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mobil_machung>co-realities<
territories, incorporations and the matrix

' Knowbotic Research Knowbotic Research

Das Modell der Netzkultur ist das Leben, und weil es dort seine einmalige Existenz aufzugeben hat, wird es leicht und in der Regel zum Modell.(…) Für die Künste käme es auf den Versuch an, Algorithmen der (Selbst)verschwendung, des Stockens, der Extase und der (Selbst)zerstörung zumindest im Experiment zu erfinden.

Siegfried Zielinski

"… the places of neither here nor there, or both, or other than both: the hybrid territories. Into these territories we will now bring all our social instincts, animal and human, for better or worse. Hybrid territory and hybrid territoriality, hybrid terror to reality, territoReality

Marcos Novak

Space, it seems, hurts.

Timothy Druckrey

Nicht mehr das Zeichen hat sich zu rechtfertigen als Zeichen von REALITÄT, sondern der symbolisterende Geist fordert den "'methodische(n)' Materialismus" – mit seinem Bestreben, Funktionales in Substantielles, Relatives in Absolutes, Maßbegriffe in Dingbegriffe zu verwandeln", in die Schranken. Von hier aus ist es nicht mehr weit zum Theorem der möglichen Welten und die Idee der Theoriegeladenheit alles Empirischen ist bereits gedacht

Hans-Jorg Sandkühler

We provide mindnet access for entities with particular needs. What resident or guest entities say or do may not always be to your liking. Beware there is no moral code in this place.

VNS Matrix

There is "unity encompassing the universe", no differentiation between inside (dream) and outside (perception). Having passed"through history from animism to animation (animateness of the first, and secondary animation of the second nature), the subject, in its quest for reunification. has returned into its self-made paradise. Flusser's demand for thought, feeling and action in the possibility category would thus mean getting involved with the computer. The machine, being called host and server, is only too ready to let us get involved. It is up to us to let ourselves be invited and served up by these machines, to get settled in the.

Volker Grassmuck

Daß die elektronischen Medien Resultate der Wissenschaft sind, ändert nichts an der Notwendigkeit, sie ästhetisch zu reflektieren. Sie konfrontieren uns mit der Maschine und damit mit einem Grundphänomen, das schwer faßbar, aber nichtstestoweniger spürbar ist: der Energie.

Peter Kroner

… through the mediation of the interface, subjectivity is extended and relocated, embodiment repositioned, object and environment re-potentialized, allowing communication to arise out of a new social dynamic that produces and is produced by shifting patterns of subject, embodiment. object, and environment.

Jordan Crandall

A meme is an "idea virus" that is, essentially an independent piece of information travelling in virtuality. Essentially, in order to communicate, living being exchanges memes. But to exchange and process "idea viruses" is also what computers do. (…) A memescape is a geography of memes, it is an idea-landscape, where human memes thrive, encounter and couple.

Oliver Dyens

The process must begin with observation: Digial naturalists must explore the digital jungle (…)

Tom Ray

We find essential to point out that in our opinion both the human element as well as the computer-workstation will build integrated nodes of this Global Brain, each cyber-species by itself will not be able to achieve this transition – only in a very tight symbiosis with this new level of global consciousness will it be possible

Gottfried Meyer-Kress
Netzstation: Ars Electronica, Linz
Installation: Kunstraum Wien, 21.6. – 12.7.1995
DWTKS – Dialogue With The Knowbotic South: Zusammenhängende initiierte Ereignisse in vernetzten Systemen werden in DWTKS als korrespondierende Realitäten erfahrbar gemacht. Künstliche Territorien werden mit Referenzdaten aus dem Südpol "belebt". Aufenthaltsort für Knowbots als mobile Informationsträger, die gleichzeitig multipräsent in künstlichen und "realen" Wirklichkeiten agieren. Für den Besucher resultieren daraus Navigation und Interaktionen in einem unbekannten offenen Gefilde. Als Systempartikel (co-identity) wird er repräsentiert im Netz und in Realräumen. Diese zeitliche Verschiebungen und Überlagerungen von Ereignissen führen zur Konstituierung von co-realities – nonlocated online – KR+cF fordert die Positionierung von "Fehlleistungen" des Netzes ein.

