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Ars Electronica 1995
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Festival 1979-2007
 

 

Max Res O+A 95


'Sam Auinger Sam Auinger / 'Bruce Odland Bruce Odland

Idee, Konzept, Komposition: Sam Auinger, Bruce Odland
Digitales Kommunikationslayout: Gerald Schalek, Andreas Feichtner
Max wurde gebaut von: Gerd Thaller


Es handelt sich hier um eine Installation von Bruce Odland und Sam Auinger, die den Linzer Hauptbahnhof über ein harmonisches und melodisches Interface aus Menschen, Maschinen und Informationen mit dem Brucknerhaus verbindet. Die Geräuschkulisse des Bahnhofs wird von einer über Daten- und Computerleitungen verbundenen Fernmeßstation aus in Echtzeit neu gestimmt. MAX RES, eine aus Zement, Kunststoff und Glas bestehende Figur, ist in der Bahnhofshalle aufgestellt und empfängt und überträgt Audio- und Videosignale, wodurch die Atmosphäre durch eine harmonisch variierte Resonanz verändert wird.

IN DER BAHNHOFSHALLE
  • eine Überwachungskamera beobachtet das Kommen und Gehen in der Abfahrtshalle.

  • die Mikrophone in den Ohren der Figur übertragen die Geräuschkulisse des Bahnhofs an die Kopfhörer in der Fernmeßstation beim Brucknerhaus.

  • auf einem Monitor erhält man visuelle Hinweise auf die Quelle der Töne und Geräusche. Es handelt sich hierbei um die Aufnahmen der Videokamera im Stimmtrichter am Bahnsteig, wo die Tonkulisse eingefangen wird.

  • über den Würfellautsprecher aus Zement wird die gestimmte Resonanz in Echtzeit abgespielt.

AUF DEM BAHNSTEIG
All die Geräusche und Töne von Zügen, Menschen, Lautsprecherdurchsagen, automatischen Türen und Gepäckwagen werden mittels des Trichters auf eine Obertonreihe reduziert. Das Mikrophon im Trichter fängt all dies als einen sich verschiebenden Akkord auf der Grundlage der Länge des Grundtons des Trichters und seiner Teiltöne auf. Diese Töne werden an einen Computer im Kontrollraum übermittelt, wo sie digital gefiltert und sofort über den Zementwürfel-Lautsprecher von MAX RES abgespielt werden. Das Ergebnis ist eine rhythmische, harmonische und melodische Wiedergabe des Zusammentreffens von Menschen und eisenzeitmäßigen Fortbewegungsmitteln. Der Zweck der Videokamera ist es, visuelle Bezugspunkte zu liefern, um so den genauen Ursprung der Töne bestimmen zu können.
IN DER FERNMESSTATION
Hier gibt es einen Zugfahrplan, der als Rhythmusdiagramm der Töne, die man im Kopfhörer hören kann, dient. Die Züge stellen die grundlegende Tonstruktur dar und generieren eine Reihe von anderen, von ihrem Takt abhängige, Töne: Fußschritte, Stimmen, Gepäckwagen, Zischen der Züge, Durchsagen, Türen und vieles andere mehr. Es gibt auch eine Uhr, die dazu dient, den Takt zu halten.

Die Kopfhörer: Wenn man sie sich aufsetzt, kann man die Welt durch die Ohren (die beiden Mikrophone) von MAX RES erfahren. Man hört nicht nur die vom Würfellautsprecher kommende gestimmte Resonanz, sondern auch die Klangwirkung der Bahnhofshalle und ihre Tonkulisse.

Die Monitoren: Einer der Monitoren zeigt dasselbe Bild wie der in der Brust von MAX RES, die Tonquellen werden mittels des Stimmtrichters auf dem Bahnsteig aufgezeichnet. Der andere Monitor bietet ein mit der Überwachungskamera aufgezeichnetes Bild von MAX RES. Man kann dabei den Menschenstrom beobachten, während man das Ambiente der Halle modifiziert.

Hier befindet sich auch ein Computer, der mit den Computerfiltern im Bahnhof verbunden ist. Wenn man sich für eine Modifikation entschieden hat, wird diese mit einem Modem an einen zweiten Computer übertragen. Der angewählte Filter verändert dann die an den Würfellautsprecher von MAX RES geschickten Resonanzen.
EINE HÖR-PERSPEKTIVE
Bruce Odland und Sam Auinger

Wir lernen unser Geräuschumfeld zu verstehen, indem wir hören, lauschen, es erforschen und versuchen, es als eine Sprache zu sehen. Wir sammeln, filtern und erweitern die Resonanzen der Natur und der Städte, um die versteckten Stimmen hörbar zu machen.

