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The Hiroshima Project


'Akke Wagenaar Akke Wagenaar

In Zusammenarbeit mit Masahio Miwa, Michael Hoch, Matthias Melchor & Barbara Geschwinde

Vor 50 Jahren warfen die Vereinigten Staaten von Amerika eine Atombombe über Hiroshima ab. Über 92.000 Menschen wurden sofort getötet, (1) geschätzte 150.000 bis 200.000 starben an Spätfolgen, (2) und noch heute befinden sich 400.000 in medizinischer oder psychologischer Behandlung. (3) Die Langzeitfolgen dieser Explosion und der mehr als 1.788 (4) folgenden Tests auf das genetische Material werden noch immer untersucht. (5)

Der erste Einsatz einer Atombombe in der Geschichte des Krieges war nur der Gipfel einer Reihe von grausamen und unmenschlichen Taten, die das Ergebnis eines halben Jahrhunderts moderner Kriegsführung waren. Einer Kriegsführung, die den weltweiten Massenmord an der Zivilbevölkerung mittels modernster Technologie salonfähig gemacht hat. Der Zweite Weltkrieg forderte das Leben von 20 Millionen russischen, 10 Millionen chinesischen und 6 Millionen europäisch-jüdischen Zivilisten; (6) weltweit fielen dem Zweiten Weltkrieg etwa 55 Millionen Zivilisten und Soldaten zum Opfer. (7)

Der erste Einsatz einer Atombombe in der Kriegsführung war gleichzeitig auch der Beginn einer neuen Ära. Die Unmengen der bei einer Atombombenexplosion freigesetzten Energie schockierten Wissenschaftler und Militärs ebenso wie die Zivilbevölkerung. Man hatte das erste weltweite Problem dieses Jahrhunderts geschaffen, und es gab keinen Weg zurück. Die Hiroshima-Bombe wurde zum weltweiten Symbol für die Bedrohung der Existenz unseres Planeten und allen Lebens, eine Bedrohung, mit der wir in den 50 Jahren, die seit Hiroshima vergangen sind, zu leben gelernt haben – um nicht zu sagen, daß wir sie zu ignorieren gelernt haben.

Einige Überlegungen zum Thema
Unser Jahrhundert ist von zwei großen Ereignissen gekennzeichnet:
1. dem Zweiten Weltkrieg, dem weltweiten Massenmord, der seinen Höhepunkt in der Atombombenexplosion fand, diesem Mord für Fortgeschrittene;
2. der digitalen Revolution, die ihren Höhepunkt in der Kommunikations- und Informationsexplosion (oder -implosion) fand.

Fünfzig Jahre nach der ersten Atombombenexplosion steht das globale Kommunikations- und Informationsnetz ebenfalls kurz davor, zu explodieren. Wir täten vielleicht gut daran, uns kurz zu besinnen und zurückzublicken.
Opfer und Täter/Vergewaltiger/Mörder waren psychologisch gesehen stets weit voneinander entfernt. Das gilt sowohl für den Einzelnen als auch für ethnische Gruppen oder ganze Länder. (Der Täter verwendet all seine Energie darauf, die tatsächlichen Folgen seiner Tat zu ignorieren.)

Und plötzlich gab es das Internet. Was auch immer digitale Kommunikation bewirken kann, sie ermöglicht es auf jeden Fall, jene Welten zu überbrücken, die beispielsweise frühere Feinde voneinander trennten.
Die Erfindung des Computers, die Entwicklung künstlicher Intelligenz und die Einführung des Internet – all diese neuen Errungenschaften sollten ursprünglich militärischen Zwecken dienen.

Und ich hege den vagen Verdacht, daß die Ereignisse dieses Jahrhunderts noch eindringlich untersucht werden müssen. Der Abwurf der Atombombe war ein Ereignis, das Angst und Schrecken verbreitete. Die Auswirkungen waren so enorm, daß sie unsere Vorstellungskraft überschritten. Es wäre vielleicht an der Zeit, daß wir uns genauer mit dem befassen, was wir vor langem in den letzten Winkel unseres Gehirns verbannt haben.

Der Sieger besitzt keineswegs ein Monopol auf das Leiden. Wie gehen wir – die ganze Welt – mit 50 Jahren Hiroshima um?

