piazza Virtuale (virtueller Platz), das hundert Tage dauerte und als Bestandteil der alle vier Jahre stattfindenden internationalen Kunstausstellung documenta IX 1993 in Kassel organisiert wurde.

Bei diesem Projekt wurden auf noch nie dagewesene Art und Weise Live-Fernsehen (mittels zwei Satellitenfeeds) mit je vier Eingängen für ISDN, Telefon, Modem, Tastentetefon, Videofon und Fax gekreuzt. Eine Einwegübertragung, wie beim herkömmlichen Fernsehen, gab es hier nicht. Ohne irgendwelche festen Regeln und Moderatoren konnten sich bis zu zwanzig Zuseher gleichzeitig in das System einwählen bzw. -schalten und gelegentlich Videokameras auf einer Schiene an der Decke des Studios fernsteuern. Diese Aktivitäten von den Zusehern aus verschiedenen Ländern wurden in Europa, und manchmal auch in Japan und den USA, von Pontons VanGogh-TV in Kassel live übertragen. In einer in Kassel verteilten Broschüre zu diesem Projekt hieß es, daß Piazza Virtuale "eine bildsymbotische Sprache der Interaktion und Partizipation ist – und nicht ein distanziertes, naturalistisches Abbild der Welt und der Ästhetik des 19. Jahrhunderts, was sich noch immer oft in elektronischen Bildern findet"..

Diese Arbeit ist stark mit der Vorstellung, daß die Kunst eine soziale Verantwortung hat, verwurzelt. Die Künstler verhalten sich auch dementsprechend, sowohl in der Medienlandschaft als auch in der Realität. In diesem Projekt wurde, unter anderem, der monologartige Charakter des Fernsehens durch einen öffentlichen Raum für Interaktion, analog zum Internet, ersetzt. Die von der Industrie propagierten Ideen wie "Video-on demand" oder "interaktives Fernsehen" sind schon jetzt, bevor sie noch verwirklicht worden sind, dank der globalen Interaktivität des Internet überholt. In einer Nachricht, die im August 1993 bei der Newsgroup comp.multimedia einging, schreibt Ole Lntjens, der Interface-Designer von Ponton: "Piazza Virtuale ist für die Medienkunst der Zukunft ein Schritt nach vorne; dabei können interaktives Fernsehen und internationale Networks eine wichtige kollektive Form des Ausdrucks sein" (www.ntt.jp/peopte/takada/mt/archive/infotalk/199308/19930830.html).

Seit 1989 arbeite ich mit Ed Bennett am Ornitorrinco-Projekt, bei dem es um Telepräsenzinstallationen geht, zusammen, da wir uns beide für die politischen Auswirkungen von hierarchischen Medienlandschaften und für die sozio-ästhetischen Möglichkeiten von rekombinierten und hybridisierten elektronischen Medien interessieren. Ornitorrinco ist das portugiesische Wort für Schnabeltier, das gemeinhin als Kreuzung zwischen Vogel und Säugetier gilt. Das Projekt entstand 1987 und baute auf meinen frühen Telekommunikationsarbeiten auf, die ich seit 1985 in Brasilien mit dem dort verwendeten (und mittlerweile schon aufgegebenen) französischen Videotextsystem geschaffen hatte. Das Konzept der Telepräsenz, das ich 1990 mit meinem Artikel "Ornitorrinco: Telepräsenz und Fernerkundung" (www.uky.edu/Artsource/kac/kac.html) in den Kunstbereich einführte, wird in der Wissenschaft bereits seit den frühen Achtzigerjahren weitgehend verwendet. Es geht hierbei um Fernsteuerungsszenarien, in denen man einen Teleroboter von der Ferne aus steuert und ein visuelles Feedback erhält, wodurch einem das Gefühl der Präsenz in der entfernten Umgebung gegeben wird.

Die Grundstruktur der Ornitorrinco-Reihe von Telepräsenzinstallationen besteht zunächst aus dem ferngesteuerten Teleroboter, herkömmlichen Telefonverbindungen (für Video und Fernsteuerung) und der Umgebung des Roboters. Die Zuseher werden zum aktiven Teilnehmer,wenn sie sich in den Körper des Roboters versetzen und ihn im entfernten Raum beliebig steuern, indem sie einfach die Tasten auf einem normalen Telefon drücken. Die Umgebung des Roboters ist seinen Dimensionen angepaßt, damit der Zuseher vorübergehend seine menschlichen Dimensionen vergißt und sich eine neue Welt durch ganz andere Augen ansieht. "Ornitorrinco in Copacabana", das unser erstes Telepräsenz-Kunstereignis war, wurde 1992 in Chicago bei der Siggraph Art Show präsentiert. "Ornitorrinco on the Moon" wurde 1993 von The School of the Art Institute in Chicago und dem Künstlerhaus in Graz vorgestellt. Beide waren Punkt-zu-Punkt-Ereignisse. Unser jüngstes internationales Projekt "Ornitorrinco in Eden" realisierten wir am 23. Oktober 1994: Wir hybridisierten das Internet mit Telemotorik, physischen (architektonischen) Räumen, dem Telefonsystem, dem parallelen Zellularsystem und einer digitalen "Tele-Vision". Auf diese Weise konnten die Teilnehmer selbst entscheiden,wohin in der Umgebung des Teleroboters sie sich über Internet bewegen wollten. Anonyme Teilnehmer teilten sich den Körper des Roboters, steuerten ihn und konnten gleichzeitig durch seine Augen schauen. Es entsteht dabei als Ergebnis der Synergie von neuen ungewöhnlichen Elementen, wie Koexistenz in virtuellen und realen Räumen, synchronen Handlungen, Echtzeit-Fernsteuerung, Steuerung von Telerobotern und vernetzter Zusammenarbeit, eine neue Ästhetik. All diese Elemente sind in die Telepräsenzinstallation "Ornitorrinco in Eden" integriert (www.uky.edu/Artsource/kac/kac.html).

