Die Ursprünge von Intelligenz bei Artificial-Intelligence-Systemen
'Luc Steels
Luc Steels
Wir haben in unserem Labor eine Gruppe von handelnden Robotern ("Agenten") gebaut, die "das Spiel des Lebens spielen". Jeder Roboter besteht aus Elektronik und Lego-Steinen, ganz im Sinne der Modellfahrzeuge von Braitenberg. Ein solcher Roboter hat sowohl Batterien als auch einen Hochleistungs-Mikroprozessor "an Bord". Er verfügt auch über eine ganze Reihe von Sensoren: Tastsensoren, Infrarotsensoren, um Hindernisse zu erkennen, Sensoren für sichtbares Licht, Mikrophone etc. Am linken und am rechten Rad hat er je einen Motor, den er steuern kann. Diese Roboter können sich auch selbst aufladen, indem sie sich an eine Aufladestation anschließen.
In diese Ladestation strömt ein regelmäßiger Energiefluß, aber in diesem Ökosystem gibt es auch Parasiten in der Form von Lampen, die dem gesamten Ökosystem Energie abziehen. Wenn alle Parasiten voll aktiv sind, bleibt nicht genügend Energie zum Aufladen. Die Roboter können die Parasiten zwar vorübergehend außer Kraft setzen, indem sie gegen die Kisten stoßen, in denen sich die Lampen befinden. Aber Parasiten "wachsen" nun einmal nach. Außerdem muß jeder Roboter mit den anderen um die Energie in der Ladestation wetteifern, doch ist das Experiment so ausgelegt, daß ein Roboter alleine nicht überleben kann.
Bei diesem Experiment gehen wir von den einfachen reaktiven Systemen aus, um die Evolution der Intelligenz zu studieren. Wir erforschen, wie die Roboter ein primitives Repertoire an Verhaltensweisen entwickeln und wie sie dann diese zu komplexeren Mustern weiterentwickeln. Auch wollen wir zeigen, wie ein altruistisches, kooperatives Verhalten entstehen kann, obwohl jeder Roboter egoistisch sein muß, um zu überleben. Wir sehen dabei das Entstehen der Sprache und wie sie komplexer werden kann. Forschungsgegenstand sind auch die Möglichkeiten, die es für die Ausbildung einer sozialen Gliederung innerhalb einer Roboter-Gruppe gibt und wie sich diese auf das Intelligenzniveau auswirken könnte.
Bei diesen Bemühungen verwenden wir mehrere, aus der Biologie entlehnte, Mechanismen zur Erzeugung neuer Komplexitäten. Hier nun einige Beispiele:
Adaption: Adaption bedeutet, daß die Parameter bestimmter Verhaltensmuster auf der Grundlage eines Feedbacks bezüglich der Verhaltensleistung adaptiert werden. Zum Beispiel werden Parameter für Infrarot-Emissionen und deren Erkennung aufgestellt und dann wie der Fokus einer Linse angepaßt. Die Roboter in der realen Welt müssen anpassungsfähig sein, da ihre Umwelt größtenteils unbekannt ist und sich auf unvorhersehbare Weise ändern kann.
Am Rande des Chaos: Dynamische Systeme eines bestimmten Typus (zum Beispiel die logistische Gleichung) können für bestimmte Parametereinstellungen ein deterministisches Chaos aufweisen. Systeme, die in Konkurrenz zu einander stehen, tendieren dazu, sich in Richtung einer höheren Komplexität zu entwickeln, die zwar an chaotisches Verhalten grenzt, aber nicht darüber hinaus geht. Wir wenden diesen Mechanismus zur Erzielung einer höheren Komplexität beim Signalaustausch zwischen Roboterpaaren an.
