World Artistic Property Organization WAPO
'Norbert Nowotsch
Norbert Nowotsch
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'Mark Olson
Mark Olson
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'Lisa Schmitz
Lisa Schmitz
Es gab und gibt bis heute keinen von Künstlern selbst bestimmten Ort, an dem eigen- und neuartige Ideen in ihrem vielschichtigen Gesamtvolumen überschau- und erfahrbar gemacht werden auf der Basis des künstlerischen Eigentums.
Hat sich in der ersten Phase der Realisierung des Projektes die Fragestellung v.a, darauf konzentriert, was den Unterschied zwischen einer Entdeckung und einer Erfindung ausmacht, was das Eigene und das Eigentum charakterisiert und den Tausch, sowie was das Neue in diesem Zusammenhang bedeutet, so werden in der zweiten Phase in Linz an einzelnen Beispielen die Möglichkeiten und Grenzen der Präsentation künstlerischer Arbeiten am Computermodell miteinbezogen. WAPO versteht sich in diesem Kontext als kritisches Investigations- und Diskussionsforum, welches als Modellplattform fungiert.
WARUM WAPO? Nur wenige Verbindungen sind zwiespältiger oder problematischer als die des Künstlers mit dem Bürokraten. Im allgemeinen wird sie von keinem der beiden geschätzt, und doch ist sie eben so alt wie die Geschichte der westlichen Kunst selbst. Das künstlerische Produkt ist integrierender Bestandteil, ja Brennpunkt, dieser beunruhigenden Verbindung. Der pragmatische Politiker, den "Willen des Volkes" ausdrückend, will als erstes die Ausgaben für Kunsterziehung und für die Kunst kürzen, weiß er doch, daß niemand Kunst wirklich "braucht". Der stolze und entschlossen unabhängige Künstler, seinen einzigartigen künstlerischen Weg gehend, richtet seinen kritischen Blick vorrangig auf den Funktionär, den Politiker, den Bürokraten, die Repräsentanten eines Systems, das den schöpferischen Geist, das weiß er, einengt und tötet. Der Künstler produziert, auch während der Streit weitergeht – verschwiegen, nahezu im Verborgenen, will doch meist keiner der beiden zugeben, wie sehr er den anderen braucht.
Nur wenige der Kunstwerke, die wir als Meilensteine der westlichen Kultur betrachten, sind nicht aus dieser Verbindung entstanden: nur die wenigsten Kunstwerke wurden einzig und allein vom Künstler erschaffen, ohne irgendeine Unterstützung von der Gesellschaft. Ebenso wären nur die wenigsten unserer privaten und öffentlichen Räume ohne das Zutun des bildenden Künstlers in sichtbarer oder unsichtbarer Form als bewohnbar anzusehen. Denken wir nicht nur an Kathedralen und Monumente, sondern auch an Gebrauchsarchitektur, Autos und Bahnhöfe: sogar im virtuellen Raum des Fernsehens und der elektronischen Medien spiegelt sich die Rolle des bildenden Künstlers in der westlichen Kultur wider und reicht dabei weit über die traditionellen Vorstellungen von Malerei und Bildhauerei hinaus.
Und trotz alledem – oder gerade deshalb – stehen wenige kreative Gruppen der Entwendung und Verwendung ihrer Ideen schutzloser gegenüber als die der bildenden Künstler. Erfinder haben Patentämter, Wissenschafter und Forscher haben zahlreiche Publikationen und Institutionen, die ihre Entdeckungen und Entwicklungen dokumentieren. Musiker haben verschiedene Organisationen, die sehr aktiv die künstlerischen Rechte ihrer Mitglieder schützen. Für gewöhnlich können die Werke dieser kreativen Gruppen kategorisiert oder irgendwie identifiziert werden: der Erfinder stellt als erster seine Ideen einem Expertengremium vor, der Forscher oder Wissenschafter kann auf Laborunterlagen zurückgreifen, die die Eigenständigkeit seiner Arbeit dokumentieren, für den Musiker gibt es die vertikale Struktur des Tones auf der Zeithorizontalen, die seine schöpferische Kurve identifiziert. Aber der bildende Künstler – und allein dieser Terminus ist schon unscharf – fällt irgendwo dazwischen. Welches Expertengremium kann sagen, was "Kunst" ist und was nicht? Wieviele Künstler notieren sich den Fortgang ihrer Werke mit der Präzision eines Forschers? Welche x- und y-Koordinaten identifizieren zum Beispiel die Entstehungskurve einer spontanen Performance? Und doch gibt es sie, die Kunst gibt es, sie existiert.
