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Public Voice


'Roland Alton-Scheidl Roland Alton-Scheidl

DIE SOZIALVERTRÄGLICHE NETZWERK-VARIANTE: INTERAKTIVE SPRACH- UND FAXDIENSTE VON PUBLIC VOICE
Eine Umfrage über Erwartungen an die Infobahn bei den Lesern der Zeitschrift Macworld (Okt. 1994) ergab als meistgewünschten Dienst die Möglichkeit, an Online-Wahlen teilzunehmen. Ein solcher Service könnte nicht nur den Weg zur Urne ersparen, sondern darüberhinaus die Möglichkeit bieten, zusätzliche Informationen über Parteiprogramme oder den Abstimmungsgegenstand abzufragen und vor der Wahl auch an Diskussionen im Netz teilzunehmen.

Diese Wunschvorstellung macht einmal mehr deutlich, daß wir uns auf eine Zweiklassengesellschaft zubewegen: "the information rich and the information poor". (1) Jene, die den Einstieg in die Online-Welt geschafft haben, können rasch und nahezu unbeschränkt Informationen abrufen, ihre Ansichten in das Netzwerk einbringen oder eben an neuen Formen demokratischer Mitbestimmung teilnehmen. Doch jene, die keinen Computer, kein Modern, keinen Telefonanschluß, keine Telefonsteckdose oder nur ein Vierteltelefon besitzen, den Umgang mit Bildschirm oder Tastatur scheuen oder sich schriftlich auszudrücken nicht geübt sind, bleiben davon ausgeschlossen. Computernetzwerke sind alles andere als sozial oder demokratisch gerecht: in Österreich beträgt die Zahl jener, die Online-Dienste benützen können, etwa 100.000 Personen (2), das sind gerade 1,2 Prozent der Gesamtbevölkerung!

Eine Alternative zu den bildschirmorientierten Online-Diensten bieten sogenannte Audiotexsysteme, die sehr ähnliche Funktionen bereitstellen, jedoch Sprache statt Buchstaben übertragen und speichern, wobei auch Faxseiten mitgeliefert werden können. Folgende Anwendungen lassen sich damit realisieren: privates Postfach, gleichzeitige und ungleichzeitige Diskussionen zu bestimmten Themen (etwa aus der Tages- oder Lokalpolitik) für ein öffentliches oder ein geschlossenes Publikum, Datenbankabfragen, Informationsbereitstellung, Bewertungen, Musikcharts, Abstimmungen, aber auch Kartenreservierungen, Bankgeschäfte oder Teleshopping.

Die Umsätze von Audiotexdiensten haben jene von Online-Diensten bereits weit hinter sich gelassen, wenn auch ein großer Anteil durch Unterhaltung und Erotikdienste lukriert wird. Die beschränkte Übertragungsqualität der Sprache scheint kein Diffusionshemmnis zu sein. Der Boom von Audiotexdiensten ist auf folgende Faktoren zurückzuführen (3) : universelle Verfügbarkeit,wahlweise einfaches Inkasso über Mehrwertnummern mit erhöhter Fernsprechgebühr und der massive Preisverfall der Speichermedien, auf denen die Sprachinformation digitalisiert festgehalten wird. Rückschläge gab es in Ländern, wo keine gesetzliche Bestimmungen oder Selbstregulierungsinstanzen geschaffen worden sind, die Jugend- und Konsumentenschutzbestimmungen auch für Audiotexdienste kontrollieren – in der Schweiz mußte sogar der Postminister hinter Gitter, da einige Anbieter mit Pornonummern für öffentliches Ärgernis gesorgt hatten. Um dieses Image loszuwerden, gibt es in vielen Ländern getrennte Nummernserien für vergebührte Unterhaltungs- und Businessdienste.

PUBLIC VOICE bietet seit kurzem universelle und einfachst zu bedienende Sprach- und Faxdienste mit einem hohen Maß an Nutzerinteraktivität in Österreich an. Die Entwicklung der funktionalen Module wurde von Kommunikations-, Politik- und Medienwissenschaftern begleitet, wobei ein Modell des kommunizierten verteilten Wissens zugrundegelegt worden ist; so manche Funktionen des Internet sind für dieses Audiotexsystem Pate gestanden. Das Angebot umfaßt Telefonpostfächer, Gruppen-, Diskussions- und Infofächer, wahlweise mit Faxfunktion. Jedes Fach ist mittels eigener Durchwahl erreichbar. Telefon- und Gruppenfächer werden vollautomatisch vergeben. Über jeden Telefonapparat kann die Konfiguration und das Einspielen von Nachrichten vorgenommen werden.

Das PUBLIC VOICE System bietet folgende Vorteile:
  • Hohe Reichweite durch Benützung über jedes Telefon (auch Wählscheibenapparate)

  • Niedrige Hemmschwelle durch einfache Bedienung

  • Präzise Ansteuerung einzelner Informationsbereiche mittels Direktdurchwahl

  • Multimedialität durch Sounds und das Mitsenden von Faxdokumenten

  • Interaktivität durch Steuerung über Telefontasten oder mittels Stimme.
In Zusammenarbeit mit der Stadtplanung Wien und unter Begleitung der Forschungsstelle für Sozioökonomie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften führte PUBLIC VOICE einen viermonatigen Feldversuch durch, in dem es zu untersuchen galt, inwiefern interaktive Sprachdienste zur Verstärkung der Bürgerbeteiligung in der Stadtplanung genützt werden können. Das "Grätzltelefon für den Raum Aspern" wurde in diesem Zeitraum 2000 mal angerufen, wobei Diskussionsbeiträge zu den Themenbereichen Verkehr, Grundwasser, Freizeitgestaltung u.v.m. einlangten.

PUBLIC VOICE ist bei Ars Electronica 95 mit einem Audiotexservice mit folgenden Elementen präsent: Presse- und Informationsdienst, O-Töne, akustischer Treffpunkt und ein Symposiumsservice, der es gestattet, Vorträge bereits während oder jederzeit nach dem Vortrag auch per Telefon abzuhören.

Kontakt per EMail: Alton-Scheidt@oeaw.ac.at. Telefonpostfach: (+43 1) 58930 2004.


(1)
Siefert/Gerbner/Fisher (eds.): The Information Gap, How Computers and Other New Communication Technologies Affect the Social Distribution of Power. Oxford University Press 1989; New York. Oxford. zurück

(2)
IWI/Seidel/Haacker/Alton-Scheidt (Hg.): Österreich Online. Ein interaktives Handbuch. PUBLIC VOICE Verlag 1995: Wien. zurück

(3)
Latzer/Thomas (eds.): Cash Lines. The development and regulation of audiotex in Europe and the United States. Het Spinhuis Publishers 1993: Amsterdam. zurück