Kopplung chaotischer Elemente: Wenn das Verhalten der handelnden Roboter (oder von dynamischen Systemen ganz allgemein) durch globale Ressourcen (in diesem Fall die Aufladestation) gekoppelt ist, können verschiedene Verhaltensmuster auftreten, wie Clustering oder eine Periodenverdopplung zum Chaos. Wir haben dies bei einem Experiment eingesetzt, um zu zeigen, daß, ausgehend von identischen Agenten, spontan eine soziale Diversifikation zwischen ihnen zustande kommt.
Evolution: Vererbung und Variation sind die treibenden Kräfte, die der Evolution durch natürliche Selektion zugrunde liegen. Dies ist auch auf die Entwicklung einer neuen Komplexität anwendbar, indem man annimmt, daß verschiedene Verhaltensweisen durch Populationen von Verhaltenszellen hervorgerufen werden. Im Experiment haben wir nachgewiesen, daß evolutionäre Techniken dazu dienen können, ein primitives Repertoire von Grundverhaltensmustern zu entwickeln.
Ebenenbildung: Biologische Systeme entwickeln spontan neue Komptexitätsebenen. So sind beispielsweise die Chromosomen aus den Genen und die Zellen aus einer Kombination einfacherer Strukturen wie den Mitochondrien entstanden. Gegenwärtig versteht man die Ebenenbildung nur teilweise, sie scheint aber für die Frage, wie sich eine kognitive Ebene aus der subsymbolischen Ebene herausbilden kann, von entscheidender Bedeutung zu sein.
Unsere Forschungsarbeiten sind alles andere als abgeschlossen und sind Bestandteil des verhaltensorientierten bzw. Artificial-Life-Ansatzes in der AI-Forschung. Dieser Ansatz steht im Gegensatz zum Top-down-Ansatz, bei dem die Logik und die Wissensrepräsentation im Vordergrund stehen, was vor allem die klassischeren Werke über künstliche Intelligenz geprägt hat. Die Anwendungsmöglichkeiten wären: Autonome Kanalisationsroboter oder Mikro-Nanoroboter, die im menschlichen Körper Operationen vornehmen. Dieselben Prinzipien sind auch für die Entwickiung intelligenter, autonomer Softwareagenten von Bedeutung.
Während Ars Electronica wird das Roboter-Ökosystem über Internet und das "World Wide Web" zugänglich gemacht. Wir haben ein Funkverbindungssystem errichtet, mit dem die internen Zustände der Roboter eingefangen und über Internet verbreitet werden können. Gleichzeitig werden wir auch visuelle Eindrücke des Ökosystems senden und Textinformationen und Diskussionsforen über das Experiment anbieten. Wir haben auch vor, den Teilnehmern die Möglichkeit zu bieten, einen Roboter (teilweise) zu steuern, indem sie beispielsweise einige Parameter des Ökosystems oder seines Umfeldes verändern. Diese Optionen sind über die Home-Page unseres Labors zugänglich: http://arti.vub.ac.be/welcome.html Von dort aus wählt man über die "Research"-Seite die "Robotic Agents"-Home-Page an.
Über die Home-Page des Labors kann man auch an einem Experiment mit Softwareagenten, die für den elektronischen Handel im Modebereich eingesetzt werden, teilnehmen. Hierbei experimentieren wir mit Softwareagenten, die den User über das Internet begleiten und an bestimmten Orten mit anderen Softwareagenten zusammentreffen. Eine solche Session beginnt mit dem Entwurf (oder Abruf) des persönlichen Agenten. Wenn man in ein elektronisches Geschäft geht, trifft man dort auf andere Agenten, die die Rolle von Modeberatern und Verkaufspersonal übernehmen, oder auf die persönlichen Agenten von Bekannten. Diese Softwareagenten sprechen untereinander und mit dem User. Obwohl diese Softwareagenten mehr traditionelle AI-Techniken für die Wissensrepräsentation, Planung und Aufgabenerfüllung verwenden, haben sie mit den robotischen Agenten einiges gemeinsam, wie beschränkte Ressourcen, Adaptionsschwierigkeiten in neuen Situationen etc.
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