Beim Hiroshima-Projekt handelt es sich um ein Informationsprojekt auf Netzwerkbasis. Es ist als Führung durch das WorldWideWeb gestaltet, im Zuge derer der Besucher an all jene WorldWideWeb-Orte der Welt gebracht wird, welche über Informationsmaterial zum Atombombenabwurf auf Hiroshima vor 50 Jahren und das Gedenken daran verfügen. Die Führung ist ähnlich wie eine TV-Dokumentationsserie aufgebaut, mit dem einzigen Unterschied, daß sie nicht-linear, interaktiv und offen ist; der Zugriff erfolgt wie bei einer Datenbank oder einem Katalog.

Das Hiroshima-Projekt informiert nicht nur über die Atombombe von Hiroshima und die 50 Jahre, die seither vergangen sind, sondern bietet auch Information über die Informationen zur Atombombe (also auch solche Informationen, die zurückgehalten oder dementiert wurden). Man erfährt nicht nur etwas über die Atombombe selbst, sondern auch über das Desinteresse, die Verleugnung und die Ignoranz, die damit einhergingen.

Das Projekt stellt geographische und kulturelle Gegensätze nebeneinander, überwindet die Grenzen zwischen Tätern und Opfern, zeigt, wie wir heute mit diesem geschichtlichen Ereignis wie auch mit der Bedrohung, die angesichts des Wissens über die Produktion von Atombomben über uns schwebt, umgehen.

Das Projekt zeigt, wie dieses Thema in der Literatur, im Film und in der Kunst aufgegriffen wurde. Anfang, Zentrum und Ende des Projekts ist das Buch "Schwarzer Regen" von Masuji Ibuse. Dieses Buch konfrontiert den Leser durch poetische Erfahrung mit dem Unfaßbaren. Das Thema Atombombe wird nicht länger von einem globalen, sondern von einem sehr persönlichen Standpunkt aus behandelt. Einzelne Personen werden mit der tödlichen Energie einer Atombombenexplosion konfrontiert, und einer nach dem anderen spürt die grausamen Auswirkungen der Atombombe am eigenen Leib.

Das Hiroshima-Projekt umfasst
  • einen Informations-Streifzug durch das WorldWideWeb

  • eine lokale Datenbank mit Informationen zum Thema (in Zusammenarbeit mit Barbara Geschwinde)

  • ein virtuelles Kunstwerk

  • einen Hinweis auf die WWW-Titelseite zum Kunstwerk (in Zusammenarbeit mit Masahiro Miwa, Michael Hoch & Matthias Melcher)
Der Zugriff auf das Hiroshima-Projekt kann auf zwei Arten erfolgen:
  • Mittels eines 3-D-Navigators kann man in einer virtuellen Datenlandschaft umhersurfen. Bei dem 3-D-Navigator handelt es sich um modernste Technologie, mit der zielführende gestützte Suche möglich ist und die kostenlos aus dem Internet in den eigenen Computer übertragen werden kann.

  • Mittels WorldWideWeb-Software kann man auf WWW-Orte im Internet zugreifen.
Das Hiroshima-Projekt wird 1995 kontinuierlich weiterentwickelt.

Das Hiroshima-Projekt wird von der Akademie für Medienkunst in Köln unterstützt.


REFERENCES/ QUELLEN

(1)
High Energy Weapons (introduction text), Gary K. Au. Sydney. 1995. zurück

(2)
Imidas. Innovative Multi- Information Dictionary. Annual Series, p. 311. Tokyo: Sh'eisha, 1991. zurück

(3)
Die Atombombe im japanischen Spielfilm. Barbara Geschwinde (unpublished thesis). Gelsenkirchen. 1995. zurück

(4)
Catalog of known and putative nuclear explosions from unclassified sources. Oklohama Geological Survey Observatory. Oklohama 1994. zurück

(5)
See: Radiation Effects Research Foundation. Japan. zurück

(6)
High Energy Weapons (introduction text). Gary K. Au. Sydney. 1995. zurück

(7)
Jahre unseres Lebens 1945-1949. Dieter Franck. Hamburg: Rororo. 1983. zurück