Die noch bestehende Freiheit des Netzes, die das offensichtlich selbstorgansierende System von gleichberechtigten Teilnehmern (Krisenmanager, ChaosPhysiker, Medientheoretiker, Künstler, Kognitionsforscher, Architekten, Soziologen, Kybernetiker, Ökologen. Kontextdesigner etc.) aufrecht erhält, garantiert die Möglichkeit, Wirklichkeit und auch Wirklichkeiten (!) zu konstruieren. Diese realitatskonstituierende Fähigkeit computerunterstützer Systeme führen zu einer allgemeinen Verunsicherung des öffentlichen Raumes, die sich verstärken wird, wenn die Verbindungen zwischen unterschiedlichen künstlichen Territorien wirksam werden. Knowbotic Research bezeichnet dies als Prinzip der 'korrespondierenden Realitäten', wobei die sogenannte 1. Realität zu einer unter vielen wird. Die öffentliche Diskussion gilt es deshalb dahingehend zu beeinflussen, nicht die negative Kraft eines drohenden kollektiven "Realitätsverlustes" apokalyptisch zu umreißen. Ganz im Gegenteil können nur im Zustand öffentlicher Irritationszustände neue distributive Informations- und Kreativitätsfelder ausgefaltet werden, die die Gesellschaft zur Herausbildung veränderter kultureller Parameter provozieren. Dieser sich verändernde öffentliche Raum, aktiviert durch die nichtlokalisierbare Präsenz computerunterstützter vernetzter Systeme, ist noch bar jeder Selbstreferentialität, aber voller "poetischer" Chancen, um Differenzen in unentdeckten Datenfeldern Ereignisraume zu eröffnen:
DATA TERRITORIES:
Alle Welt spricht von VR und betont den utopischen Tonus der "Virtuality" und erfreut sich an der abgeschlossenen Wirksamkeit von "Reality" (safer reality). Flugsimulatoren, Videospiele und medzinische Innenansichten unseres Gehirns sind jedoch bis jetzt meist nur mimetische Repräsentationen, die durch ihren komplexe, komfortable Funktionalität "Alltag" simulieren.

Die Einrichtungen der Datennetze ermöglichen aber auch die Erzeugung nichtabbildender Phänomene. Diese 'Fabrikationen von Erscheinungen' formalisieren jedoch nicht nur Ereignisse in abgeschlossenen Systemen (als solches das Netz bevorzugt genutzt wird), in isoliert wirksamen Strukturen, sondern produzieren, weitaus bedeutsamer, reale Entitäten, die auf den 'Alltag' herauswirken. KR-cF erstellt daher in seinen Projekten Überlagerungen von Ereignissen im Netz und in Realräumen (Ausstellungsräumen) und ihre Verdichtung in Erfahrensqualitäten.

Besucher und Systemkonfigurationen sind 'doppelt präsent', d.h. im virtuellen wie "realen" Raum gleichzeitig wirksam. Die Konsequenzen für die Konstruktion und die Erfahrbarkeit solcher Verdichtungen: Wie beschreibt man z.B, die nicht lokalisierbaren (multipräsenten) Datenräume, wenn die tradierten naturwissenschaftlichen Gesetze hier nicht anwendbar sind? Oder: Über welche Infrastrukturen können derartige künstliche, digitale Territorien verfügen? etc …
INCORPORATIONS:
Howard Rheingold hat die virtuellen Kommunikationsräume als 'virtuelle Gemeinschaften' ausgiebig beschrieben. Doch verfolgt auch er die Tendenz, das Netz nur als erweiterte Realität (und zwar der einen = der "alltäglichen") nutzbar machen zu wollen. Die verbreiteten Metaphern der "digital city", "Global Village", "Virtual City" skizzieren die eine Vorstellung einer Mega-Stadt mit Mainstreet, Post-office, shopping line, Financial district etc. und verdeutlichen den Wunsch nach flächendeckenden Besiedelungtechniken und damit den Wunsch nach übersichtlichen Kommunikationsstrukturen im Netz. Unbewohntes Umland wird in solchen Konzepten meist negiert, subversive Wesensformen ignoriert (im Zweifelsfall ghettoisiert), Mikrostrukturen übersehen, chaotischem Verhalten und der Ungewißheit wird Einhalt geboten etc. Die Verhinderung solcher 'Fehlstellen', die sich trotz der oben erwähnten Freiheit des Netzes herausbildet, zeugt von einer ungebrochenen Fortführung bewährter ökonomischer und ideologischer Missionierungsversuche und Kolonialisierungstendenzen in vernetzten Systemen. Diese Art von virtueller Kultur benutzt die bestehenden Kommunikationsmuster und erzeugt nur eine algorithmisierte Ausprägung unserer Großstadtkultur, aber keine eigengesetzliche, kreative.

Die Projekte von Knowbotic Research führen als Konsequenz solcher Argumentationen über die kommunikativen Aspekte der Datennetzen (talk channels), die die allgemeine euphorische Diskussion um den "Netzkultur-hype" prägen, hinaus. Die Interessen liegen somit auf den Konstruktiven, d.h. gleichzeitig informationsbildenden sowie informationsverarbeitenden und ebenso gleichzeitig wissensgenerierenden sowie wissensrepräsentierenden Qualitäten. Produktion und Repräsentation wird nicht mehr arbeitsteiligen Institutionen zugeordnet, sondern als künstlerisches Konzept universalisiert. Die Rezeption dieser Prozesse, das daraus resultierende "Wissen", ist für KR+cF nicht nur das Ergebnis von erkenntnisfordernden Prozessen, sondern auch Produkt von ästhetischen Erfahrungen.