Künstler sind immer die ersten, die sich durch die Strukturen eines Systems, ob es nun für oder gegen sie arbeitet, eingeengt fühlen und dagegen rebellieren. Dies ist die Wurzel der Antipathie zwischen dem Künstler und dem Bürokraten. Gerade die Fortführung des Systems ist Daseinsberechtigung für den Bürokraten: der Künstler akzeptiert oder schafft ein System nur, um gegen es anzugehen, um es zu zerbrechen. Die Bürokratie schafft Grenzen, um an ihnen patrouillieren zu können, die Kunst definiert Grenzen nur, um sie übertreten zu können. Das ist die größte Stärke der Kunst und gleichzeitig ihr verletzlichste Stelle. Und das ist das zentrale Problem des Schutzes der Rechte von bildenden Künstlern.
Ob nun durch Absicht. Unwissenheit oder Gleichgültigkeit, niemand macht sich häufiger des Diebstahls künstlerischer Ideen schuldig als andere Künstler. In einem derart hart umkämpften und kaum unterstützten Umfeld hat schon nahezu jeder die schmerzhafte und frustrierende Erfahrung gemacht, daß seine künstlerische Idee, die er vielleicht in einem Gespräch hat fallen lassen, von einem schnelleren, rücksichtsloseren und oftmals weniger schöpferischen Kollegen aufgenommen und vermarktet wurde. Das ist umso schmerzlicher, wenn durch diesen Diebstahl eine zur Fortführung eines Werkes dringend benötigte Subvention jemand anderem zufällt. Dieses Problem ist ein altes, und bei jeder Ausstellungseröffnung hört man ein neues Lied davon singen. Der Ideengeber für das Werk wird kaum jemals genannt, auch wenn der Ideenverwerter offen damit konfrontiert wird. Das Problem liegt in der Dokumentation, gibt es doch keinen Beweis für eine Idee, die in einem Moment der Unvorsichtigkeit geäußert wird. Dokumentation bedeutet jedoch Systeme, und Systeme bedeuten Abläufe, Kategorien, Bürokraten, Grenzpatrouillen. Alle dem Künstler wohlbekannt und verhaßt. So befindet er sich in der Zwickmühle. Entweder systematisiert und fixiert er und setzt so seiner Kreativität Grenzen, um daran patrouillieren zu können. Oder er akzeptiert auf die eine oder andere Art, daß die Entwendung von Ideen Teil seines Lebens als Künstler ist, und hofft, daß er morgen noch immer Sinn in seiner Arbeit findet. Natürlich ist keine dieser Optionen sehr attraktiv. In der Öffentlichkeit entscheidet sich der Künstler oft für letzteres, verkündet tapfer resigniert, daß es ihm gar nichts ausmache, wenn seine Ideen ungefragt von anderen übernommen würden. Letztendlich jedoch wird kaum ein Künstler es zustande bringen, immer und immer wieder die Kreativität anderer zu fördern und trotzdem seinem eigenen Kampf ums Überleben Sinn abgewinnen.
Die World Artistic Property Organization (WAPO) will in den Dialog über genau diese Probleme eintreten. Genauer gesagt: Ist es möglich, eine Organisation zu schaffen, die künstlerisches Eigentum anerkennt, schützt und unterstützt, ohne es in einem bürokratischem System zu gängeln? Wie könnten durch ein derartiges System künstlerische Ideen dokumentiert werden, ohne daß das System im Chaos auseinanderfällt? Ist so ein System überhaupt nützlich? Wie würde es Autorität gewinnen? Wie würde es unterstützt? Kann angesichts der endlos möglichen Verwandlungsfähigkeit von Kategorien und Katalogisierungen ein Computer in der Schaffung dieser Organisation eingesetzt werden? Wäre es nützlich und sinnvoll, ein Online-System im World Wide Web einzurichten, mit Beispielen für Kunstwerke, die für die Forschung zugänglich gemacht würden und die jedem zur Verfügung stünden, der sich in das Netz einschalten kann? Falls ein solches System geschaffen würde, wie könnte man die Rechte am künstlerischen Eigentum vor dem unbegrenzt möglichen Kopieren und Manipulieren schützen, die das entstehende digitale Zeitalter charakterisieren?