Wenn wir eine große Audio-Installation auf einem öffentlichen Platz anbringen, dann ist für uns die grundlegende, natürliche "Tonlandschaft" des Ortes der Ausgangspunkt. Die Architektur, Geschichte, Akustik und die soziale Dynamik eines bestimmten Raumes werden dabei berücksichtigt. Oftmals gibt es eine große Diskrepanz zwischen visueller und auditiver Ästhetik.

Ein Gewirr von Geräuschen, wie es von Autos, Hubschraubern, Hintergrundmusik und Polizeisirenen verursacht wird, wird für gewöhnlich aus unserem geistigen Bild, das wir von einem bestimmten Raum haben, als Lärm verdrängt. Wenn man diesen Lärm eingehender studiert, entdeckt man einige brauchbare Tonquellen. Hierbei stößt man auf eine versteckte Musik voll interessanter Details, brauchbarer Töne und Harmonien, ja sogar auf eine mögliche Melodik.

Wir haben eine Reihe von Kompositionswerkzeugen entwickelt, mit denen wir unsere Tonumwelt bearbeiten und formen können. Diese speziellen Resonatoren, Digitalfilter, Lautsprecher, Matrixmixer etc. ermöglichen es uns, vor Ort mit unserer eigenen Musik-Konkret in Echtzeit zu arbeiten. Aus dem Stadtlärm können wir Obertöne herausholen, sie filtern, formen und dann sofort abspielen, wodurch die Gefühle, die Atmosphäre und die Klangwirkung dieses Umfeldes verwandelt werden. Auf diese Weise können wir die Melodien herausholen und die versteckten Stimmen hörbar machen.

Dabei verwenden wir keine exotischen Töne, statt dessen (de-)konstruieren und verstärken wir ausgewählte Resonanzen, die wir an Ort und Stelle vorfinden. Diese bestehenden Töne bilden unser Grundmaterial. Wir manipulieren ihre Obertöne in Echtzeit, wodurch wir ihre inhärente harmonische Struktur freilegen. Die für die Komposition gewählten Obertöne des Sammelresonators werden mittels digitaler Resonanzfilter ausgesiebt und modifiziert, um einen reichen, harmonischen Akkord zu schaffen, der unsere Wahrnehmung des Raumes verändert und dessen ästhetischen Wert tiefgehend und unvorhersehbar steigert.

Um die vor Ort gefundenen und ausgewählten musikalischen Resonanzen so zu vergrößern, daß die Öffentlichkeit sie wahrnehmen kann, müssen eine Reihe von ästhetischen und kompositionellen Fragen beantwortet werden. Wie sieht das Gebrauchsmuster des Raumes aus, und wie kann man eine perzeptive Verlagerung zu seiner harmonischen Verbesserung bewirken? Wo hat die Architektur ihren akustischen Brennpunkt? Welche visuellen Aspekte des Ortes schaffen einen brauchbaren Hörrahmen? Was werden die an diesen Ort kommenden Besucher als erstes hören? Werden sie, beispielsweise, langsam in eine harmonische und musikalische Version des Raumes eintreten, während sie sich dem architektonischen Brennpunkt nähern? Welche Lautsprecher müssen verwendet werden, um an den Raum ästhetisch anzukoppeln? Welches unserer Stimmwerkzeuge ist am besten geeignet, und welche Art der Interaktivität würde den Besucher am ehesten ansprechen? Dies sind die kompositionellen Fragen, die wir jedesmal, wenn wir eine solche Installation anbringen, klären müssen.
LINZ: GARTEN DER ZEITTRÄUME 1990
Unser erster Ausflug in dieses Thema war ein Gebot der Notwendigkeit. In unserem Werk "Garten der Zeitträume" für die Ars Electronica 1990 wollten wir eine ungewöhnlich feine akustische Transformation des Linzer Schloßgartens schaffen, ein unsichtbares akustisches Netz, das einem das Gefühl geben sollte, als würde man sich im freien Fall durch die Jahrhunderte befinden. Doch unsere Kreativität wurde durch das anhaltende Geräusch des Verkehrs blockiert, das uns immer und immer wieder zu sagen schien: "Post-war, post-war, post-war . . .". Deshalb bauten wir auf einem Hang mit Ausblick auf den Hauptpendlerverkehr eine Installation auf, zur Umwandlung der Autogeräusche in etwas Interessantes und Geheimnisvolles. Mit einem Richtmikrophon zeichneten wir die Verkehrsgeräusche auf und vocodierten bzw. morphten sie mit den Geräuschen von Wasser, Wind, den Klängen einer E-Gitarre und anderen Tönen. Die gemorphten Töne wurden über von uns gestaltete und gebaute Lautsprecher projiziert. Diese keramischen "Planet speakers" schickten einen gerichteten Tonstrahl den Hang hinauf, der beim Zuhörer früher ankam als der Verkehrslärm. Diese "Maskierung" diente sozusagen als Schallmauer zum Schutz gegen den Autolärm. Danach war es uns möglich, den Rest der Klangatmosphäre des Gartens so zu gestalten, wie wir es ursprünglich geplant hatten. Es entwickelte sich zu einer eigenen Attraktion, da durch die Technik die "Stimmen" der Autos auf eine andere Wahrnehmungsebene verlagert wurden.
ROM: TRAFFIC MANTRA 1992
1992 schufen wir in Rom zur Unterstützung des spektralen Sonnenwerks "Secrets of the Sun" von Peter Erskine eine akustische Installation. Die überaus reiche Ästhetik des Trajansforums mit seiner berühmten urgotischen, gewölbten Aula des Architekten Apollodoros aus Damaskus war vom Autolärm der verkehrsreichen Via "4. November" regelrecht überdeckt, das Ganze war zu einem Orchester der Fiats und Vespas geworden. Anstatt dies zu übertönen zu versuchen, entschlossen wir uns, diese im 20. Jahrhundert allgegenwärtige Geräuschkulisse uns zu eigen zu machen und eine Methode zu finden, wie wir sie transformieren könnten.