Die vernetzte Telepräsenzinstallation "Ornitorrinco in Eden" stellte eine Brücke zwischen dem immateriellen Raum von Internet und den physischen Räumen in Seattle, Chicago und Lexington dar. Das Werk bestand aus diesen drei Knotenpunkten aktiver Partizipation und weltweit mehreren anderen Observationspunkten. Anonyme Beobachter aus verschiedenen amerikanischen Städten und mehreren Ländern (z.B. aus Finnland, Kanada, Deutschland und Irland) waren on-line dabei und konnten die Installation in Chicago durch die Augen von Ornitorrinco, der von anonymen Teilnehmern in Lexington und Seattle gesteuert wurde, bestaunen.

Der mobile und drahtlose Teleroboter Ornitorrinco in Chicago konnte von Teilnehmern in Lexington und Seattle in Echtzeit gesteuert werden. Diese teilten sich den Körper von Ornitorrinco gleichzeitig. Über das Internet erlebten sie die Installation durch die Augen von Ornitorrinco. Der Teleroboter wurde über reguläre Telefonverbindungen (Dreier-Konferenzschaltung) von mehreren Teilnehmern gleichzeitig und in Echtzeit gesteuert.

Der Installationsraum bestand aus miteinander verbundenen Sektoren. Das dominierende visuelle Thema war die Hinfälligkeit von Medien, die einst als innovativ galten, und die Existenz dieser Medien in unserer technologischen Landschaft.

Veraltete Schallplatten, Magnetbänder, Schallplatten und andere Elemente wurden hauptsächlich wegen ihrer äußeren Form, ihrer Beschaffenheit und Größe verwendet, und nicht wegen ihrer Funktion. Theaterscheinwerfer kamen ebenfalls zum Einsatz, um das visuelle Erlebnis zu steigern und um in bestimmten Bereichen Schatten zu erzeugen. Kleine Objekte wurden an strategischen Punkten positioniert, darunter Plastikkugeln, die vom Teleroboter umhergestoßen wurden, ein kreisförmiges Objekt mit Eigenantrieb, das von der Decke hing und sich unberechenbar bewegte, ein kleiner stationärer Roboter mit glühenden Augen, der sich bei genauerer Ansicht als ein drehender Ventilator entpuppte und ein Spiegel, in dem sich die Teilnehmer "selbst", d.h. als Teleroboter Ornitorrinco, sehen konnten. Die Begegnungen mit diesen Objekten boten den Beobachtern eine Reihe von Überraschungen im Zuge ihrer Expeditionen durch den Raum, der auf diese Weise die Atmosphäre eines Teleparadieses obsoleter Dinge erhielt.

Der Kunsthistoriker und Kurator Keith Holz meinte, daß "Ornitorrinco in Eden" dazu anrege, daß "man über seinen eigenen Status als aktives Mitglied einer imaginären – technologisch verfaßten – Gemeinschaft nachdenkt". "Durch die Schaffung von einfachen und komplexen Hybriden bestehender Technologien", so Holz, "entmystifiziert das Werk seine konventionellen Abläufe und Arrangements. Dies regt den Beobachter an nachzudenken, wie die Unterschiede zwischen getrennt entwickelten Medien, wenn sie zusammen moduliert werden, emanzipatorische Alternativen für die herkömmlichen Verwendungsarten liefern könnten, die sich vor allem bei Einwegmedien wie dem Fernsehen finden." (www-mitpress.mit.edu/LEA/BackIssues/lea2-12.txt)

In diesem neuen Kontext der Interaktion und Partizipation, der mittels dieser vernetzten, über Internet realisierten, Telepräsenzinstallation generiert wurde, lief die Kommunikation nicht über schriftliche oder mündliche Eingaben ab, sondern über den Rhythmus, der sich aus der gemeinsam erlebten Erfahrung der Teilnehmer ableitet. Beobachter und Teilnehmer konnten zusammen, im selben Körper, einen Phantasieraum von einer fremdartigen Perspektive aus erkunden und sich dabei von der eigenen Identität, geographischen Lage, physischen Präsenz und Kultur lösen. Dadurch, daß wir das Werk über Internet präsentierten, konnte jedermann mit Internet-Anschluß es sehen, und wir waren nicht auf eine Galerie angewiesen und konnten unser Werk einem größerem Publikum zugänglich machen.