Die Frage von Urheberrechten und kreativem Diebstahl entstand nicht erst mit dem digitalen Zeitalter, aber die Zugänglichkeit digitaler Werke und geeigneter Reproduktionsmittel haben diese Fragen akut werden lassen. Die stark steigende Nachfrage nach Programmen, die im wachsenden Reich der digitalen Medien eingesetzt werden können, wird zu Engpässen führen, die die Nachfrage nach neuen Konzepten und kreativen Ideen noch verstärken wird. Bereits heute werden Bild- und Tonarchive im großen Stil (etwa von Museen) aufgekauft und monopolisiert. Die neueste bildverarbeitende Software ermöglicht durch Kopier-, Montage- und Filtertechniken das spurenlose Aufsaugen kreativer Ideen. Kunst ist immer weniger eine Frage von Entscheidungen und Standpunkten, sie wird immer häufiger zu einer kurzlebigen, sich selbst verzehrenden Mode. Die Werke vergangener und heutiger Künstler sind ein riesiges, nahezu ungeschütztes Reservoir an schöpferischen Ideen. Es ist höchste Zeit, daß wir als Künstler einen konstruktiven Dialog beginnen über die Frage, was wir mit diesem Reservoir anfangen.
...ORIGINAL/ZITAT/DUPLIKAT/REPLIKAT/PLAGAT/KLON/KOPIE/SAMPLE/DURCHSCHLAG/FÄLSCHUNG … Im November 1993 wurde im experimental-studio der Akademie der Künste Berlin das Projekt WAPO in seiner ersten Phase realisiert. (1) Es wurde ein Büro eingerichtet, welches mit europäischen Patentschriften ausgestattet war, ferner mit Fotos, die in den beiden Berliner Patentämtern hergestellt worden waren und mit Informationsmaterial zum Patentrecht und diesbezüglichen Verwertungsmöglichkeiten sowie zum Urheberrecht und der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst. Nebenan war eine 23 m2 x 3.3m2 hohe begehbare Rauminstallation aufgebaut, bestehend aus einer Holzwandkonstruktion, die auf einem Fundament ruhte, das aus europäischen Patentschriften bestand. Innerhalb dieser drei Wochen entstanden Gespräche mit den Besuchern: hierbei bildeten die folgenden Themen- und Fragestellungen die Ausgangsbasis: Weltweit werden jährlich 600.000 Erstanmeldungen registriert. Fast jede Nation verfügt über ein Patentamt, dessen Gesetzgebung international ähnliche Strukturen aufweist. Ein Blick in das Deutsche Patentrecht und in das deutsche Urhebergesetz gibt Aufschluß über das Verständnis, wie der Staat, vertreten durch das Gesetz, eine technische Erfindung von einer künstlerischen unterscheidet: laut Aussage des gewerblichen Rechtsschutzes sind technische Erfindungen Gegenstände des Patentgesetzes. Als materiellrechtliche Voraussetzungen gelten: Neuheit (seit der Gesetzesänderung vom 1.1.1978 "absolute" Neuheit), erfinderische Tätigkeit, gewerbliche Anwendbarkeit.
Werke der Literatur, Musik, Wissenschaft, Kunst, Computerprogramme sind Gegenstände des Urhebergesetzes. Als materiellrechtliche Voraussetzungen gelten hier: persönliche geistige Schöpfung und schöpferische Gestaltungshöhe. Es handelt sich um Entdeckungen. Originale.
Dieser offiziellen Definition zufolge betätigt Kunst sich auf dem schöpferischen Terrain. Die künstlerische Produktion schafft neue Formen, Systeme, die nur existieren, weil sie realisiert werden als Ideen oder in materialisierter Form. Es handelt sich nicht um Erfindungen, sondern um Entdeckungen. Eine Entdeckung, also eine Decke heben und schauen, was sich darunter verbirgt, meint doch wohl, das Vorhandene in seiner Substanz zu erfassen. Der Künstler als Begutachter, Kritiker, Kommentator, Trickster. Der das unter dem Teppich befindliche nicht Sichtbare entdeckt. Verweist das Original auf den Schöpfungsakt, so meint die Entdeckung den Umgang mit bereits Vorhandenem: Kunst im Spagat. Dabei genießt eine technische Erfindung bis zu 20 Jahren teuer bezahltes Schutzrecht, eine schöpferische Entdeckung bis zu 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers kostenloses Schutzrecht.