Zur Verdeutlichung zieht man wie so oft Parallelen zu Defintionen vergleichbarer Phänomene aus der Naturwissenschaft: Der englische Biologe und Philosoph Richard Dawkins stellte in seinem Buch "Der blinde Uhrmacher" die Idee der Meme vor. Er bezeichnet Meme als selbst replizierbare Informationsmengen, die das kulturelle Bewußtsein besiedeln, gleich einer Menge von Ideenviren, die das durch DNA generierte Leben parasitär als ideale Trägersubstanz benutzen. Die Dynamik und Synergetik eines Organismus 'lebt' von seinen Singularitäten – bei KR-cF sind dies interaktive Daten- und Informationsträger, mobile Einheiten. Ob man sie als agents, knowbots, memes oder digital organisms bezeichnet, sie alle agieren als incorporations im Netz und im Sinne des Ideenvirus auch außerhalb der 'electroriic spaces'. Ihr energetisches Potential fasziniert z.B. den Artificial Life-Forscher wie Politologen gleichermaßen, unabhängig davon, ob sie paradoxe oder teleologische Dynamiken 'ausleben'. Sie bestimmen die Ereignisse, sie bewirken das Generative und Prozessuale, die diesen Ansatz des Datenraumes charakterisieren. Dieser produktive Aspekt provoziert 'gestalterische' Maßnahmen im weitesten Sinne – es ergeben sich neue Fragen:

Welche Objekt- und Zeicheneinheiten nutzen solche Infrastrukturen? Welche Funktion übernimmt der Developer, User, Observer solcher digitalen Raum/Zeit – Konfigurationen, in denen nicht die Speicherung und der zeitlich versetzte Abruf und Transformation von Informationen im Vordergrund steht, sondern die Interaktivität mit sich stetig neukonstituierenden Entitäten? Wie kann die imaginäre Matrix, die zur Zeit von Tausenden unbezahlten Entwicklern des Internetzes kontinuierlich neu erfunden, weiterentwickelt, übertreten und verworfen wird, ohne determinierte sprachliche Konventionen für jedermann erfaßbar gemacht werden?
THE MATRIX:
Die elitäre Ausbreitung der Netze gewährleistete lange die selbstthematisierende Referentialitat, die die soziale, politische und kulturelle Wirksamkeiten in Grenzen hielt. Bestätigt sich jedoch die steil ansteigende Verbreitungstendenz und bleibt die Freiheit des Netzes garantiert (jedes offene System ist zu jeder Zeit gefährdet), dann ist der Begriff der "matrix" (der gedachten wirksamen Gesamtheit aller möglichen Verknüpfungen, Verkettungen und Vernetzungen) in Zukunft eine andere Bedeutung zuzumessen. In der publizistischen Qualität des Netzes, die sich z.B. dadurch zeigt, daß das World Wide Web, ein flach hierarchisiertes Hypertextsystem, gleichberechtigt privates und institutionelles Wissen präsentiert, sehen viele Entwickler und Nutzer positive, demokratische Chancen, auch wenn das ähnliche naiv gefärbte Erwartungshaltungen mit sich bringt, die einst mit der Einrichtung des Fernsehens oder der Verbreitung des tragbaren Videorecorders verknüpft und enttäuscht worden waren. Doch ist eine solche gesellschaftliche Funktion ermöglicht durch die Dokumentationsfähigkeit, Wiederholbarkeit, Kopierbarkeit und Distrubution der durch die "Neuen Medien" gespeicherten Sachverhalte, das wesentliche Charakteristikum der Matrix. Eher sind es die nicht lokalisierbare, energetische Konzentration, die nicht- speicherbare ungebremste Prozessualität, die Simulierbarkeit solcher digitalverarbeitender Ereignisse, die die Matrix kennzeichnen: und zwar als Summen von Dnymaiken mit sich verändernden medialen Qualitäten (z.B. zeitliche Komprimierbarkeit, Dehnbarkeit, Hypothetisierung, Modellier- und Testbarkeit).

Wenn, dann sollte man hieraus soziokulturelle Chancen formulieren und nochmals betonen, daß sich diese testbaren Ereignisse in vernetzten Systemen mit multiplen und multi-perspektivischen Beobachterpositionen zwar unabhängig der topographischen Bedingungen bezüglich unserer 1. Realität: der sogenannten "wirklichen" Wirklichkeit, entstehen, aber in deren Wechselwirkung. Aus der Matrix der multiplen Realitäten vernetzter Systeme re-definieren sich so auch die 'public spheres'.

Es gilt daher, einhergehend mit der oben genannten Verunsicherung des öffentlichen Raumes, die "Tüüen" (Peter Weibels Metapher für den Eintritt in den Cyberspace) des Netzes nicht hinter sich zu schließen, sondern offen zu halten.


Alle Zitate entstammen der Publikation "Nonlocated online". Medien.Kunst.Passagen 3/94, Wien. Herausgeber Knowbotic Research, Köln 1995

DWTKS – "Dialogue with the Knowbotic South" wurde produziert mit Unterstützung des Kunstkurators des Bundesministers fur Wissenschaft. Forschung und Kunst, Österreich, der Kunsthochschule fur Medien, Köln, der Kulturbehörde Hamburg und der Ars Electronica.