Um die akustischen Ressourcen zu erforschen, gaben wir ein Stereomikrophon in eine römische Amphore. Es klang so, als würden sämtliche Glocken Roms im Inneren läuten, aber als wir das Mikrophon herausnahmen, war wieder nur der Verkehrslärm zu hören. Jenes Tongefäß aus der Sklavenzeit Roms war in unserem Jahrhundert der fossilen Brennstoffe zu einem akustisch aktivierten Synthesizer geworden, der die Töne des Verkehrs einfangen und in komplexe Harmonien verwandeln konnte. Innerhalb der Amphore wurden die tiefen Töne von Autobussen zu tiefen Grundtönen, vorbeifahrende Vespas bildeten hohe Obertonakkorde, und Polizeisirenen waren melodische Solostimmen. Wir holten vom zuständigen Archäologen die Erlaubnis ein, vier von ungefähr 250 Amphoren auszuwählen. Jede davon hatte ihre eigene Obertonreihe.

Wir verwendeten also den Widerhall des Verkehrslärms in der Amphore, filterten ihn und spielten in Echtzeit eine musikalisch veränderte Version des Stadtlärms vor Ort wieder ab. Als Mittelpunkt wählten wir den Triumphbogen, der einst der Haupteingang zum Forum war, und hängten dort einen solarangetriebenen "Planet speaker" aus Keramik auf. Von dort aus strahlten wir die Verkehrsresonanzen auf die geschwungenen Formen der alten römischen Architektur ab und transformierten das Klang-Ambiente auf harmonische Art und Weise. Dann geschah etwas, womit wir überhaupt nicht gerechnet hatten: Eine Gruppe von Arbeitern verschiedener Nationalitäten wurde plötzlich ruhig, nachdem sie bis zu jenem Zeitpunkt in verschiedenen Sprachen durcheinander geschrien hatten.
NEW YORK: INFRASTRUCTURE HARMONICS 1992
Nach getaner Arbeit in Rom wollten wir die Möglichkeiten einer weiteren "lautstarken" Stadt erforschen: New York. Von John Hanhardt vom Whitney Museum aufgestachelt, die "amerikanische Amphore" zu finden, begaben wir uns zum Verkehrsmittelpunkt von New York, der Grand Central Station. Wir waren wie besessen von der Theorie, daß es dort eine permanente Welle von Obertonreihen geben mußte, die von Zügen, Menschen, Belüftungsventilatoren, dem Summen von Leuchtstoffröhren und Klimaanlagen stammten und daß die Bahnhofshalle mit ihrer gewölbten Decke ebenso wie die Amphore in Rom Resonanzen verursachen würde.