Der schöpferische Akt wird nach dem Gesetz im Moment seiner Entstehung bereits als schutzwürdig empfunden. Jeglicher schöpferische Akt? Wo liegt die Grenze? Für wen? Die Schwierigkeit, zu bestimmen, wie schöpferisch eine Schöpfung zu sein hat, ist offensichtlich.
Warum ist das Urheberrecht über den Tod hinaus gültig? Welche Hoffnungen und Ansprüche werden hier indirekt formuliert? Warum wird die schöpferische Leistung höher und gleichzeitig niedriger eingeschätzt als die technische Leistung? – Es ist offensichtlich, daß verschiedene Machtansprüche im Spiel sind: die Frage ist, zu welchem Nutzen?
Der Begriff "Kunst" ist weder im Buchindex noch im Computer des Patentamtes verzeichnet. Das ist – handelt es sich doch um technische Erfindungen – nicht weiter verwunderlich. Interessant ist jedoch, daß die Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst, ein rechtskräftiger Verein kraft staatlicher Verleihung, bei seiner Tätigkeit der Aufsicht durch das Deutsche Patentamt untersteht: so stellt sich die Frage: Warum verfügt die Kunst nicht über einen eigenen Standort?
Patentierte Erfindungen sind bewußt entwickelte Innovationen. Angelegt auf zweckgebundene Vervielfältigung, erhalten sie aus wirtschaftlichen Gründen juristische Rückendeckung, z.B. durch die WIPO: World Intellectual Property Organization mit Sitz in Genf.
Wo liegen die Schnittstellen zwischen Erfindung und Entdeckung? Was charakterisiert das Neue? Welchen Sinn erfüllt das Neue in einer Gesellschaft, in der sich herkömmliche Werte in der Auflösung befinden? Bis zu weichem Zeitpunkt sind wir in der Lage, das Angebot an archivierten Informationen zu bewältigen? Was bedeutet diese Situation für unsere Mit-Teilungsbedürfnisse?
Kunst bringt Entdeckungen hervor, die in gewisser Weise radikaler und komplexer als technische Erfindungen sind, da sie neben der bewußten die unbewußte, intuitive Handlung als originäres Ereignis gleichrangig miteinbeziehen. Bei diesem Prinzip stellt sich die Anwendung des Urhebergesetzes als äußerst kompliziert dar (s. Plagiat, Kopie, Simulation). Welches sind die Möglichkeiten und Grenzen der rechtlichen Absicherung: Was heißt künstlerisches und intellektuelles Eigentum? Was ist das Eigene? Wie steht es um den Umgang mit dem Eigenen und dem Anderen? Dies verweist auf den Tauschvorgang. Der Tausch (mittelhochdeutsch tuschen "lügen") meint die Hingabe eines Gutes gegen die Überlassung eines anderen. Die Lüge ist ein wesentliches spielerisches Kriterium des Tauschprinzips, dem die Kenntnis zugrunde liegt, daß dasselbe nie das gleiche sein kann. [techna. lateinisch (griechisch) (Kunst); listiger Streich]
Tauschen kann ich nur das Eigene, und das Eigene kann ich nur in der Annäherung, im Begreifen und im Erfahren des Anderen realisieren. Tausch bedingt das gegenseitige Einverständnis der Tauschenden. Nur in der Akzeptanz dieses Prozesses können eigene Ideen, materiell und geistig, fruchtbar werden: und auch nur dann befreit sich die Mit-Teilung für einen Augenblick während des Tausches von ihrem Illusionscharakter.
(1) Während der Schlußphase der Vorbereitungen innerhalb der ersten Phase des Projektes ergaben sich einige intensive und fruchtbare Gespräche mit Peter Fend, der aufgrund seines eigenen Arbeitsansatzes im Zusammenhang mit der Ocean Earth Development Corporation ein Interesse an dem Projekt entwickelte. Seine Veröffentlichungen zu WAPO: "Organization of Invention". in: "Nummer". Köln 1/1994; sowie in: "Documents", Paris 1994. zurück
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