Durch die Integration über das Internet von Telemotorik, Telepartizipation, geographisch verteilten Räumen, traditioneller und zellularer Telephonie, Echtzeit-Bewegungssteuerung und Videokonferenzen vermittelte diese vernetzte Telepräsenzinstallation eine neue interaktive Erfahrung, die, im Sinne von Pontons Arbeit, zukünftige Kunstformen erkennen läßt. Sollte im nächsten Jahrhundert der "one-way"-Diskurs der Massenmedien seine Struktur und seine Reichweite durch pseudointeraktive Gimmicks erneuern, dann ist es klar, daß immer mehr Menschen zwischen den Weiten inner- und außerhalb von Computernetworks leben, miteinander in Interaktion treten und arbeiten werden. Als Ergebnis der Expansion von Kommunikations- und Telepräsenztechnologien werden sich neue Interfaceformen zwischen Menschen, Pflanzen, Tieren und Robotern herausbilden. Dieses Werk stellt einen essentiellen Schritt in diese Richtung dar.

Neue tragbare Computer und Satellitenschüsseln, Armbandtelefone, holographisches Video und eine ganze Reihe von neuen technischen Erfindungen: Die Telekommunikationsmedien werden sich weiterentwickeln, aber das ist keine Garantie für einen Qualitätssprung in der zwischenmenschlichen Kommunikation. In "Ornitorrinco in Eden" wurde ein Kontext geschaffen, in dem die Teilnehmer den Eindruck hatten, daß sie mit ihrer gemeinsamen Erfahrung und nicht hierarchischen Zusammenarbeit Stück für Stück, oder "Rahmen für Rahmen", eine neue Realität konstruierten. In dieser waren Raum-Zeit-Distanzen nicht mehr von Bedeutung, virtuelle und reale Räume waren gleichwertig, und Sprachbarrieren wurden vorübergehend zugunsten eines gemeinsamen, Macht verleihenden, Erlebnisses zurückgedrängt.

Zweifelsohne stellt das Internet eine neue Herausforderung an die Kunst dar. Das Net schiebt das Immaterielle in den Vordergrund und liefert kulturelle Vorschläge, wobei die Diskussion um Ästhetik in das Zentrum sozialer Veränderungen gestellt wird. In typischer Weise für die Postmoderne bietet es auch ein praktisches Modell für dezentralisiertes Wissen und Machtstrukturen und stellt die aktuellen Paradigmen für Verhalten und Diskurs in Frage. Die wunderbaren kulturellen Elemente, die es mit sich bringt, werden unser Leben über die Einweg-Strukturen hinaus beeinflussen, die gegenwärtig die Medienlandschaft formen. Als Teilnehmer in dieser neuen Phase sozialer Veränderungen und nationaler und internationaler Konflikte dürfen wir die duale Lage des Internet nicht außer acht lassen. Sollte es von Unternehmen beherrscht werden, würde es bloß ein weiteres Informationssystem, analog zum Fernsehen und Radio,werden. Dies würde bedeuten, daß sich die "Netzbewohner" oder "Netizens" (d.h, virtuell gesehen die Welt) an starre Interaktionsmuster halten müßten. Geschäftsinteressen könnten es verhindern, daß sich das Internet auch in unterentwickelten Regionen, wie Südamerika und Afrika, durchsetzen kann. Im Internet besteht aber auch die Gefahr, daß alte kulturellen Artefakte aufgrund von virtuellen Oberflächen, Standardschnittstellen und festen Kommunikationsformen identisch werden.

Aber die aufkommenden Kommunikationsformen des Internet zeigen bereits in eine progressivere Richtung. Mit Hilfe der Internet-Telephonie ist es schon jetzt möglich, daß Macintosh- (www.emagic.com) und PC-User (www.vocaltec.com) mit jedem anderen, ans Net angeschlossenen, User "telefonieren" können. Dazu braucht man nur eine IP-Adresse, wie sie alle User haben oder beim Log-in bekommen, ein Mikrophon und Lautsprecher (oder Kopfhörer). Die IP-Adresse übernimmt also die Funktion der guten alten Telefonnummer. Auch wenn das Ganze noch in den Kinderschuhen steckt, so ist abzusehen, daß diese Technologie herkömmliche Telefone verdrängen könnte, da mehr Leute miteinander kostenlos sprechen und sich neue soziale Beziehungen herausbilden können.

Das Internet hat sich beachtlich entwickelt, seit es ein kleines Network auf der Grundlage eines "Command-line"-Interface war. Es ist evident, daß die Zukunft der Kunst und jene des Internet miteinander verknüpft sein werden. Was aus dem Internet wird und welche neuen Kunstformen entstehen werden, das sind Fragen, mit denen wir uns kontinuierlich in der Gegenwart auseinandersetzen müssen.

ekac@pop.uky.edn