Doch wieso konnten wir das nicht hören? Unsere Theorie war, daß zwei Ohren diesen Akkord wegen seiner riesigen Dimension nicht wahrnehmen konnten: Die Wellen waren zu lange und die räumliche Distanz zwischen den Obertönen zu groß. Wir synchronisierten daher zwei Datenrecorder in der Mitte der Halle, dann trennten wir uns räumlich, aber nicht zeitlich. Ich ging in Richtung der Züge und wieder zurück, während Sam in der Mitte der Halle blieb. Später spielten wir dann beide Aufnahmen gleichzeitig ab und konnten so mit vier Ohren und aus zwei verschiedenen Perspektiven den Resonanz-Akkord hören. Dieser Akkord bestand aus dem Grundton – den Zugsmotoren -, der durch die Untergrundtunnel verstärkt wurde, einer Quint – der Klimaanlagen –" einer Oktave – den Ventilatoren – und einer Subdominante, die von dem riesigen Abzugsgebläse auf dem Dach herrührte. Wenn man nur einen der beiden Kanäle abschaltete, war der Akkord nicht mehr zu hören. Die GCS ist wie ein großes Resonanzinstrument, auf dem man eine wechselnde Obertonstruktur erzeugen kann und somit eine auditive Darstellung des Verkehrsmittelpunkts von New York.
BERLIN: STIMMTRICHTER 1993
1993 errichteten wir abermals eine Audio-Installation zur Unterstützung von Peter Erskins "Secrets of the Sun", diesmal in Berlin. Der gewählte Ort war die Kongreßhalle, jenes stolze parabolische Gebäude, das 1956 auf dem Höhepunkt der Paranoia rund um den Kalten Krieg von den Amerikanern gestiftet wurde. Die Kongreßhalle befindet sich in der John-Foster-Dulles-Allee westlich vom Reichstagsgebäude und gleicht dem Schnabel eines Adlers, der sich ein Stück Berlin zu schnappen scheint. Zunächst hörten wir uns die Geräusche der Gegend an: Intensiver Verkehr, ein Glockenturm, Springbrunnen, Leute, die Picknicks veranstalteten, Autos, Busse, etc. Kurzum, ein intensiver, aber normaler, Stadtlärm, der den Park durchdringt und von dem kolossalen Betonmonument der Nachkriegszeit verstärkt bzw. reflektiert wird.

Wir stellten einen Resonanzstimmtrichter von vier Meter Größe bei der Bushaltestelle am Haupteingang auf. Der Trichter verstärkte die Obertonreihe und reduzierte alle eingehenden Töne auf die möglichen Intervalle. Den Rhythmus gab die Ankunft bzw, die Abfahrt der Autobusse vor, wodurch alle fünf bis zehn Minuten der erste und der zweite Teilton des Trichters aktiviert wurde. Der nahegelegene Springbrunnen lieferte ein tambourähnliches Dröhnen. Gelegentlich vorbeikommende, oder auf den Bus wartende, Menschen trugen zur Melodik bei, indem ihre Stimmen und Fußschritte gescannt und auf die oberen Teiltöne verteilt wurden. Das Mikrophon im Trichter stimmten wir auf den kleinen Septakkord, um so dem Ganzen eine Blues-Anstrich zu geben.

Über die Position der Lautsprecher für die Abstrahlung dieser gestimmten Resonanz zerbrachen wir uns lange den Kopf. Schließlich entschlossen wir uns, einen "Planet speaker" auf den Betonplatz zu stellen, direkt unter das parabolische Betondach. Da der Tonstrahl genau ausgerichtet war, konnte man direkt neben dem Lautsprecher stehen und dennoch glauben, daß der Ton vom Tonnendach kam, dem ersten Punkt der Reflexion. Ohne allzu großen Einsatz der Amplifiers konnten wir den Ton mittels der parabolischen Architektur verstärken. Die mit der Architektur gekoppelte gestimmte Resonanz veränderte das Bild des Platzes, und man hatte den Eindruck, als wäre die dominierende Form des parabolischen Daches ein im Wind schlagender Flügel. Diese Art der Komposition mit Resonanzen, Lautsprechern, Architektur und mit dem "live input" einer Stadt als Tonquelle hat einen wichtigen Vorteil: Die Komposition erneuert sich jedesmal selbst, sie ändert sich immer wieder. Als Interface reagiert sie auf ihre tonale Umwelt und verändert sich – je nach Verkehr, Zahl der Menschen, Jahreszeit, Wetter und Tageszeit. Sie transformiert dieses Zusammenspiel zu einer wahrnehmbaren Information.